L 3 U 269/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 98 U 52/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 269/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. August 2009 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses aus dem Juli 1987 als Arbeitsunfall.

Der 1963 geborene Kläger leistete vom 04. November 1986 bis zum 29. April 1988 seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Die Entlassung erfolgte im Dienstgrad des Gefreiten (Beförderung zum 01. November 1987). Dienststelle war das Wachregiment "F E" B.

Mit Schreiben vom 04. Oktober 2006 (bei der Beklagten eingegangen am 09. Oktober 2006) wandte sich der Kläger an die Beklagte und begehrte die Anerkennung einer Dienstbeschädigung. Er sei im Mai 1987 aufgrund guter sportlicher Leistungen in das ASV (Armeesportvereinigung) Sportregiment nach L zur Vorbereitung des Turn- und Sportfestes abkommandiert worden. Dort hätten sie bis zum 01. August 1987 täglich Sport gemacht. Seine primäre Aufgabe habe er am Sprungtuch erfüllt. Mit einem Sprungbrett in die Luft geschleuderte Springer hätten mit einem Sprungtuch aufgefangen werden müssen. In der Regel sei jedes Sprungtuch von sechs Fängern gehalten worden, oftmals allerdings nur von vier. Idealerweise seien die Springer so aufgekommen, dass sie ihre Bewegungsenergie gleichmäßig auf dem Tuch verteilten. Dies sei jedoch fast nie der Fall gewesen, da alle Springer sportliche Laien gewesen seien. Daher sei häufig die gesamte Bewegungsenergie nur von zwei Fängern aufgenommen worden. Dies sei Rücken belastend gewesen. Damals – mit 24 Jahren – habe er nie Rückenbeschwerden gehabt. Im Verlaufe des Einsatzes seien im Juni 1987 bei ihm jedoch so starke Rückenschmerzen aufgetreten, dass er die medizinische Versorgung des Regiments in Anspruch genommen habe, wo ihm Reizstrom und eine Salbe verschrieben worden seien. Dies habe zwar anfangs die Schmerzen gelindert, unter der andauernden Belastung hätten sich die Beschwerden aber wieder verschlimmert. Vermutlich habe er sich einen Bandscheibenvorfall zugezogen. Eine Versetzung in die so genannte "Rasen-Kompanie" habe er letztlich abgelehnt und bis zum Sportfest durchgehalten. Bei Rückkehr in sein B Regiment im August 1987 habe er seinen Dienst als Wachsoldat nur noch bedingt erfüllen können. Er sei weitestgehend vom Wachdienst freigestellt worden, habe Reizstrom und Massagen erhalten und fast jeden Tag zum Schwimmen gehen dürfen. Im Dezember 1987 seien im damaligen NVA-Krankenhaus in B S Röntgenaufnahmen angefertigt worden. Am 26. Januar 1988 sei schließlich eine Dienstbeschädigung anerkannt und auch in den Sozialversicherungsausweis (SVA) eingetragen worden. Er legte hierzu eine auszugsweise Kopie des SVA mit dem Eintrag "Dienstbeschädigung für Diagnose Nr. 847.2 (E 927) vom Kommandeur der Dienststelle am 26.01.88 anerkannt. MR Dr. med. E. Neumann", eine auszugsweise Kopie seines Wehrdienstausweises sowie eine Kopie einer Behandlungskarte des Krankenhauses der Volkspolizei vor.

Auf Anfrage der Beklagten übersandte das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr am 08. Januar 2007 eine Kopie der "Dienstbeschädigungsliste bei Unfall/GT" für den Kläger mit der Entscheidung des Kommandeurs Oberst O vom 26. Januar 1988.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 2007 die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Unfalls aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Für den Unfall seien nach dem Recht der ehemaligen DDR nur Leistungen aufgrund von § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 in Betracht gekommen. Mit der Rechtsangleichung seien auch diese Fälle grundsätzlich als Arbeitsunfälle in das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen und entschädigt worden (§ 1150 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung – RVO -). Der Gesetzgeber habe jedoch in § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO eine Ausnahme für diejenigen Unfälle vorgesehen, die nur nach dem Recht der ehemaligen DDR, nicht aber nach dem 3. Buch der RVO zu entschädigen und die einem ab dem 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien. Der hier in Frage stehende Unfall habe sich beim Training zur Vorbereitung auf ein Sportfest ereignet und sei daher dem eigenwirtschaftlichen und somit unversicherten Bereich zuzuordnen, für den nach dem 3. Buch der RVO in den alten Bundesländern kein Unfallversicherungsschutz bestanden habe. Der Unfall sei darüber hinaus erst nach dem 31. Dezember 1993 einem für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger bekannt geworden. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, er habe nur die von den Vorgesetzten vorgegebenen Befehle befolgt, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04. Juli 2007 zurückgewiesen. Mit seiner vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat unter Vorlage eines Attestes des Orthopäden Dr. H vom 23. August 2007 darauf hingewiesen, dass er seit der Wehrdienstzeit unter Schmerzen in der Lendenwirbelsäule leide und am 11. September 2006 ein Bandscheibenvorfall bei L5/S1 festgestellt worden sei. Aufgabe des Sportregiments, zu dem er abkommandiert worden sei, sei die Zurschaustellung artistischer Darbietungen und die Beteiligung am Turn- und Sportfest der DDR gewesen. Die von dem Sportregiment dargebotenen sportlichen Leistungen sollten zu propagandistischen Zwecken gezeigt werden. Seine körperlichen Beschwerden ließen sich auch konkret auf einen Tag zurückführen, an dem es aufgrund von Ausfällen von vier Fängern am Sprungtuch sowie des Abweichens eines der Springer von der idealen Sprungbahn zu einer starken Belastung der tatsächlich anwesenden Fänger gekommen sei. Im Laufe des Trainings hätten sich die Kraftreserven bei den Fängern erschöpft, so dass notwendige Verschiebungen des Sprungtuchs nur noch widerwillig von denjenigen Fängern vorgenommen worden seien, welche von dem berechneten Landungspunkt am wenigsten belastet worden seien. Während des Trainings an jenem Tag mit besagtem Springer habe sich der gefühlte Zustand in seinem – des Klägers – Rücken verändert. Es zu kurzzeitigen stechenden Schmerzen mit damit verbundenem Taubheitsgefühl im Rücken gekommen. Er habe das Training beenden wollen, sei jedoch vom Vorgesetzten darauf hingewiesen worden, dass dies zu einem Abbruch des Trainings führen wurde. Von jenem Tag an seien die Schmerzen nicht mehr zurückgegangen. Nach diesem Vorfall habe er den Regimentsarzt aufgesucht. Diese Sachverhaltsdarstellung werde gestützt durch die vorgelegte Dienstbeschädigungsliste bei Unfall. Darin werde eindeutig von einem Unfall und nicht von einer Erkrankung gesprochen. Das Wort Erkrankung sei durchgestrichen worden. Auch in der Entscheidung des Kommandeurs werde der Sachverhalt als Unfall benannt.

Das SG hat durch Urteil vom 12. August 2009 festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis aus dem Juli 1987 um einen Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handele. Die Verletzung des Klägers während seiner Tätigkeit bei der ASV stelle einen Versicherungsfall i. S. d. gesetzlichen Unfallversicherung dar. Dies ergebe sich aus der Anerkennung als Unfall in Ausübung gesellschaftlicher Tätigkeit durch Bescheid vom 19. bzw. 26. Januar 1988. Nach Art. 19 Satz 1 und 3 des Einigungsvertrages (EV) blieben vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam. Zwar finde § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO auch auf solche Unfälle Anwendung, welche bereits in der DDR als Arbeitsunfall anerkannt worden seien. Gemäß § 215 Abs. 1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gelte § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO jedoch nicht für Versicherungsfälle aus dem Wehrdienst ehemaliger Wehdienstpflichtiger der NVA der DDR. Diese Vorschrift sei rückwirkend zum 01. Januar 1994 in Kraft getreten. Bei dem Unfall des Klägers handele es sich auch um einen Versicherungsfall "aus dem Wehrdienst" i. S. d. genannten Vorschrift. Der Kläger habe vorgetragen, dass er zur ASV abkommandiert worden sei, was sich auch aus dem Bescheid vom 18. bzw. 26. Januar 1988 ergebe. Er habe keine Wahl gehabt, ob er die Aufgaben bei der ASV habe ausüben wollen oder nicht, sondern habe dies kraft seiner Befehlsgebundenheit als Wehdienstpflichtiger tun müssen. Die Tätigkeit bei der ASV sei so unmittelbarer Bestandteil seines Wehrdienstes gewesen, er habe anschließend lückenlos den Wehrdienst beim Wachregiment "F E" fortgeführt. § 215 Abs. 1 Satz 2 SGB VII lasse keinen Raum für eine erneute Prüfung der Voraussetzungen des Versicherungsfalls. Für eine weite Auslegung spreche insbesondere die Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 113/09 S. 118), wonach die gesetzliche Klarstellung des § 215 SGB VII der Einbeziehung der ehemaligen Wehrpflichtigen in den Versicherungsschutz diene und ausschließlich begünstigende Wirkung für die Betroffenen habe.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, das SG habe zu Unrecht einen Versicherungsfall i. S. d. gesetzlichen Unfallversicherung festgestellt. Das SG habe zum einen versäumt, die näheren Angaben des Klägers zu überprüfen, insbesondere hinsichtlich der Angabe, er sei zur ASV abkommandiert worden und habe keine Wahl hinsichtlich der Teilnahme gehabt. Fest stehe lediglich, dass der Kläger für einen Verein tätig geworden und somit Vereinssport betreiben habe. Zum anderen habe das SG versäumt, Feststellungen zur Erfüllung der Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall zu treffen. Nach den ursprünglichen Angaben sei maßgeblich für die Verletzung jedoch nicht ein bestimmtes Ereignis, sondern das gesamte Training gewesen. Soweit der Kläger inzwischen seine Tätigkeit an einem bestimmten, allerdings nicht näher bezeichneten Tag als Ursache seiner Beschwerden darstelle, stehe dies im Gegensatz zur Aktenlage, insbesondere den klägerischen Angaben in seiner Antragsschrift sowie den Angaben in der Dienstbeschädigungsliste. Letztlich komme eine Anerkennung auch aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht, denn Zweck der Regelung des § 215 Abs. 1 Satz 2 neuer Fassung (n. F.) sei ausschließlich, die Versorgungslücke der Wehrpflichtigen zu schließen, die aufgrund der Anwendung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 RVO durch die Rechtsprechung entstanden, jedoch nicht vom den Gesetzgeber beabsichtigt gewesen sei. Zielsetzung der Gesetzesänderung sei es nicht gewesen, Unfälle, die nur nach dem Recht der ehemaligen DDR in der Unfallversicherung versichert gewesen seien, über den 31. Dezember 1993 hinaus zu versichern. Versicherte Tätigkeit sei nur die Ausübung der Wehrpflicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. August 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er weist unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vortrags darauf hin, dass die drei Monate Abkommandierung zur ASV in seine Grundwehdienstzeit von 18 Monaten eingebettet gewesen seien. Folge man der Argumentation der Beklagten, hieße dies, dass seine Grundwehrdienstzeit unterbrochen worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, was sich aus seinem Wehrdienstausweis ergebe. Er sei darüber hinaus während der Wehrdienstzeit zum Gefreiten befördert worden, was nur nach einjähriger ununterbrochener Wehrdienstzeit möglich gewesen sei. Er hat seinen Wehrdienstausweis sowie seinen Sozialversicherungsausweis im Original zur Einsichtnahme durch den Senat vorgelegt.

Der Senat hat versucht, medizinische Unterlagen zu den geltend gemachten Beschwerden und Behandlungen beizuziehen und Anfragen an des Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr, das Bundesarchiv, den Landkreis P-M, die Wehrbereichsverwaltung O sowie das Bundeswehrkrankenhaus B gerichtet. Die Wehrbereichsverwaltung O hat unter dem 17. Februar 2010 eine Kopie der Wehrstammkarte des Klägers übersandt. Weitere – neue – Unterlagen haben nicht ermittelt werden können.

Mit Schriftsätzen vom 19. April 2010 und 21. April 2010 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter nach § 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Ereignisses vom Juli 1987 als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Streitig ist lediglich, ob ein nicht näher datiertes Ereignis aus dem Zeitraum Mai bis Juli 1987 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Über das Vorliegen einer BK hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 30. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Juli 2007 nicht entschieden.

Rechtsgrundlage sind die Vorschriften der RVO. Dies ergibt sich aus § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung (a. F.). Diese Vorschrift ist gem. §§ 212, 215 Abs. 1 SGB VII für die Übernahme solcher (Arbeits-)Unfälle weiter anzuwenden, die vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind. findet Dies gilt auf für Unfälle, die bereits in der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle anerkannt waren, so dass hierdurch bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Rechtsnorm eine Überprüfung daraufhin, ob sie nach den Vorschriften des Dritten Buches der RVO als Arbeitsunfälle zu entschädigen wären, nicht ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Juni 2001 – B 2 U 31/00 R -, in HVBG-INFO 2001, 2237-2246).

Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen) der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und BKen im Sinne des Dritten Buches der RVO. Gem. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO gilt dies jedoch nicht für Unfälle, die - wie hier - einem ab 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 – hier erst im Jahr 2006 - bekannt geworden sind und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, weil die versäumte Frist bereits mehr als ein Jahr abgelaufen war, als der Kläger die Anerkennung erst im Oktober 2006 beantragte (§ 27 Abs. 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X]). Dass ihm die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war, ist nicht erkennbar (vgl. BSG, Urteil vom 10. Oktober 2002, - B 2 U 10/02 R -, in HVGB-INFO 2002, 3454 ff.).

Das durch Entscheidung des Oberst O vom 26. Januar 1988 als Dienstbeschädigung i. S. d. Vorschriften der DDR anerkannte Ereignis wäre auch nicht als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen gewesen. Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (st. Rspr. zu §§ 548, 550 RVO: BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56 und § 550 Nr. 35).

Dem steht entgegen der Ansicht SG auch nicht der mit Rückwirkung zum 01. Januar 1994 in Kraft gesetzte § 215 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (vgl. Art. 1 Nr. 33 Buchstabe a; Art. 13 Abs. 2 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung - Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz (UVMG) vom 30. Oktober 2008, BGBl I S. 2130; dazu auch BT-Drucks. 16/9154 S. 37) entgegen.

Nach dieser Vorschrift gilt § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht für Versicherungsfälle aus dem Wehrdienst ehemaliger Wehrdienstpflichtiger der NVA der DDR. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung die Versorgungslücke schließen wollen, die dadurch entstanden ist, dass der Personenkreis der NVA-Wehrpflichtigen weder Ansprüche nach dem Soldatenversorgungsgesetz noch nach dem Bundesversorgungsgesetz hat. Als Wehrdienstleistender wäre der Kläger nämlich nach dem Recht des Dritten Buches der RVO nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen, weil ihm bei einer Wehrdienstbeschädigung nach Maßgabe der §§ 80 ff. des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gewährt worden wäre und für ihn daher nach § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO Versicherungsfreiheit bestanden hätte (vgl. BSG, Urteile vom 25. Oktober 1989 - 2 RU 40/86 - , in SGb 1990, 465, vom 24. Februar 2000 - B 2 U 8/99 R -, in SozR 3-2200 § 1150 Nr. 3, vom 16. April 2002 - B 9 V 7/01 R - und vom 10. Oktober 2002 - B 2 U 10/02 R -, in HVGB-INFO 2002, 3454ff.). Leistungen nach dem SVG i. V. m. dem BVG könnten ehemalige Wehrdienstleistende der NVA jedoch auch nicht beanspruchen.

Diese NVA-Wehrpflichtigen sollen nun grundsätzlich bei Folgen von Wehrdienstunfällen oder von wehrdienstbedingten BKen Ansprüche in der gesetzlichen Unfallversicherung geltend machen können, denen nach dem bis zum Inkrafttreten des UVMG geltenden Recht § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO entgegenstand (vgl. BT-Drucks 16/9154 S. 37) Dadurch ist für frühere wehrpflichtige Soldaten der NVA klargestellt worden, dass sie auch nach dem Bundesrecht des Dritten Buches der Reichsversicherungsordnung, die bis Ende 1996 galt, grundsätzlich unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, wenn sie infolge des Dienstes Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten erlitten haben, die vor dem 01. Januar 1992 eingetreten sind und nach dem im Beitrittsgebiet (bis dahin weiter) geltenden Recht Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren (vgl. Urteil des BSG vom 17. Februar 2009 – B 2 U 35/07 R -, in SozR 4-2700 § 215 Nr. 2).

Anhand der Gesetzesbegründung ist § 215 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dahingehend auszulegen, dass ausschließlich der Personenkreis erweitert werden soll, der grundsätzlich Ansprüche aus der RVO geltend machen kann. § 215 Abs. 2 Satz 2 SGB VII erweitert nur den Kreis der versicherten Personen, nicht jedoch den der versicherten Tätigkeit, worauf die Beklagte zutreffend hinweist. Nach wie vor ist daher eine Prüfung erforderlich, ob es infolge einer versicherten Tätigkeit zu einem Arbeitsunfall oder einer Erkrankung gekommen ist. Anderenfalls stünden ehemalige Wehrdienstleistende nunmehr deutlich besser als andere versicherte Personen, die vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet einen Unfall, der einem zuständigen Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden ist, erlitten haben. Während bei diesen Personen auch bei Vorliegen positiver Verwaltungsentscheidungen seitens der DDR-Behörden nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO i. V. m. § 215 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zu prüfen ist, ob es sich um einen Versicherungsfall i. S. d. RVO – hier einen Arbeitsunfall – handelt, entfiele dies – folgte man der Auslegung des SG – bei ehemaligen Wehrdienstpflichtigen. Dies wäre systemfremd und würde zu nicht erklärbaren Wertungswidersprüchen führen.

Ein Arbeitsunfall i. S. d. Vorschriften der RVO liegt hier jedoch aus mehreren Gründen nicht vor. Für einen Arbeitsunfall ist in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Alle rechtserheblichen Tatsachen müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben. Der ursächliche Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist dagegen nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen, so dass hierfür grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl. hierzu Urteile des BSG in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N., SozR 2200 § 551 Nr. 1 und SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSG in Breithaupt 1963, 60, 61). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder. Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestands nach §§ 539 ff RVO, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale.

Versicherte Tätigkeit war hier die Ausübung des Wehrdienstes. Der Schutz des Friedens sowie des sozialistischen Vaterlandes und seiner Errungenschaft war verfassungsgemäßes Recht und Ehrenpflicht der Bürger der DDR (vgl. die Präambel zum Wehrdienstgesetz der DDR vom 25. März 1982, GBl. I Nr. 12 S. 221 ff). Durch den Wehrdienst sicherte die DDR ihren Bürger die Wahrnehmung ihres Rechtes und die Erfüllung ihrer Ehrenpflicht, den Frieden und das sozialistische Vaterland und seine Errungenschaften zu schützen (§ 1 Abs. 1 des Wehrdienstgesetzes). Der Wehrdienst war so zu gestalten, dass die Landesverteidigung jederzeit gewährleistet war (§ 1 Abs. 4 des Wehrdienstgesetzes). Die Angehörigen der NVA hatten im Rahmen des aktiven Wehrdienstes, der den Grundwehrdienst umfasste (§ 18 Abs. 1 Buchst. a des Wehrdienstgesetzes), die sozialistische Gesellschaftsordnung und das friedliche Leben der Bürger zu schützen(§ 22 Abs. 1 Satz 1 des Wehrdienstgesetzes).

Der Kläger hat jedoch keinen "Unfall" im sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung seines Wehrdienstes erlitten, denn die Vorbereitung eines Turn- und Sportfestes mit dem Ziel der spätere Beteiligung an dieser Veranstaltung steht in keinem inneren Zusammenhang mit der Landesverteidigung bzw. dem Schutz der Bürger. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger angibt, er habe den Befehl erhalten, an der Vorbereitung bzw. der Veranstaltung mitzuwirken. Die versicherte Tätigkeit ergibt sich nicht zwangsläufig aus der Befehlslage. Auch die näheren Umstände der Anerkennung eines "Unfalls" in der DDR sprechen gegen einen "Unfall" in Ausübung des Wehrdienstes. Zwar fand eine Eintragung in die Dienstbeschädigungsliste statt, jedoch ist ausdrücklich in der Kopfzeile "GT" (für: gesellschaftliche Tätigkeit) eingefügt worden. Darüber hinaus lautete die Entscheidung des Kommandeurs vom 26. Januar 1988: "Der Unfall wird als Unfall in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeit anerkannt." Damit ist ausdrücklich keine Anerkennung als "normale" Dienstbeschädigung durch Ausübung des Dienstes gemäß § 5 Abs. 1 der Wehrpflichtbesoldungsverordnung vom 24. Januar 1962 (GBl. 1962 Nr. 7 S. 40 ff) bzw. § 220 Abs. 4 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB-DDR) vom 16. Juni 1977 (GBl. 1977 S. 185 ff) erfolgt. Die Entscheidung stützte sich vielmehr auf die Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten (VersSchutzErwVO) vom 11. April 1973 (GBl. Nr. 22 S. 199 ff). Solche Unfälle waren nach § 220 Abs. 3 AGB-DDR Arbeitsunfällen gleichgestellt. Eine entsprechende Regelung ist der RVO fremd. Der Kläger war als Wehrdienstleistender automatisch Mitglied der Armeesportvereinigung (vgl. hierzu Herbst/Ranke/Winkler, "So funktionierte die DDR" Band 1, Rowohlt Verlag 1994). Er ist daher als Vereinsmitglied und nicht als Wehrdienstleistender tätig geworden. Als Vereinsmitglied wäre der Kläger nach §§ 539 ff RVO jedoch nicht versichert gewesen. Insbesondere greift nicht der Versicherungstatbestand des § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO, denn der Kläger unterlag keiner vertraglichen Verpflichtung.

Darüber hinaus handelte es sich bei dem Ereignis auch nicht um einen Unfall, denn nach den Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren sowie den Eintragungen in der Dienstbeschädigungsliste hat der Kläger sich vielmehr infolge von Überanstrengung und anstrengenden Körperbewegungen im Zeitraum vom 11. mai bis zum 03. August 1987 eine Zerrung der Rückenmuskulatur zugezogen. Bei diesem Sachverhalt handelt es sich weder nach der RVO noch nach dem AGB-DDR um einen Unfall, da ein Unfall ein zeitlich begrenztes Ereignis darstellt, das in dem Zeitraum bis zur Dauer einer Arbeitsschicht eintreten muss (vgl. z. B. BSG SozR Nr. 46 zu § 542 RVO a. F., BSG SozR Nr. 3 zu § 1739 RVO; zur Rechtslage in der DDR: Lehrbuch Arbeitsrecht der DDR, Staatsverlag 1986, Anm. 6.4.1 S. 297). Soweit der Kläger im Gerichtsverfahren ein singuläres undatiertes Ereignis behauptet, steht dies im Widerspruch sowohl zu seinen eigenen früheren Angaben als auch zu den o. g. Eintragungen. Auch der Umstand, dass in der Begründung der Entscheidung des Kommandeurs von einem "als Unfall einzustufenden Sachverhalt" gesprochen wird, macht deutlich, dass ein Unfall i. S. der unfallversicherungsrechtlichen Vorschriften nicht vorlag, sondern seitens des Kommandeurs im Rahmen einer Art Ermessen/Kulanz agiert wurde.

Letztlich dürfte auch fraglich sein, welcher Körperschaden wesentlich durch eine Einwirkung während der Vorbereitung zum Turn- und Sportfest verursacht worden sein soll, denn medizinische Unterlagen ließen sich nicht mehr ermitteln. Die Tatsache, dass bei dem Kläger im Jahr 2006 ein Bandscheibenvorfall festgestellt worden sein soll, lässt keinen Rückschluss auf die Ursächlichkeit eines nicht näher bekannten Ereignisses aus dem Jahr 1987 zu.

Nach alldem war der Berufung der Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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