L 3 R 18/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 12 RJ 237/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 18/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
erwerbsminderung, Inkontinenz, Pausen, Geruchsbelästigung
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

: Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Der am ... 1962 geborene Kläger absolvierte nach seiner Schulausbildung (Zehn-Klassen-Abschluss) von 1976 bis 1978 eine Lehre als Schlosser/Facharbeiter für Anlagentechnik und arbeitete bis 1990 - mit einer in diesem Zeitraum liegenden Ableistung des Wehrdienstes - in diesem Beruf. Er war nachfolgend zunächst bis Januar 1997 selbstständig tätig (Fahrradladen), sodann als Schlosser bzw. Konfektionierer und zuletzt vom 20. Mai 2000 bis zum 13. März 2001 als Ladenbaumonteur versicherungspflichtig beschäftigt. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit bezog der Kläger ab dem 3. Dezember 2001 Krankengeld bzw. Übergangsgeld.

Der Kläger stellte am 15. November 2002 bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog zunächst die Unterlagen aus dem Leistungen der medizinischen Rehabilitation betreffenden Verwaltungsverfahren bei. Aus dem Entlassungsbericht des Universitätsklinikums L. vom 4. Januar 2002 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 7. November bis zum 13. Dezember 2001 gehen als Diagnosen eine enterocutane Dünndarmfistel, anamnestisch ein Zustand nach operativer Therapie einer Pylorusstenose im Jahr 1962, wiederholte Laparotomien bei Adhäsionsileus und Peritonitis am 10. Oktober 2001, eine Hemikolektomie rechts, eine Ileumresektion, eine partielle Jejunumresktion (Restlänge 70 Zentimeter) und eine Appendektomie hervor. Der Kläger sei während des stationären Aufenthalts konservativ behandelt worden. Zum Entlassungszeitpunkt seien keine lokalen oder systemischen Entzündungszeichen feststellbar gewesen. Nach dem Entlassungsbericht der Marbachtalklinik vom 19. April 2002 über die dort vom 26. März bis zum 16. April 2002 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme liegen bei dem Kläger Gesundheitsstörungen in Form eines Kurzdarmsyndroms und einer Narbenhernie vor. Der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne schwere Hebe- und Tragebelastungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Ein geregelter Toilettenzugang müsse jederzeit ungehindert möglich sein. Bei Entlassung aus der Maßnahme sei der Kläger noch arbeitsunfähig, da noch eine hohe Stuhlfrequenz mit gelegentlichen Inkontinenzereignissen vorliege. Bei günstigem Verlauf und einer Ausdosierung der Medikation sei eine weitere Besserung und Stabilisierung voraussichtlich in einem halben Jahr zu erwarten. Es werde eine berufliche Rehabilitation empfohlen.

Die Beklagte holte auf den dem vorliegenden Streitverfahren zugrundeliegenden Rentenantrag des Klägers einen Befundbericht von Dipl.-Med. F. vom 23. Dezember 2002 ein. Dieser verwies auf den vorgenannten Rehabilitationsentlassungsbericht. Nach der Rehabilitationsmaßnahme habe sich der Kläger recht gut stabilisiert. Er klage vor allem über abdominelle Narbenschmerzen und eine gehäufte Stuhlfrequenz.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2004 ab. Der Kläger sei noch in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich, leichte Arbeiten ohne starken Zeitdruck (z.B. Akkord), ohne Wechsel-/Nachtschicht, häufiges Klettern, Steigen, Heben, Tragen über zehn Kilogramm, häufige Zwangshaltungen bzw. Überkopfarbeiten, erhöhte Unfallgefahr (z.B. Absturzgefahr, ungesicherte Maschinen) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Erforderlich sei ein ungehinderter Toilettenzugang.

Mit seiner am 12. August 2004 bei dem Sozialgericht Dessau erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren - mit dem Ziel der Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 15. November 2002 - weiterverfolgt. Ihm sei auch ein kurzfristiger Einsatz auf dem Arbeitsmarkt nicht möglich. Durch die Operation sei ein Endzustand eingetreten, der auch durch Maßnahmen der Rehabilitation nicht gebessert werden könne.

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte eingeholt. Dipl.-Med. R. hat in seinem Befundbericht vom 24. Oktober 2004 über eine sich noch in Abheilung befindende Operationsnarbe bei dem Kläger mit einem ca. markstückgroßen Hautdefekt berichtet. Es bestehe noch eine schwerwiegende Motilitätsstörung des Darmes mit teilweiser Inkontinenz und einem chronischen abdominellen Narbenschmerz.

In dem von der Beklagten übersandten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 18. Februar 2005 stellt Dipl.-Med. S. eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers fest. Seit dem 15. September 2004 sei er erneut arbeitsunfähig, da er über massive Durchfälle und massive Stuhlabgänge (durchschnittlich sechsmal tagsüber und zweimal nachts) klage. Gelegentlich habe er Inkontinenzmaterialien benutzen müssen. Es bestehe ein erheblicher Leidensdruck bei täglichen Bauchschmerzen. Im Ergebnis der Untersuchung sei sowohl die psychische als auch die physische Belastbarkeit des Klägers als derart gemindert anzusehen, dass eine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes vermutlich auf Dauer nicht mehr möglich sein werde. Das Vorliegen einer ggf. befristeten Erwerbsunfähigkeit solle geprüft werden.

Das Sozialgericht hat sodann ein Gutachten von Prof. Dr. B., Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I des Städtischen Krankenhauses Martha-Maria in H., vom 15. September 2005 eingeholt. Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stünden ständige nahrungsabhängige Durchfälle (flüssigbreiig bis elfmal am Tag) verbunden mit quälenden Blähungen und verstärktem Windabgang, Stuhlinkontinenz und ein deutlicher (zum Teil wetterabhängiger) Narbenschmerz. Er sei ständig müde, toleriere keine Belastungen und empfinde besonders sitzende Tätigkeiten, wie ein längeres Autofahren, als quälend.

Als Diagnosen lägen bei dem Kläger vor: Bridenileus 2001 mit mehreren Operationen, teilweise septischem Verlauf bei postoperativer Bronchopneumonie mit Ausbildung einer enterokutanen Fistel Hemicolektomie rechts Ileumresektion Partielle Jejunumresektion Enterokutanfistel mit Spontanverschluss. Kurzdarmsyndrom mit Schmerzen, Durchfällen und Stuhlinkontinenz. Arterielle Hypertonie. Chronische Bronchitis bei Nikotinabusus. Zustand nach Operation bei Pylorusstenose 1962. Bei der Untersuchung habe sich der Kläger in einem reduzierten Allgemeinzustand bei einem guten Ernährungszustand gezeigt. Trotz vermehrter Nahrungsaufnahme bestehe eine Belastungsinsuffizienz durch den chronischen Verlust von Nährstoffen durch den unverdaut ausgeschiedenen Nahrungsbrei. Dies habe in der Ergooxytensiometrie untermauert werden können. Durch den ständigen Stuhldrang, die Stuhlinkontinenz und die chronischen Schmerzen sei die Durchführung regelmäßiger Arbeiten auch im häuslichen Milieu nicht möglich. Eine körperliche Belastbarkeit bestehe "in keinster Weise". Eine stehende bzw. gehende Tätigkeit sei dem Kläger nicht zuzumuten. Auf Grund des chronischen Schmerzzustands mit Verstärkung im Sitzen sei auch eine sitzende Tätigkeit (oder autofahrende) unzumutbar. Auf Grund des ständigen Stuhldrangs müsse sich der Kläger ständig in der Nähe einer Toilette aufhalten und seinen Arbeitsprozess ständig unterbrechen. Dazu komme, dass durch die verstärkten Windabgänge eine Arbeit in Gesellschaft anderer Kollegen nicht zumutbar sei. Das quanitative Leistungsvermögen sei aufgehoben. Der Kläger könne zu Fuß nicht viermal täglich eine Strecke von 500 Metern zurücklegen. Das Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln sei dem Kläger wegen der ständigen Windabgänge und des ständigen Stuhldrangs mit chronischer Diarrhoe nicht möglich. Auf Grund der chronischen Schmerzzustände und der quälenden Blähungen während des Sitzens sei dem Kläger auch die Benutzung eines Pkw nicht zumutbar. Da es sich um Beschwerden auf Grund von mehreren Darmresektionen handele, sei eine Besserung der Symptomatik auch durch rehabilitative Maßnahmen nicht zu erwarten.

Die Beklagte hat zu diesem Gutachten unter Bezugnahme auf die prüfärztliche Stellungnahme von Dr. V. vom 11. Oktober 2005 Stellung genommen. Darin wird ausgeführt, der Kläger befinde sich mit einem Gewicht von 80 Kilogramm bei 1,82 Metern Körpergröße in einem guten Ernährungszustand. Ernährungsbedingte Mangelzustände seien auf Grund der normalen Blutwerte des Klägers nicht feststellbar. Das Gutachten von Prof. Dr. B. sei unvollständig. Es seien vorrangig Maßnahmen zur Rehabilitation zu prüfen.

Prof. Dr. B. hat in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 24. Oktober 2005 hierzu ausgeführt, er schließe sich der Beurteilung des Prüfarztes, eine psychiatrische Beurteilung unter stationären Bedingungen mit einer möglichen Umwandlung in ein nachfolgendes Rehabilitationsverfahren sei sinnvoll und der Optimierung der Behandlung des Klägers dienlich.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Dessau seinen Tagesablauf beschrieben. Er hat ausgeführt, am Vortag z.B. gegen 8.00 Uhr aufgewacht zu sein, weil er Stuhldrang verspürt habe. Etwa 15 bis 30 Minuten nach dem Frühstück habe er wieder die Toilette aufsuchen müssen. Das sei am Vortag so zwischen 9.30 und 10.00 Uhr gewesen. Nach einer Zwischenmahlzeit am Vormittag gebe es gegen 12.00 Uhr Mittagessen. Dann müsse er wieder zur Toilette und dann halte er Mittagsschlaf. Um 15.00 Uhr und um 18.00 Uhr etwa gebe es dann wieder eine Mahlzeit. Auf Grund seiner Behinderung könne er seinem Hobby Motorradfahren nicht mehr nachgehen. Seine Ehefrau betreibe ein Motorrad- und Fahrradgeschäft, das von 15.00 bis 18.00 Uhr geöffnet habe. Dort helfe er gelegentlich aus. Außerdem habe er einen Hund, den er gelegentlich ausführe, wobei er höchstens 500 bis 1.000 Meter laufen könne. Er verrichte allenfalls leichte Hausarbeiten, wie gelegentliches Staubsaugen bzw. wischen.

Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid (wohl nur teilweise) aufgehoben und die Beklagte - unter Klageabweisung im Übrigen - mit Urteil vom 21. November 2004 verurteilt, dem Kläger auf Grund eines Leistungsfalls am 12. August 2004 vom 1. März 2005 bis zum 30. Juni 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu bewilligen. Während des gesamten Verwaltungsverfahrens sei der Kläger noch fähig gewesen, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in beliebiger Haltungsart, ohne Nachtschicht, schweres Heben und Tragen und mit der jederzeitigen Möglichkeit, eine Toilette aufzusuchen, täglich sechs Stunden zu verrichten. Vor dem Hintergrund der durch den Prüfarzt Dr. V. aufgezeigten Unklarheiten in dem Gutachten von Prof. Dr. B. vom 15. September 2005 komme dem Gutachten des MDK vom 18. Februar 2005 entscheidende Bedeutung zu. Da sich aus diesem Gutachten sowohl eine Minderung der psychischen als auch der physischen Belastbarkeit des Klägers ergebe, halte die Kammer einen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung am 12. August 2005 für angemessen. Eine erneute medizinische Rehabilitation sei das angemessene Mittel, um die von Dr. V. aufgeworfenen Fragen abschließend zu klären.

Gegen das ihm am 13. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. Januar 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, eine Besserung seiner Stuhlinkontinenz sei nicht eingetreten. Er müsse mittlerweile elf bis vierzehnmal täglich die Toilette aufsuchen, sodass er innerhalb von drei Stunden mindestens für eine halbe Stunde einen Toilettengang zu absolvieren habe. Einen weiteren erheblichen Gewichtsverlust könne er nur durch die permanente Einnahme kleinerer Mahlzeiten vermeiden. Beide Beeinträchtigungen bestimmten seinen Tagesablauf, sodass er nicht mehr in ein Arbeitsleben zu integrieren sei. Auch die häufig vorkommenden Windabgänge machten es ihm unmöglich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Er sei auf Grund der erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands nicht mehr in der Lage, einer Rehabilitationsmaßnahme zuzustimmen.

Er verweist auf einen Arztbrief des Facharztes für Innere Medizin/Notfallmedizin/Hypertensiologie Dipl.-Med. R. vom 10. Juni 2008, in dem auf eine auf lange Sicht nicht zu erwartende Besserung der Beschwerden des Klägers hingewiesen wird. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arztbriefes wird auf Bl. 177 bis 178 Band II der Gerichtsakte Bezug genommen.

Er hat ein im Auftrag seiner Ehefrau erstelltes Gutachten von Prof. em. Dr. B., ehemals Direktor der Klinik für Innere Medizin I der Friedrich-Schiller-Universität in J., vom 3. November 2008 in Kopie übersandt: Danach habe der Kläger sich im Frühjahr 2007 extrem apathisch gefühlt. Er habe kaum noch Speisen bei sich behalten können und habe sich schlapp und völlig leistungsunfähig gefühlt. Im Rahmen der folgenden stationären Krankenhausbehandlung im Oktober/November 2007 habe eine lebensbedrohende Panzytopenie infolge des durch die Darmoperation bewirkten Vitamin-B 12-Mangels behandelt werden müssen. In der Untersuchung habe der Kläger einen ausreichenden Ernährungszustand (1,82 Meter Körpergröße/73 Kilogramm) bei vermindertem Kräftezustand gezeigt. Im Rahmen der Magnetresonanztomografie des Bauchraums seien ein Flüssigkeitsraum um Leber und Milz, bis an die unmittelbare äußerste Bauchwand reichende Darmschlingen, die insgesamt viel Luft enthielten, eine Leberverfettung und ein angedeuteter Prolaps im Bereich L 5/S 1 der Wirbelsäule festzustellen. Als Diagnosen lägen vor: Resorptionsstörung für Vitamin-B 12 und Gallensäuren mit einer therapeutisch erfolgreich versorgten schwersten Panzytopenie. Chologene Diarrhoen. Steatorrhoe. Drohende Vitamin-Mangelzustände (Vitamin-A, -D, -E und -K). Fettleber. Narbenhernie. Zustand nach Operation einer Schulterfraktur rechts. Zustand nach Sepsis. Bei dem Kläger sei ein konsequentes individualisiertes therapeutisches Vorgehen mit Gabe von Cholestyramin, einer Einschränkung der normalen Fettzufuhr und Injektion von fettlöslichen Vitaminen einmal pro Vierteljahr bzw. alle acht Wochen erforderlich. Von der durch die Entfernung von über 50 bis zu 70 Prozent des Dünndarms hervorgerufenen Symptomatik stünden zurzeit die noch extrem häufigen Stuhlentleerungen und eine Fettmaldigestion und adsorption im Vordergrund, die derzeit eine Arbeitsunfähigkeit bedingten. Dass trotz dieser Befunde ein Body-Mass-Index (BMI) von 22 erreicht werde, lasse auf keinen Fall die Schlussfolgerung zu, dass ein Körperzustand vorliege, der leichte Arbeiten des Klägers erlaube. Der Kläger sei krank, behandlungsbedürftig und erwerbsunfähig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 187 bis 193 Band II der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 21. November 2006 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2004 insgesamt aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2007 hinaus, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2007 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Berichterstatter hat nach Eingang des Gutachtens von Prof. Dr. B. ein Gutachten von Dr. H., Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II, Gastroenterologie, Onkologie des Krankenhauses K., auf Grund einer Untersuchung des Klägers am 22. Juli 2009 eingeholt. Der Kläger habe angeben, sein "Hauptproblem" bestehe in einem häufigen Stuhldrang sowie flüssigen Stuhlgängen mit unterschiedlichen Frequenzen (fünf- bis zehnmal tagsüber, ca. zweimal nachts) und unterschiedlichen Volumenmengen. Er fürchte die Stuhlgänge, weil es dabei im Rektum "brenne" und er es "wie aufgerissene Löcher" und "ein Hitzegefühl" verspüre. Während der kalten Jahreszeit trete eine Verschlimmerung ein. Er fühle sich auf Grund des ständigen Stuhldrangs und der lauten und übelriechenden Flatulenzen, die er nicht unterdrücken könne, sozial isoliert. Es sei für ihn schwierig, zu differenzieren, ob es sich um eine Flatulenz oder einen echten Stuhlabgang handele. Deshalb trage er ab und an Windeln und habe stets Unterwäsche zum Wechseln bei sich. Er leide unter rezidivierenden Bauchschmerzen sowie Narbenschmerzen und Kopfschmerzen. Er fühle sich ständig müde und schlapp. Zur Aufmunterung trinke er täglich eine Kanne starken Kaffee.

Der Kläger sei bei der Untersuchung normalgewichtig gewesen (79 Kilogramm/1,79 Meter = BMI 24,5). Sein Allgemeinzustand sei leicht reduziert, seine Psyche depressiv und empfindsam. Die Bauchdecke des Klägers zeige ausgeprägte Narben, mit in deren Bereich fühlbaren diffusen Verhärtungen. Bei der rektaldigitalen Untersuchung seien im Analbereich äußerlich eine dezente Rötung und Marisken auffällig gewesen. Der Sphinktertonus sei sehr stark ausgeprägt. "Bereits beim Einführen gibt Herr S. lautstark zu verstehen, dass er starke brennende Schmerzen verspüre und bittet um Abbruch der Untersuchung. Daraufhin wird die Untersuchung sofort beendet. Eine weitere Beurteilung ist daher nicht möglich. Es befanden sich kein Stuhl und kein Blut am Fingerling des Untersuchers. Es wird empfohlen, die Untersuchung durch einen Proktologen, ggf. unter Narkose, zu wiederholen." Die Fahrradergometrie sei auf der 50-Watt-Stufe begonnen worden und habe nach Beendigung der ersten Stufe auf Grund starker ziehender Schmerzen des Klägers im Hodenbereich abgebrochen werden müssen. Im Rahmen der eingeschränkten Beurteilbarkeit des Testergebnisses auf Grund des Abbruchs hätten sich keine signifikanten Abweichungen im kardiopulmonalen Bereich gezeigt. Aus der Röntgen-Diagnostik des Thorax seien degenerativ erniedrigte Bandscheiben im Bereich D 3 bis D 9 mit einer reaktiven Spondylose erkennbar. Das Abdomen sei in der Sonografie nur eingeschränkt beurteilbar. Soweit erkennbar, finde sich im Peritonealraum kein Nachweis einer pathologischen Flüssigkeitsansammlung oder ein Hinweis auf einen pathologischen Magen-Darm-Befund. Die Echokardiografie habe einen weitgehend altersgerechten Befund mit einer möglichen, aber klinisch nicht relevanten beginnenden leichtgradigen hypertensiven Herzerkrankung ergeben. Im Rahmen der Labordiagnostik hätten die Serumwerte für Chlorid, ALAT und Leukozyten leicht oberhalb, für Cholesterin leicht unterhalb des Referenzbereichs gelegen. Die Urindiagnostik habe einen erhöhten Leukozytenwert ergeben. Die übrigen Laborparameter seien sämtlich im Normbereich gewesen. Bei dem Kläger lägen folgende Diagnosen vor: Kurzdarm-Syndrom bei Zustand nach Hemicolektomie rechts, Ileum- und partieller Jejunumresektion (Dünndarmrestlänge 70 Zentimeter) und Appendektomie bei Adhäsionsileus und enterokutaner Fistel mit Spontanverschluss und mehrfachen Laparotomien, jeweils im November 2001. Zustand nach anamnestisch operativer Therapie einer Pylorusstenose im Säuglingsalter 1962. Zustand nach katheterassoziierter Sepsis durch Candida albicans und hämolysierende Staphylokokken Dezember 2001. Anamnestisch Stuhlinkontinenz. Chronischer Nikotinabusus. Rezidivierende wetterabhängige Narbenschmerzen. Degenerative Bandscheiben-Veränderungen D 3 - D 9 (radiologisch). Zustand nach Omphalektomie und Cholezystektomie. Zustand nach Fraktur des Schultereckgelenks rechts ca. 1997. Zustand nach Sprunggelenksfraktur 1995. In Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers sei von einem stabilen Ernährungszustand des Klägers auszugehen. Bei der klinischen Untersuchung seien ein Druckschmerz im gesamten Abdomen mit Punktum maximum im linken Unterbauch bei ausgesprochen vernarbten und verhärteten Bauchdecken auffällig gewesen. Beim Gehtest durch die Klinik (Wegstrecke 500 Meter) habe der Kläger eine normale Gehfähigkeit gezeigt. Eine Dyspnoe und Abgänge von Flatulenzen seien nicht aufgefallen. Die ambulante und rehabilitative medizinische Betreuung des Klägers sei zunächst auszuschöpfen. "Wir schätzen ein, dass bei dem Kläger keine volle Erwerbsminderung vorliegt, wobei von einer weiteren Stabilisierung des Allgemeinzustands durch optimierte medikamentöse Therapie (z.B. Wiedereinnahme von Celesthexal und Kreon und genaue Beachtung der Einahmehinweise, um die Blähungen zu vermeiden), psychologische Mitbetreuung sowie das Absolvieren einer medizinischen Rehabilitation auszugehen sei. Die subjektiven Beschwerden des Klägers seien nachvollziehbar. Eine regelmäßige Erwerbstätigkeit sei unter Berücksichtigung bestimmter Bedingungen möglich und würde sich positiv auf die soziale Integration des Klägers auswirken. Eine ausgeprägte Schmerzproblematik stehe in diesem Fall eher nicht im Vordergrund. Der Kläger könne nur noch körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der drei Haltungsarten mit einer Stunde Gehen, Sitzen bzw. Stehen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Zusätzliche Einschränkungen der Belastbarkeit bestünden für einseitige körperliche Belastung, Arbeiten in Zwangshaltung, mit häufigem Bücken oder Knien, häufigem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einwirkung von Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, Arbeiten im Freien, unter Einwirkung von Staub, Gas, Dampf oder Rauch, Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, im Schicht-, Wechselschicht oder Nachtschichteinsatz. Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Ausdauer, und die Belastbarkeit für Tätigkeiten mit häufigem Publikumsverkehr seien eingeschränkt. Körperliche Arbeiten wie ein Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, wie sie in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert würden, seien dem Kläger körperlich zumutbar. Dem Kläger sollten auf Grund der Folgen des Kurzdarmsyndroms stündliche Pausen zum Aufsuchen einer nah gelegenen und schnell zugänglichen Toilette und die entsprechende Zeit für hygienische Maßnahmen eingeräumt werden. Eine gewisse Flexibilität der Pausen solle unter Berücksichtigung der Unwillkürlichkeit des Stuhlgangs mitbeachtet werden. Eine Wegstrecke von 500 Metern sei dem Kläger zumutbar. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei begrenzt, da der Toilettengang jederzeit möglich sein müsse. Der Kläger sei nicht in der Lage, ein Kfz zu führen. Die festgestellte Minderung der Leistungsfähigkeit resultiere aus der Subileus-Symptomatik im Oktober 2001. Es sei jedoch aktuell von einer Stabilisierung des Allgemeinzustands des Klägers auszugehen. Gegenüber dem Gutachten von Prof. Dr. B. liege nun ein deutlich gebesserter Allgemeinzustand des Klägers vor. Eine wesentliche Verbesserung der aktuellen Leistungsfähigkeit sei nicht zu erwarten. Ein psychologisches Fachgutachten werde empfohlen, um die im Rahmen der Begutachtung festgestellte ausgeprägte Diskrepanz zwischen subjektivem Leidesdruck des Klägers und den erhobenen objektiven Untersuchungsbefunden aufzuklären.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats erklärt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

: Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Berichterstatter anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30. Juni 2007 hinaus erstrebt. Der angefochtene Bescheid ist, soweit er diesen Zeitraum betrifft, rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb insoweit nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist zumindest seit dem 1. Juli 2007 noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der drei Haltungsarten zu verrichten. Zu vermeiden sind einseitige körperliche Belastung, Arbeiten in Zwangshaltung, mit häufigem Bücken, Knien, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einwirkung von Temperaturschwankungen, Zugluft oder Nässe, unter Einwirkung von Staub, Gas, Dampf oder Rauch, Arbeiten unter Zeitdruck, im Schichtdienst. Das gilt auch für Arbeiten, die eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit oder ein uneingeschränktes Verantwortungsbewusstsein erfordern, mehr als nur geringe Anforderungen an Zuverlässigkeit bzw. Ausdauer stellen oder mit häufigem Publikumsverkehr verbunden sind.

Dieses Leistungsbild ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen in dem Gutachten von Dr. H. vom 22. Juli 2009. Die vom Sozialgericht dem Urteil zugrunde gelegten Feststellungen in dem Gutachten des MDK vom 18. Februar 2005 und das Gutachten von Prof. Dr. B. lassen keine verlässlichen Rückschlüsse für den hier maßgebenden Zeitraum zu. Das wohl von der Ehefrau des Klägers veranlasste Gutachten von Prof. Dr. B. ist bereits deshalb nur eingeschränkt verwertbar, weil es unter Umgehung der Regelung in § 109 SGG erstellt worden ist.

Aus dem Kurzdarmsyndrom des Klägers ergeben sich keine Beschränkugen im Hinblick auf sein quantitatives Leistungsvermögen. Wesentliche Mangelerscheinungen haben sich im Rahmen der von Dr. H. durchgeführten Labordiagnostik nicht bestätigen lassen. Der BMI des Klägers von 24,656 - auf der Grundlage des von Dr. H. angegebenen Größen- und Gewichtswertes - liegt im oberen Bereich des Normalgewichts (BMI 18,5 bis 25): 79 (Kilogramm)

1,79 x 1,79 (Meter)

Dienstgebäude Besuchszeiten Telefon Konto Justizzentrum Halle Mo - Do 08:30 Uhr – 12:00 Uhr Vermittlung Deutsche Bundesbank Thüringer Straße 16 13:00 Uhr – 16:00 Uhr 0345 220-0 Filiale Magdeburg 06112 Halle Fr 08:30 Uhr – 13:00 Uhr Telefax: Konto-Nr.: 810 015 56 0345 220-2104/2143 BLZ: 810 000 00 Internet: http://www.justiz.sachsen-anhalt.de/lsg behindertengerechter Zugang, zu erreichen ab Hauptbahnhof / Riebeckplatz E-Mail: poststelle@lsg-hal.justiz.sachsen-anhalt.de mit den Straßenbahnlinien 2, 5 und 12 (2. Haltestelle: H.-Schütz-Straße), (nicht für Rechtssachen) mit dem PKW Richtung Ammendorf

Die vom Kläger angegebenen starken Schmerzen im Bauchbereich lassen sich einem konkreten Erkrankungsbild - nach Abheilung der Narben im Operationsgebiet - nicht zuordnen. Der Zustand nach Durchführung mehrerer Operationen bedingt die von Dr. H. festgestellten Leistungseinschränkungen im Hinblick auf häufige stark belastende Körperbewegungen. Nach der erfolgreichen Behandlung der Panzytopenie sind Anhaltspunkte für ein wesentliches akutes Leiden des Klägers oder ein onkologisches oder kardiopulmonales Leiden nicht erkennbar.

Die von Dr. H. vorgeschlagene weitere Abklärung des psychischen Befindens des Klägers im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen seinen subjektiven Beschwerden und den objektiven Befunden ist nicht notwendig gewesen. Denn Anhaltspunkte für eine das Leistungsvermögen des Klägers wesentlich einschränkende Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet sind nicht erkennbar. Der Fixierung des Klägers auf das Krankheitsgeschehen wird dadurch Rechnung getragen, dass das angenommene Leistungsbild Einschränkungen im Hinblick auf Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen, Zuverlässigkeit und Ausdauer berücksichtigt. Überzeugend ist auch die Feststellung von Dr. H., dass dem Kläger bereits wegen der von ihm subjektiv empfundenen Einschränkungen eine Arbeit mit häufigem Publikumsverkehr nicht mehr zuzumuten ist.

Bei dem Kläger liegen auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Restleistungsvermögen des Klägers reicht vielmehr noch für zumindest leichte körperliche Verrichtungen im Wechsel der drei Körperhaltungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.). Das insoweit noch gegebene Restleistungsvermögen hat Dr. H. in seinem Gutachten vom 22. Juli 2009 bestätigt.

Auch liegt im Fall des Klägers kein Seltenheits- oder Katalogfall vor, der zur Pflicht der Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes führen würde (vgl. BSG, GS, a.a.O.,= S. 35). Der Arbeitsmarkt gilt unter anderem als verschlossen, wenn einem Versicherten die sog. Wegefähigkeit fehlt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehender Mobilitätshilfen benutzen kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die genannte Strecke nicht in der erforderlichen Zeit zurücklegen kann, sind nicht erkennbar. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 21. November 2006 vor dem Sozialgericht angegeben, einen Kilometer mit seinem damals noch lebenden Hund gehen zu können. Nach den Feststellungen von Dr. H. hat sich der Gesundheitszustand des Klägers seither stabilisiert und verbessert.

Die Stuhlgangfrequenz und der Abgang von Winden führt nicht dazu, dass dem Kläger die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr zuzumuten ist. Die Stuhlgangfrequenz und die mit einem Abgang von Winden auf Grund von Gasbildung im Darm verbundene Geruchsbelästigung ist zunächst nicht in Art und Umfang hinreichend belegt. Der Kläger selbst hat die Stuhlfrequenz mit zwischen fünf und elfmal pro Tag und zweimal nachts angegeben. Legt man für den Tag ca. vierzehn Stunden zugrunde, entspricht eine Stuhlfrequenz von fünfmal einem Toilettengang höchstens alle drei Stunden bei dem vom Kläger vor dem Sozialgericht angegebenen ersten Stuhlgang um 8 Uhr morgens. Bei dem in der Klinik von Dr. H. durchgeführten Gehstreckentest hat sich eine Geruchsbelästigung nicht gezeigt. Auch aus den Rehabilitationsentlassungsberichten lässt sich eine wesentliche Beeinträchtigung anderer durch Gerüche nicht entnehmen.

Selbst wenn man ohne eine hinreichende Konkretisierung von Art und Umfang der Geruchsbelästigung diese allein auf Grund der Angaben des Klägers unterstellen wollte, können insoweit auch die Angaben des Klägers zu Medikation und Lebensweise nicht außer Betracht bleiben. Aus dem Gutachten von Dr. H. ergibt sich u.a. der regelmäßige Genuss von erheblichen Mengen Kaffee "zur Aufmunterung". Kaffee wird als Abführmittel eingesetzt, sodass es zunächst an dem Kläger läge, sich "zur Aufmunterung" ggf. medikamentös in anderer Weise zu versorgen. Auch nimmt der Kläger nach den Feststellungen von Dr. H. die Arzneimittel Celesthexal und Kreon nicht bzw. nicht den Einnahmehinweisen entsprechend ein.

Der Kläger kann auch im Übrigen nicht nur unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten. Auch eine unübliche "Pausensetzung", die nach dem Vorbringen des Klägers erfolgen muss, hat sich im Rahmen der Begutachtungen nicht belegen lassen. Vielmehr reichen die gesetzlich vorgesehenen Arbeitszeitpausen von zweimal 15 Minuten oder einmal 30 Minuten in einer mehr als sechsstündigen Arbeitsschicht sowie die jedem Arbeitnehmer pro Stunde zur Verfügung stehenden persönlichen Verteilzeiten aus, um gegebenenfalls eine Toilette aufsuchen zu können. Neben den eigentlichen Pausen im Sinne des § 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) existieren in der Arbeitswelt auch persönliche Verteilzeiten, die nicht als arbeitszeitverkürzende Pausen im Rechtssinne anzusehen sind. So gelten Arbeitszeitunterbrechungen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden beispielsweise im Bereich des Öffentlichen Dienstes nicht als arbeitszeitverkürzende Pausen (vgl. Böhm/ Spiertz, Kommentar zum BAT, Anm. 10 zum § 15; Anzinger/ Koberski, Kommentar zum ArbZG, 2. Aufl., § 4 RdNr. 9). Für Büroarbeiten hat das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie die von den Arbeitgebern den Arbeitnehmern zugestandene persönliche Verteilzeit mit etwa zwölf Prozent der tariflich festgesetzten Arbeitszeit angesetzt (vgl. DRV 8-9/93 S. 527). Die Existenz solcher persönlichen Verteilzeiten ist auch bereits in mehreren Urteilen der Rentensenate der Landessozialgerichte bestätigt worden (vgl. u.a. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. August 2003 - L 14 RJ 137/01 - juris; LSG Bayern, Urteil vom 27. Juli 2005 - L 19 R 73/03 - juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Juli 1995 - L 6 I 121/94 - jurs; Urteil des erkennenden Senats vom 10. Oktober 2007, L 3 RJ 98/04 - nicht veröffentlicht). Ausgeschlossen sind hier lediglich Arbeiten mit dauernder notwendiger Präsenz am Arbeitsplatz.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen zur Fähigkeit des Klägers, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzener, ergäbe sich die Notwendigkeit, innerhalb einer sechsstündigen Tätigkeit alle drei Stunden die Toilette aufzusuchen. Für diesen Gang zur Toilette sind die persönlichen Verteilzeiten ausreichend. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass bei Büroarbeiten jederzeit eine Unterbrechung der Arbeit zum Aufsuchen der Toilette möglich ist. Für den Fall der plötzlichen Stuhlinkontinenz könnte der Kläger Vorlagen benutzen bzw. eine Windelhose oder Einmalwindeln tragen. Sollte ungewollt Stuhl abgehen, könnte der Kläger die Vorlage bzw. die Windelhose wechseln und eine Reinigung mit Feuchttüchern vornehmen. Das BSG hat zu der Frage, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht und Fernsehgebührenermäßigung - bei einer Harninkontinenz vorliegen, die Auffassung vertreten, das Tragen von Windelhosen, die den Harn bis zu zwei Stunden ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen, sei zumutbar und verstoße weder gegen die Würde des Menschen - Art. 1 Grundgesetz (GG) - noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz - Art. 20 Abs. 1 GG - (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1991 - 9a RVs 1/90 - und Urteil vom 9. August 1995 - 9 RVs 3/95 -, jeweils juris). Diese Grundsätze sind auf die hier vorliegende Situation übertragbar. Der Kläger hat im Übrigen selbst angegeben, gelegentlich Inkontinenzartikel zu verwenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, die nicht von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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