Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 KN 84/06 KR
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 304/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 21/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist vertraglich geregelt, dass Forderungen aus Vertragsleistungen nach Ablauf eines Jahres nicht mehr erhoben werden können, so liegt eine materielle Ausschlussfrist vor. Diese erfasst auch die Forderung auf Mehrwertsteuererstattung und zwar unabhängig davon, ob - wie im Fall der Sondennahrung - der anzuwendende Mehrwertsteuersatz im Lieferzeitraum streitig war.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. September 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin die für Januar 2001 bis November 2002 angefallene Mehrwertsteuerdifferenz zwischen dem ermäßigten Steuersatz von 7 % und dem Regelsteuersatz von 16 % für Sondennahrung zu erstatten hat.
Die Klägerin stellt Sondennahrung (enterale Nahrung) her und vertreibt diese. Die Lieferung an die Beklagte beruht auf dem Vertrag vom 24. September 1999. Gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages können Forderungen aus Vertragsleistungen nach Ablauf eines Jahres, gerechnet vom Ende des Monats, in dem die Leistungen abgegeben worden sind, nicht mehr erhoben werden. In Anlage 1 des Vertrages (am Ende) ist geregelt: "Die vorstehenden Preise enthalten sämtliche Nebenkosten, wie z.B. Beratung, Einweisung und Lieferung in die Wohnung. Die jeweils gültige Mehrwertsteuer kann zusätzlich berechnet werden."
Nach Einführung der Sondennahrung in den 80er Jahren gingen die Hersteller von Sondennahrung davon aus, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden sei. Ende der 90er Jahre wurde von manchen Oberfinanzdirektionen die Auffassung vertreten, dass der Regelsteuersatz maßgeblich sei. Die Hersteller von Sondennahrung sowie die gesetzlichen Krankenkassen forderten jedoch eine Besteuerung nach dem ermäßigten Steuersatz.
Am 17. November 2000 erteilte die Oberfinanzdirektion D. der Klägerin die Zolltarifauskunft, dass Trinknahrung (Anwendungsgebiet: Bilanzierte Diät zur ausschließlichen Ernährung und als Zusatznahrung, Trinknahrung für Heranwachsende und Erwachsene) dem Umsatzsteuersatz von 16 % unterliege. Am 17. Januar 2001 gab sie diese Auskunft gegenüber der Klägerin auch hinsichtlich der Sondennahrung. Die Klägerin stellte der Beklagten dennoch weiterhin für die Lieferung von Sondennahrung den ermäßigten Umsatzsteuersatz in Höhe von 7 % in Rechnung.
Am 13. Oktober 2003 beschlossen die Referatsleiter der obersten Finanzbehörden der Länder folgende Nichtbeanstandungsregelung: "Bis zum 31. Dezember 2001 wird es in allen offenen Fällen gemäß § 163 Abgabenordnung nicht beanstandet, wenn Hersteller auf die Umsätze mit diätetischer Trink- und Sondennahrung, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegen, den ermäßigten Steuersatz angewendet haben. Soweit den Herstellern allerdings Zolltarifauskünfte vorlagen, nach denen die Lieferung der Trink- und Sondennahrung dem Regelsteuersatz unterliegt und trotz anders lautender Zolltarifauskunft der ermäßigte Steuersatz angewandt wurde, ist die Nichtbeanstandungsregelung nicht anzuwenden."
Die Firma E., umsatzsteuerlicher Organträger der Klägerin, unterwarf die Umsätze aus dem Vertrieb von Produkten der enteralen Ernährung in den Jahren 2001 bis 2003 dem Regelsteuersatz von 16 %. Die entstandenen Umsatzsteuerbeträge wurden laut Bescheinigung des Finanzamtes A-Stadt vom 11. Mai 2009 beglichen.
Daraufhin berechnete die Klägerin die Umsatzsteuer für die Jahre 2001 bis 2003 neu und machte diese mit Schreiben vom 5. Dezember 2003, bei der Beklagten eingegangen am 17. Dezember 2003, geltend. Die Beklagte verweigerte die Zahlung sowie den Verzicht auf die Einrede der Verjährung.
Am 27. Dezember 2005 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, welches mit Beschluss vom 26. Juni 2006 das Verfahren an das Sozialgericht Gießen verwiesen hat.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Zahlung von 125.045,99 EUR nebst Zinsen für das Jahr 2003 anerkannt. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Mit Urteil vom 21. September 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beteiligten hätten eine Nettopreisabrede getroffen. Danach sei die Beklagte zwar grundsätzlich verpflichtet, Nacherhebungen der Mehrwertsteuer zu bezahlen. Dem Zahlungsanspruch stehe aber entgegen, dass die Klägerin die gültige Mehrwertsteuer erst mit der Nachberechnung im Dezember 2003 für die Jahre 2001 und 2002 - und damit nach Ablauf der Frist gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages - geltend gemacht habe. Bei dieser Frist handele es sich um eine materielle Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung scheide aus. Diese Frist sei auch anwendbar, eine besondere Schutzwürdigkeit der Klägerin stehe dem nicht entgegen. Die Klägerin sei schon durch Zolltarifauskünfte im Jahr 2000 über die Auffassung der Finanzbehörden informiert worden, dass für die Lieferung von Sondennahrung 16 % Mehrwertsteuer zu entrichten sei. Dies habe zwar nicht dem Bestreben der Beteiligten entsprochen. Dennoch hätte die Klägerin, nachdem sich Hinweise auf die Heranziehung des Regelsteuersatzes mehrten, diese der Beklagten in Rechnung stellen können. Auch hätte die Klägerin mit der Beklagten Vertragsverhandlungen hinsichtlich der Erstattung der Steuer aufnehmen können, da den Beteiligten die Problematik schon bei Abschluss des Vertrages bekannt gewesen sei. Das Gericht gehe daher davon aus, dass es dem bewussten Willen der Klägerin entsprochen habe, den höheren Steuersatz nicht in Rechnung zu stellen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Ausschlussfrist dem Rechtsfrieden dienen solle. Nach Ablauf eines Jahres sollten beide Vertragsparteien keinerlei wechselseitige Ansprüche mehr geltend machen können. Die Ausschlussfrist sei auch nicht deshalb unwirksam, weil keine Ausnahmen vorgesehen seien. Es sei der materiellen Ausschlussfrist immanent, dass diese nach Fristablauf ohne weitere Einschränkung zu einem Rechtsverlust führe. Die Frist von einem Jahr sei als angemessen zu erachten. Eine Vergleichbarkeit mit dem Sachverhalt, welcher dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. August 2006 (B 3 KR 7/06 R) zugrunde liege, bestehe nicht.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 10. November 2009 zugestellte Urteil unter dem gleichen Datum Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe verkannt, dass eine materielle Ausschlussfrist nur dann Wirkung entfalten könne, wenn eine Ausnahmeregelung für besonders gelagerte Fälle existiere. Andernfalls liege ein ungerechtfertigter Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 3. August 2006 entschieden, dass eine Ausschlussfrist nicht rigide und undifferenziert sein dürfe. Die Beteiligten seien bis zum Jahr 2003 davon ausgegangen, dass Sondennahrung dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % unterliege. Ab dem Jahr 2000 habe es unterschiedliche Ansichten der Oberfinanzdirektionen gegeben. Erst im Oktober 2003 habe jedoch festgestanden, dass die Regelbesteuerung vorzunehmen sei. Ansonsten wäre eine Nichtbeanstandungsregelung durch die Finanzministerien nie getroffen worden. Da die Beteiligten einvernehmlich von dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz ausgegangen seien und diesen über die Dauer von 15 Jahren zugrunde gelegt haben, sei vorliegend von einer ungewöhnlichen Fallkonstellation auszugehen. Dementsprechend müsse die vertragliche Ausschlussfrist eine Ausnahmeregelung vorsehen. Darüber hinaus umfasse § 10 Abs. 4 des Vertrages nicht die Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuerdifferenz. Denn diese Regelung diene dazu, eine möglichst zügige und kostengünstige Abrechnung der Krankenkassen mit den Leistungserbringern zu gewährleisten. Dies könne sich aber nur auf die Ursprungsrechnungen beziehen. Bei der Mehrwertsteuernachberechnung könne die Regelung hingegen nicht greifen. Zudem sei der Rechtsfrieden bereits durch die Rechnungslegung innerhalb der Jahresfrist gewahrt worden. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Pflicht zur Steuerabführung könne hingegen keinen Rechtsfrieden zwischen den Vertragsparteien begründen. Zudem bestehe die Steuerabführungspflicht nur gegenüber den Finanzbehörden. Aber selbst wenn die Ausschlussfrist anwendbar wäre, hätte die Klägerin diese gewahrt. Erst im Oktober 2003 habe die tatsächliche Höhe des Mehrwertsteuersatzes endgültig festgestanden. Allein dieser Zeitpunkt sei unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben für den Beginn der Ausschlussfrist maßgeblich. Dem stehe die Entscheidung des Bundessozialgericht vom 7. Dezember 2006 (B 3 KR 29/05 R) nicht entgegen, da in dem entsprechenden Fall die streitgegenständliche Forderung von Anfang an bekannt gewesen und diese lediglich zu spät geltend gemacht worden sei. Schließlich habe es – entgegen der Auffassung des Sozialgerichts – auch keiner zusätzlichen Vereinbarung zwischen den Beteiligten bedurft. Die Regelbesteuerung sei den Beteiligten erst im Oktober 2003 bekannt gewesen. Ferner hatten sie eine Nettopreisabrede getroffen, nach der der jeweils gültige Mehrwertsteuersatz zusätzlich berechnet werden könne. Da die Klägerin der Beklagten nicht unterstelle, dass diese gegen das geltende Steuerrecht verstoßen wolle, sei es nur folgerichtig und vertragstreu, dass die Beklagte den jeweils gültigen Mehrwertsteuersatz an die Klägerin leiste.
In der mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2010 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass die Differenz der Mehrwertsteuer zwischen 7 % und 16 % im Monat Dezember 2002 10.800,00 EUR betragen hat. Über diesen Betrag hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab dem 15. Februar 2004 abgegeben, welches die Klägerin angenommen hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 149.895,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab dem 15. Februar 2004 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten vom 27. Mai 2010 und die Erklärung der Beteiligten hinsichtlich des auf den Dezember 2002 entfallenden Differenzbetrages ist noch über den Zeitraum 1. Januar 2001 bis 30. November 2002 zu entscheiden und von einer Klageforderung in Höhe von 149.895,00 EUR nebst Zinsen auszugehen.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Forderung. Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Gießen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 69 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 433 Abs. 2 BGB analog. Hiernach bestimmen sich die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern abschließend nach den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V sowie dessen §§ 63 und 64 (§ 69 Satz 1 SGB V). Im Übrigen gelten die Vorschriften des BGB entsprechend soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des SGB V vereinbar sind.
Als Herstellerin und Lieferantin von Sondennahrung ist die Klägerin Leistungserbringerin im Sinne von § 69 Satz 1 SGB V.
Die Klägerin kann auch grundsätzlich gegenüber der Beklagten die Zahlung des vollen Betrags, zu dem sie zur Umsatzsteuer herangezogen wird, geltend machen. Dies folgt aus der zwischen den Beteiligten getroffenen Nettopreisabrede, wonach "die jeweils gültige Mehrwertsteuer zusätzlich berechnet werden kann" (Anlage 1 des Vertrages vom 24. September 1999).
Zweck der getroffenen Nettopreisvereinbarung ist es, die Vertragsbeteiligten von dem Risiko einer zu ihren Lasten unzutreffenden Steuerfestsetzung zu entlasten. Ohne eine entsprechende Abrede ist mit dem Preis auch der Aufwand für die Umsatzsteuer abgegolten; er ist unselbstständiger Teil des zu zahlenden Entgelts. Bei einer solchen Bruttopreisabrede sind beide Vertragsbeteiligte dem Risiko eines unzutreffenden Umsatzsteueransatzes ausgesetzt. Ist die Steuer im Bruttopreis zu hoch veranschlagt, muss der Abnehmer den vereinbarten Preis in der Regel auch dann zahlen, wenn nach objektiver Rechtslage ein niedrigerer Ausweis möglich gewesen wäre. Ist sie zu niedrig ausgewiesen, kann der Unternehmer seinen zusätzlichen steuerlichen Aufwand nicht nachfordern, weil er insoweit einem rechtlich unbeachtlichen Kalkulationsirrtum unterlegen ist. Dem entgehen die Beteiligten nur durch Vereinbarung von "Nettopreisen", weil das Kalkulationsrisiko in diesem Fall nur den Nettopreis betrifft und die Höhe der von dem Abnehmer zu tragenden Umsatzsteuer nach dem Betrag bemessen ist, der von dem Unternehmer an den Steuerfiskus abzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 2008 - B 3 KR 16/07 R - und Urteil vom 3. März 2009 – B 1 KR 7/08 R). Ist die von dem Unternehmer abzuführende Umsatzsteuer im Verhältnis zur Finanzverwaltung durch bindende Umsatzsteuerbescheide festgesetzt, so ist das grundsätzlich auch für das Verhältnis zwischen Unternehmer und Abnehmer maßgebend, ohne dass die Krankenkasse dessen Überprüfung im finanzgerichtlichen Verfahren verlangen kann (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 2008 - B 3 KR 16/07 R). Dies gilt gleichermaßen, soweit der Steuerschuldner – ohne dass ein Bescheid ergangen ist – einer unmissverständlichen Rechtsaufassung der Finanzbehörde folgt (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009 – B 1 KR 7/08 R; krit. Hummel, NZS 2010, 139 ff.).
Dennoch hat die Klägerin vorliegend keinen Anspruch auf die den Zeitraum Januar 2001 bis November 2002 betreffende Forderung. Wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt steht dem der Ablauf der Frist gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages entgegen. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist, bei der eine Forderung nach Fristablauf nicht mehr geltend gemacht werden kann und die von Amts wegen zu beachten ist. Die Ausgestaltung solcher Abrechnungsfristen als materielle Ausschlussfristen bedarf vorliegend auch keiner ausdrücklichen - zusätzlichen - gesetzlichen Ermächtigung (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - B 3 KR 29/05 R zu Landesverträgen über die Versorgung mit Hilfsmitteln).
Die Vergütung der Mehrwertsteuer ist eine "Forderung aus Vertragsleistungen" gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages und wird damit auch von der Ausschlussfrist erfasst. Es ist nicht erkennbar, weshalb diese Regelung - wie von der Klägerin vorgetragen - nur auf die Ursprungsrechnungen, nicht aber auf die Mehrwertsteuernachberechnungen anwendbar sein sollte.
Diese Frist war zum Zeitpunkt der Geltendmachung abgelaufen. Die Klägerin hat die streitgegenständliche Forderung im Dezember 2003 geltend gemacht. Damit war die Frist für die Forderung verstrichen, soweit sie die Lieferungen bis einschließlich November 2002 betrifft.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für den Lauf der Frist nicht darauf an, wann die Höhe des Mehrwertsteuersatzes endgültig feststand. Denn der Klägerin war ausweislich der Zollauskunft vom 17. November 2000 bekannt, dass Trinknahrung mit 16 % zu versteuern ist. Hinsichtlich der Sondennahrung wurde die entsprechende Auskunft am 17. Januar 2001 erteilt. Damit hätte die Klägerin mit Kenntnisnahme dieser Auskunft die höhere Mehrwertsteuer geltend machen können. Auch eine Vereinbarung mit der Beklagten, dass die Ausschlussfrist erst mit endgültiger Steuerfestsetzung zu laufen beginnt, wäre möglich gewesen. Den Ausführungen in der Klageschrift ist jedoch nur zu entnehmen, dass die Klägerin von der Beklagten den Verzicht der Einrede der Verjährung begehrt hat. Die vertragliche Ausschlussfrist ist - soweit ersichtlich - nicht Gegen¬stand der Verhandlungen zwischen den Beteiligten gewesen. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, eine entsprechende Vereinbarung zur Fristverlängerung sei entbehrlich gewesen, weil sie darauf habe vertrauen können, dass die Beklagte nicht gegen geltendes Steuerrecht verstößt, ist dies unbeachtlich. Denn umsatzsteuerabführungspflichtig hinsichtlich der gelieferten Sondennahrung war die Klägerin. Sie konnte der Beklagten aufgrund der vertraglichen Vereinbarung die zu entrichtende Umsatzsteuer lediglich zusätzlich berechnen.
Die vertragliche Ausschlussfrist führt nicht zu einem ungerechtfertigten Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Klägerin aus Art. 12 GG. Insbesondere ist die Ausschlussfrist für die Klägerin als Leistungserbringerin nicht einseitig benachteiligend, weil auch Beanstandungen der Beklagten innerhalb eines Jahres geltend zu machen sind. Der Vertrag folgt insoweit dem Prinzip der Waffengleichheit – nach Ablauf eines Jahres sollen sowohl Beanstandungen von Rechnungen als auch Forderungen aus Vertragsleistungen nicht mehr möglich sein (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2006 – B 3 KR 29/05 R).
Es kann dahinstehen, ob Fallkonstellationen denkbar sind, in denen Ausnahmen von der Ausgestaltung einer solchen Abrechnungsfrist als Ausschlussfrist erforderlich sein könnten. Denn es geht hier nicht um die Eigengesetzlichkeit eines auf einzelne Quartale bezogenen Gesamtvergütungssystems, welches darauf ausgerichtet ist, dass nach jedem Quartal möglichst schnell und möglichst umfassend die für die Honorarverteilung zur Verfügung stehenden Beträge ausgekehrt werden. Auch liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin die Jahresfrist gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages aus von ihr nicht zu vertretenden Umständen nicht hat einhalten können (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - B 3 KR 29/05 R; Urteil vom 3. August 2006 - B 3 KR 7/06 R - Apotheker - und Urteil vom 22. Juni 2005 - B 6 KA 19/04 R - Vertragsärzte). Insbesondere hat sie nichts dazu vorgetragen, weshalb sie nach den Zolltarifauskünften ihre Forderung nicht innerhalb der Jahresfrist geltend gemacht hat. Aufgrund dieser Auskünfte kannte die Klägerin die Rechtsauffassung der entsprechenden Oberfinanzdirektion. Dennoch hat sie den ermäßigten Steuersatz ihren Rechnungen zugrunde gelegt. Folgerichtig wurde auch die Nichtbeanstandungsregelung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 13. Oktober 2003) auf die Klägerin nicht angewandt. Da die Klägerin hiergegen nicht rechtlich vorgegangen ist, kann sie sich auch nicht auf hiervon abweichende Rechtsansichten berufen (vgl. Bayerisches LSG, das von dem ermäßigten Umsatzsteuersatz für Sondennahrung ausgeht, Urteil vom 12. Februar 2008 – L 5 KR 223/06).
Ob die Ausschlussfrist – wie die Klägerin meint – zur Herstellung von Rechtsfrieden ungeeignet ist, ist für deren Anwendbarkeit unbeachtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin die für Januar 2001 bis November 2002 angefallene Mehrwertsteuerdifferenz zwischen dem ermäßigten Steuersatz von 7 % und dem Regelsteuersatz von 16 % für Sondennahrung zu erstatten hat.
Die Klägerin stellt Sondennahrung (enterale Nahrung) her und vertreibt diese. Die Lieferung an die Beklagte beruht auf dem Vertrag vom 24. September 1999. Gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages können Forderungen aus Vertragsleistungen nach Ablauf eines Jahres, gerechnet vom Ende des Monats, in dem die Leistungen abgegeben worden sind, nicht mehr erhoben werden. In Anlage 1 des Vertrages (am Ende) ist geregelt: "Die vorstehenden Preise enthalten sämtliche Nebenkosten, wie z.B. Beratung, Einweisung und Lieferung in die Wohnung. Die jeweils gültige Mehrwertsteuer kann zusätzlich berechnet werden."
Nach Einführung der Sondennahrung in den 80er Jahren gingen die Hersteller von Sondennahrung davon aus, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden sei. Ende der 90er Jahre wurde von manchen Oberfinanzdirektionen die Auffassung vertreten, dass der Regelsteuersatz maßgeblich sei. Die Hersteller von Sondennahrung sowie die gesetzlichen Krankenkassen forderten jedoch eine Besteuerung nach dem ermäßigten Steuersatz.
Am 17. November 2000 erteilte die Oberfinanzdirektion D. der Klägerin die Zolltarifauskunft, dass Trinknahrung (Anwendungsgebiet: Bilanzierte Diät zur ausschließlichen Ernährung und als Zusatznahrung, Trinknahrung für Heranwachsende und Erwachsene) dem Umsatzsteuersatz von 16 % unterliege. Am 17. Januar 2001 gab sie diese Auskunft gegenüber der Klägerin auch hinsichtlich der Sondennahrung. Die Klägerin stellte der Beklagten dennoch weiterhin für die Lieferung von Sondennahrung den ermäßigten Umsatzsteuersatz in Höhe von 7 % in Rechnung.
Am 13. Oktober 2003 beschlossen die Referatsleiter der obersten Finanzbehörden der Länder folgende Nichtbeanstandungsregelung: "Bis zum 31. Dezember 2001 wird es in allen offenen Fällen gemäß § 163 Abgabenordnung nicht beanstandet, wenn Hersteller auf die Umsätze mit diätetischer Trink- und Sondennahrung, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegen, den ermäßigten Steuersatz angewendet haben. Soweit den Herstellern allerdings Zolltarifauskünfte vorlagen, nach denen die Lieferung der Trink- und Sondennahrung dem Regelsteuersatz unterliegt und trotz anders lautender Zolltarifauskunft der ermäßigte Steuersatz angewandt wurde, ist die Nichtbeanstandungsregelung nicht anzuwenden."
Die Firma E., umsatzsteuerlicher Organträger der Klägerin, unterwarf die Umsätze aus dem Vertrieb von Produkten der enteralen Ernährung in den Jahren 2001 bis 2003 dem Regelsteuersatz von 16 %. Die entstandenen Umsatzsteuerbeträge wurden laut Bescheinigung des Finanzamtes A-Stadt vom 11. Mai 2009 beglichen.
Daraufhin berechnete die Klägerin die Umsatzsteuer für die Jahre 2001 bis 2003 neu und machte diese mit Schreiben vom 5. Dezember 2003, bei der Beklagten eingegangen am 17. Dezember 2003, geltend. Die Beklagte verweigerte die Zahlung sowie den Verzicht auf die Einrede der Verjährung.
Am 27. Dezember 2005 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, welches mit Beschluss vom 26. Juni 2006 das Verfahren an das Sozialgericht Gießen verwiesen hat.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Zahlung von 125.045,99 EUR nebst Zinsen für das Jahr 2003 anerkannt. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.
Mit Urteil vom 21. September 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beteiligten hätten eine Nettopreisabrede getroffen. Danach sei die Beklagte zwar grundsätzlich verpflichtet, Nacherhebungen der Mehrwertsteuer zu bezahlen. Dem Zahlungsanspruch stehe aber entgegen, dass die Klägerin die gültige Mehrwertsteuer erst mit der Nachberechnung im Dezember 2003 für die Jahre 2001 und 2002 - und damit nach Ablauf der Frist gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages - geltend gemacht habe. Bei dieser Frist handele es sich um eine materielle Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung scheide aus. Diese Frist sei auch anwendbar, eine besondere Schutzwürdigkeit der Klägerin stehe dem nicht entgegen. Die Klägerin sei schon durch Zolltarifauskünfte im Jahr 2000 über die Auffassung der Finanzbehörden informiert worden, dass für die Lieferung von Sondennahrung 16 % Mehrwertsteuer zu entrichten sei. Dies habe zwar nicht dem Bestreben der Beteiligten entsprochen. Dennoch hätte die Klägerin, nachdem sich Hinweise auf die Heranziehung des Regelsteuersatzes mehrten, diese der Beklagten in Rechnung stellen können. Auch hätte die Klägerin mit der Beklagten Vertragsverhandlungen hinsichtlich der Erstattung der Steuer aufnehmen können, da den Beteiligten die Problematik schon bei Abschluss des Vertrages bekannt gewesen sei. Das Gericht gehe daher davon aus, dass es dem bewussten Willen der Klägerin entsprochen habe, den höheren Steuersatz nicht in Rechnung zu stellen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Ausschlussfrist dem Rechtsfrieden dienen solle. Nach Ablauf eines Jahres sollten beide Vertragsparteien keinerlei wechselseitige Ansprüche mehr geltend machen können. Die Ausschlussfrist sei auch nicht deshalb unwirksam, weil keine Ausnahmen vorgesehen seien. Es sei der materiellen Ausschlussfrist immanent, dass diese nach Fristablauf ohne weitere Einschränkung zu einem Rechtsverlust führe. Die Frist von einem Jahr sei als angemessen zu erachten. Eine Vergleichbarkeit mit dem Sachverhalt, welcher dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. August 2006 (B 3 KR 7/06 R) zugrunde liege, bestehe nicht.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 10. November 2009 zugestellte Urteil unter dem gleichen Datum Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe verkannt, dass eine materielle Ausschlussfrist nur dann Wirkung entfalten könne, wenn eine Ausnahmeregelung für besonders gelagerte Fälle existiere. Andernfalls liege ein ungerechtfertigter Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Klägerin aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 3. August 2006 entschieden, dass eine Ausschlussfrist nicht rigide und undifferenziert sein dürfe. Die Beteiligten seien bis zum Jahr 2003 davon ausgegangen, dass Sondennahrung dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % unterliege. Ab dem Jahr 2000 habe es unterschiedliche Ansichten der Oberfinanzdirektionen gegeben. Erst im Oktober 2003 habe jedoch festgestanden, dass die Regelbesteuerung vorzunehmen sei. Ansonsten wäre eine Nichtbeanstandungsregelung durch die Finanzministerien nie getroffen worden. Da die Beteiligten einvernehmlich von dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz ausgegangen seien und diesen über die Dauer von 15 Jahren zugrunde gelegt haben, sei vorliegend von einer ungewöhnlichen Fallkonstellation auszugehen. Dementsprechend müsse die vertragliche Ausschlussfrist eine Ausnahmeregelung vorsehen. Darüber hinaus umfasse § 10 Abs. 4 des Vertrages nicht die Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuerdifferenz. Denn diese Regelung diene dazu, eine möglichst zügige und kostengünstige Abrechnung der Krankenkassen mit den Leistungserbringern zu gewährleisten. Dies könne sich aber nur auf die Ursprungsrechnungen beziehen. Bei der Mehrwertsteuernachberechnung könne die Regelung hingegen nicht greifen. Zudem sei der Rechtsfrieden bereits durch die Rechnungslegung innerhalb der Jahresfrist gewahrt worden. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Pflicht zur Steuerabführung könne hingegen keinen Rechtsfrieden zwischen den Vertragsparteien begründen. Zudem bestehe die Steuerabführungspflicht nur gegenüber den Finanzbehörden. Aber selbst wenn die Ausschlussfrist anwendbar wäre, hätte die Klägerin diese gewahrt. Erst im Oktober 2003 habe die tatsächliche Höhe des Mehrwertsteuersatzes endgültig festgestanden. Allein dieser Zeitpunkt sei unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben für den Beginn der Ausschlussfrist maßgeblich. Dem stehe die Entscheidung des Bundessozialgericht vom 7. Dezember 2006 (B 3 KR 29/05 R) nicht entgegen, da in dem entsprechenden Fall die streitgegenständliche Forderung von Anfang an bekannt gewesen und diese lediglich zu spät geltend gemacht worden sei. Schließlich habe es – entgegen der Auffassung des Sozialgerichts – auch keiner zusätzlichen Vereinbarung zwischen den Beteiligten bedurft. Die Regelbesteuerung sei den Beteiligten erst im Oktober 2003 bekannt gewesen. Ferner hatten sie eine Nettopreisabrede getroffen, nach der der jeweils gültige Mehrwertsteuersatz zusätzlich berechnet werden könne. Da die Klägerin der Beklagten nicht unterstelle, dass diese gegen das geltende Steuerrecht verstoßen wolle, sei es nur folgerichtig und vertragstreu, dass die Beklagte den jeweils gültigen Mehrwertsteuersatz an die Klägerin leiste.
In der mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2010 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass die Differenz der Mehrwertsteuer zwischen 7 % und 16 % im Monat Dezember 2002 10.800,00 EUR betragen hat. Über diesen Betrag hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab dem 15. Februar 2004 abgegeben, welches die Klägerin angenommen hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 149.895,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab dem 15. Februar 2004 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten vom 27. Mai 2010 und die Erklärung der Beteiligten hinsichtlich des auf den Dezember 2002 entfallenden Differenzbetrages ist noch über den Zeitraum 1. Januar 2001 bis 30. November 2002 zu entscheiden und von einer Klageforderung in Höhe von 149.895,00 EUR nebst Zinsen auszugehen.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Forderung. Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Gießen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 69 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 433 Abs. 2 BGB analog. Hiernach bestimmen sich die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern abschließend nach den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V sowie dessen §§ 63 und 64 (§ 69 Satz 1 SGB V). Im Übrigen gelten die Vorschriften des BGB entsprechend soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des SGB V vereinbar sind.
Als Herstellerin und Lieferantin von Sondennahrung ist die Klägerin Leistungserbringerin im Sinne von § 69 Satz 1 SGB V.
Die Klägerin kann auch grundsätzlich gegenüber der Beklagten die Zahlung des vollen Betrags, zu dem sie zur Umsatzsteuer herangezogen wird, geltend machen. Dies folgt aus der zwischen den Beteiligten getroffenen Nettopreisabrede, wonach "die jeweils gültige Mehrwertsteuer zusätzlich berechnet werden kann" (Anlage 1 des Vertrages vom 24. September 1999).
Zweck der getroffenen Nettopreisvereinbarung ist es, die Vertragsbeteiligten von dem Risiko einer zu ihren Lasten unzutreffenden Steuerfestsetzung zu entlasten. Ohne eine entsprechende Abrede ist mit dem Preis auch der Aufwand für die Umsatzsteuer abgegolten; er ist unselbstständiger Teil des zu zahlenden Entgelts. Bei einer solchen Bruttopreisabrede sind beide Vertragsbeteiligte dem Risiko eines unzutreffenden Umsatzsteueransatzes ausgesetzt. Ist die Steuer im Bruttopreis zu hoch veranschlagt, muss der Abnehmer den vereinbarten Preis in der Regel auch dann zahlen, wenn nach objektiver Rechtslage ein niedrigerer Ausweis möglich gewesen wäre. Ist sie zu niedrig ausgewiesen, kann der Unternehmer seinen zusätzlichen steuerlichen Aufwand nicht nachfordern, weil er insoweit einem rechtlich unbeachtlichen Kalkulationsirrtum unterlegen ist. Dem entgehen die Beteiligten nur durch Vereinbarung von "Nettopreisen", weil das Kalkulationsrisiko in diesem Fall nur den Nettopreis betrifft und die Höhe der von dem Abnehmer zu tragenden Umsatzsteuer nach dem Betrag bemessen ist, der von dem Unternehmer an den Steuerfiskus abzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 2008 - B 3 KR 16/07 R - und Urteil vom 3. März 2009 – B 1 KR 7/08 R). Ist die von dem Unternehmer abzuführende Umsatzsteuer im Verhältnis zur Finanzverwaltung durch bindende Umsatzsteuerbescheide festgesetzt, so ist das grundsätzlich auch für das Verhältnis zwischen Unternehmer und Abnehmer maßgebend, ohne dass die Krankenkasse dessen Überprüfung im finanzgerichtlichen Verfahren verlangen kann (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 2008 - B 3 KR 16/07 R). Dies gilt gleichermaßen, soweit der Steuerschuldner – ohne dass ein Bescheid ergangen ist – einer unmissverständlichen Rechtsaufassung der Finanzbehörde folgt (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009 – B 1 KR 7/08 R; krit. Hummel, NZS 2010, 139 ff.).
Dennoch hat die Klägerin vorliegend keinen Anspruch auf die den Zeitraum Januar 2001 bis November 2002 betreffende Forderung. Wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt steht dem der Ablauf der Frist gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages entgegen. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist, bei der eine Forderung nach Fristablauf nicht mehr geltend gemacht werden kann und die von Amts wegen zu beachten ist. Die Ausgestaltung solcher Abrechnungsfristen als materielle Ausschlussfristen bedarf vorliegend auch keiner ausdrücklichen - zusätzlichen - gesetzlichen Ermächtigung (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - B 3 KR 29/05 R zu Landesverträgen über die Versorgung mit Hilfsmitteln).
Die Vergütung der Mehrwertsteuer ist eine "Forderung aus Vertragsleistungen" gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages und wird damit auch von der Ausschlussfrist erfasst. Es ist nicht erkennbar, weshalb diese Regelung - wie von der Klägerin vorgetragen - nur auf die Ursprungsrechnungen, nicht aber auf die Mehrwertsteuernachberechnungen anwendbar sein sollte.
Diese Frist war zum Zeitpunkt der Geltendmachung abgelaufen. Die Klägerin hat die streitgegenständliche Forderung im Dezember 2003 geltend gemacht. Damit war die Frist für die Forderung verstrichen, soweit sie die Lieferungen bis einschließlich November 2002 betrifft.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für den Lauf der Frist nicht darauf an, wann die Höhe des Mehrwertsteuersatzes endgültig feststand. Denn der Klägerin war ausweislich der Zollauskunft vom 17. November 2000 bekannt, dass Trinknahrung mit 16 % zu versteuern ist. Hinsichtlich der Sondennahrung wurde die entsprechende Auskunft am 17. Januar 2001 erteilt. Damit hätte die Klägerin mit Kenntnisnahme dieser Auskunft die höhere Mehrwertsteuer geltend machen können. Auch eine Vereinbarung mit der Beklagten, dass die Ausschlussfrist erst mit endgültiger Steuerfestsetzung zu laufen beginnt, wäre möglich gewesen. Den Ausführungen in der Klageschrift ist jedoch nur zu entnehmen, dass die Klägerin von der Beklagten den Verzicht der Einrede der Verjährung begehrt hat. Die vertragliche Ausschlussfrist ist - soweit ersichtlich - nicht Gegen¬stand der Verhandlungen zwischen den Beteiligten gewesen. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, eine entsprechende Vereinbarung zur Fristverlängerung sei entbehrlich gewesen, weil sie darauf habe vertrauen können, dass die Beklagte nicht gegen geltendes Steuerrecht verstößt, ist dies unbeachtlich. Denn umsatzsteuerabführungspflichtig hinsichtlich der gelieferten Sondennahrung war die Klägerin. Sie konnte der Beklagten aufgrund der vertraglichen Vereinbarung die zu entrichtende Umsatzsteuer lediglich zusätzlich berechnen.
Die vertragliche Ausschlussfrist führt nicht zu einem ungerechtfertigten Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Klägerin aus Art. 12 GG. Insbesondere ist die Ausschlussfrist für die Klägerin als Leistungserbringerin nicht einseitig benachteiligend, weil auch Beanstandungen der Beklagten innerhalb eines Jahres geltend zu machen sind. Der Vertrag folgt insoweit dem Prinzip der Waffengleichheit – nach Ablauf eines Jahres sollen sowohl Beanstandungen von Rechnungen als auch Forderungen aus Vertragsleistungen nicht mehr möglich sein (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2006 – B 3 KR 29/05 R).
Es kann dahinstehen, ob Fallkonstellationen denkbar sind, in denen Ausnahmen von der Ausgestaltung einer solchen Abrechnungsfrist als Ausschlussfrist erforderlich sein könnten. Denn es geht hier nicht um die Eigengesetzlichkeit eines auf einzelne Quartale bezogenen Gesamtvergütungssystems, welches darauf ausgerichtet ist, dass nach jedem Quartal möglichst schnell und möglichst umfassend die für die Honorarverteilung zur Verfügung stehenden Beträge ausgekehrt werden. Auch liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin die Jahresfrist gemäß § 10 Abs. 4 des Vertrages aus von ihr nicht zu vertretenden Umständen nicht hat einhalten können (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - B 3 KR 29/05 R; Urteil vom 3. August 2006 - B 3 KR 7/06 R - Apotheker - und Urteil vom 22. Juni 2005 - B 6 KA 19/04 R - Vertragsärzte). Insbesondere hat sie nichts dazu vorgetragen, weshalb sie nach den Zolltarifauskünften ihre Forderung nicht innerhalb der Jahresfrist geltend gemacht hat. Aufgrund dieser Auskünfte kannte die Klägerin die Rechtsauffassung der entsprechenden Oberfinanzdirektion. Dennoch hat sie den ermäßigten Steuersatz ihren Rechnungen zugrunde gelegt. Folgerichtig wurde auch die Nichtbeanstandungsregelung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 13. Oktober 2003) auf die Klägerin nicht angewandt. Da die Klägerin hiergegen nicht rechtlich vorgegangen ist, kann sie sich auch nicht auf hiervon abweichende Rechtsansichten berufen (vgl. Bayerisches LSG, das von dem ermäßigten Umsatzsteuersatz für Sondennahrung ausgeht, Urteil vom 12. Februar 2008 – L 5 KR 223/06).
Ob die Ausschlussfrist – wie die Klägerin meint – zur Herstellung von Rechtsfrieden ungeeignet ist, ist für deren Anwendbarkeit unbeachtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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