L 2 R 68/10

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 12 R 74/07
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 R 68/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Versicherungsträger hat nach dem Wortlaut des § 44 SGB 1 über einen etwaigen Zinsanspruch des Leistungsempfängers auch ohne besonderen Antrag von Amts wegen zu entscheiden. Dies entspricht der Rechtsnatur der Zinsen als akzessorische Nebenleistung (Anschluss an BSG, Urteil vom 11.9.1980-5 RJ 108/79).
2. Ein Versicherungsträger lehnt in einem Bescheid, der keine Entscheidung über einen Zinsanspruch enthält, die Gewährung von Zinsen mangels eines dahingehenden positiven Ausspruchs ab.
3. Enthält der Bescheid auch keinen Zusatz des Inhalts, dass über Zinsen noch gesondert entschieden werde, muss der Empfänger davon ausgehen, dass er keinen Zinsen erhält, so dass ein Widerspruch erforderlich ist und Kosten hierfür übernommen werden müssen.
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15.4.2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides von 1.2.2007 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, eine Kostenerstattung für die durchgeführten Widerspruchsverfahren vorzunehmen.

2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von außergerichtlichen Kosten, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für die Durchführung von Widerspruchsverfahren geltend macht.

Die Klägerin bezieht seit dem 9.8.1990 Witwenrente (Bescheid der Beklagten vom 22.8.1991). Am 7.11.2005 beantragte die Klägerin die Neufeststellung der gewährten Leistungen nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unter Berücksichtigung von geltend gemachten Ersatzzeiten. Daraufhin wurden Ersatzzeiten anerkannt und die Rente ab dem 1.1.2001 neu berechnet (Bescheid vom 14.2.2006). Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 21.2.2006 Widerspruch ein. Eine weitere Begründung erfolgte nicht. Die Rente der Klägerin wurde rückwirkend zum 1.1.2001 um einen Zuschlag erhöht (Bescheid vom 19.5.2006). Mit Schreiben vom 31.5.2006 erhob der Prozessbevollmächtigte Widerspruch und machte eine Verzinsung der Nachzahlung geltend. Diese erfolgte sodann mit Bescheiden vom 10.8.2006 und 14.8.2006. Auf Nachfrage erklärte der Prozessbevollmächtigte den erhobenen Widerspruch für erledigt und bezifferte seine Kosten auf jeweils 260 Euro, insgesamt 520 Euro (Abhilfebescheide vom 10.8.2006 und 14.8.2006).

Mit Bescheid vom 22.11.2006 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab. Mit den Bescheiden vom 10.8.2006 und 14.8.2006 sei die Nachzahlung aus den Bescheiden vom 14.2.2006 und 19.5.2006 verzinst worden. Diese Bescheide stellten keine Abhilfebescheide dar, da die Verzinsung erstmalig mit Schreiben vom 31.5.2006 beantragt worden sei. Es handele sich um eine Entscheidung im Verwaltungsverfahren, für das keine Kosten geltend gemacht werden könnten. Mit Widerspruchsbescheid vom 1.2.2007 wurde der dagegen erhobene Widerspruch des Prozessbevollmächtigten der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Am 12.2.2007 ist die hiergegen erhobene Klage beim Sozialgericht Mainz eingegangen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihm Kosten für die Durchführung von Widerspruchsverfahren aufgrund der Abhilfebescheide vom 10.8.2006 und 14.8.2006 zustünden. Seine Mandantin habe davon ausgehen müssen, dass der Anspruch auf Verzinsung der Nachzahlung abgewiesen worden sei. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts habe der Versicherungsträger über einen etwaigen Zinsanspruch des Antragstellers auch ohne besonderen Antrag von Amts wegen zu entscheiden, weil Zinsen ihrer Natur nach eine akzessorische Leistung darstellten und zugleich mit der Hauptleistung zu zahlen seien. Da die Beklagte dem Zinsbegehren abgeholfen habe und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich gewesen sei, sei der Widerspruch erforderlich und erfolgreich gewesen.

Die Beklagte hat erwidert, eine unterbliebene Verzinsung sei nicht mit einer Ablehnung gleichzusetzen, da das bloße Schweigen nicht als Ablehnung verstanden werden könne und es daher an einer Regelung fehle. Der Widerspruch sei daher unzulässig gewesen. Die Verzinsung in den Bescheiden vom 10.8.2006 und 14.8.2006 sei von Amts wegen erfolgt und daher nicht als Abhilfe zu werten.

Mit Urteil vom 15.4.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Gemäß § 63 SGB X seien Kosten des Vorverfahrens zu erstatten, soweit ein Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Dies sei dann der Fall, wenn und soweit die Behörde zur Erfüllung des Widerspruchs dem Begehren des Widerspruchsführers abhelfe. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin stelle das Fehlen einer Entscheidung über die Verzinsung in den Bescheiden vom 14.2.2006 und 19.5.2006 keinen Verwaltungsakt dar, der mit Widerspruch angreifbar gewesen wäre. Eine Regelung über die Verzinsung, die mit Widerspruch anfechtbar sei, hätten diese Bescheide nicht enthalten. Das bloße Schweigen enthalte keine Willensbetätigung, ungeachtet einer bestehenden Verpflichtung, die Verzinsungsentscheidung unmittelbar in den Leistungsbescheid aufzunehmen. Es komme hinzu, dass der Widerspruch vom 21.2.2006 ein konkretes Begehren nicht habe erkennen lassen. Der Bescheid vom 19.5.2006 könne daher nicht als Abhilfebescheid verstanden werden. Sofern der Prozessbevollmächtigte im Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.5.2006 zum Ausdruck habe bringen wollen, dass er sich gegen die unterbliebene Verzinsung richte, führe dies zu keinem anderen Ergebnis, weil auch in diesem Bescheid keine Regelung über die Verzinsung getroffen worden sei, die mit Widerspruch zulässig hätte angegriffen werden können.

Gegen dieses ihm am 24.4.2009 zugestellte Urteil, welchem eine falsche Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, hat der Prozessbevollmächtigte zunächst am 18.5.2009 Berufung eingelegt. Auf Hinweis des Senats zur Unzulässigkeit der Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme (750 Euro) hat er die Berufung zurückgenommen und am 25.9.2009 eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

Mit Beschluss vom 22.1.2010 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15.4.2009 zugelassen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sein Begehren weiterverfolgt und auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15.4.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 22.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides von 1.2.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, eine Kostenerstattung für die durchgeführten Widerspruchsverfahren vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise ausdrücklich ihr Einverständnis erklärt hatten.

Die Berufung ist zulässig.

Gemäß § 145 Abs 5 Satz 1 SGG wird, nachdem das Landessozialgericht die Berufung mit Beschluss vom 22.1.1010 zugelassen hat, das ursprüngliche Beschwerdeverfahren (Aktenzeichen: L 2 R 371/09 NZB) als Berufungsverfahren fortgesetzt. Die Zulassung war deshalb erfolgt, weil das SG einen von der Entscheidung des BSG vom 11.9.1980 - 5 RJ 108/79- abweichenden Rechtssatz im Sinne des § 144 Abs 2 Nr. 2 SGG aufgestellt hatte, indem es ausführte, dass in dem Bescheid vom 19.5.2006 hinsichtlich der Verzinsung der Nachzahlung keine Regelung getroffen worden sei, die mit Widerspruch anfechtbar sei, weil es nicht gerechtfertigt sei, "das Unterlassen der Verzinsungsentscheidung unmittelbar im Zusammenhang mit der Nachzahlungsbewilligung als Ablehnung einer solchen auszulegen" (Seite 6 des Urteils).

Die Berufung ist auch begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15.4.2009 ist aufzuheben. Der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides von 1.2.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, eine Kostenerstattung für die durchgeführten Widerspruchsverfahren vorzunehmen.

Gemäß § 63 Abs 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Begehren der Klägerin in den beiden Widerspruchsverfahren abgeholfen, auch waren die Widersprüche sowohl erforderlich als auch erfolgreich.

Denn die erhobenen Widersprüche vom 21.2.2006 gegen den Bescheid vom 14.2.2006 und vom 31.5.2006 gegen den Bescheid vom 19.5.2006 führten dazu, dass die Beklagte die Abhilfebescheide vom 10.8.2006 und 14.8.2006 erteilt hat. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die Verwaltungsakte vom 14.2.2006 und 19.5.2006 keine Entscheidung über die Verzinsung enthalten haben, weil das bloße Schweigen weder eine zustimmende noch eine ablehnende Willenserklärung beinhalte. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits im Urteil vom 11.9.1980 5 RJ 108/79 den Rechtssatz aufgestellt: "Der Versicherungsträger hat nach dem Wortlaut des § 44 SGB I über einen etwaigen Zinsanspruch des Leistungsempfängers auch ohne besonderen Antrag von Amts wegen zu entscheiden, was der Rechtsnatur der Zinsen als akzessorische Nebenleistung entspricht" (Juris-Ausdruck Rn 17). Im folgenden Satz hat das BSG sodann die Aussage getroffen: "Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Beklagte im Bescheid vom 13. November 1978 einen Zinsanspruch der Klägerin mangels eines dahingehenden positiven Ausspruchs abgelehnt hat".

Die vom SG für seine Auffassung herangezogene Entscheidung des BSG vom 17.10.2006 B 5 RJ 66/04 R ist vorliegend nicht einschlägig. Sie erging zu einer unterbliebenen Kostenentscheidung, nicht dagegen zu einer unterbliebenen Verzinsung. Die Konstellationen sind auch nicht vergleichbar: Zwar ist auch über die Kosten von Amts wegen zu entscheiden, allerdings stellen Zinsen (anders als Kosten) nach der zitierten Entscheidung des BSG aus dem Jahr 1980 eine akzessorische Nebenleistung dar (§ 44 SGB I), weshalb sie zugleich mit der Hauptleistung zu bewilligen sind, während eine unterbliebene Kostenentscheidung im Antragsverfahren nach § 63 Abs 3 SGB X ohne Weiteres nachgeholt werden kann. Der Senat hält daher angesichts dieser Unterschiede eine Vergleichbarkeit der beiden Sachverhalte für nicht gegeben.

Insoweit ist die Rechtsauffassung der Beklagten, sie habe über die Frage der Zinsen im Nachzahlungsbescheid nicht entschieden, mit der hier einschlägigen Rechtsprechung des BSG nicht zu vereinbaren. Sie ist daher ihrer Pflicht zur Entscheidung über den Zinsanspruch zugleich mit der Hauptleistung nicht nachgekommen. Nach § 18 S. 2 Nr. 1 SGB X steht ihr aber dann kein Ermessen über ihren Entscheidungswillen zu, wenn sie von Amts wegen tätig werden muss (LSG Bayern, Urteil vom 29.2.2000 L 5 RJ 568/97). Da der Nachzahlungsbescheid, was zweckmäßig gewesen wäre, auch keinen Zusatz des Inhalts enthielt, dass über Zinsen noch gesondert entschieden werde, musste die Klägerin aus ihrer Sicht davon ausgehen, keine Zinsen zu erhalten, weshalb der Widerspruch erforderlich gewesen ist.

Nach alledem war der Berufung stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs 2 Nrn. 1 und 2 SGG) sind nicht ersichtlich, da Übereinstimmung mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil des BSG vom 11.9.1980 - 5 RJ 108/79) besteht.
Rechtskraft
Aus
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