L 7 AS 201/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AS 24/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 201/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zuschuss für Beiträge in der privaten Krankenversicherung zum halben Basistarif
Der Zuschuss ist nach § 12 Abs. 1c S. 6 VAG ungeachtet der tatsächlichen Höhe des halben Basistarifs auf den Betrag begrenzt, der für Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen wäre.
Eine ausreichende medizinische Versorgung und auch eine diesen Bedarf deckende Krankenversicherung bleibt nach dem Ruhensverbot in § 193 Abs. 6 S. 5 VVG trotz Beitragsrückständen bestehen. Es besteht hier keine Veranlassung, den besonderen Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) anzuwenden.
Sofern die private Krankenversicherung das Ruhensverbot nicht beachtet, ist Rechtsschutz im zivilgerichtlichen Verfahren zu suchen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt die volle Übernahme der Beiträge, die er für seine private Krankenversicherung im halben Basistarif zu entrichten hat.

Der im Jahr 1971 geborene Antragsteller war bis Mitte 2009 selbstständig erwerbstätig. Im Oktober 2009 stellte er erstmals bei der Antrags- und Beschwerdegegnerin einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II. Der Antragsteller steht unter Betreuung, ist aber arbeitsfähig. Er ist in einer privaten Krankenversicherung (PKV) zum Basistarif und in der privaten Pflegepflichtversicherung versichert. Ein Privatinsolvenzverfahren wird vorbereitet.

Mit Bescheid vom 21.12.2009 wurde Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.12.2009 bis 30.04.2010 ab Januar 2010 in Höhe von monatlich 893,64 Euro bewilligt. Für die PKV wurde dabei ein Zuschuss von monatlich 124,32 Euro als Bedarf anerkannt, für die Pflegeversicherung ein Betrag von monatlich 10,19 Euro. Am 12.01.2010 wurde Widerspruch erhoben, weil die vollen Kosten der privaten Krankenversicherung zu übernehmen seien. Gegen den nachfolgenden Widerspruchsbescheid wurde Klage erhoben.

Am 13.01.2010 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Die tatsächlichen Kosten für die private Krankenversicherung seien zu gewähren. Es wurde eine Bestätigung der PKV vorgelegt, dass ab 01.01.2010 eine Krankenversicherung zum halben Basistarif mit einem Beitrag von monatlich 290,63 Euro besteht. Die gesetzliche Regelung zur Beschränkung der Zuschüsse für den halben Basistarif (§ 12 Abs. 1c S. 6 HS. 2 Versicherungsaufsichtsgesetz-VAG) sei verfassungswidrig, weil sie gegen die Pflicht des Staates zur Sicherstellung des Existenzminimums verstoße. Auch die Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung gehöre zu den Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Die Differenz zwischen den Zuschüssen und den tatsächlich zu leisten Beiträgen könne aus der Regelleistung nicht bestritten werden. Dem psychisch schwer kranken Antragsteller sei es nicht zuzumuten, seine Beitragszahlung teilweise einzustellen und sich in eine zivilrechtliche Auseinandersetzung der Krankenversicherung zu begeben.

Mit Beschluss vom 10.02.2010 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf einen höheren monatlichen Zuschuss zu den Beiträgen der privaten Kranken- und Pflegeversicherung ab.

Es fehle an einem Anordnungsanspruch, weil die Antragsgegnerin die Zuschüsse gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 SGB II zutreffend berechnet habe. § 12 Abs. 1c S. 6 VAG regele eindeutig, dass bei einer unabhängig von der Höhe des PKV-Beitrags bestehenden Hilfebedürftigkeit nach SGB II der zuständige Träger den Betrag zahlt, die auch für ein Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen wäre. Eine planwidrige Regelungslücke bestehe nicht, es bestehe lediglich eine sozialpolitische Lücke. Eine Verfassungswidrigkeit liege nicht vor. Es gehöre zwar auch eine ausreichende Krankenversorgung zu den Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Es bleibe jedoch dem Gesetzgeber überlassen, wie er dies sicherstelle, zum Beispiel über § 48 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Es liege auch kein Anordnungsgrund vor, weil der Antragsteller derzeit kranken- und pflegeversichert sei und diesen Schutz auch bei nicht vollständiger Beitragszahlung gemäß § 12c Abs. 1b VAG und § 193 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nicht verliere. Es sei auch nicht unzumutbar, wenn der Beschwerdeführer die ihm zustehenden Krankenversicherungsleistungen gegenüber der PKV durchsetzen müsste. Auch der Zivilrechtsweg sehe Eilverfahren und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor. Außerdem stünde dem Antragsteller trotz seines Bezuges von Arbeitslosengeld II in Eilfällen ein Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 48 SGB XII zu.

Am 09.03.2010 hat der Antragsteller Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Das Gericht könne den Antragsteller nicht darauf verweisen, sich rechtsuntreu zu verhalten. Dieser sei verpflichtet, die private Kranken- und Pflegeversicherung zu den gesetzlich festgelegten Beiträgen aufrechtzuerhalten. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen würden die gesetzlichen Vorgaben durchaus nicht immer einhalten. Der Staat komme seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums nicht nach, wenn er - anstatt selbst die existenzsichernden Kosten zu übernehmen - lediglich Regelungen schaffe, nach denen Dritte (hier Unternehmen der PKV) existenzsichernde Leistungen zu erbringen haben und zugleich eine erhebliche Verschuldung des Hilfebedürftigen eintrete. Wegen der Verpflichtung zu effektivem Rechtsschutz sei das Gericht gehalten, zumindest vorläufige Leistungen zuzusprechen. Der Antragsteller verwies auf den Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 03.12.2009, L 15 AS 1048/09 B ER und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Er legte Kontoauszüge des Girokontos vor, wonach im März 2010 durchgängig ein Guthaben von mehr als 2500,- bis zu 4.500,- Euro bestand.

Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Februar 2010 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin vorläufig zu verpflichten, einen Zuschuss in Höhe der tatsächlichen Kosten der privaten Krankenversicherung (halber Basistarif) zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beschwerdegegnerin, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Landessozialgerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist in der Sache jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu Recht abgelehnt hat.

Streitgegenstand ist nach der ausdrücklichen Erklärung im erstinstanzlichen Verfahren (Antrag vom 13.01.2010) die Übernahme der tatsächlichen Kosten der privaten Krankenversicherung. Auch im Widerspruch vom 12.01.2009 wurden lediglich diese Kosten geltend gemacht. Ein Antrag, der die Kosten der privaten Pflegeversicherung (vgl. § 26 Abs. 3 SGB II) betrifft, wurde nicht gestellt.

Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 S. 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Es besteht nach den einfachgesetzlichen Grundlagen kein Anordnungsanspruch - der Zuschuss ist gemäß § 12 Abs. 1c S. 6 VAG ungeachtet der tatsächlichen Höhe des halben Basistarifs auf den Betrag begrenzt, der für Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen wäre. Es besteht auch kein Anordnungsgrund, weil die medizinische Versorgung und das Bestehen der Krankenversicherung gesichert sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) verlangt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine besondere Ausgestaltung, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können. Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben.

Wie der Antragsteller zutreffend ausführt, gehört die Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung zu den Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Ob auch das Bestehen einer diesen Bedarf deckenden Krankenversicherung zum Existenzminimum gehört, kann offen bleiben, weil auch diese Krankenversicherung unstrittig besteht. Die Versicherung zum halben Basistarif bliebe auch bei Beitragsrückständen gemäß § 193 Abs. 6 S. 5 VVG wegen des Ruhensverbots bestehen.

Dass das Unternehmen der PKV im vorliegenden Fall das Ruhensverbot unterläuft, indem es Leistungsansprüche aufgrund eingereichter Rechnungen mit Beitragsrückständen aufrechnet, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aber selbst in einem derartigen Fall wäre dies in einem zivilrechtlichen Verfahren zu klären, nicht im sozialgerichtlichen Eilverfahren. Ein sozialrechtlicher Anspruch kann auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren nicht deshalb bejaht werden, weil die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs im zivilrechtlichen Verfahren aufwändiger (etwa wegen des Kostenrisikos nach § 124 Zivilprozessordnung - ZPO) erscheint. Im Übrigen sprechen die vorhandenen liquiden Mittel des Antragstellers dafür, dass er die restlichen Beiträge selbst bezahlen kann und auch tatsächlich bezahlt.

Als eigentliches Problem stellt sich damit nicht eine fehlende medizinische Versorgung oder eine fehlende Krankenversicherung dar, sondern der Aufbau von Schulden oder der Verzehr von Schonvermögen durch die unzureichende Abdeckung des halben Basistarifs, zu dem der Gesetzgeber die Betroffenen durch die Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG zwingt. Das ist eine gesetzgeberische Fehlleistung, die dem Gesetzgeber schon länger bekannt ist und deren Behebung er leider scheinbar nicht als so dringlich empfindet wie die kürzlich erfolgte Erhöhung der Freibeträge für Altersvorsorgevermögen in § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II (vgl. BT-Drs. 17/507). Eine tatsächliche schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigung des Antragstellers, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könnte, ist aber nicht erkennbar. Somit kommt der besondere Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts hier nicht zur Anwendung.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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