L 9 U 3886/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 731/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3886/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 09. Juli 2008 sowie der Bescheid vom 27. September 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2008 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Unfall vom 24. Juli 2007 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob die Klägerin am 24. Juli 2007 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die 1982 geborene Klägerin, eine in der Chirurgischen Universitätsklinik H. beschäftigte Krankenschwester, kam bei der Arbeit am 24. Juli 2007 in der Anästhesie zu Fall, als sie dem Anästhesisten Dr. M., der bei einer Patientin einen Peridural-Katheter legen wollte, assistierte. Bei dem Sturz, bei dem sie mit dem Kinn aufschlug, erlitt sie eine Platzwunde am Kinn und einen Zahnschaden (Abbruch der Krone eines Backenzahnes). Ferner litt sie danach unter leichten Kopfschmerzen. Ansonsten fanden sich keine pathologischen Befunde, insbesondere kein Zungenbiss und keine Schleimhautverletzung. Im Durchgangsarztbericht (DAB) vom 24. Juli 2007 wurde vermerkt, die Klägerin sei im OP kollabiert und mit ihrem Kinn aufgeschlagen und habe über leichte Kopfschmerzen geklagt. Es wurden eine Kinnplatzwunde sowie ein Zahnschaden diagnostiziert, eine Wundnaht nach Desinfektion durchgeführt und die Klägerin an den Zahnarzt weitergeleitet. Die Frage, ob Hergang und Befund gegen die Annahme eines Arbeitsunfalls sprächen, wurde mit der Begründung "Unfall durch innere Ursache" bejaht. Gemäß den handschriftlichen Aufzeichnungen des erstbehandelnden Arztes Dr. Sch. vom 24. Juli 2007 hatte die Klägerin angegeben, ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei umgekippt. Die Klägerin sei bereits internistisch abgeklärt ohne Hinweis auf Synkopen. Schwindel, Übelkeit oder Erbrechen traten nicht auf.

Nachdem die Klägerin am 24. September 2007 die Kostenübernahme für eine Zahnbehandlung geltend machte, entschied die Beklagte mit Schreiben vom 27. September 2007 und Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2008, bei dem Ereignis habe es sich nicht um einen Versicherungsfall sondern um einen Sturz aus innerer Ursache gehandelt.

Deswegen hat die Klägerin am 04. März 2008 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Sie hat geltend gemacht, bei den Ereignis habe sich die Patientin, der ein Schmerzkatheter angelegt werden musste, was in der Regel nicht länger als 15 Minuten dauere, verkrampft und an sie geklammert und sie dabei so festgehalten, dass sie in eine ungünstige Körperhaltung gelangt sei und sich nicht mehr habe bewegen können. Der Anlegevorgang habe unverhältnismäßig lange, etwa 30 Minuten, gedauert, während der sie praktisch zur Unbeweglichkeit gezwungen gewesen sei. Infolgedessen habe sich offensichtlich, zunächst von ihr unbemerkt, ihr Blutkreislauf negativ verändert. Als sie der behandelnde Arzt aufgefordert habe, ein Schmerzmittel zu reichen, habe sie sich schnell umgedreht. Bei dieser Umdrehbewegung sei sie dann kollabiert. Wie sich aus dem Bericht vom 24. Juli 2007 ergebe, sei sie internistisch abgeklärt worden und habe sich kein Hinweis auf Synkopen ergeben, weswegen anlagebedingte oder innere Ursachen für den Sturz nicht vorgelegen hätten. Die Patientin sei sehr aufgeregt gewesen und habe einen sehr hohen Blutdruck und Herzprobleme gehabt, weswegen sich der Vorgang schwierig gestaltet habe. Sie habe praktisch vor der Patientin stehen müssen, um sie abzusichern damit sie nicht nach vorne überkippte. Sie habe die Patientin einerseits beruhigen und andererseits auch festhalten müssen, weil bei kleinster Bewegung der Patientin der Arzt nicht mehr die richtige Stelle treffe. Wegen der Erregung der Patientin habe das nicht gleich geklappt und der Arzt habe es drei oder vier Mal versuchen müssen. Im Übrigen sei der Raum ziemlich klein und sei es auch schon recht warm gewesen und habe sie einen Mundschutz getragen. Als sie auf Aufforderung des Arztes die Medikamente für die örtliche Betäubung habe geben wollen, habe sie sich wohl zu schnell umgedreht und es sei ihr schwindlig geworden. Als sie sich hinsetzen wollte, sei ihr schwarz vor Augen geworden.

Das SG hat Dr. M. als Zeugen vernommen. Er hat ausgesagt, beim Anlegen des Peridural-Katheters habe es sich um schwierige anatomische Verhältnisse gehandelt und sei die Patientin zugleich sehr aufgeregt gewesen. Die Grundbedingungen seien etwas schwierig gewesen, weswegen die Anlage auch länger als normal, nämlich gut eine halbe Stunde gedauert habe. Es sei ein warmer Tag gewesen und das Fenster sei zur Südseite gelegen. Bei der Anlage des Katheters stelle sich die Pflegekraft vor den Patienten und halte ihn praktisch fest oder stütze ihn. Er sei sehr konzentriert auf den Rücken der Patientin gewesen und habe nur wahrgenommen, dass die Klägerin plötzlich gesagt habe, sie müsse sich setzen. Er habe dann noch bemerkt, wie sie zwei Schritte weggegangen und umgefallen sei. Er habe auch eine erneute Lokalanästhesie angefordert, zu welchem Zeitpunkt, könne jedoch nicht mehr sagen. Bei komplikationslosem Verlauf dauere die Anlage eines Peridural-Katheters 10 bis 15 Minuten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09. Juli 2008 abgewiesen. Bei dem Ereignis handele es sich nicht um einen Arbeitsunfall. Es sei nicht durch die Umstände am Arbeitsplatz zu einer wesentlichen äußeren Einwirkung auf die Klägerin gekommen, die Ursache des Sturzes gewesen wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Urteil verwiesen.

Gegen das am 17. Juli 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. August 2008 Berufung eingelegt. Das Ereignis stelle einen Arbeitsunfall dar. Eine innere Ursache sei weder feststellbar, noch nachgewiesen. Geklärt sei auch, dass keine Synkopen vorgelegen hätten. Der Unfalltag sei ein warmer Sommertag gewesen und die anatomischen Verhältnisse sowie die Dauer der Periduralanästhesie und das Klammern der Patientin stellten eine äußere Einwirkung dar, die zu dem Unfall geführt habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 09. Juli 2008 sowie den Bescheid vom 27. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2008 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 24. Juli 2008 um einen Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ein Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung liege nicht vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe keine wesentliche Einwirkung von außen auf die Klägerin stattgefunden. Man müsse wohl davon ausgehen, dass tatsächlich ein wie auch immer geartetes Einwirken von außen durch das Festhalten stattgefunden habe, allerdings habe es sich hierbei nicht um eine wesentliche äußere Einwirkung gehandelt, die geeignet gewesen wäre, das Kollabieren zu verursachen. Die Klägerin sei nicht infolge des Festklammerns bewusstlos geworden. Andere äußere Einwirkungen in Form besonders hoher Temperaturen oder einer außergewöhnlichen Stresssituation am Arbeitsplatz hätten sich nicht ergeben. Das bloße Festhalten der Patientin könne keinen Kollaps verursachen. Innere Ursachen, die für den Sturz verantwortlich zu machen wären, seien nicht ermittelt. Dies sei auch nicht erforderlich gewesen und sei in den allermeisten Fällen auch nicht möglich. Auch im DAB vom 24. Juli 2007 sei eine innere Ursache für den Unfall angegeben. Schließlich sei auch auffällig, dass im ganzen Verwaltungsverfahren keine äußeren Einflüsse geltend gemacht worden seien.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig und begründet.

Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den eine versicherte Person bei einer der in den §§ 2, 3 und 6 SGB VII genannten Tätigkeiten (versicherte Tätigkeit) erleidet. Ein Unfall ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach erforderlich, dass die Verrichtung, die der Versicherte zur Zeit des Unfalls ausübt, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden verursacht hat (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 24/06 R, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 und in Juris).

Dabei bedarf es für die Feststellung eines auf den Körper einwirkenden Ereignisses keines besonders ungewöhnlichen Geschehens. Eine Einwirkung von außen liegt vielmehr bereits schon bei alltäglichen Vorgängen wie dem Stolpern oder dem Aufschlagen auf den Boden vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (BSG Urteil vom 18. April 2000, B 2 U 7/99 R, in juris mwN). Das Merkmal dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Eine äußere Einwirkung liegt auch bei einer außergewöhnlichen Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation vor (BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 27/04 R, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und in Juris).

Die erforderliche Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis liegt vor, wenn außer dem kausalen Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten. Kann eine mögliche Konkurrenzursache schon nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als Ursache aus. Liegt hingegen eine Konkurrenzursache vor, ist die Unfallkausalität zu klären. Das ist typischerweise in den Fällen einer inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr notwendig, denn bei diesen Fallgestaltungen kann gerade nicht ausgeschlossen werden, dass neben der im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzutritt. Nur wenn eine solche konkurrierende Ursache neben der versicherten Ursache als naturwissenschaftliche Bedingung für das Unfallereignis wirksam geworden ist, ist zu entscheiden, welche der Ursachen rechtserheblich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ist (BSG Urteil vom 17. Februar 2009, B 2 U 18/07 R, in Breithaupt 2009, 889ff sowie in juris, mwN). Ist eine innere Ursache nicht feststellbar, liegt ein Arbeitsunfall vor. Die bloße Möglichkeit der Mitverursachung durch eine innere Ursache vermag die festgestellte Ursächlichkeit der versicherten Tätigkeit nicht zu verdrängen.

Hiervon ausgehend stellt der Senat fest, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt an ihrem Arbeitsplatz als eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Beschäftigte ihrer versicherten Tätigkeit dergestalt nachgegangen ist, dass sie Dr. M. beim Anlegen eines Peridural-Katheters assistierte. Die Tätigkeit erfolgte an einen warmen Sommertag unter beengten räumlichen Verhältnissen. Dass sich der Kollaps bereits um 8.10 Uhr in einem Raum mit Fenster nach Süden hin ereignete, steht der Annahme einer äußeren Einwirkung der besonderen Umstände nicht entgegen. Hinzu kam, dass die Klägerin einerseits die Patientin festhalten und fixieren musste und sie andererseits von dieser geklammert wurde. Infolge dessen musste sie in einer ungünstigen Körperhaltung über einen längeren Zeitraum, der auch nicht, wie beim Anlegen des Katheters ansonsten üblich, 10 bis 15 Minuten sondern etwa 30 Minuten dauerte, verharren. Dabei kann dahinstehen, ob die Drehung, nach der die Klägerin einen Schwindel verspürte mit nachfolgendem Sturz auf den Boden und dadurch bedingten Verletzungen an Kinn und Zähnen durch eine Aufforderung des Arztes, ein Medikament zu reichen, veranlasst war. Jedenfalls waren diese Umstände vor dem Sturz zur Überzeugung des Senats geeignet, zumindest das von der Klägerin angegebene kurze "Schwarzwerden vor Augen" mit nachfolgendem Sturz zu verursachen. Die Schilderungen der Klägerin werden gestützt durch die Aussage des Dr. M. und lassen einen Widerspruch dazu nicht erkennen. Dass die Klägerin die Angaben gegenüber der bei der Untersuchung unmittelbar nach dem Unfall bei Dr. Sch. gemachten Schilderung, bei der sie bereits angab, ihr sei schwarz vor Augen geworden, erst im Klageverfahren weiter präzisiert und die näheren Umstände dargelegt hat, gibt hier keinen Anlass, sie als unglaubhaft anzusehen. Die berufliche Tätigkeit war damit eine nicht hinweg zu denkende Bedingung (conditio sine qua non) dafür, dass die Klägerin am Unfalltag zu Boden stürzte und sich dabei verletzte.

Dem gegenüber sind von der Beklagten geltend gemachte innere Ursachen, die sie selbst auch nicht konkret zu benennen vermag, nicht festzustellen. Gemäß dem Bericht von Dr. Sch. war eine internistische Abklärung erfolgt und hatten sich auch keine Hinweise auf Synkopen ergeben. Der Befund nach dem Unfall, den Dr. Sch. erhoben hat, ergibt keinerlei Hinweis auf eine innere Ursache für den Sturz der Klägerin. Angesichts dessen fehlt es an jedwedem Nachweis einer inneren Ursache, die als Ursache für einen Sturz in Betracht kommen könnte. Das Vorbringen der Beklagten ist insofern rein spekulativ und gibt keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen, zumal die Beklagte selbst einräumt, etwaige innere Ursachen seien nicht ermittelt und entsprechende Ermittlungen seien nicht erforderlich und in den allermeisten Fällen auch nicht möglich.

Da hier keinerlei innere Ursachen festzustellen sind, die ggf. auch nur möglicherweise verantwortlich sein könnten für den Sturz, verbleibt es bei den besonderen Umständen, hier der Situation, dass die Klägerin über einen längeren Zeitraum in ungünstiger Haltung verharren musste und auch zusätzlich neben dem Festhalten der Patientin, auch von dieser geklammert wurde sowie den Räumlichkeiten und der Witterung. Damit lagen beruflich bedingte äußere Einwirkungen vor, die zum Sturz der Klägerin geführt haben.

Der Senat kommt daher zur Überzeugung, dass die erforderliche Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Sturz, bei dem sich die Klägerin verletzt hat, gegeben ist. Dem entsprechend war das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 24. Juli 2007 ein Arbeitsunfall ist.

Hierauf beruht die Kostenentscheidung (§ 193 Abs. 1 SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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