L 13 SB 72/10 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 SB 225/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 72/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 16. März 2010 aufgehoben. Dem Kläger wird mit Wirkung vom 25. Februar 2010 für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten gewährt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist statthaft (§ 172 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers nach §§ 73a SGG, 114 ZPO verneint; die wirtschaftlichen Voraussetzungen der §§ 114 ff ZPO liegen vor.

1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet i V m dem u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitergehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses Nebenverfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28.11.2007, 1 BvR 68/07). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können (BVerfG, a. a. O., und Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 04.07.1993, 1 BvR 1523/92). Demnach ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn zum rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt entweder noch Beweis zu erheben ist oder wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund eines geklärten Sachverhalts für zutreffend oder für zumindest vertretbar und klärungsbedürftig hält.

2. Nach diesen Maßstäben war zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags am 25. Februar 2010 (vollständige Einreichung der Unterlagen zu der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) die hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu verneinen. Zu Unrecht hat das Sozialgericht vorliegend angenommen, das Rechtsschutzziel des Klägers sei auf die Gewährung des Merkzeichens H gerichtet. Tatsächlich hat der Beklagte die Voraussetzungen des Merkzeichens H in seinem Bescheid vom 14. Mai 2002 bestandskräftig und unbefristet festgestellt; lediglich die Zuerkennung eines Ausweises war befristet. Verfahrensrechtlich folgerichtig hat der Beklagte in seinem Bescheid vom 19. April 2007 den Bescheid vom 14. Mai 2002 aufgehoben und sich hierbei auf die Vorschrift des § 48 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) gestützt.

Vor diesem Hintergrund kann die (Anfechtungs-)Klage des Klägers, soweit sie sich auf das Merkzeichen H bezieht, nur dann abgewiesen werden, wenn nachgewiesen ist, dass zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Bescheid vom 14. Mai 2002 eingetreten war und hierdurch die Voraussetzungen für die Beibehaltung des Merkzeichens H entfallen waren. Die tatsächlichen Feststellungen des Sozialgerichts tragen dieses Ergebnis jedenfalls nicht zwingend, zumal sie vom Sozialgericht bislang ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Gewährung und nicht unter dem Gesichtspunkt der Aberkennung des Merkzeichens H gewürdigt worden sind.

Hierbei kann offen bleiben, ob zur Klärung der aufgeworfenen Fragen die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen ist; selbst wenn ein solches Gutachten vorliegend entbehrlich sein sollte, gebietet jedenfalls die vorstehend umschriebene rechtliche Unsicherheit in der Bewertung der angefochtenen Bescheide, das Merkmal der hinreichenden Erfolgsaussicht nach § 114 ZPO zu bejahen.

Der Gewährung von Prozesskostenhilfe steht schließlich auch nicht entgegen, dass das Sozialgericht inzwischen die Klage abgewiesen und der Kläger hiergegen Berufung zum Landessozialgericht eingelegt hat, denn maßgeblich für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist – wie bereits ausgeführt – der Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfe-Gesuchs, und zu diesem Zeitpunkt lag noch keine das erstinstanzliche Verfahren in der Hauptsache beendende Entscheidung des Sozialgerichts vor.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved