S 6 U 109/10 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 109/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin werden abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Der Streitwert wird auf 17.448,92 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit von Beitragsbescheiden der Antragsgegnerin.

Bei der Antragstellerin handelt es sich um ein in E. ansässiges Unternehmen, das laut eigenem Briefkopf im Bereich Industriedemontage, Entkernung und Schadstoffsanierung tätig ist.

Unter dem 11.02.2009 meldete der Steuerberater der Antragstellerin der Antragsgegnerin für das Kalenderjahr 2008 u.a. erstmalig Arbeitsentgelt für "Garten- und Landschaftsarbeiten" in Höhe von insgesamt 144.990,94 Euro. Daraufhin bat die Antragsgegnerin unter dem 26.03.2009 um ergänzende Angaben, weil von der Antragstellerin bislang keine Garten- und Landschaftsarbeiten gemeldet worden waren und erinnerte unter dem 06.05.2009 hieran. Eine Konkretisierung seitens der Antragstellerin erfolgte nicht. Am 24.04.2009 erließ die Antragsgegnerin den Beitragsbescheid für das Kalenderjahr 2008 sowie einen Beitragsvorschussbescheid für das Kalenderjahr 2009 und ordnete in beiden Bescheiden die für Garten- und Landschaftsarbeiten gemeldeten Arbeitsentgelte der Tarifstelle 500 ihres Gefahrtarifs zu. Diese Bescheide wurden bestandskräftig. Nachdem die Antragstellerin bis zum 26.03.2010 für das Kalenderjahr 2009 keine Lohnnachweise eingereicht hatte, erließ die Antragsgegnerin unter dem 26.03.2010 einen Bußgeldbescheid. Daraufhin meldete die Antragstellerin unter dem 30.03.2010 über ihren Steuerberater der Antragsgegnerin für die Tarifstelle 500 Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 511.145,- Euro (davon, so der Steuerberater per Telefax am 01.04.2010, für den gewerblichen Teil insgesamt 340.763,29 Euro sowie für "Garten- und Landschaftsarbeiten" insgesamt 170.381,60 Euro) und für die Tarifstelle 900 Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 198.912,- Euro. Die Antragsgegnerin bat unter dem 14.04.2010 um nähere Erläuterung für diesen Bereich, was jedoch seitens der Antragstellerin nicht erfolgte.

Daraufhin erließ die Antragsgegnerin unter dem 23.04.2010 den Beitragsbescheid für 2009 (Gesamtbeitrag: 84.599,46 Euro) sowie einen Beitragsvorschussbescheid für 2010 (Gesamtvorschuss: 66.980,52 Euro). Die Antragstellerin legte am 03.05.2010 Widersprüche ein und führte aus, entgegen den Lohnnachweisen des Steuerberaters sei folgende Aufteilung der Arbeitsentgelte vorzunehmen: Gebäude- und Straßenreinigung (Zuordnung zur Tarifstelle 400) in Höhe von insgesamt 340.763,29 Euro, Abbruch, Entsorgung (Zuordnung zur Tarifstelle 500) in Höhe von insgesamt 170.381,60 sowie Büroteil des Unternehmens (Zuordnung zur Tarifstelle 900) in Höhe von insgesamt 198.912,00 Euro. Gleichzeitig beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsbescheide, was die Antragsgegnerin am 10.05.2010 ablehnte.

Unter dem 20.05.2010 hat sich die Antragstellerin an das Gericht gewandt und Eilrechtsschutz begehrt.

Sie führt aus, zum weit überwiegenden Teil bestünden ihre Arbeiten im Leerräumen von Gebäuden, so dass die Einstufung in die Tarifstelle 500 des Gefahrtarifs der Antragsgegnerin unzutreffend sei. Hierzu verweist sie auf eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers sowie auf ein Konvolut von Unterlagen, das sie am 17.06.2010 bei der Antragsgegnerin eingereicht hat ...

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 23.04.2010 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest und führt ergänzend aus, auch eine von ihr am 11.06.2010 bei der Antragstellerin durchgeführte Betriebsprüfung bestätige die Richtigkeit ihrer Entscheidungen. Ferner rechtfertigten auch die am 17.06.2010 eingereichten Unterlagen keine andere Bewertung des Sachverhalts.

Das Gericht hat den Gefahrtarif der Antragsgegnerin beigezogen sowie die am 17.06.2010 bei der Antragsgegnerin eingereichten Unterlagen ausgewertet.

Hinsichtlich der weiteren wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen hat.

II.

Die Anträge sind nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil die Widersprüche der Antragstellerin gegen die Beitragsbescheide der Antragsgegnerin keine aufschiebende Wirkung haben, § 86a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Die Anträge sind zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Da der vom Gesetz vorgesehene Regelfall in diesen Konstellationen die sofortige Vollziehbarkeit der behördlichen Entscheidung ist, bedarf es gewichtiger Gründe, um durch gerichtliche Anordnung die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Maßstab hierfür sind die Kriterien des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG (vgl. nur LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.09.2006, L 5 (3) B 10/06 R ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rdnr. 12b).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs waren die Anträge abzulehnen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG nicht vorliegen. Denn weder bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte (dazu unter 1.), noch ist ersichtlich, dass die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (dazu unter 2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung bestehen dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist, als der Misserfolg (vgl. nur Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 86b Rdnr. 46 m.w.N.). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall.

Rechtsgrundlage für die Beitragsbescheide der Antragsgegnerin ist § 168 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Die Beitragsbescheide erweisen sich auch in der Sache als rechtmäßig, insbesondere ist die Zuordnung von Bruttoarbeitsentgelten in Höhe von insgesamt 511.145,- Euro zur Tarifstelle 500 des Gefahrtarifs der Antragsgegnerin nach bisherigem Sach- und Streitstand nicht zu beanstanden. Soweit die Antragstellerin ausführt, die Veranlagung zur Tarifstelle 500 sei unzutreffend, die Bruttoarbeitsentgelte seien vielmehr der Tarifstelle 400 (Gebäude- und Straßenreinigung) zuzuordnen, so vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin weder im bisherigen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, noch im gerichtlichen Eilverfahren aussagekräftige Unterlagen vorzulegen vermocht hat, welche ihre Darstellung stützen könnten (obwohl die Antragsgegnerin dies verschiedentlich angemahnt hatte), so sprechen die vorhandenen Unterlagen und auch die am 17.06.2010 bei der Antragsgegnerin eingereichten Unterlagen gegen eine Zuordnung zur Tarifstelle 400.

Den Einwand der Antragstellerin, die von ihrem eigenen Steuerberater vorgenommene Einstufung geleisteter Tätigkeiten als "Garten- und Landschaftsarbeiten" und die Zuordnung dieser Arbeiten zur Tarifstelle 500 sei unzutreffend, vermag die Kammer bereits deshalb nicht nachzuvollziehen, weil auch für das Beitragsjahr 2008 eine entsprechende Veranlagung erfolgt ist, ohne dass dies von der Antragstellerin beanstandet worden wäre. Auch hier hatte der Steuerberater der Antragstellerin unter dem 11.02.2009 mitgeteilt, Arbeitsentgelte in Höhe von insgesamt 144.990,94 Euro seien für "Garten- und Landschaftsarbeiten" gezahlt worden. Auch hat die Antragstellerin die Zuordnung dieser Arbeiten zur Tarifstelle 500 des Gefahrtarifs gebilligt, denn sie hat die auf dieser Zuordnung beruhenden Beitragsbescheide bestandskräftig werden lassen. Dass gegenüber dem Kalenderjahr 2008 betreffend den Gewerbezweig der von der Antragstellerin ausgeführten Arbeiten eine grundlegende Änderung eingetreten ist, ist indessen weder ersichtlich, noch vorgetragen.

Auch soweit die Antragstellerin ausführt, zum überwiegenden Teil bestünden die von ihr ausgeführten Arbeiten im Leerräumen von Gebäuden (und hierfür eine Veranlagung zur Tarifstelle 400 ("Gebäude- und Straßenreinigung") begehrt), so zweifelt das Gericht hieran. Denn der Hauptteil der von der Antragstellerin durchgeführten Arbeiten betrifft offenbar die Entkernung von Gebäuden, die Schadstoffsanierung sowie das Verbringen von Material bzw. von Schadstoffen, die im Zuge von Entkernung und/oder Sanierung angefallen sind, außerhalb der Gebäude bzw. Sanierungsobjekte. Diesen Eindruck bestätigen sämtliche im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren eingereichten Unterlagen. So beziehen sich die für das Jahr 2009 gestellten Rechnungen fast durchgehend auf den Bereich "Entkernung" (Bl. 175 ff. der Verwaltungsakte). Überdies sind die bislang eingereichten Rechnungen aus 2010 für "Sanierungs- bzw. Stemmarbeiten" gestellt worden (Bl. 229 ff. der Verwaltungsakte). Hinzu kommt, dass der ebenfalls eingereichte Nachunternehmervertrag zwischen der Antragstellerin und der S. A. GmbH & Co KG (Offenbach/Main) die von der Antragstellerin auszuführenden Leistungen als "Komplettentkernung", "Abbruch", "Demontage" bzw. "Verpacken und Ausschleusen von Schadstoffen" ausweist. Der Kammer erschließt sich keinesfalls, wie die Antragstellerin angesichts dieser Unterlagen zur Überzeugung gelangt, der Hauptteil der von ihr verrichteten Arbeiten bestehe praktisch im Leerräumen von Gebäuden. Soweit das Verbringen von Material, das (auch) im Zuge von Entkernungs- bzw. Sanierungsarbeiten angefallen ist, zu den Arbeiten gehört, handelt es sich um eine "Enttrümmerung", die der Tarifstelle 500 zuzuordnen ist (vgl. Anhang zu Teil II, Nummer 7 des Gefahrtarifs der Antragsgegnerin). Bereits aus dem Wortsinn ergibt sich, dass es sich hierbei nicht, wie die Antragstellerin meint, um "Gebäudereinigung" handelt.

Dieser Einschätzung steht auch die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Antragstellerin vom 07.06.2010 nicht entgegen. Denn der Geschäftsführer ist erst zum 01.04.2010 bestellt worden, so dass die Angaben zu den Arbeitsentgelten nicht Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung bzw. Erfahrung sind, sondern - wie er selbst eingeräumt hat - sich ausschließlich auf die Angaben der Lohnbuchhaltung der Antragstellerin gründen. Wenn aber der Lohnbuchhaltung aussagekräftige Angaben vorliegen sollten, die zweifelsfrei erkennen lassen, dass sich die Tätigkeit der Antragstellerin größtenteils auf das Leerräumen von Gebäuden bezieht, ist umso weniger verständlich, dass diese Unterlagen bislang weder im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, noch im gerichtlichen Eilverfahren vorgelegt worden sind.

Nichts anderes folgt aus den bei der Antragsgegnerin am 17.06.2010 eingereichten Unterlagen. Die gestellten Rechnungen beziehen sich durchweg auf die Bereiche "Entkernung", "Demontage" und "Schadstoffsanierung". Wie die Antragsgegnerin angesichts dieser Unterlagen zu der Schlussfolgerung gelangt, es handele sich um Tätigkeiten, die der Tarifstelle 400 zuzuordnen seien, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar.

Schliesslich sind auch die einzelnen Beitragsberechnungen der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Insbesondere hat sie § 167 SGB VII i.V.m. den Vorschriften ihrer Satzung beachtet.

2. Es ist weiter nicht ersichtlich, dass die Vollziehung der Beitragsbescheide für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeutet. Das Gesetz meint hiermit eine besondere Härte, die über die "allgemeine", mit jeder Beitragsforderung verbundene Härte hinausgeht - anderenfalls hätte § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine Bedeutung, weil die sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen über Beitragspflichten postwendend wieder in Frage gestellt würde. Eine solche besondere Härte ist in Bezug auf die Antragstellerin weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat sich für die Ermittlung der Bedeutung der Sache an der Differenz zwischen der Gesamtbeitragsforderung der Antragsgegnerin in Höhe von 151.579,98 Euro (Gesamtbeitrag 2009: 84.599,46 Euro + Beitragsvorschuss 2010: 66.980,52 Euro) und der Forderung nach der Berechnung der Antragstellerin in Höhe von insgesamt 81.784,30 Euro (Bl. 278 f. der Verwaltungsakte, Gesamtbeitrag 2009: 50.001,72 Euro + Beitragsvorschuss 2010: 31.782,58 Euro) orientiert (= 69.795,68 Euro) und hiervon in Anbetracht des Eilverfahrens 25% in Ansatz gebracht (zu Letzterem etwa - für die Beitragserhebung im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung - LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.07.2009, L 8 B 5/09 R ER, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Rechtskraft
Aus
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