L 3 AS 2427/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1492/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 2427/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14. April 2010 abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern für die Monate Juni und Juli 2010 vorläufig Leistungen in Höhe von jeweils 644,28 EUR zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G. K., beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragsteller (Ast.) machen im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geltend.

Die 1968 geborene Ast. zu 1 und ihre beiden Töchter, die 1998 geborene Ast. zu 2 und die 1990 geborene Ast. zu 3, sind französische Staatsbürger. Sie wohnen seit dem 25.06.2007 in K.-L., N.-str. ; die Ast. zu 3 wohnte zwischenzeitlich vom 23.03.2009 bis 05.09.2009 in H ...

Auf den Antrag vom 24.01.2008 und auf Folgeanträge bewilligte der Antragsgegner (Agg.) den Ast. Leistungen nach dem SGB II vom 24.01.2008 bis 31.07.2009.

Mit Bescheid vom 22.06.2009 und Änderungsbescheid vom 23.07.2009 bewilligte der Agg. den Ast. zu 1 und 2 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.01.2010. Nachdem die Ast. zu 3 mitgeteilt hatte, sie sei am 05.09.2009 wieder zu den Ast. zu 1 und 2 gezogen, hob der Agg. die vorhergehenden Bewilligungsbescheide mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und bewilligte den Ast. Leistungen für den Monat September 2009 in Höhe von 633,83 EUR und ab Oktober 2009 in Höhe von monatlich 644,28 EUR.

Mit Schreiben vom 21.10.2009 hörte der Agg. die Ast. zu 1 gem. § 24 SGB X zu einer beabsichtigten Leistungseinstellung zum 30.11.2009 an. Er führte aus, die Ast. hielten sich erst seit Juni 2007 in Deutschland auf. Grundsätzlich könne bei Unionsbürgern davon ausgegangen werden, dass sie sich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhielten. In diesem Fall seien sie und ihre Familienangehörigen gem. § 7 Abs. 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Hierauf teilte die Ast. zu 1 mit, schon am 11.08.2004 nach Deutschland eingereist zu sein. Sie habe von ihrer Einreise bis 2007 bei einer Mission als Betreuerin gearbeitet. Hierzu wurden Meldebescheinigungen der Stadt W. vorgelegt, wonach die Ast. vom 11.08.2004 bis 10.11.2004 unter der Anschrift F.straße , W., mit Hauptwohnsitz gemeldet waren. Weiter vorgelegt wurde die Anmeldung bei der Stadt K. vom 25.06.2007, in welcher als bisherige Wohnung F.str. in W. angegeben ist. Zudem wurde eine Bescheinigung des C. M. E. R. International (CMERI), St., vorgelegt, wonach die Ast. zu 1 bei dieser vom 02.11.2004 bis 25.05.2007 eine Tätigkeit als Betreuerin ausgeübt und während ihrer Beschäftigung freie Kost und Logis erhalten habe.

Mit Bescheid vom 09.11.2009 hob der Agg. die Leistungsbewilligung mit Wirkung zum 30.11.2009 auf. Hiergegen legten die Ast. am 12.11.2009 Widerspruch ein mit der Begründung, sie hätten seit ihrer Einreise nach Deutschland am 11.08.2004 ihren Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt. Am 25.06.2007 sei lediglich eine Ummeldung des Wohnsitzes erfolgt. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2010 wies der Agg. den Widerspruch zurück. Hiergegen haben die Ast. am 09.02.2010 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben, die unter dem Az. S 14 AS 683/10 geführt wird.

Am 11.03.2010 haben die Ast. beim SG Karlsruhe beantragt, den Agg. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Arbeitslosengeld II zu zahlen. Zur Begründung haben sie angegeben, der Einstellungsbescheid sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten.

Mit Beschluss vom 16.03.2010 hat das SG Karlsruhe den Rechtsstreit an das SG Freiburg verwiesen.

Mit Beschluss vom 14.04.2010 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt mit der Begründung, die Antragstellerinnen seien gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

Gegen den am 19.04.2010 zugestellten Beschluss haben die Ast. am 06.05.2010 Beschwerde eingelegt.

Auf Anfrage des Senats hat der Agg. zunächst mit Schreiben vom 31.05.2010 mitgeteilt, die Ast. hätten keinen Folgeantrag für die Zeit ab dem 01.02.2010 gestellt. Mit Schreiben vom 10.06.2010 hat er sodann mitgeteilt, nunmehr hätten die Ast. am 09.06.2010 einen Folgeantrag für die Zeit ab dem 01.02.2010 gestellt.

II.

Die Beschwerde der Ast. ist zulässig und teilweise begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsache-rechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Artikel 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums geht. Ist das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das die Antragsteller mit ihrem Begehren verfolgen (BVerfG a.a.O.). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend in die Abwägung einzubeziehen.

Für die Zeit bis zum 10.03.2010 besteht kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung. Vorläufiger Rechtsschutz für zurückliegende Zeiträume vor Antragstellung kann nicht gewährt werden, weil Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer einstweiligen Anordnung nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen hat.

Auch für die Zeit vom 11.03.2010 bis zum 08.06.2010 fehlt es mangels Antragstellung an einem Anordnungsanspruch. Denn die Ast. haben erst am 09.06.2010 einen Folgeantrag gestellt.

Gemäß § 37 Abs. 1 SGB II werden Grundsicherungsleistungen nur auf Antrag erbracht. Sie werden nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Deshalb ist das Datum der Antragstellung für den Beginn der Leistungserbringung maßgeblich. Hierauf sind die Antragstellerinnen in den Bewilligungsbescheiden auch jeweils ausdrücklich hingewiesen worden. Die Bewilligungsbescheide enthalten folgende Belehrung: "Wir weisen sie ausdrücklich darauf hin, dass diese Leistung befristet ist. Sollten Sie die Leistung über den bewilligten Zeitraum hinaus in Anspruch nehmen wollen, ist von ihnen rechtzeitig ein neuer Antrag zu stellen."

Dies gilt zur Überzeugung des Senats auch für Folgeanträge auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Dazu, wann ein Antrag erneut gestellt werden muss bzw. wann die Wirkung eines wirksam gestellten Antrags erlischt, enthält das SGB II selbst keine Regelung. Deshalb bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass ein verfahrensrechtlicher Antrag gemäß § 39 Abs. 2 SGB X fortwirkt und wirksam bleibt, solange die Bewilligungsentscheidung nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (Link in Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, 2008, Rn. 19 zu § 37 SGB II). Bei Folgeanträgen kommt dem auf eine Leistungsgewährung nach dem SGB II gerichteten Antrag deshalb nur bis zu dem Zeitpunkt Wirkung zu, zu dem die Wirkung der auf diesen Antrag erfolgten Bewilligungsentscheidung endet. Ein Hilfebedürftiger, der Leistungen nach dem SGB II beantragt, ist deshalb gehalten, für die Folgezeit einen Weiterbewilligungsantrag gemäß § 37 SGB II zu stellen, um dem Leistungsträger eine Entscheidung über die weitere Leistungsbewilligung zu ermöglichen. Da es für die Hilfegewährung insbesondere auf die aktuelle Hilfebedürftigkeit und die aktuelle Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft ankommt, ist davon auszugehen, dass nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts die Wirkung des ursprünglichen Antrags erlischt, mithin ein neuer (Fortzahlung-)Antrag notwendig ist (Link, a. a. O.). Soweit demgegenüber teilweise in der Literatur (Schoch in LPK-SGB II, 2. Auflage, 2007, Rn. 5 zu § 37 SGB II) ohne weitere Begründung die Ansicht vertreten wird, ein wirksam gestellter Antrag verliere nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes seine Wirkung nicht, vermag dies nicht zu überzeugen. Dem steht auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - und vom 07.11.2006 - B 7b 10/06 R -, beide in juris) entgegen, wonach Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume nicht in analoger Anwendung des § 96 SGG Gegenstand bereits laufender Klageverfahren werden. Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass der Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit dem darauf ergehenden zeitlich befristeten Bewilligungsbescheid und dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes seine Wirkung verloren hat. Dies ergibt sich aus dem bereits dargestellten Grundsatz, dass ein Antrag nur solange fortwirkt und wirksam bleibt, wie er sich nicht z. B. durch Zeitablauf erledigt hat. Wird somit ein Antrag, auch ein Folgeantrag, auf Leistungen nach dem SGB II nicht rechtzeitig gestellt, führt dies zu einem begrenzten Rechtsverlust, weil Leistungen nicht rückwirkend erbracht werden (Link, a. a. O., Rn. 17), sondern gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II erst ab dem Tag der Antragstellung.

Für die Zeit ab dem 09.06.2010 liegt sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund vor. Zwar ist noch keine Entscheidung über den am 09.06.2010 gestellten Antrag ergangen. Der Agg. hat jedoch durch seinen bisherigen Vortrag zum Ausdruck gebracht, dass er auch weiterhin die Bewilligung von Leistungen ablehne, so dass auch die Eilbedürftigkeit zu bejahen ist.

Der Agg. hat die Aufhebung bzw. Ablehnung der Leistungsbewilligung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gestützt. Danach sind von der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben danach Unionsbürger, deren Aufenthaltsrecht allein auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetztes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigG/EU) - BGBl I, 2004, 1950 - beruht. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind danach Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen.

Den Ast. könnte jedoch ein Aufenthaltsrecht nach § 4a FreizügigG/EU zustehen, durch das ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen wird.

Nach § 4a Abs. 1 FreizügigG/EU haben Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und Lebenspartner, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Nach Abs. 6 wird der ständige Aufenthalt nicht berührt durch 1. Abwesenheiten bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr oder 2. Abwesenheit zur Ableistung des Wehrdienstes oder eines Ersatzdienstes oder 3. eine einmalige Abwesenheit von bis zu zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigem Grund, insbesondere auf Grund einer Schwangerschaft und Entbindung, einer schweren Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

Hierzu sind folgende Ermittlungen durchzuführen:

1. Zunächst ist zu prüfen, wo der Aufenthalt der Ast. in der Zeit vom 02.11.2004 bis 25.05.2007 war. Hierbei könnte in Betracht kommen, dass sich die Ast. auch in der Zeit, in der die Ast. zu 1 für das CMERI als Betreuerin tätig war, ständig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Zwar hat das CMERI seinen Sitz in St./Frankreich. Allein hieraus folgt jedoch noch nicht, dass die Ast. zu 1 tatsächlich ihren Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets hatte. So hat sie auch in der Klagebegründung im Verfahren S 14 AS 683/10 vorgetragen, sie habe seit ihrer Einreise am 11.08.2004 ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland und sei mit der Roma-Mission CMERI im Bereich zwischen K., St., L. und O. tätig gewesen.

2. Wenn sich die Ast. zu 1 mindestens insgesamt sechs Monate im Jahr in Deutschland aufgehalten hat, ist weiter zu prüfen, ob sie sich hier als Arbeitnehmerin aufgehalten hat und damit gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU aufenthaltsberechtigt war.

Ein Aufenthaltsrecht der Ast. zu 1 könnte daraus folgen, dass sie ihre Tätigkeit in der Mission der CMERI als Arbeitnehmerin ausgeübt hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 07.09.2004, Rs C 456/02, "Trojani", Slg. 2004, I-7573) kann ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat zugunsten eines Wohnheims nach dessen Weisung im Rahmen eines individuellen Eingliederungsprojekts etwa 30 Stunden je Woche verschiedene Leistungen erbringt und als Gegenleistung Naturalleistungen und eine Vergütung in bar erhält, dann ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 39 EG beanspruchen, wenn es sich bei der von ihm ausgeübten unselbständigen Tätigkeit um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt. Hierbei ist es Sache des nationalen Gerichts, die tatsächlichen Prüfungen vorzunehmen, deren es zur Beurteilung der Frage bedarf, ob dies in der bei ihm anhängigen Rechtssache der Fall ist. Das vorlegende Gericht muss sich insoweit auf objektive Kriterien stützen und in einer Gesamtbetrachtung alle Umstände der Rechtssache würdigen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen. Es hat insbesondere zu prüfen, ob die von der betreffenden Person tatsächlich erbrachten Leistungen als solche angesehen werden können, die auf dem Beschäftigungsmarkt üblich sind. Hierzu können die für das Wohnheim geltende Regelung und dessen Praxis, der Inhalt des Projekts für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie die Art der Leistungen und die Modalitäten ihrer Erbringung berücksichtigt werden.

3. Sollte es sich bei der von der Ast. 1 bei der CMERI ausgeübten Tätigkeit nicht um eine Tätigkeit als Arbeitnehmerin gehandelt haben, könnte in Betracht kommen, dass sich ein Aufenthaltsrecht daraus ergeben hat, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügt hat. Der EuGH hat hierzu in der angeführten Entscheidung ausgeführt, einem Bürger der Europäischen Union, der im Aufnahmemitgliedstaat nicht kraft Artikel 39 EG, 43 EG oder 49 EG ein Aufenthaltsrecht besitze, könne dort bereits aufgrund seiner Unionsbürgerschaft in unmittelbarer Anwendung von Artikel 18 Absatz 1 EG ein Aufenthaltsrecht zustehen. Die Wahrnehmung dieses Rechts unterliege den in dieser Bestimmung genannten Beschränkungen und Bedingungen, zu denen das Erfordernis ausreichender Existenzmittel gehöre, jedoch hätten die zuständigen Behörden dafür Sorge zu tragen, dass bei der Anwendung dieser Beschränkungen und Bedingungen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet würden (Leitsatz 3).

Nach Art. 18 EG hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. § 4 Satz 1 FreizügigG/EU bestimmt hierzu, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1 haben, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.

Die CMERI hat hierzu bestätigt, dass die Ast. zu 1 Kost und Logis erhalten hat. Insoweit wäre noch aufzuklären, welche Leistungen die Ast. zu 2 und 3 bezogen und in welcher Weise der Krankenversicherungsschutz der Ast. gewährleistet wurde.

Eine vollständige Aufklärung der Sachlage ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich, so dass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist (BVerfG, a.a.O). Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, dass aufgrund der vorstehenden Ausführungen ein Leistungsanspruch in Betracht kommen kann und dass den Ast. bei einer Versagung existentielle Nachteile drohen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Ast. erst im Laufe des Verfahrens einen Weiterbewilligungsantrag gestellt haben, so dass bisher hierüber noch keine Verwaltungsentscheidung ergehen konnte. Dies rechtfertigt die zeitliche Begrenzung, innerhalb derer der Agg. eine Entscheidung treffen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass ein Anordnungsanspruch erst während des Verfahrens entstanden ist.

Gleichwohl war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da zum Zeitpunkt der Entscheidung eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben war.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved