S 26 KR 373/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KR 373/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für ein Jahr LDL-Apherese-Behandlungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen als Sachleistung zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Der Antragsteller (AS) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für eine ambulante Blutwäschebehandlung (LDL-Apherese) zur Absenkung des Lipoprotein (a)-Wertes durch die Antragsgegnerin (AG) , seine gesetzliche Krankenkasse. Der im Oktober 1977 geborene AS leidet an einer kombinierten schweren Fettstoffwechselstörung mit deutlicher Hypercholesterinämie und Hypolipoproteinämie (a). Bei ihm liegt ferner eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung vor, welche im September 2008 in einen Herzinfarkt mündete. Er leidet zusätzlich an einer chronischen Niereninsuffizienz bei histologisch gesicherter IgA-Nephritis, einer arteriellen Hypertonie, einer Adipositas und einem sekundären Hyperparathyreoidismus. Die infolge des Herzinfarktes im September 2008 durchgeführte Koronarangiographie zeigte eine koronare Dreigefäßerkrankung mit Wandunregelmäßigkeiten in allen Gefäßabschnitten. Beim AS wurde eine RPLS - PTCA und Stentimplantation notwendig. Die zwischenzeitlich erfolgte medikamentöse Behandlung des AS führte zwar zu einer Senkung des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterins in den Zielbereich der Patienten mit manifester koronarer Herzerkrankung; das krankhaft erhöhte Lipoprotein (a) konnte jedoch durch die konservative medikamentöse Therapie nicht auf das anzustrebende Maß von 30 mg/dl gesenkt werden, sondern war zeitweise um mehr als das 4-fache des bei seinem Risikoprofil anzustrebenden Referenzwertes erhöht. Im August 2009 beantragte der behandelnde Arzt des AS, der Internist/Nephrologe PD Dr. xxxxxxx bei der Beratungskommission der beigeladenen KV Nordrhein die Durchführung einer LDL-Apherese-Therapie für den AS. Diese teilte Ende September 2009 mit, dass sie dieser Behandlung des AS nicht zustimmen könne. Die LDL-Zielwerte seien durch die konservative Behandlung erreicht; eine Progression der Gefäßerkrankung sei nach Aktenlage nicht dokumentiert. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin (AG), bei welcher der AS krankenversichert ist, die Kostenübernahme der streitgegenständlichen Therapie mit Bescheid vom 13.10.2009 ab. Der AS erhob hiergegen Widerspruch und wies darauf hin, dass aufgrund der massiven Hypolipoproteinämie (a) und der daraus bereits entstandenen Dreigefäßerkrankung mit- samt schon erlittenem Herzinfarkt und des vollständigen Fehlens wirksamer Behandlungsmethoden ein Anspruch auf die LDL-Apherese-Therapie bestehen müsse. Die AG legte daraufhin die Unterlagen erneut der Beratungskommission der Beigeladenen vor, welche in ihrer Sitzung am 14.12.2009 die streitgegenständliche Therapie beim AS wiederum für nicht erforderlich hielt; eine konservative Behandlung reiche aus. Daraufhin hat der AS am 17.12.2009 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln gestellt. Zur Begründung trägt der AS im wesentlichen vor, die erhöhte Lp(a)-Konzentration könne einen Verschluss der arteriosklerotisch veränderten Arterien bewirken und sei medikamentös nicht ausreichend absenkbar. Ohne Durchführung der Therapie bestehe die akute Gefahr eines weiteren Infarktes und/oder Schlaganfalls. Er erfülle alle Voraussetzungen für die Durchführung einer LDL-Apherese nach § 3 Nr. 3.1 der Anlage I der Richtlinien Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses in der derzeit gültigen Fassung (im folgenden: RL). Er habe ein LDL im Normbereich für Patienten mit seinem Risikoprofil, sein Lp(a) liege weit über 60 mg/dl und er weise eine progrediente kardiovaskuläre Erkrankung auf. Durch eine Farbdoppler-Echokardiographie vom 16.02.2010 sei die progrediente koronare Dreigefäßerkrankung bestätigt. Anfang Juni 2010 habe der AS bei einer ambulanten Behandlung in der Uniklinik Köln immer noch Lp(a)-Werte von 118 mg/dl aufgewiesen. Dies sei fast das Doppelte des Grenzwertes, welcher in den RL als Marke für die Erbringbarkeit der LDL-Apherese zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung genannt werde. Seit dem Herzinfarkt sei der AS Nichtraucher und nicht mehr berufstätig. Er sei verheiratet und habe drei Kinder. Seine Ehefrau sei ebenfalls erwerbslos. Die Familie verfüge insgesamt über monatlich 1459,00 EUR, wovon u. a. 600,00 EUR Miete und 150,00 EUR Strom bezahlt werden müssten. Die einmal wöchentlich notwendigen, ca. 1000,00 EUR teuren Apherese-Behandlungen könne er selbst nicht finanzieren.

Der AS beantragt sinngemäß,

die AG im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem AS zur Behandlung der bei ihm bestehenden progredienten koronaren Dreigefäßerkrankung mit bereits erlittenem Herzinfarkt sowie notwendiger Stentimplantation, ausgelöst durch eine ausgeprägte Hypolipoproeinämie (a), vorläufig die LDL-Apherese-Behandlung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Die AG beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass die LDL-Zielwerte durch die konservative Behandlung erreicht worden seien und eine Progression der Gefäßerkrankung nicht dokumentiert sei. Auch eine Progression der koronaren Herzkrankheit sei nicht zu erkennen. Da Anfang 2009 bei dem AS gelegentlich linksthorakale Schmerzen aufgetreten seien und nachfolgende nichtinvasive Untersuchungen unauffällig geblieben seien, ergebe sich keine Indikation für eine erneute Koronarangiographie.

Nachdem das Gericht eine Beweisanordnung angekündigt hatte, teilte die AG mit Schriftsatz vom 06.01.2010 mit, sie erkläre sich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht -bis zum Eingang des Gutachtens, hilfsweise bis zum 31.01.2010 - bereit, die Kosten für die LDL-Apherese zu übernehmen. Sie bitte ,die Entscheidung über die einstweilige Anordnung bis dahin auszusetzen.

Das Gericht hat von Amts wegen ein Gutachten von dem Internisten/Kardiologen und Oberarzt Prof. Dr. xxxxxxx vom Krankenhaus Köln- Merheim eingeholt. Nach Eingang des Gutachtens stellte sich heraus, dass der AS das Angebot der AG vom 06.01.2010 nicht angenommen und die streitgegenständliche Behandlung vorübergehend nicht in Anspruch genommen hatte. Der AS führte diesbezüglich aus, er habe das Angebot der AG dahingehend interpretiert, dass die Behandlung längstens bis 31.01.2010 übernommen werden solle. Die streitgegenständliche Therapie sei deshalb für ihn nicht durchführbar gewesen, werde jedoch von ihm nach wie vor angestrebt, da sie dringend notwendig sei. Es bestehe weiterhin die Gefahr eines erneuten Herzinfarktes / Schlaganfalls sowie Lebensgefahr.

Die AG vertritt die Auffassung, ein Eilbedürfnis sei hier nicht erkennbar, da seit 2008 keine Akutereignisse mehr vorgefallen seien.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

den Eilantrag zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass im Falle des AS die Progression der koronaren Herzerkrankung nicht objektiviert sei. Im übrigen sei wissenschaftlich nicht belegt, dass eine koronare Erkrankung in sich selbst ein progredienter Prozess sei. Sie verweist diesbezüglich auf zahlreiche ärztliche Stellungnahmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zahlreichen zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die übersandten ärztlichen Berichte und Stellungnahmen , den Inhalt des Sachverständigengutachtens und die ergänzenden Stellungnahmen des Sachverständigen Prof. Dr. xxxxxxx verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht - soweit ein Fall nach Absatz 1 nicht vorliegt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System: Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig und /oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Nach Eingang des Gutachtens von Prof.Dr. xxxxxxx und seiner ergänzenden Stellungnahmen spricht hier bislang alles dafür, dass die bislang beim Sozialgericht Köln noch nicht anhängige Hauptsacheklage des AS Erfolg haben wird. LDL-Apheresen können nach den derzeit gültigen RL als vertragsärztliche Leistung im ambulanten Bereich nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen). Im Vordergrund der Abwägung der Indikationsstellung soll dabei das Gesamt-Risikoprofil des Patienten stehen. Letztendlich streiten die Beteiligten in Bezug auf die Voraussetzungen der RL nur darüber, ob die kardiovaskuläre Erkrankung des AS progredient ist bzw. ob die Progredienz dokumentiert ist. Ferner verneint die AG das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bzw. das Eilbedürfnis. Wie sich jedoch aus dem überzeugenden Gutachten des Prof.Dr. xxxxxxx ergibt, leidet der AS unter einer lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig tödlich verlaufenden und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung in Form der koronaren Herzkrankheit sowie der diagnostizierten Nephritis. Die letztgenannte Erkrankung kann nur noch durch eine Organtransplantation verbessert werden (vgl. Befundbericht des PD Dr. xxxxxxx vom 21.12.2009). Prof.Dr. xxxxxxx hat desweiteren ausgeführt, dass für die Senkung des ( laut PD Dr. xxxxxxx genetisch verankerten) Lp(a) aktuell keine andere diätetische, medikamentöse oder anderweitige nicht medikamentöse Therapiemöglichkeit zur Verfügung stehe. Der Zusammenhang zwischen Lp(a) und kardiovaskulären Erkrankungen sei inzwischen vom Gemeinsamen Bundesausschuss auf der Basis eigener Recherchen zusammen mit Stellungnahmen von Experten im Anhang zu seinem Beschluss vom 19.06.2008 im Kapitel "Sektorübergreifende Bewertung von Nutzen und medizinischer Notwendigkeit" ausführlich dargestellt und gewürdigt worden. Alle dokumentierten Werte für das Lp(a) lägen beim AS bei über 100 mg%, in der Spitze bei 141 mg%. Jede Arteriosklerose als Grundlage von Folgeerkrankungen wie Herz- oder Hirninfarkt oder peripherer arterieller Verschlusserkrankung verlaufe stets progredient. Alle bekannten Therapiemaßnahmen seien lediglich in der Lage, diesen Prozess zu verlangsamen, aber nicht vollständig und andauernd zu stoppen. Der AS habe bereits einen Herzinfarkt mit lokalem Gewebeuntergang als höchstmöglichem Schaden infolge einer Durchblutungsstörung bei hochgradiger Verengung (oder Verschluss) einer Herzkranzarterie durchgemacht. Eine Progression sei daher an dieser Stelle nicht mehr möglich. Aufgrund der weit fortgeschrittenen Niereninsuffizienz kämen für den AS die direkt die Koronararterien visualisierende Verfahren wie die Herzkatheteruntersuchung mit Koronarangiographie oder das nicht invasive kardiale CT nicht in Betracht, weil hierfür der Einsatz von Kontrastmitteln benötigt werde; dies berge für den AS die Gefahr des Nierenversagens mit anschließender gegebenenfalls dauerhafter Dialysepflichtigkeit. Andere Verfahren seien hier nicht eindeutig in der Lage, eine Progredienz der Herzerkrankung nachzuweisen. Die Lipidapherese sei das einzige schulmedizinische Verfahren mit nachgewiesener Wirkung auf die Blutkonzentrationen von LDL-Cholesterin und Lp(a). Die bei dem AS im Rahmen eines stationären Aufenthaltes durchgeführte probatorische Lipidapherese habe sich als wirksam erwiesen, die Konzentration des Lp(a) effektiv (auf minimal 30 mg%) zu vermindern( Aufenthalt in der Uniklinik Köln vom 5.-8.5.2009). Zur Verfügung stünden 2 LDL-Aphereseverfahren; es eigne sich am besten dasjenige, welches beim AS bereits mit Erfolg in der Universitätsklinik Köln angewandt worden sei. Die Behandlung erfolge üblicherweise einmal pro Woche mit unbefristeter Dauer. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18.06.2010 hat der Sachverständige schließlich erklärt, das technische Verfahren zur Senkung des LDL-Cholesterins solle bei dem AS eingesetzt werden, um eine Senkung des Lp(a) zu erzielen, welches von diesem Verfahren parallel miterfasst und abgesenkt werde; die dann unvermeidliche zusätzliche Senkung des LDL-Cholesterins sei ein wünschenswerter Nebeneffekt. Im übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in Kenntnis und Würdigung der unbefriedigenden Evidenzlage zur pathophysiologischen Bedeutung erhöhter Lp(a)-Spiegel bzw. deren Senkung gleichwohl den Einsatz der LDL-Apherese zur Senkung des Lp(a) unter bestimmten Bedingungen zugelassen habe. Unter medizinischen Gesichtspunkten erscheine es ethisch vertretbar, bei Patienten mit stabiler Angina pectoris durch entsprechende bildgebende Verfahren eine Progredienz nachzuweisen. Bei Patienten mit instabiler Angina pectoris sei dies aus Sicht des Gutachters unvertretbar wegen des kurzfristig drohenden irrerversiblen Gewebeschadens im Rahmen eines Herzinfarktes. Dies gelte in gleicher Weise für Patienten mit einem ST-Hebungs- oder Nicht-ST-Hebungsinfarkt (wie dem AS), da hier das Abwarten einer Progredienz bewusst die Inkaufnahme eines zweiten Infarktereignisses bedeute. Dies treffe insbesondere für den AS zu, da er im Rahmen eines Nicht-ST-Hebungsinfarktes 2008 die klinischen Stadien der stabilen und nachfolgend instabilen Angina pectoris offensichtlich nicht oder in einem so kurzen Zeitraum durchlaufen habe, dass er sich aus Sicht der behandelnden Ärzte direkt mit einem Herzinfarktgeschehen vorgestellt habe. Bei diesem auch für zukünftige Ereignisse zu erwartenden klinischen Verlauf sei die Festlegung eines Zeitpunktes für eine medikamentöse oder nicht medikamentöse Behandlung an Hand der Progredienz klinischer Symptome nicht möglich. Eine Erweiterung der Definition der Progression im Sinne der RL dahingehend, dass nach einem klinischen Erstereignis in Form eines Herzinfarktes ein Zweitereignis als Ausdruck der Progression abgewartet werden müsse, werde nicht für ethisch vertretbar gehalten. Diese Beurteilung des Prof.Dr. xxxxxxx deckt sich mit der des behandelnden Internisten / Nephrologen PD Dr. xxxxxxx, welcher in seinem Befundbericht vom 21.12.2009 im wesentlichen folgendes ausgeführt hat: Das Risiko des AS bezüglich progredienter kardiovaskulärer Veränderungen resultiere zum einen aus seiner Lipidstoffwechselstörung mit der genetisch verankerten Lp(a)-Erhöhung, zum anderen aus der bereits weit fortgeschrittenen Nephropathie mit Niereninsuffizienz III°. Die streitgegenständliche Behandlung diene der kardiovaskulären Risikominimierung eines kombinierten, aus Lp(a)-Erhöhung und renalem Krankheitsbild bestehenden Gesamtkrankheitsbild. Er halte es für anabdingbar, das Risiko des Patienten in Bezug auf seine Mortalität zu reduzieren, indem die einzige therapierbare Erkrankung angegangen werde, nämlich die Lp(a)-Erkrankung. Die chronische Niereninsuffizienz sei nicht mehr zu verbessern, das Risiko daraus selbst durch eine Dialysebehandlung nicht mehr zu optimieren. Auch der Internist / Kardiologe Dr. xxxxxxx hat in seinem ärztlichen Bericht vom 18.02.2010 auf die progrediente koronare 3-Gefäßerkrankung hingewiesen. Es bestehe eine massive Risikokonstellation mit Fettstoffwechselstörung, pathologisch erhöhtem Lp(a) und fortgeschrittener Niereninsuffizienz. Die medikamentöse Therapie sei ausgereizt, so dass dringlich zur raschen Einleitung einer regelmäßigen Lipidapherese geraten werde. Wie das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 06.02.2007 (1 BvR 3101/06 - ebenfalls in einem Eilverfahren bezüglich einer Apherese-Behandlung -) ausgeführt hat, steht der Annahme eines lebensbedrohlichen Zustands nicht entgegen, dass eine koronare Herzerkrankung noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr erreicht hat. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass eine Krankheit auch dann als regelmäßig tödlich zu qualifizieren sei, wenn sie erst in einigen Jahren zum Tod des Betroffenen führe (vgl. BVerfGE 115, 25, 45). Auf die zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Rettungsmöglichkeiten könne der Beschwerdeführer nicht verwiesen werden. Nach dem gegenwärtigen Stand in der Medizin sei davon auszugehen, dass die Hypercholesterämie einen bedeutsamen Faktor im Gesamtrisikoprofil einer kardiovaskulären Erkrankung repräsentiere, welcher bei Hochrisikopatienten durch eine lipidsenkende Therapie zu behandeln sei (vgl. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Empfehlungen zu Therapie von Fettstoffwechselstörungen, 2. Auflage 1999, Seite 6 ff.). Aufgrund der dargestellten vielfältigen Erkrankungen und der eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten ist der AS aus Sicht des Gerichts als Hochrisikopatient einzustufen. Das Gericht folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des Gerichtsgutachters und aller behandelnden Ärzte des AS, die hier- wie die RL dies auch fordern- das Gesamt-Risikoprofil des AS berücksichtigt haben. Ein Obsiegen des AS im Hauptsacheverfahren ist deshalb sehr wahrscheinlich. Zur Abwendung des lebensbedrohlichen Zustandes ist es deshalb geboten, die AG im Wege der Einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die streitgegenständliche Therapie zunächst für ein Jahr zu finanzieren (vgl. auch § 7 Satz 1 der Anlage 1 RL, wonach die Genehmigung zur Durchführung einer LDL-Apherese im Einzelfall jeweils auf ein Jahr zu befristen ist). Der Anordnungsgrund ist auch nicht dadurch entfallen, weil der AS aufgrund einer Fehlinterpretation des schriftlichen Angebots der AG vom 06.01.2010 die Apherese- Behandlung vorübergehend noch nicht in Anspruch genommen hat. Denn am 7.6.2010 wurden bei ihm wiederum extrem hohe Lp(a)-Werte von 118 mg/dl festgestellt, welche die zügige Einleitung einer LDL-Apherese erfordern.

Ein Anordnungsgrund ist vom AS auch in finanzieller Hinsicht ausreichend dargelegt worden. Dieser ist als Bezieher von ALG II nicht in der Lage, die monatlich rund 4.000,- EUR teure LDL-Apherese-Therapie zu finanzieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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