S 16 AL 2281/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AL 2281/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Arbeitsentgelt, auf das wirksam und endgültig verzichtet wurde, kann der Berechnung des Arbeitslosengelds nicht zugrunde gelegt werden. Eine zur Erweiterung des Bemessungsrahmens führende unbillige Härte liegt auch im Fall einer trotz Gehalts-verzicht erfolglosen Sanierung nicht vor, wenn das Bemes-sungsentgelt aus dem erweiterten Bemessungsrahmen das Regelbemessungsentgelt nur um 3,37 Prozent überschreitet.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

Die am XXX geborene Klägerin war vom 01.10.2001 bis zum 31.05.2009 bei der Firma XXX versicherungspflichtig beschäftigt. Im Hinblick auf die drohende Insolvenz des Unternehmens erhielt die Klägerin gemäß Vereinbarung zwischen der Ge-schäftsführung ihres ehemaligen Arbeitgebers, der Vereinigten Dienstleistungsge-werkschaft (Verdi) sowie dem Betriebsrat in den Monaten Mai und Juni 2008 einen um 5,5 Prozent sowie von Juli 2008 bis März 2009 ein um 3,75 Prozent vermindertes Bruttogehalt ("Sanierungsbeitrag"). Gemäß Beschluss des Amtsgerichts XXX wurde am XXX das Insolvenzverfahren über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin eröffnet. Gemäß Schreiben des Insolvenzverwalters vom 02.03.2009 wurde die Klägerin mit Wirkung ab dem 03.03.2009 zur Arbeitsvermittlung freigestellt. Mit Schreiben vom 27.03.2009 wurde das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.05.2009 gekündigt.

Vom 12.03.2009 bis zum 13.03.2009 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt und erhielt gemäß Bescheinigung der XXX vom 17.03.2009 Krankengeld.

Die Klägerin meldete sich am 04.03.2009 arbeitsuchend sowie am 16.03.2009 (Mon-tag) arbeitslos.

Mit Bescheid vom 17.04.2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 14.03.2009 Ar-beitslosengeld für die Dauer von 720 Kalendertagen in Höhe eines Leistungsbetrags von täglich 24,11 Euro (monatlich 723,30 Euro). Der Berechnung des Arbeitslosengelds legte sie das in der Zeit vom 01.03.2008 bis zum 28.02.2009 von der Klägerin erzielte Arbeitsentgelt zugrunde. Mit Änderungsbescheid vom 30.05.2009 änderte die Beklagte den täglichen Leistungsbetrag aufgrund steuerrechtlicher Änderungen auf 24,26 Euro ab.

Mit ihrem am 29.04.2009 erhobenen Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die Berechnung ihres Arbeitslosengelds, insbesondere die Berücksichtigung des aufgrund des Sanierungsbeitrags verminderten Bruttogehalts.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der maßgebliche Bemessungszeitraum sei korrekt ermittelt worden und umfasse die Entgeltabrechnungszeiträume vom 01.03.2008 bis zum 28.02.2009. Die Voraussetzungen für die Erweiterung des Bemessungszeitraums auf zwei Jahre wegen einer unbilligen Härte lägen nicht vor. Eine unbillige Härte sei nur dann gegeben, wenn das Bemessungsentgelt aus dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen das um zehn Prozent erhöhte Bemessungsentgelt aus dem einjährigen Bemessungsrahmen überstiege.

Mit ihrer am 25.05.2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, der Gehaltsverzicht sei ohne ihre Zustimmung durch den Betriebsrat mit der Unternehmensleistung vereinbart worden. Sie finde es ungerecht, dass sie durch ein geringeres Arbeitslosengeld nun doppelt für den vom Betriebsrat geschlossen Sanierungsbeitrag bestraft werde.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 17.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.04.2009 und des Änderungsbescheids vom 30.05.2009 zu verurteilen, ihr höheres Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung des in den Monaten Mai 2008 bis März 2009 geleisteten Sanierungsbeitrags zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht keine gesetzliche Grundlage dafür, bei der Bemessung des Arbeitslosengelds den Gehaltsverzicht außer Betracht zu lassen. Auch eine unbillige Härte, die gemäß § 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III eine Erweiterung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre erlaube, liege nicht vor, da ein danach berechnetes Bemessungsentgelt das Bemessungsentgelt aus dem einjährigen Regelbemessungsrahmen nicht um wenigstens zehn Prozent übersteige.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch schriftliche Zeugenvernehmung des Insol-venzverwalters des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin XXX und der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden XXX. Auf den Inhalt der schriftlichen Zeugenaussagen vom 23.12.2009, vom 19.01.2010 und vom 13.04.2010 wird Bezug genommen.

Für das weitere Vorbringen der Beteiligten und die Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld.

a) Die Klägerin erfüllt im streitigen Zeitraum ab 14.03.2009 die Anspruchsvorausset-zungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld (§ 118 Abs. 1 SGB III), was – ebenso wie die Anspruchsdauer von 24 Monaten (§ 127 Abs. 2 SGB III) – zwischen den Beteiligten unstreitig ist.

b) Die Höhe des Arbeitslosengelds richtet sich nach § 129 SGB III. Danach beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die wie die Klägerin kein Kind im Sinne von § 32 Abs. 1, 3 bis 5 Einkommensteuergesetz (EStG) haben, 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, welches der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeit-räume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Unter den in § 130 Abs. 3 SGB III genannten Voraussetzungen wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert.

Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitrags-pflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Dabei gelten Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III).

c) Der einjährige Bemessungsrahmen, hier vom 14.03.2008 bis zum 13.03.2009, umrahmt zwar in der Regel den Bemessungszeitraum. Beginnt jedoch ein be-rücksichtigungsfähiger Gehaltsabrechnungszeitraum vor dem Bemessungsrahmen und reicht er teilweise in diesen hinein, so ist auch dieser Gehaltsabrech-nungszeitraum in vollem Umfang in den Bemessungszeitraum einzubeziehen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2009 – L 8 AL 3880/08, Rdnr. 26 m.w.N. (Juris)). Die Beklagte hat der Berechnung des Arbeitslosengeldes daher zu Recht das vom 01.03.2008 bis zum 28.02.2009 bei der Firma XXX erzielte Arbeitsentgelt zugrunde gelegt.

d) In diesem Bemessungszeitraum hat die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von ins-gesamt XXX Euro erzielt. Für das Begehren der Klägerin, den zur Beschäfti-gungssicherung geleisteten Sanierungsbeitrag in Form des Gehaltsverzichts in Höhe von 5,5 Prozent in den Monaten Mai und Juni 2008 sowie in Höhe von 3,75 Prozent ab Juli 2008 bei der Bemessung des Arbeitslosengeld unberücksichtigt zu lassen, existiert keine Rechtsgrundlage. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Klägerin aufgrund des Scheiterns der beabsichtigten Beschäftigungssicherung bei ihrem Ausscheiden Anspruch auf Auszahlung des von ihr geleisteten Sanierungsbeitrags gehabt hätte, der entweder (später noch) zugeflossen oder wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen ist (§ 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III, vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 29.01.2008 – B 7/7a AL 40/06 R, Rdnrn. 10 f. (Juris)). Dies ist nach dem Ergebnis der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung nicht der Fall. Denn die maßgebliche Betriebsvereinbarung definiert den Insolvenzfall weder als auflösende Bedingung für den von der Belegschaft geleisteten Gehaltsverzicht noch wurde insoweit überhaupt eine Re-gelung getroffen. Ausweislich der schriftlichen Zeugenaussage der ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden XXX vom 13.04.2010 waren die Folgen einer Insolvenz zwar Gegenstand der Verhandlungen. Es habe aber nur die Wahl bestanden, einem anteiligen Gehaltsverzicht zuzustimmen oder bereits damals eine Insolvenz zu riskieren. Auf die Frage einer Rückerstattungspflicht wurde seitens des Arbeit-gebers nicht eingegangen. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Anspruch auf Auszahlung des Sanierungsbeitrags besteht. Vielmehr hat der Betriebsrat dem Gehaltsverzicht in Kenntnis der Folgen im Fall einer möglichen späteren Insolvenz unbedingt zugestimmt, so dass auch für eine Vertragsanpassung im Wege der Regelungen zur gestörten Geschäftsgrundlage (§ 323 Bürgerliches Gesetzbuch) kein Raum ist. Über die Auswirkungen dieser Vereinbarung auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes wurde die Belegschaft im Übrigen in einer Betriebsversammlung informiert. Unerheblich ist, dass die Klägerin nicht am Abschluss der Sanierungsvereinbarung beteiligt war (§ 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz, § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz).

e) Der Umstand, dass die Klägerin im einjährigen Bemessungsrahmen durch den Gehaltsverzicht ein geringeres Einkommen hatte, führt auch nicht zu einer unbilligen Härte, bei welcher der Bemessungsrahmen gemäß § 130 Abs. 3 SGB III auf Verlangen des Arbeitslosen auf zwei Jahre erweitert wird. Denn eine unbillige Härte liegt danach nur vor, wenn es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen (§ 130 Abs. 3 Nr. 2 SGB III). Dabei kann eine unbillige Härte nicht allein in einem Gehaltsverzicht mit dem Ziel der Be-schäftigungssicherung gesehen werden (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 29.01.2008 – B 7/7a AL 40/06 R, Rdnr. 12 (Juris)). Ein berücksichtigungsfähiger Härtefall ist vielmehr nur gegeben, wenn eine derart erhebliche Verschlechterung der Entgeltsituation eingetreten ist, dass die gesetzlich für den Regelfall vorgegebene Bemessung des Arbeitslosengelds nach dem Verdienst im einjährigen Bemessungsrahmen im Einzelfall unzumutbar wäre, da sie die wahren Einkommensverhältnisse nicht widerspiegelt. Dabei ist darauf abzustellen, ob eine Vergleichsberechnung ein Missverhältnis zwischen dem im einjährigen Be-messungsrahmen und im auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen erzielten Arbeitsentgelt ergibt, das nach einer Erweiterung verlangt, um die Indizfunktion des Bemessungsentgelts hinsichtlich der Einkommensverhältnisse zu gewährleisten (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2009 – L 8 AL 3880/08, Rdnr. 30 m.w.N. (Juris)). Zur Frage, ab welcher prozentualen Abweichung der aus dem einjährigen und dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen ermittelten Bemessungsentgelte eine unbillige Härte anzunehmen ist, bestehen in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Auffassungen. Zum Teil wird eine Abweichung von mindestens zehn Prozent verlangt, während nach anderer Auffassung auch bei einer Differenz zwischen fünf und zehn Prozent je nach den Umständen des Einzelfalls eine unbillige Härte angenommen wird. Nach allen Auffassungen kommt jedoch eine unbillige Härte bei einer Abweichung von weniger als fünf Prozent regelmäßig nicht in Betracht (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.08.2009 – L 2 AL 84/06, Rdnr. 22; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.09.2009 – L 10 AL 98/09 NZB, Rdnrn. 10 f., jeweils m.w.N. (Juris)).

Die Klägerin hat im erweiterten Bemessungsrahmen vom 14.03.2007 bis zum 13.03.2009 Arbeitsentgelt in Höhe von XXX Euro (Arbeitsentgelt vom 01.03.2007 bis zum 28.02.2009) erzielt, woraus sich ein Bemessungsentgelt von 61,70 Euro errechnen würde. Im Vergleich mit dem von der Beklagten korrekt ermittelten Bemessungsentgelt von 59,69 Euro im einjährigen Bemessungsrahmen ergibt sich eine Abweichung von lediglich 3,37 Prozent. In dieser Abweichung kann – auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände – eine unbillige Härte für die Klägerin nicht gesehen werden, die eine Erweiterung des Bemessungsrahmens erfordern würde.

f) Die Beklagte hat das der Klägerin bewilligte Arbeitslosengeld auf der Grundlage des maßgeblichen Bemessungsentgelts von 59,69 Euro schließlich – nach Abzug der Sozialversicherungspauschale von 21 Prozent sowie von Lohnsteuer und So-lidaritätszuschlag (§ 133 Abs. 1 Satz 2 SGB III) – nach dem allgemeinen Leis-tungssatz von 60 Prozent mit täglich 24,26 Euro zutreffend berechnet (§ 129 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Anspruch auf ein diesen Betrag über-steigendes Arbeitslosengeld hat die Klägerin nicht.

Die Klage ist somit unbegründet und daher abzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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