L 11 R 3008/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2622/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3008/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 03. Juni 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2007 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. März 2007 bis 28. Februar 2011 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin zwei Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 28. Februar 2007 hinaus hat.

Die am 03. Juli 1957 in der Türkei geborene Klägerin, die nach ihren eigenen Angaben fünf Jahre eine Schule besucht und keinen Beruf erlernt hat, siedelte im Jahr 1972 in die Bundesrepublik Deutschland über. Sie war zunächst in verschiedenen Betrieben als Arbeiterin beschäftigt, zuletzt von 1999 bis 2001 als Maschinenführerin in Nachtschicht bei einer Plastikfirma. Seither ist die Klägerin arbeitsunfähig und bezog zunächst Krankengeld sowie im Anschluss daran Arbeitslosengeld. Das Versorgungsamt H. hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit dem 08. Mai 2003 und das Merkzeichen "G" festgestellt. Seit 15. Mai 2007 besteht ein GdB von 70 und es sind die Merkzeichen "B" und "G" anerkannt (Schwerbehindertenausweis vom 11. Juli 2007). Seit dem Jahr 2001 wurde die Klägerin wegen Schmerzen insgesamt vier Mal (am 23. April 2001, 14. Oktober 2002, 7. August 2007 und am 17. Dezember 2008) an der Wirbelsäule operiert.

Am 18. September 2003 beantragte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin fachärztlich begutachten. Facharzt für Orthopädie Dr. R. gelangte in seinem Gutachten vom 16. Dezember 2003 zu der Einschätzung, die Klägerin könne aus orthopädischer Sicht rein theoretisch noch vollschichtig arbeiten. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. kam in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2003 zu dem Ergebnis, die Klägerin könne aufgrund der bestehenden gravierenden Schmerzen im Rücken noch unter drei Stunden pro Tag tätig sein. Unter Berücksichtigung dieser Einschätzungen gelangte Facharzt für Innere Medizin Dr. M. in seinem Gutachten vom 06. Februar 2004 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nur noch in der Lage sei, unter drei Stunden pro Tag leichte Tätigkeiten zu verrichten. Als Zeitpunkt des Eintritts der Leistungseinschränkung sei im Januar 2003 (erneuter Bandscheibenvorfall) anzunehmen. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. September 2003 bis 28. Februar 2006.

Am 12. Dezember 2005 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung. Nachdem die Beklagte Befundberichte beigezogen hatte, bewilligte sie die Weitergewährung der vollen Erwerbsminderungsrente vom 01. März 2006 bis 28. Februar 2007. Vom 22. September bis 13. Oktober 2006 erfolgte in der Orthopädischen Universitätsklinik H. eine stationäre Behandlung. Prof. Dr. S., Leiter der Schmerztherapie, gab im Arztbrief vom 28. November 2006 neben orthopädischen Diagnosen an, die Klägerin leide an einer multisomatoformen Schmerzstörung (Somatisierungsstörung) und an einer dysthymen Störung (im Intervall). Die regelmäßige Weiterführung der erlernten Übungen wurde der Klägerin empfohlen.

Im November 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog mehrere Befundberichte bei und ließ die Klägerin fachärztlich begutachten. Facharzt für Chirurgie Dr. W. gelangte zu folgenden Diagnosen: Zustand nach zweimaliger Nukleotomie im Jahr 2001/02 mit Reprolaps mediolateral rechts im Segment L5/S1 und fortbestehender Protrusion im Segment L4/L5 sowie Verdacht auf ein bisher nicht verifiziertes Karpaltunnelsyndrom beidseits. Die Klägerin sei jedoch vollschichtig für leichte körperliche Tätigkeiten einsetzbar. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Postnukleotomiesyndrom, histrionische Persönlichkeitsakzentuierung, ausgeprägte Neigung zu funktioneller Ausweitung/Überlagerung der somatischen Anamnese (teils als konversionsneurotische Symptomatik, teils aber auch als nicht der willentlichen Kontrolle entzogenes Krankheitsverhalten bei sekundärem Krankheitsgewinn) sowie Verdacht auf latentes Karpaltunnelsyndrom. Unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen könne die Klägerin noch vollschichtig leichte Tätigkeiten verrichten. Arzt für Innere Medizin Dr. M. ging im mehrfachärztlichen Gutachten vom 16. Februar 2007 davon aus, dass im Vergleich zur Vorbegutachtung eine deutliche Befundbesserung eingetreten sei. Die nach zwei Bandscheibenoperationen initial vorhandenen neurologischen Ausfälle bestünden mittlerweile nicht mehr. Das Leistungsvermögen sei lediglich qualitativ, aber nicht quantitativ eingeschränkt. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Februar 2007 den (Weitergewährungs-)Antrag mit der Begründung ab, mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Bei diesem Leistungsvermögen liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw Berufsunfähigkeit vor.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Beschwerden bestünden unverändert fort und hätten sich teilweise sogar verschlimmert. Auch nach dem Aufenthalt in der Orthopädischen Universitätsklinik H. sei es ihr nicht gelungen, ihr Schmerzempfinden, das in Wechselwirkung zu ihrer psychischen Situation stehe, zu überwinden. Auch leide sie an allgemeiner Kraftlosigkeit. Zur weiteren Begründung legte sie die nervenärztliche gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. vom 09. Juli 2007 vor. Nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen und nach Stellungnahmen des Dr. M. wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, die Klägerin sei in der Lage, wieder mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen leichte Tätigkeiten zu verrichten. Volle bzw teilweise Erwerbsminderung über den 28. Februar 2007 hinaus liege daher nicht vor. Aufgrund der bisherigen Tätigkeit als Maschinenbedienerin scheide auch die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit aus (Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2007).

Mit ihrer dagegen am 25. Juli 2007 beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die orthopädischen Probleme hätten sich keinesfalls verbessert, was sich bereits daraus ergebe, dass sie sich am 07. August 2007 einer erneuten Bandscheibenoperation habe unterziehen müssen. Ob diese Operation zu einer Besserung führe, könne erst nach Abschluss der Anschluss-Rehabehandlung beurteilt werden. Eine weitere wesentliche Leistungseinschränkung bestehe aufgrund der depressiven Erkrankung. Bereits Dr. S. habe eine reaktive Depression diagnostiziert. Sie sei deswegen bei Dr. G. in Behandlung, der der Auffassung sei, sie leide an einem Konglomerat psychosomatischer und somatopsychischer Störungen. Außerdem leide sie an Schmerzen im ganzen Körper sowie an tachycarden Rhythmusstörungen. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin zahlreiche Arztbriefe beigefügt, unter anderem den Arztbrief des Prof. Dr. K. vom 29. Juli 2008 über den Ausschluss einer akuten Myokardischänie.

Nachdem sich die Klägerin während des Klageverfahrens am 07. August 2007 einer mikroneurochirurgischen Dekompression L4/5 und L5/S1 unterzog (Operationsbericht des Dr. K. vom 08. August 2007), hat sie in der Zeit vom 04. September bis 02. Oktober 2007 an der stationären Rehabilitationsmaßnahme in der R.-Klinik in B. R. teilgenommen. Im Entlassungsbericht des Internisten Dr. J. vom 17. Oktober 2007 hat dieser folgende Diagnosen mitgeteilt: Rezidiv Bandscheibenprolaps L4/5 und L5/S1, mikrochirurgische Dekrompression am 07. August 2007, agitierte Depression mit Somatisierung, arterielle Hypertonie und undifferenzierte Kollagenose. Ein Belastungsaufbau habe wegen der beklagten Schmerzen kaum erreicht werden können. Die Klägerin sei weiterhin arbeitsunfähig, sie könne aber aus orthopädischer Sicht auf Dauer noch leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig verrichten. Derzeit erscheine jedoch die Wiederaufnahme einer regelmäßigen Berufstätigkeit noch nicht absehbar.

Zur weiteren Aufklärlung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.

Ärztin für Innere Medizin F. hat mitgeteilt (Auskunft vom 28. November 2007), die Klägerin könne aufgrund der starken Rückenschmerzen und der zunehmenden Depressionen nur noch leichte Tätigkeiten von ca drei Stunden täglich ausüben. Facharzt für Innere Medizin W. hat ausgeführt (Auskunft vom 26. November 2007), es bestünden chronifizierte Schmerzen und eine tendenzielle Zunahme der depressiven Begleitsymptomatik, so dass die Klägerin nur noch in der Lage sei, höchstens drei Stunden täglich zu arbeiten. Dr. G. hat angegeben (Auskunft vom 15. Januar 2008), im Vordergrund stünde eine psychophysische Verkettung als Folge einer psychischen Störung. Im Laufe seiner Behandlung habe sich keine wesentliche oder dauerhafte Änderung des Gesundheitszustandes ergeben. Die Klägerin könne unmöglich mehr als drei Stunden täglich eine sinnvolle Arbeit verrichten. Bei ihr bestünden massive pathologische Auffälligkeiten. Facharzt für Orthopädie Dr. H. hat mitgeteilt (Auskunft vom 18. Januar 2008), eine ganztägige Beschäftigung sei derzeit nicht denkbar. Dies ergebe sich aufgrund der Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und auch aufgrund der psychischen Situation. Internist Dr. H. hat ausgeführt (Auskunft vom 19. Februar 2008), die Klägerin sei nicht in der Lage, eine Arbeit zu verrichten, da auch nach der Operation Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule mit Ausstrahlung in die Beine bestünden. Des Weiteren leide sie an einer Depression.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG das Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. vom 12. Juni 2008 erhoben, die die Klägerin am 07. Mai 2008 persönlich untersucht hat. Sie ist zu folgenden Diagnosen gelangt: Chronisch somatoforme Schmerzstörung, Dysthymie bei histrionischer Persönlichkeitsakzentuierung, Postnukleotomiesyndrom bei Zustand nach Nukleotomie L4/5 links, Nukleotomie L5/S1 rechts (Oktober 2002) und mikrochirurgischer Dekompression L4/5 und L5/S1 links. Leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin ohne Gefährdung der Gesundheit noch acht Stunden täglich verrichten. Unter Anlegung eines strengen Maßstabes und bei kritischer Würdigung lasse sich nicht ausschließen, dass die festgestellten, das berufliche Leistungsvermögen mindernden Gesundheitsstörungen vorgetäuscht würden. Es hätten sich Hinweise für eine Simulation gezeigt, die bei aller zumutbarer Willensanstrengung aus eigener Kraft überwunden werden könne. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG das Gutachten des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Prof. Dr. L. (Zentralinstitut für seelische Gesundheit in M.) vom 27. Januar 2009 eingeholt, nachdem der zunächst benannte Gutachter Dr. E. eine Begutachtung auf psychosomatischem Fachgebiet angeregt hatte. Prof. Dr. L. hat die Klägerin am 14. und 27. Januar 2009 persönlich untersucht und ist für die Klägerin zu folgenden Diagnosen gelangt: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion und Ängsten, emotional-instabile und histrionische Persönlichkeitszüge, rezidivierende Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 mit insgesamt drei Dekompressionsoperationen sowie Spondylodese LWK5/Os sacrum am 17. Dezember 2008, residuales sensorisches Defizit im Dermatom L4/L5 links sowie anhaltende Fußheberschwäche links, Zustand nach symptomatischen AV-Reentrytachykardien nach Elektroablation im November 2006, arterielle Hypertonie, leichtgradiges Lungenemphysem und chronischer Nikotinkonsum. Zwar erfülle die Klägerin nicht die Kriterien für eine spezifische Persönlichkeitsstörung. Es fänden sich jedoch einige emotional-instabile Persönlichkeitszüge. Insbesondere vor dem Hintergrund der demonstrativen Tendenzen erfülle die depressive Symptomatik nicht vollständig die Kriterien für eine mittelgradige oder schwergradige Depression. Ganz im Vordergrund der Beschwerden stünde eine schwere anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Es bestehe ein erheblicher Leidensdruck. Die Bereitschaft immer wieder Operationen an der Wirbelsäule durchführen zu lassen sowie der zuletzt erfolgte massive wirbelsäulenchirurgische Eingriff wiesen auf diesen Leidensdruck hin, ließen aber auch selbstschädigende Verhaltensweisen erkennen. Aufgrund der schweren anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und der sich sekundär dazu entwickelnden depressiven Anpassungsstörung sei die Klägerin auch für leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch weniger als drei Stunden täglich einsetzbar. Zwar liege eine gewisse Aggravationstendenz vor, allerdings seien die durch die festgestellte Gesundheitsstörung verursachten Beschwerden so intensiv, dass eventuelle Aggravations- und Simulationstendenzen verhältnismäßig nicht ins Gewicht fielen. Bereits seit mehr als sieben Jahren bestehe die deutliche Leistungseinschränkung. Die aktuell im Gutachten festgestellte Leistungsminderung bestehe entsprechend der anamnestischen Angaben seit ca Juli 2008. Aktuell sei die Klägerin mit Gehstützen beidseits nur eingeschränkt mobil. Eine Wegstrecke von mehr als 100 Metern bis zu vier Mal täglich zu Fuß könne die Klägerin nicht zurücklegen. Auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr während der Hauptverkehrszeiten aufgrund ihres aktuellen Zustandes nicht möglich.

Nach der Stellungnahme der Beklagten durch den Internisten L. vom 13. Februar 2009 hat das SG die ergänzende Stellungnahme der Dr. E. vom 15. April 2009 eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass die von Prof. Dr. L. beschriebenen deutlichen Konzentrationsstörungen, die leichte Beeinträchtigung der Merkfähigkeit und des Langzeitgedächtnisses von ihr nicht hätten festgestellt werden können. Sie verbleibe daher bei der von ihr getroffenen Einschätzung.

Mit Urteil vom 03. Juni 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer teilweisen bzw. vollen Erwerbsminderung über den "31.01.2007" hinaus. Denn die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Sie könne unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten. Dies ergebe sich aus der im Verwaltungsverfahren eingeholten mehrfachärztlichen Begutachtung vom Februar 2007 und aus der Begutachtung durch Dr. E ... Die gegenteiligen Einschätzungen der behandelnden Ärzte überzeugten nicht. Gleiches gelte für das Gutachten des Prof. Dr. L., denn dieser habe sich auf die Feststellung beschränkt, dass die festgestellten Aggravationstendenzen vor dem Hintergrund der aktuell geäußerten Schmerzen der Klägerin in der Untersuchungssituation verhältnismäßig nicht ins Gewicht fielen und zum Krankheitsbild der Klägerin gehörten. Die durchgeführte Untersuchung bei Prof. Dr. L. könne auch nur einschränkend objektiv zur Beurteilung des tatsächlichen Gesundheits- und Leistungszustandes herangezogen werden, da sich die Klägerin erst am 17. Dezember 2008 einer Wirbelsäulenoperation unterzogen habe. Auch der persönliche Eindruck in der mündlichen Verhandlung habe ergeben, dass die Klägerin durchaus in der Lage sei, bei zumutbarer Willensanspannung einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes nachzugehen. Schließlich stelle die von Prof. Dr. L. angegebene Wegeunfähigkeit keinen Dauerzustand dar. Darüber hinaus könne die Klägerin aufgrund ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden, so dass auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin am 01. Juli 2009 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung stützt sie sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. L ... Soweit Dr. E. angegeben habe, dass die festgestellten Defizite im Bereich der Konzentration von ihr nicht feststellbar gewesen seien, sei dies nicht nachvollziehbar. Ganz offensichtlich habe Dr. E. die von Prof. Dr. L. vorgenommenen Untersuchungen nicht durchgeführt. Trotz der zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen, die alle von einer Leistungsfähigkeit von maximal drei Stunden ausgingen, habe das SG sich der Auffassung der Dr. E. angeschlossen und nicht begründet, weshalb die bis 31. Januar 2007 bestehende Leistungsunfähigkeit nicht mehr fortbestehe sei. Außerdem habe das SG während des Prozesses seine Meinung geändert, da es die Beklagte vor der Begutachtung durch Dr. E. gebeten hatte zu prüfen, ob eine Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente aufgrund des eindeutigen Beweisergebnisses in Betracht komme. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin die Stellungnahmen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 21. April 2010 vorgelegt, wonach die Klägerin in Behandlung wegen folgender Diagnosen sei: depressive Störung, generalisierte Angststörung, Kopfschmerz, Grübelzwang, Schlafstörung, Parästhesien der Beine und Verdacht auf Polyneuropathie. Bei der Klägerin liege eine ausgeprägte depressive Verstimmung vor. Die durchgeführte medikamentöse Behandlung habe keine befriedigende Befundbesserung ergeben. Die Klägerin sei nicht mehr arbeitsfähig, auch nicht für drei Stunden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 03. Juni 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 28. Februar 2007 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat den Versicherungsverlauf vom 07. Oktober 2009 vorgelegt.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 21. Januar 2010 eingeholt, der die Klägerin am 18. Januar 2010 persönlich untersucht hat. Die Klägerin sei von einer lumbalen Bandscheibenkrankheit mit einem Postnukleotomiesyndrom nach vier Lendenwirbelsäulenoperationen (L4/5 im April 2001 links, L5/S1 im Oktober 2002 rechts, L4/5 und L5/S1 im August 2007 sowie Versteifungsoperation im Dezember 2008) betroffen. In den letzten Jahren sei es zu einer Chronifizierung der Schmerzkrankheit mit dysfunktionalen Verhaltensweisen, speziell Katastrophieren, Schonungsverhalten und Rückzug gekommen. Aktuell liege neben einer anhaltenden Lumboischialgie ein radikuläres Syndrom L5 und S1 vor. Weiterhin sei sie von einer chronischen depressiven Störung multifaktorieller Entstehung sowie von einem Fibromyalgiesyndrom betroffen. Des Weiteren bestehe ein Nikotinabusus und -abhängigkeit. Auf internistischem Fachgebiet lägen eine chronische obstruktive Bronchitis Stadium II, eine arterielle Hypertonie, ein Zustand nach Ablation bei induzierbarer typischer AV-nodaler Reentry-Tachykardie und geringer Mitralklappenprolaps mit begleitenden Mitralinsuffizienz Grad I vor. Die anhaltenden Schmerzen mit Schwerpunkt im Bereich der Lendenwirbelsäule verringerten die körperliche Leistungsfähigkeit beim Heben und Tragen von Lasten sowie die Ausdauer in somatischer und mentaler Hinsicht ebenso wie das vordiagnostizierte und von ihm bestätigte Fibromyalgiesyndrom. Die chronische komplexe psychische Störung führe ebenfalls zu einer Minderung der somatophysischen Belastbarkeit und Ausdauer. Die Klägerin könne nur noch körperlich leichte Tätigkeiten unter Ausschluss von Tag- und Nachtschicht, unter Ausschluss von Nässe- und Kälteeinwirkung, unter Ausschluss einer Zwangshaltung bzw einer Tätigkeit in gleichbleibender Körperposition (sei es ständiges Sitzen, Gehen oder Stehen) verrichten. Zu vermeiden seien auch alle Tätigkeiten unter Zeitdruck, Akkord- und Fließbandarbeit sowie Arbeiten unter starker nervlicher Belastung. Tätigkeiten mit häufigem Bücken und auch häufigem Treppensteigen seien ebenfalls auszuschließen. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei die Klägerin noch in der Lage, drei bis weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich daraus, dass nicht nur die Fähigkeit zum Heben und Tragen von Lasten aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung mit Nervenwurzelläsionen verringert sei, sondern auch die Ausdauer in körperlicher und in psychischer Hinsicht. Hierzu trage auch das Fibromyalgiesyndrom bei. Da die Klägerin weiter von einer psychischen Störung mit depressiv-ängstlicher Komponente betroffen sei, welche mit einer Schlafstörung einhergehe, sei auch dadurch die Ausdauer signifikant verringert. Sie könne jedoch Gehwege bis etwa 1000 Meter am Stück mehrfach täglich zurücklegen. Sie sei auch in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Während der gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente seit Juli 2004 sei es nicht zu einer Besserung oder wesentlichen Veränderung vielmehr es zu einer Chronifizierung der Schmerzkrankheit und der psychischen Störung gekommen. Die aktuelle Leistungseinschränkung bestehe daher zumindest schon seit Oktober 2007, nachdem die Operation im August 2007 keine grundlegende Besserung herbeigeführt habe.

Für die Beklagte hat Ärztin für Psychiatrie Dr. H. Stellung genommen (Stellungnahme vom 11. Februar 2010) und darauf hingewiesen, dass dem Gutachten des Dr. W. nicht gefolgt werden könne, da er sich nicht hinreichend mit den demonstrativen Tendenzen und dem aggravatorischen Verhalten der Klägerin auseinandergesetzt habe und auch ein psychopathologischer Befund fehle.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04. März 2010 hat Dr. W. den psychischen Befund nachgereicht und beschrieben, dass sich die Klägerin in bedrückter Grundstimmung befand, reizbar, ängstlich, affektiv und labil wirkte, ohne hierbei die Phänomene einer schweren depressiven Erkrankung aufzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf (Weiter-)Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung (Arbeitsmarktrente) für die Zeit vom 01. März 2007 bis 28. Februar 2011, nicht aber für einen längeren Zeitraum bzw bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302b Abs 1 SGB VI).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Die Klägerin hat nach dem von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlauf vom 07. Oktober 2009 - worüber zwischen den Beteiligten auch kein Streit steht - nicht nur die allgemeine Wartezeit, sondern auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt (§ 43 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Darüber hinaus ist die Klägerin auch über den 28. Februar 2007 hinaus (teilweise) erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI.

Nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin über den 28. Februar 2007 hinaus nur noch in der Lage ist, selbst leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten. Bei der Klägerin besteht eine lumbale Bandscheibenkrankheit mit einem Postnukleotomiesyndrom nach vier Lendenwirbelsäulenoperationen (L4/5 im April 2001 links, L5/S1 im Oktober 2002 rechts, L4/5 und L5/S1 im August 2007 sowie Versteifungsoperation im Dezember 2008). In den letzten Jahren kam es zu einer Chronifizierung der Schmerzkrankheit mit dysfunktionalen Verhaltensweisen, speziell Katastrohieren, Schonungsverhalten und Rückzug. Auch liegt neben einer anhaltenden Lumboischialgie ein radikuläres Syndrom L5 und S1 vor. Weiterhin ist sie von einer chronischen depressiven Störung multifaktorieller Entstehung sowie von einem Fibromyalgiesyndrom betroffen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des im Berufungsverfahren beauftragten Sachverständigen Dr. W ... Im Vordergrund der gesundheitlichen Beschwerden steht jedoch eindeutig die von Dr. W. als komplexe körperliche Schmerzkrankheit mit psychischen und sozialen Folgen und von Prof. Dr. L. als anhaltende somatoforme Schmerzstörung beschriebene Erkrankung der Klägerin. Auf internistischem Fachgebiet leidet die Klägerin zusätzlich an einer chronisch obstruktiven Bronchitis Stadium II, an arterieller Hypertonie, an einem Zustand nach Ablation bei induzierbarer typischer AV-nodaler Reentry-Tachykardie und an einem geringen Mitralklappenprolaps mit begleitender Mitralinsuffizienz Grad I. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. W. und dem seinem Gutachten beigefügten Arztbrief der Ärztin F. vom 03. November 2009. Aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen ist die Klägerin nicht in der Lage, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten, Tätigkeiten mit Tag- und Nachtschicht, unter Nässe- und Kälteeinwirkung, in Zwangshaltung bzw in gleichbleibenden Körperpositionen (sei es ständiges Sitzen, Gehen oder Stehen) auszuüben. Zu vermeiden sind darüber hinaus Tätigkeiten unter Zeitdruck, Akkord- und Fließbandarbeit sowie Arbeiten mit häufigem Bücken oder häufigem Treppensteigen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aufgrund der von Dr. W. in seinem Gutachten genannten qualitativen Leistungseinschränkungen, die der Senat aufgrund der gesundheitlichen Erkrankungen der Klägerin für nachvollziehbar und schlüssig hält.

Aufgrund der Chronifizierung der Schmerzkrankheit und der psychischen Störung ist das Leistungsvermögen der Klägerin auf drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschränkt. Der Senat folgt der Leistungsbeurteilung des Dr. W ... Dieser hat seine Leistungsbeurteilung für den Senat schlüssig und nachvollziehbar begründet. Denn aus seinem Gutachten ergibt sich, dass die Ausdauer der Klägerin in körperlicher und psychischer Hinsicht insbesondere aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung mit Nervenwurzelläsionen, dem Fibromyalgiesyndrom und den psychischen Störungen, die mit Schlafstörungen einhergehen, verringert ist. Dr. W. hat im Hinblick auf den von den behandelnden Ärzten beschriebenen Verlauf der Erkrankung (so zB Dr. G. in seiner Stellungnahme vom 09. Juli 2007) nachvollziehbar dargelegt, dass es zu einer Chronifizierung der Schmerzkrankheit und der psychischen Störung gekommen ist. Zwar mag es aufgrund der zahlreichen Wirbelsäulenoperationen zu einer Verbesserung der Gesundheitssituation aus rein orthopädischer Sicht gekommen sein. Die Fokussierung allein auf den orthopädischen Bereich wird dem bei der Klägerin insgesamt bestehenden Krankheitsbild jedoch nicht hinreichend gerecht. Aus den Gutachten von Prof. Dr. L. und Dr. W. folgt vielmehr, dass eine wesentliche Besserung im Gesamtzustand der Klägerin nicht eingetreten ist. Dies ergibt sich für den Senat daraus, dass die Schmerzerkrankung bzw somatoforme Schmerzstörung weiterhin eindeutig im Vordergrund steht. Insbesondere diese Erkrankung limitiert jedoch das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin. Diesbezüglich hat auch Dr. W. die Auffassung vertreten, dass bei rein orthopädisch-morphologischer Betrachtung zwar eine höhere Belastungsfähigkeit gegeben wäre, dies jedoch nur dann, wenn man die übrige gestörte Befindlichkeit und die abnormen Verhaltensweisen nicht berücksichtigen würde. Der Senat geht mit Dr. W. davon aus, dass die Vielschichtigkeit der Beschwerden, die Multimorbidität der Erkrankung auf algologischem, neurologischem und psychiatrischem Gebiet zu der zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin führt. Soweit die Gutachter bei der Klägerin anlässlich der ambulanten Untersuchungen demonstrative Tendenzen bzw Aggravationsverhalten festgestellt haben, folgt der Senat der Ansicht des Prof. Dr. L., dass dieses Verhalten in Anbetracht der objektiv feststellbaren Gesundheitsstörungen und dem auch nach außen hin erkennbaren deutlichen Leidensdruck der Klägerin, die sich immerhin vier Mal an der Wirbelsäule hat operieren lassen, nicht stark ins Gewicht fallen. Aus diesem Grund folgt der Senat auch nicht der Leistungseinschätzung der Dr. E ...

Der Senat konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin in zeitlicher Hinsicht unter drei Stunden täglich gesunken ist. Der diesbezüglichen Leistungseinschätzung des Prof. Dr. L. ist mit dem SG entgegenzuhalten, dass die Klägerin nur wenige Tage zuvor an der Wirbelsäule operiert worden ist, so dass dies bei der Begutachtungssituation näher hätte berücksichtigt werden müssen. Vor diesem Hintergrund konnte sich der Senat auch nicht davon überzeugen, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, einen Arbeitsweg von 500 Metern zurückzulegen. Der Senat folgt in diesem Zusammenhang vielmehr der Einschätzung des Dr. W., wonach die Klägerin noch in der Lage ist, mehrfach täglich Gehwege bis etwa 1000 Meter am Stück zurückzulegen. Auch ist die Klägerin wieder in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Etwas anders ergibt sich auch nicht aus den Auskünften der behandelnden Ärzte. Zwar sind die Ärzte F. (Auskunft vom 28. November 2007), W. (Auskunft vom 26. November 2007), Dr. G. (Auskunft vom 15. Januar 2008), Dr. H. (Auskunft vom 18. Januar 2008) und Dr. H. (Auskunft vom 19. Februar 2008) davon ausgegangen, dass die Klägerin nur noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten unter drei Stunden zu verrichten. Diese zeitliche Leistungseinschränkung wird von den behandelnden Ärzten aber nicht näher begründet. Aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. W. ergibt sich jedoch, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen drei bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten.

Dabei geht der Senat davon aus, dass seit Januar 2003 durchgehend ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen besteht. Allerdings ist zwischenzeitlich insofern eine Änderung eingetreten, als die Klägerin mittlerweile wieder in der Lage ist, leichte Tätigkeiten unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen mehr als drei, aber weniger als sechs Stunden zu verrichten.

Da der Klägerin aufgrund des festgestellten eingeschränkten Leistungsvermögens nur noch der Teilzeitarbeitsmarkt zur Verfügung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur sog konkreten Betrachtungsweise die derzeitige Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen (vgl Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, SozR 3-2600 § 44 Nr 8), weshalb die teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung durchschlägt. Dieser Rechtsprechung des BSG ist auch nach der Neuregelung des § 43 SGB VI zum 1. Januar 2001 durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I, S 1827) zu folgen. Denn der Gesetzgeber hat nunmehr in § 43 Abs 3 Halbsatz 2 SGB VI ausdrücklich normiert, dass die konkrete Arbeitsmarktlage nur bei einer Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden nicht zu berücksichtigen ist (so auch Reinhardt in LPK-SGB VI, § 43 RdNr 11). Die sog Arbeitsmarktrente wird jedoch nur auf Zeit gewährt.

Die Klägerin hat allerdings keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer. Nach § 102 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der seit 01. Januar 2001 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (Satz 2). Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (Satz 3). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (Satz 4). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (Satz 5). Seit dem 01. Januar 2001 werden in bewusster und gewollter Abkehr vom alten Recht Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit regelmäßig nur noch auf Zeit geleistet. Die in § 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI formulierte Ausnahme vom Regelfall der Gewährung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur auf Zeit liegt bei der Klägerin nicht vor. Denn es ist nicht "unwahrscheinlich", dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei ihr behoben werden kann. "Unwahrscheinlich" im Sinne des § 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann jedoch erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Diese schließen alle Therapiemöglichkeiten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB V]) ein. Zwar hat Dr. W. in seinem Gutachten angegeben, dass eine grundlegende Besserung innerhalb von wenigen Jahren nicht hinreichend sicher zu erwarten ist. Allerdings hat er ausgeführt, dass eine graduelle Linderung von Beschwerden und Einschränkungen nach Abschluss des Rentenverfahrens durch eine systematische multidisziplinäre Betreuung, dh allgemeinärztliche, schmerztherapeutische und psychiatrische bzw. psychotherapeutische Mitbehandlung erreicht werden kann. Zwar hat Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21. April 2010 angegeben, dass die durchgeführte medikamentöse Behandlung keine befriedigende Befundbesserung ergeben habe. Er hat jedoch zugleich ausgeführt, dass die Klägerin bei Dr. G.-Y. in Behandlung ist. Das Ergebnis dieser Behandlung bleibt abzuwarten. Jedenfalls kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Therapiemöglichkeiten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse bislang erfolglos geblieben sind.

Nach § 102 Abs 2 Satz 2 SGB VI erfolgt die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (Satz 3). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (Satz 4). Da die Frist von drei Jahren (ab dem 01. März 2007) derzeit bereits abgelaufen wäre (28. Februar 2010), die Befristung jedoch verlängert werden kann, erachtet es der Senat für sachgerecht, die Befristung um ein Jahr zu verlängern und auf den 28. Februar 2011 zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei wurde das nur teilweise Obsiegen der Klägerin berücksichtigt.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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