L 7 SO 2034/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 411/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2034/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 7. April 2010 abgeändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, rückständige Heimentgelte in Höhe von insgesamt 8.401,46 Euro darlehensweise zu übernehmen und an das private Pflegeheim Haus-P. zu zahlen.

Der Antragsgegner darf die darlehensweise Kostenübernahme und Zahlung davon abhängig machen, dass die Antragstellerin ihre Ansprüche aus der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nach dem Tode des Aloys Brack in gleicher Höhe an den Antragsgegner abtritt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin hat im Umfang des Beschlussauspruchs Erfolg.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die Anträge nach § 86b Abs. 1 und 2 SGG sind bereits vor Klageerhebung zulässig (Abs. 3 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie vom Sozialgericht Konstanz (SG) zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf mithin nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Denn die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 28. März 2007 - L 7 AS 121/07 ER-B - (juris) und vom 17. April 2009 - L 7 AS 68/09 ER -). Es ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, Angelegenheiten, die nicht dringlich sind, einer Regelung, die ohnehin nur vorläufig sein kann, zuzuführen; in derartigen Fällen ist dem Antragsteller vielmehr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumutbar (vgl. Senatsbeschluss vom 25. August 2009 - L 7 AS 2040/09 ER-B -; ferner Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg vom 4. Juni 2009 - L 34 AS 815/09 B ER - (juris); zum Ganzen ferner Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnrn. 259, 297 f.). Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG; z.B. Kammerbeschlüsse vom 12. Mai 2005 a.a.O. und vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind hier gegeben, soweit es die vorläufige Übernahme der fälligen, rückständigen Heimentgelte durch den Antragsgegner und deren Zahlung an den Heimträger betrifft. Allerdings vermag der Senat beim gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht zu beurteilen, ob bei der Antragstellerin Vermögen vorhanden ist, das als sog. "bereites Mittel" (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG) BSGE 100, 131 = SozR 4-3500 § 90 Nr. 3 (jeweils Rdnr. 15); zum Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) BSG, Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 23/08 R - (juris; Rdnr. 20); zur Verwertbarkeit von Vermögensgegenständen aus ungeteilter Erbengemeinschaft BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 12; zum Schenkungsrückforderungsanspruch BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 - B 8 SO 21/08 R - (juris)) im Rahmen der Hilfe zur vollstationären Pflege (§§ 61 ff., 75, 90 SGB XII) zum Einsatz zu bringen ist; der im Klageverfahren S 3 SO 3649/09 anhängige Hauptsacherechtsbehelf erscheint deshalb gegenwärtig weder offensichtlich begründet noch offensichtlich unbegründet. In Anbetracht der besonderen Dringlichkeit der Sache sowie der Komplexität der Sach- und Rechtslage ist dem Senat eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes indessen nicht möglich. Den Einwendungen des Antragsgegners (vgl. u.a. die Schriftsätze im Beschwerdeverfahren vom 7. und 18. Mai sowie 9. und 22. Juni 2010) wird freilich im Einzelnen im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen sein. Der Senat bejaht allerdings im Gegensatz zum SG im angefochtenen Beschluss den Anordnungsgrund, denn die Antragstellerin hat durch Vorlage des Kündigungsschreibens des Heimträgers vom 2. Juni 2010 glaubhaft gemacht, dass ihr mit Ablauf des 30. Juni 2010 der Verlust des Heimplatzes droht (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Juli 2008 - L 20 B 51/08 SO ER - (juris)); Letzteres hat das Pflegeheim Haus-P. in seinem Fax vom 25. Juni 2010 nochmals ausdrücklich bestätigt. Dabei erfasst der Anordnungsgrund hier ausnahmsweise auch die vor dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf eine einstweilige Anordnung liegenden Zeiträume, weil durch die Nichtleistung in der Vergangenheit eine aktuell fortwirkende Notlage entstanden ist (vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 a.a.O.). Denn der Heimvertrag vom 14. Dezember 2008, der mit § 12 Abs. 3 Sätze 1 und 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistungen vom 1. Oktober 2009 - WBVG - (BGBl. I 2009, S. 2319) in Einklang steht, sieht unter der Rubrik "Beendigung des Vertrages durch Kündigung" unter Ziff. 2 Sätze 1 und 2 eine fristlose Kündigung des Heimträgers für den Fall des Zahlungsverzugs über einen Zeitraum von zwei Monaten vor; eine Heilung kann nach Satz 4 a.a.O. des Heimvertrages (vgl. auch § 12 Abs. 3 Satz 4 WBVG) nur eintreten, wenn der Träger hinsichtlich der fälligen Entgelte - mithin auch der Rückstände - vollständig befriedigt wird (vgl. Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz (HeimG), 10. Auflage, § 8 Rdnr. 18; Krahmer/Richter, LPK-HeimG, 2. Auflage, § 8 Rdnr. 14b).

Da sonach die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht abschließend geklärt ist und im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Eilbedürftigkeit der Sache nicht weiter aufklärbar ist, ist eine Güter- und Folgeabwägung vorzunehmen. Abzuwägen sind insoweit die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Hauptsacherechtsbehelf aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsacherechtsbehelf dagegen erfolglos bliebe (vgl. Senatsbeschluss vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (juris)). Im Rahmen dieser Abwägung vorrangig zu berücksichtigen ist, dass die Antragstellerin, die pflegebedürftig nach der Pflegestufe 1 ist, der Unterbringung, Betreuung und Pflege in einer stationären Einrichtung bedarf und ihr bei Nichtzahlung der bereits fälligen Heimentgelte ein Verlust des Heimplatzes droht; in Anbetracht dieser elementaren Grundbedürfnisse kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Rechtsverletzung nur in Randbereichen drohen würde. Würde die einstweilige Anordnung dagegen erlassen, während der Hauptsacherechtsbehelf erfolglos bliebe, hätte die Antragstellerin zwar Leistungen erhalten, die ihr nicht zustünden. Der Nachteil des Antragsgegners bestünde alsdann darin, dass ihn das Risiko der Uneinbringlichkeit der Rückforderung träfe, wobei ihm freilich immer noch die Möglichkeit der Überleitung (§ 93 SGB XII; vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 23708 R - (Rdnr. 25)) verbleiben dürfte. In Abwägung dieser beiderseitigen Interessen erscheint es dem Senat jedoch angemessen, die Verpflichtung des Antragsgegners im Rahmen der vorliegenden einstweiligen Anordnung auf die bereits aufgelaufenen Rückstände in Höhe von 8.401,46 Euro zu begrenzen. Den Einwendungen des Antragsgegners trägt der Senat insoweit Rechnung, als er davon abgesehen hat, die vorläufige Verpflichtung zur Übernahme der Heimentgelte auch für die zukünftig fällig werdenden Entgelte auszusprechen; in dieser Hinsicht muss das einstweilige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin mithin erfolglos bleiben. Die Antragstellerin hat im Übrigen nunmehr Gelegenheit, die vom Antragsgegner noch geforderten Unterlagen alsbald vorzulegen; der Antragsgegner hat er auch bereits angekündigt, dass er - bei entsprechender Plausibilität der Unterlagen - zumindest eine darlehensweise Leistungsgewährung erwägen wird.

Die Belange des Antragsgegners hat der Senat überdies auch im Rahmen seines ihm nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens dahingehend berücksichtigt, dass er ihm hinsichtlich seiner Verpflichtung zur darlehensweisen Kostenübernahme und Zahlung der Rückstände - eine Leistungserbringung mittels Darlehen hatte auch die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren zumindest hilfsweise geltend gemacht - durch die Möglichkeit, von dieser die Abtretung ihrer Ansprüche aus der Erbauseinandersetzung zu verlangen, eine hinreichende Sicherheit dafür zugesteht, dass das Darlehen wenigstens teilweise zurückgezahlt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6); dabei hat der Senat im Hinblick auf das überwiegende Obsiegen der Antragstellerin von einer Kostenteilung abgesehen.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved