L 7 VU 20/04

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 VU 3/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VU 20/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
DDR-Haftzeiten mit Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob dem Kläger Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) zusteht.

Der am ... 1945 geborene Kläger erlernte nach Beendigung der Schulausbildung (1962) zunächst den Beruf eines Maschinisten und war ab dem 1. September 1965 bis 1972 bei der Hochschule für Verkehrswesen in D. als Student eingeschrieben (Abschluss als Ingenieur für Luftverkehr). Danach arbeitete er in verschiedenen Berufen, zuletzt seit September 1977 in einem Hospiz als Empfangssekretär bzw. ab 1. Juli 1981 als Lagerarbeiter. Ab dem 1. September 1982 war der Kläger (wegen Schizophrenie) Invalidenrentner.

Vom 12. April bis zum 2. August 1966, 4. Januar bis 2. Juli 1971 und vom 13. Dezember 1975 bis zum 26. Januar 1976 befand sich der Kläger wegen einer psychotischen Erkrankung in stationärer psychiatrischer Krankenhausbehandlung. Ferner befand er sich im Zusammenhang mit dem Verdacht auf begangene Straftaten vom 20. Oktober 1979 bis zum 6. Juni 1980 (4. Dezember 1981), 9. Juli 1984 bis 7. August 1984 und 8. Juli 1985 bis 9. September 1985 in Untersuchungshaft bzw. zur Feststellung seiner Schuldfähigkeit zur Begutachtung in Psychiatrischen Krankenhäusern. Für diese Zeiträume ist er rehabilitiert worden (Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. März 1999 - (559 Rh) 4 Js 307/9 (269/98)), Beschluss des Landgerichts Halle vom 22. Juli 1998 - 22 Reh 5312/96) und hat Kapitalentschädigungen erhalten (Bescheid des Amtes für Versorgung und Soziales H. vom 18. Januar 1999, Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales B. vom 22. Oktober 1999). Sein Antrag, auch den Zeitraum vom 7. Juni 1980 bis 4. Dezember 1981 als Zeit rechtsstaatswidriger Gewahrsamsnahme anzuerkennen, blieb erfolglos. Das Landgericht Berlin führte in seinem Beschluss vom 17. März 1999 dazu aus, dass sich der Kläger ab dem 7. Juli 1980 freiwillig auf einer offenen Rehabilitationsstation der Psychiatrischen Klinik aufgehalten habe. Die dagegen vom Kläger erhobene Beschwerde war erfolglos (Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 17. Mai 1999 - 4 Ws 128/99 Reha).

Vom 22. Oktober bis zum 27. November 1985 befand sich der Kläger wegen einer paranoiden Psychose erneut in stationärer Krankenhausbehandlung in der Universitätsnervenklinik H ... Die spätere ambulante psychiatrische Behandlung konnte 1990 abgeschlossen werden.

Der Kläger stellte am 3. Dezember 1998 beim Amt für Versorgung und Soziales H. wegen psychosomatischer Störungen, Schlafstörungen und Depressionen einen Antrag auf Leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und legte dazu seine Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung in Kopie vor. Das Amt zog folgende Unterlagen über den Kläger bei: Vom Fachkrankenhaus B. die ärztlichen Berichte vom 29. Juli 1985 und 22. Oktober 1985. Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. F ... Vollzugsakte der JVA P. Akten des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Ärztliche Unterlagen der Universitätsnervenklinik H. und des St. Joseph-Krankenhauses B.-W ... Ärztliche Unterlagen aus dem Rentenverfahren der LVA Sachsen-Anhalt. In den Unterlagen der LVA befindet sich ein Rentengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. S. vom 6. Oktober 2000, das dieser zusammen mit der Fachärztin für Psychiatrie Dr. A. und der Ärztin H. angefertigt hat. Dem Sachverständigen berichtete der Kläger, seit 1990 gehe es ihm psychisch relativ gut. Er leide lediglich unter Schlafstörungen. Prof. Dr. S. diagnostizierte einen Zustand nach schizophrener Erkrankung sowie eine chronifizierte psychosoziale Anpassungsstörung nach schwerer Belastung. Zum jetzigen Zeitpunkt könnten rentenrelevante Befunde nicht erhoben werden. Es bestünden keine Hinweise auf eine manifeste psychiatrische Erkrankung oder eine neurotische Fehlhaltung.

Das beklagte Land ließ den Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin Dr. T. das Gutachten nach Aktenlage vom 5. Februar 2002 erstellen. Danach lag bei dem Kläger ein Zustand nach einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vor. Eine rentenrelevante psychopathologische Symptomatik habe Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 6. Oktober 2000 nicht festgestellt. Die genannten Schlafstörungen sowie die leichten Konzentrationsstörungen besäßen keinen Krankheitswert. Die Gesundheitsstörungen bedingten eine MdE um 10 v.H. Die schizophrene Psychose sei bereits 1966 eindeutig diagnostiziert worden. Es sei dann von einem sich anschließend chronifizierenden Krankheitsverlauf auszugehen. Bei der krankheitsbedingten Konfrontation mit der Staatsgewalt im Jahre 1979 hätte der Kläger anstelle der Inhaftierung einer intensiven psychiatrischen/psychotherapeutischen Behandlung bedurft. Die mehrwöchige Inhaftierung lasse sich als eingreifende psychosoziale Belastung verstehen, die zu seiner weiteren Labilisierung und zu der anschließenden stationären Behandlung geführt habe. In diesem Sinne sei von einem Kausalzusammenhang zwischen der Inhaftierung und einer Verschlimmerung der psychotischen Episode unter den Haftbedingungen auszugehen. Für die kurze Haftdauer vom 9. bis 12. Juli 1984 gelte dies nicht, wohl aber wieder für die seit dem 8. Juli 1985 erfolgte Inhaftierung. Für Spätfolgen aufgrund der Einweisungen zur psychiatrischen Behandlung gäbe es keine Anhaltspunkte.

Nach den Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes des beklagten Landes (Dr. H.) vom 8. April 2002 und 24. Mai 2002 könne dem Gutachten nur teilweise gefolgt werden. Die psychische Erkrankung des Klägers sei bereits 1966 entstanden und behandlungsbedürftig gewesen. Eine Entstehung durch die Haft komme deshalb nicht in Betracht. Durch die Haft in den Jahren 1979/1980 sei es lediglich zu einer vorübergehenden Verschlimmerung gekommen. Im Jahre 1984 sei die Strafverfolgung nach zwei Tagen eingestellt worden, so dass eine Verschlimmerung des Grundleidens nicht wahrscheinlich sei. Dies gelte auch für die Maßnahme des Jahres 1985. Es lägen keine psychiatrischen Gesundheitsstörungen mehr vor. Schädigungsfolgen könnten nicht bezeichnet werden.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 lehnte das Amt für Versorgung und Soziales den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe bereits vor den rechtswidrigen Inhaftierungen an einer endogenen Psychose gelitten. Eine Anerkennung als Schädigungsfolge komme deshalb nicht in Betracht. Auch eine richtungsgebende Verschlimmerung oder eine einmalige abgrenzbare Verschlimmerung eines psychischen Krankheitsbildes liege nicht vor. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 21. Oktober 2002 Widerspruch ein. Nach seiner Auffassung leide er unter Symptomen eines posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Nach einer weiteren Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes des Amtes vom 7. Januar 2003 lag bei dem Kläger kein PTBS vor. Er habe sich über die längsten Zeiträume nicht in Haft, sondern in medizinischen Versorgungseinrichtungen befunden. Über Schlafstörungen habe er schon während der Studienzeit geklagt. Auch der Ärztliche Dienst des Landesamtes für Versorgung und Soziales verneinte in seiner Stellungnahme vom 10. März 2003 das Vorliegen eines PTBS. Auch hinsichtlich der Schlaf- und Konzentrationsstörungen sei ein kausaler Zusammenhang zu verneinen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2004 wies das Landesverwaltungsamt, Referat Grundsatzangelegenheiten, Landesversorgungsamt, den Widerspruch als unbegründet zurück.

Daraufhin hat der Kläger am 6. Februar 2004 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und vorgetragen, er erwarte eine Fachbegutachtung durch einen unabhängigen Gutachter. In der mündlichen Verhandlung hat er beantragt festzustellen, dass bei ihm posttraumatische Belastungsstörungen als Schädigung im Sinne des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes vorliegen und das beklagte Land zu verurteilen, ihm ab Dezember 1998 Versorgungsrentenleistungen nach einer MdE von mindestens 30 v. H. zu gewähren. Mit Urteil vom 21. September 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei dem Kläger sei auf der Grundlage der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere der Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. T., keine gesundheitliche Schädigung mit Krankheitswert mehr nachweisbar. Dies gelte insbesondere auch für die behaupteten posttraumatischen Belastungsstörungen. Zwar habe der Kläger als Folge der Inhaftierungen und zwangsweisen Einweisung in die Nervenkliniken ab dem Jahre 1979 gesundheitliche Schäden erlitten. Auswirkungen der vorgelegenen psychotischen Symptomatik hätten jedoch im Dezember 1998 und danach nicht mehr vorgelegen. Die Inhaftierung ab 1979 habe zwar zu einer Verschlimmerung der Symptomatik geführt, die jedoch eine vorübergehende gewesen sei. Für die nachfolgenden Zeiträume könne wegen der Kürze der Inhaftierungen eine Verschlimmerung nicht angenommen werden. Die leichten Konzentrationsstörungen und die Durchschlafstörungen stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit den Zeiten der Haft und der Unterbringung in den psychiatrischen Krankenhäusern.

Gegen das ihm am 9. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. November 2004 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Nach seiner Auffassung liegen die Voraussetzungen für eine Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vor. Alle drei freiheitsentziehenden Maßnahmen hätten bei ihm zu einer nicht nur vorübergehenden Gesundheitsschädigung geführt. Seine politischen Aktivitäten seien als Geisteskrankheiten dargestellt worden. Die unrechtmäßigen Freiheitsentziehungen hätten erhebliche Belastungen dargestellt, die sich negativ auf seinen Gesundheitszustand ausgewirkt hätten. Es habe zu DDR-Zeiten keine ernsthafte psychiatrische Erkrankung vorgelegen. Die Diagnosen der DDR-Psychiatrie und die Zwangsbehandlung hätten allein seiner Verfolgung und Diskreditierung gedient; die Inhaftierungen und Unterbringungen in den psychiatrischen Krankenhäusern nur dazu, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Aus dieser Zeit sei eine PTBS verblieben. Sein Gesundheitszustand hätte sich seit 1990 deshalb gebessert, weil die in der DDR praktizierte Fehlbehandlung danach nicht mehr weitergeführt worden sei. Sowohl Prof. Dr. S. als auch Dr. T. hätten dargelegt, dass es durch die Haft und die Zwangseinweisungen zu einer Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes gekommen sei. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges sei deshalb gegeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 21. September 2004 und den Bescheid des Amtes für Versorgung und Soziales H. vom 25. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab dem 1. Dezember 1998 ein Posttraumatisches Belastungssyndrom in Form von Konzentrations- und Durchschlafstörungen als Schädigungsfolge der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehungen anzuerkennen und ihm von diesem Zeitpunkt an Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigung von mindestens 30 v. H. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Halle für zutreffend. Sämtliche Gutachter hätten das Bestehen eines psychischen Krankheitsbildes verneint.

Der Senat hat von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. einen Befundbericht vom 12. August 2005 eingeholt (Bl. 95 f.). Danach hat der Kläger über Stimmungsschwankungen geklagt. Es lägen eine arterielle Hypertonie und eine reaktive Depression vor. Wegen einer PTBS befinde sich der Kläger nicht in fachpsychiatrischer Behandlung.

Schließlich hat der Senat Priv.-Doz. Dr. B. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage beauftragt, ob beim Kläger infolge der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehungen Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet eingetreten oder verschlimmert worden sind. Mit Gutachten vom 21. Mai 2007 hat der Sachverständige ausgeführt, die Frage der psychischen Folgen des in den Jahren 1979/1980, 1984 und 1985 erlittenen unrechtmäßigen Freiheitsentzugs sei im Zusammenhang mit der Frage zu klären, an welcher psychischen Erkrankung der Kläger 1966, 1971 und 1975 gelitten habe. Nach Auswertung der Unterlagen sei davon auszugehen, dass sich 1966 eine psychische Erkrankung erstmals manifestiert habe. Für die zweite Episode der Erkrankung im Jahre 1970 sei aufgrund der Dokumentationen die eindeutige Identifikation des psychopathologischen Syndroms und die Zuordnung zu einer Diagnose anzunehmen. Von März bis Dezember 1975 sei der Kläger erneut ambulant in der Universitäts-Nervenklinik H. betreut worden. Den Unterlagen seien für diesen Zeitraum keine Hinweise auf politische Gründe für die ambulante Behandlung zu entnehmen, sondern die Umstände sprächen für berufliche Konflikte mit dem damaligen Beschäftigungsbetrieb. Insgesamt sei aus den Krankenakten auf eine zutreffend wiedergegebene psychische Erkrankung des Klägers zu schließen, die noch heute eine diagnostische Zuordnung des Krankheitsbildes gestatte. Daher dürften auch die psychiatrischen Gutachten aus den Jahren 1980 und 1985 nicht ungeprüft als Zeugnisse rechtsstaatswidriger Verfolgung beiseite gelegt werden. Diagnostisch hätten 1966 Hinweise für ein depressives Syndrom und ein paranoid-halluzinatorisches Syndrom mit einer Wahnstimmung, dem Gefühl der Verfolgung und akustischen Halluzinationen in Form von Kinderstimmen, verbunden mit Störungen des formalen Denkens und des Affekts bestanden. Nach Auswertung der Explorationen sei zu diesem Zeitpunkt auf eine Schizophrenie zu schließen. Bei der erneuten Erkrankung im Jahre 1970 sei der Kläger mit unspezifischen Symptomen wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen, und mit spezifischen Symptomen wie akustischen Halluzinationen durch kommentierende Stimmen und Verfolgungsideen aufgefallen und zunächst in H. ambulant behandelt worden. Diagnostisch sei eine paranoide Depression angenommen worden, bei der Selbstvorwürfe, Minderwertigkeitsgefühle und Selbstunsicherheit im Vordergrund gestanden hätten. In dieser Zeit sei der Kläger neuroleptisch mit den Medikamenten Haloperinol und Frenolon behandelt worden. Hinsichtlich der erneuten Erkrankung im Jahre 1975 sei, möglicherweise ausgelöst von einem Arbeitsplatzkonflikt, von einer psychotischen Störung mit einem paranoiden Wahn und Störungen des Ich-Erlebens auszugehen. Diese Episode sei allerdings unter neuroleptischer Behandlung rasch abgeklungen, wobei unklar sei, ob die Symptomatik vollständig zurückgegangen ist. 1979 habe es einen weiteren Arbeitsplatzkonflikt gegeben, in dessen Verlauf es zu einer fristlosen Kündigung, einem Hausverbot und einem Arbeitsgerichtsverfahren gekommen sei. Unter Berücksichtigung der Angaben im Gutachten vom 14. Mai 1980 sei es wahrscheinlich, dass der Kläger im Frühsommer 1979 erneut an einer psychotischen Episode mit einem Verfolgungswahn erkrankte. Hinsichtlich der Festnahme und stationären Einweisung im Jahre 1984 könne anhand der lückenhaften Unterlagen eine erneute psychiatrische Erkrankung weder belegt noch ausgeschlossen werden. Der Kläger sei am 9. Juli 1984 zunächst festgenommen, aber zwei Tage später kreisärztlich eingewiesen und bis zum 7. August 1984 stationär behandelt worden. Im Zusammenhang mit der erneuten Erkrankung im Jahre 1985, die am 3. Juli 1985 zu einer zwangsweisen Einweisung geführt habe, sei aus dem in B. am 3. Oktober 1985 angefertigten Bericht die Diagnose einer "wahnbildenden Geisteskrankheit", nämlich einer paranoiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit inhaltlichen Denkstörungen in Form eines systematisierten Wahns nachvollziehbar. Die Schlussfolgerung, dass es aufgrund der Wahnideen in Verbindung mit einer ausgeprägten Affektstörung bei fehlender Krankheitseinsicht zu wütender Raserei gekommen war, sei fachärztlich und psychiatrisch begründet. Hinsichtlich des Verlaufs spreche das Gutachten dafür, dass die akute Psychose nicht erst in der Untersuchungshaft ausgebrochen ist, sondern auch schon vorher bestanden hat.

Im Jahr 2000 habe der Kläger anlässlich der Begutachtung im Rentenverfahren berichtet, seit mehr als 10 Jahren nicht mehr in psychiatrischer Behandlung zu stehen. Er habe sich erfolglos auf dem freien Markt um Arbeit bemüht, sei ehrenamtlich in Verbänden tätig, nehme dort Funktionen im Vorstand war, müsse viel umher reisen und habe mit vielen Menschen Kontakt, was ihm Freude mache. Er sei mit seiner aktuellen Situation zufrieden; allerdings sei die Arbeit mit politisch Verfolgten psychisch belastend. Seit 1990 gehe es ihm psychisch relativ gut; aktuell leide er unter Schlafstörungen, könne häufig nicht abschalten und habe in Stresssituationen leichte Konzentrationsstörungen, mit denen er umgehen könne. Der psychopathologische Befund sei als unauffällig beschrieben worden. Bei der Exploration zur Vorbereitung des Gutachtens sei der Kläger durch ein großes spontanes Mitteilungsbedürfnis aufgefallen sowie durch eine Einengung des Denkens. Im Vordergrund habe eine Umdeutung der Lebensgeschichte gestanden, an der er mit unerschütterlicher Überzeugung festhalte.

Zusammenfassend sei einzuschätzen, dass der Kläger 1966, 1970, 1975, 1979 und 1985, möglicherweise auch 1984, aus ungeklärter Ursache an Episoden einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie vom episodisch remittierenden Verlaufstyp mit nahezu vollständiger Remission zwischen den psychotischen Episoden (ICD-10: F20.03) erkrankt gewesen sei. Einige Episoden seien wahrscheinlich durch psychosoziale Belastungen wie Ablösungskonflikte und Arbeitsplatzkonflikte ausgelöst und durch die jeweils vorangegangene Unterbrechung der neuroleptischen Behandlung begünstigt worden. Bis heute bestünden für die durchgemachte Wahnerkrankung kaum Krankheitsgefühl und keine Krankheitseinsicht; Symptome, an denen der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen zweifelsfrei gelitten habe, streite er heute ab.

Zur Zeit der zu Unrecht erfolgten Inhaftierung bzw. Freiheitsentziehung vom 20. Oktober 1979 bis 6. Juni 1980 habe der Kläger an einer Episode einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie gelitten. Diese psychische Erkrankung sei durch den unrechtmäßigen Freiheitsentzug möglicherweise verschlimmert worden. Allerdings habe es sich dabei um eine vorübergehende Verschlimmerung gehandelt, da 1990 und 2000 keine wesentlichen Krankheitszeichen nachweisbar gewesen seien. Damit könne eine dauerhafte Schädigung ausgeschlossen werden. Für die Zeit des unrechtmäßigen Freiheitsentzugs vom 9. Juli bis zum 7. August 1984 reichten die vorhandenen Informationen für eine Bewertung nicht aus. Hinsichtlich der im Jahre 1985 vom 3. Juli bis 9. September erlittenen unrechtmäßigen Freiheitsentziehung sei nicht auszuschließen, dass die vorbestehende psychotische Episode sich nach der Festnahme in der Untersuchungshaft oder in B. unmittelbar nach der Verlegung erheblich verschlimmert hat. Allerdings habe auch diese Freiheitsentziehung keine dauerhaft anhaltenden negativen psychischen Folgen hinterlassen, da der Kläger bei den eingehenden Untersuchungen in den Jahren 1990 und 2000 weitgehend frei von psychischen Beschwerden gewesen sei. Für die Zeit seit 1. Dezember 1998 sei bei dem Kläger keine psychische Gesundheitsstörung nachweisbar, die für mindestens sechs Monate bestanden habe und nach den Kategorien der ICD-10 klassifiziert werden könne. Zusammenfassend liege keine dauerhafte Verschlimmerung eines psychischen Leidens als Schädigungsfolge vor.

Gegen dieses Gutachten hat der Kläger einwenden lassen, es bestünden offensichtlich Gesundheitsstörungen, die nicht im psychiatrischen Fachgebiet zu suchen seien, sondern die sich als chronifizierte posttraumatische Belastungsstörungen als unmittelbare Folge der Freiheitsentziehung darstellten. So leide er an einer arteriellen Hypertonie mit hypertoner Belastungsreaktion. Die tatsächliche posttraumatische Belastungsstörung als unmittelbare Folge der Freiheitsentziehung sei vom Sachverständigen jedoch überhaupt nicht in Betracht gezogen worden, der stattdessen entweder auf die Bestätigung einer Psychose des schizophrenen Formenkreises oder auf die Feststellung, der Kläger seit psychiatrisch kerngesund, abgestellt habe. Es sei auch nicht möglich, 1990 schlagartig von der Diagnose "Schizophrenie" nach dreißigjähriger Krankheitskarriere geheilt gewesen zu sein. Ein solches Phänomen müsse erst einmal ein psychiatrischer Gutachter aufklären, wofür aber offensichtlich ein einzelner Gutachter nicht ausreiche. Hier liege der Schluss auf eine Fehldiagnose nahe. Das Gutachten des Priv.-Doz. Dr. B. sei untauglich und dürfe nicht als Grundlage für ein negatives Urteil dienen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. März 2009 hat Priv.-Doz. Dr. B. ausgeführt, dass die vom Kläger angeführte chronifizierte PTBS nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen zu den psychischen Störungen und Erkrankungen gehöre und damit auch in das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie falle. Auf Seite 101 des Gutachtens sei ausgeführt, es könne in Anbetracht der 1990 und 2000 sowie der aktuell erhobenen Befunde der Überzeugung des Klägers, unter einer PTBS zu leiden, nicht beigepflichtet werden. Die spezifische Symptomatik der PTBS mit der obligatorischen Trias von unfreiwilligem Wiedererleben der Belastung, erhöhter psychischer Erregbarkeit und Vermeidungsverhalten sei beim Kläger eindeutig nicht festzustellen.

Der Senat hat ferner auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E. vom 25. Januar 2010 zu den Beweisfragen des Gutachtens des Priv.-Doz. Dr. B. eingeholt. Die Sachverständige hat ausgeführt, es lasse sich für die Zeit ab 1. Dezember 1998 beim Kläger nur noch eine leichtere Anpassungsstörung im Sinne eines Zustandes nach einer langen psychischen Erkrankung mit unspezifischen Symptomen wie Schlafstörungen, leichteren Konzentrationsstörungen, Erschöpfungsgefühl, erhöhter Reizbarkeit und Beeinträchtigung in sozialen Beziehungen feststellen. Eine wesentliche Einschränkung der Alltagsfunktionen und der sonstigen sozialen Möglichkeiten bestehe nicht. Diese Symptome seien auch wiederholt von den Vorgutachtern und in den Vorbefunden seit 1990 aufgeführt worden. Die leichtere gesundheitliche Störung ohne ausgeprägten Krankheitswert sei nicht ursächlich auf die Freiheitsentziehungen zurückzuführen, da bereits vor der ersten Freiheitsentziehung 1979 mit ausreichender Wahrscheinlichkeit eine psychische Erkrankung von Krankheitswert vorgelegen habe. Eine direkt auf die Freiheitsentziehungen bezogene psychische Gesundheitsstörung im Sinne einer Traumafolgestörung habe sich nicht feststellen lassen, da nicht genügend Symptome für die Diagnose einer PTBS oder einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach extremer Belastung vorlägen. Es seien auch keine Angsterkrankung, keine ausgeprägten Phobien, keine Somatisierungsstörung und auch keine Persönlichkeitsstörungen, insbesondere keinerlei Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung festzustellen. Heute liege keine eindeutige paranoid-halluzinatorische Psychose mehr vor. Es ließen sich auch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit eindeutige Hinweise auf einen Zustand mit Negativsymptomatik bzw. deutlicher Restsymptomatik für die Zeit ab 1998 feststellen. Daher sei auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. kein Grad der Schädigung festzustellen. Sie stimme den Vorgutachtern darin zu, dass durch die Freiheitsentziehungen eine Verschlimmerung der psychopathologischen Symptomatik der wahrscheinlich bestehenden Psychose eingetreten sei. Seit etwa 1990 sei aber beim Kläger keine psychische Erkrankung mit Krankheitswert mehr festzustellen gewesen. Die noch vorhandenen sehr leichten psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen seien trotz geringer Intensität und Häufigkeit als Anpassungsstörung zu bezeichnen. Ansonsten sei den Beurteilungen des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. B. und seiner ergänzenden Stellungnahme weitgehend zuzustimmen. Die Freiheitsentziehungen hätten wahrscheinlich zu einer jeweiligen Verschlimmerung der Gesundheitsstörungen geführt, die aber offensichtlich längstens bis 1990 angedauert hätten, da ab diesem Zeitpunkt keine psychischen Gesundheitsstörungen mit ausreichendem Krankheitswert mehr festzustellen seien. Die noch vorhandene leichte Symptomatik schränke aber die beruflichen Möglichkeiten des Klägers weiterhin ein, so dass zu prüfen sei, ob die vorübergehenden Verschlimmerungen und die politischen Verfolgungsmaßnahmen sich zumindest für die Zeit von 1979 bis etwa 1988 negativ auf die beruflichen Möglichkeiten des Klägers ausgewirkt haben und deshalb bei der Beurteilung der beruflichen Betroffenheit zu berücksichtigen sind.

Das beklagte Land ist im vorliegenden Verfahren bis zum 31. Dezember 2003 durch das Landesamt für Versorgung und Soziales vertreten worden. Dieses Amt ist durch § 1 des Gesetzes zur Errichtung des Landesverwaltungsamtes, das als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung der Landesverwaltung vom 17. Dezember 2003 (GVB1. LSA Seite 352) am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, aufgelöst worden. Seine Aufgaben sind nach § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Einrichtung des Landesverwaltungsamtes auf dieses übergegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des beklagten Landes Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann in der Sache entscheiden. Im vorliegenden Fall ist das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahme im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG) vom 29. Oktober 1992 (BGBl. I S. 1814) anzuwenden, das als Artikel 1 des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes an 4. November 1992 in Kraft getreten und in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664) zuletzt durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904, 2915) geändert worden ist.

Für die Durchführung der vom Kläger begehrten Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG sind nach § 25 Absatz 4 Satz 1 StrRehaG die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) obliegt. Soweit das StrRehaG von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Verwaltungsbehörden durchzuführen ist, entscheiden nach § 25 Absatz 4 StrRehaG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Insoweit sind die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung maßgebend.

Das beklagte Land hat im vorliegenden Verfahren seine Prozessfähigkeit im Sinne von § 71 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Neuordnung seiner Versorgungsverwaltung nicht verloren, weil die Anforderungen des § 71 Absatz 5 SGG an seine Vertretung noch erfüllt sind. Der Leiter des dem Landesverwaltungsamt eingegliederten "Landesversorgungsamtes" ist die natürliche Person, durch die das beklagte Land im vorliegenden Verfahren nach § 71 Absatz 5 SGG gesetzlich vertreten ist. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 19. Februar 2004 - L 7 (5) SB 8/02 - JMBl. LSA 2004, S. 111 Bezug genommen.

Die nach den §§ 143, 144 Absatz 1 Satz 2 SGG statthafte und auch in der von § 151 Absatz 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das beklagte Land hat seinen Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung auf der Grundlage des StrRehaG zu Recht abgelehnt. Die angefochtenen Bescheide und das sie bestätigende Urteil des Sozialgerichts sind deshalb rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Auch die Klage war zulässig, weil das Landesamt für Versorgung und Soziales mit seinem Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2002 eine inhaltliche Entscheidung über den an sich verfristeten Widerspruch des Klägers vom 21. Oktober 2002 gegen den Bescheid vom 25. Juli 2002 getroffen hat. Entscheidet die Widerspruchsbehörde über einen verfristeten und damit unzulässigen Widerspruch in der Sache, kann die Frage der Zulässigkeit des Widerspruchs im weiteren Verfahren grundsätzlich nicht mehr geprüft werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 84 RdNr 7 mit weiteren Nachweisen). In der Sache hat der Kläger aber keinen Erfolg.

Nach § 21 Absatz 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung, für die er rehabilitiert worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Der Anwendungsbereich des StrRehaG ist eröffnet, denn das Landgericht H. und das Landgericht B. haben mit ihren Beschlüssen vom 22. Juli 1998 bzw. 17. März 1999 für den erkennenden Senat bindend festgestellt, dass der Kläger in den Zeiträumen vom 20. Oktober 1979 bis 6. Juni 1980, 9. Juli bis 7. August 1984 und 8. Juli bis 9. September 1985 zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten hat. Den erforderlichen Antrag hat er gestellt.

Ein Anspruch auf eine Beschädigtenrente setzt nach dem BVG voraus, dass die anerkannte Schädigungsfolge eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Die Schädigungsfolge muss auf einer Gesundheitsstörung beruhen, die durch einen vom StrRehaG erfassten Tatbestand (schädigender Vorgang) verursacht worden ist. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen (schädigender Vorgang, Gesundheitsstörung, Schädigungsfolge) gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen. Zwischen den drei Gliedern dieser Kette muss jeweils ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach § 21 Absatz 5 Satz 1 StrRehaG genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dieser Beweismaßstab gilt im Sozialen Entschädigungsrecht auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der durch dieses Ereignis hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht. Die Tatsachen, auf die sich der Kausalzusammenhang gründet, müssen hingegen wieder im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein.

Hier steht bereits nicht fest, dass bei dem Kläger im streitbefangenen Zeitraum seit Antragstellung (Oktober 1998) bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat für mindestens sechs Monate (§ 30 Abs. 1 Satz 4 BVG) eine Gesundheitsstörung im Sinne einer psychiatrischen Erkrankung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) vorgelegen hat.

Die Anerkennung einer psychischen Störung als Schädigungsfolge setzt medizinisch voraus, dass sich eine psychiatrische Diagnose stellen lässt (Leonhardt, MED SACH 98 (2002), S. 188/191). Nach dem festgestellten medizinischen Sachverhalt konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger unter einer psychiatrischen Erkrankung oder einer PTBS leidet, deren Feststellung als Gesundheitsschaden er begehrt.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. B. hat mit überzeugender und nachvollziehbarer Begründung festgestellt, dass der Kläger bereits seit 1990 unter keinen nennenswerten psychischen Erkrankungen mehr leidet. Auch die Psychiaterin E. hat diese Bewertung im Wesentlichen bestätigt, wobei beide Gutachten auch deshalb überzeugen, weil sie nach ambulanter Untersuchung des Klägers und vollständiger Auswertung der umfangreichen Akten erstattet wurden. Insbesondere Frau E. hat ausführlich dargelegt, welche Symptome bei einer PTBS generell auftreten und zu welchen Störungen sie führen. Trotz eingehender Untersuchung in zwei Terminen hat sie das Vorliegen einer PTBS eindeutig ausgeschlossen und auch keine Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie kein krankhaftes Erleben und besondere Verhaltensweisen festgestellt. Auch die Auswertung der übrigen medizinischen Unterlagen stützt diese Bewertung.

Zwar hat der Gutachter Prof. Dr. S. in seinem Gutachten für die LVA Sachsen-Anhalt vom 6. Oktober 2000 die Diagnose einer "chronifizierten psychosozialen Anpassungsstörung nach schwerer Belastung" (Nr. 43.2 der ICD 10 - Anpassungsstörungen) gestellt. Seine Feststellungen tragen aber diese Diagnose für die Zeit seit 1990 nicht. Denn er teilt gleichzeitig mit, aus psychiatrischer Sicht lägen keine Hinweise auf das Vorliegen einer manifesten psychiatrischen Erkrankung oder neurotischen Fehlhaltung vor. Damit hat der Gutachter eine psychische Gesundheitsstörung von Krankheitswert verneint. Dies erscheint plausibel, denn der Kläger hatte dem Arzt berichtet, es gehe ihm seit 1990 in psychischer Hinsicht relativ gut. Er hat sich ehrenamtlich sozial engagiert und sich in das entsprechende Umfeld eingepasst. Für eine akute Anpassungsstörung lagen zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte vor. Die Diagnose einer PTBS nach der Nr. F 43.1 der ICD 10 hat Prof. Dr. S. nicht gestellt.

Der Gutachter Dr. T. hat in seinem Gutachten vom 5. Februar 2002 die Diagnose einer PTBS ebenfalls nicht gestellt. Vielmehr ist er von einem Zustand nach Erkrankung an einer paranoiden Psychose ausgegangen. Den aktuell vorliegenden Schlafstörungen und leichten Konzentrationsstörungen hat er keinen Krankheitswert zugemessen. Nach seiner Auffassung lagen Spätfolgen der zwangsweisen Einweisungen nicht vor, und auch er ist von einem psychisch weitgehend stabilisierten Gesundheitszustand des Klägers ausgegangen.

Letztlich bestärkt auch die Tatsache, dass sich der Kläger seit vielen Jahren nicht mehr in fachpsychiatrische Behandlung begeben musste und auch keine Psychopharmaka einnimmt, die Schlussfolgerung, dass bei ihm eine psychische Erkrankung seit dem Jahre 1990 und damit auch in dem hier streitbefangenen Zeitraum, nicht mehr vorgelegen hat und auch aktuell nicht vorliegt.

Der Ansicht des Klägers, er leide an keiner psychischen Erkrankung, sondern an einer PTBS, ist schon aus den zuvor genannten Gründen nicht zu folgen. Soweit er meint, eine PTBS sei eine Erkrankung eigener Art und gehöre nicht zu den psychischen Erkrankungen, geht er fehl. Die PTBS gehört zu den Folgen psychischer Traumen und wird nach den AHP 2004/2008, Nr. 26.3, zusammen mit Neurosen und Persönlichkeitsstörungen dem Funktionssystem "Nervensystem und Psyche" zugeordnet. Diese Einteilung ist von der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) unverändert übernommen worden (Teil B, Nr. 3.7, S. 42). Die bis zum 31. 12. 2008 anwendbaren AHP haben zwar keine Normqualität, wirken in der Praxis jedoch wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Sie haben daher normähnlichen Charakter und sind in ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 27. August 1998, B 9 VJ 2/97 R, zitiert nach juris; BSGE 72, 285, 286 f. = SozR 3-3870 § 4 Nr. 6 S. 30 f.). Sie schaffen damit unter Berücksichtigung der herrschenden Lehre in der medizinischen Wissenschaft eine verlässliche, der Gleichbehandlung dienende Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung im sozialen Entschädigungsrecht. Im Einzelfall eingeholte Sachverständigengutachten haben diese Bewertungen daher zu Grunde zu legen. Zu den Folgen psychischer Traumen heißt es in Nr. 71 der AHP 2004/2008: "Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach langdauernden psychischen Belastungen, als auch nach relativ kurzdauernden Belastungen in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren." Beispielhaft werden dort als Belastungen "Kriegsgefangenschaft, rechtsstaatswidrige Haft in der DDR" sowie "Geiselnahme, Vergewaltigung" aufgeführt. Chronifizierte Störungen im Sinne einer PTBS sind gekennzeichnet durch Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus (AHP, a.a.o., S. 213).

Solche Symptome hat der Kläger seit 1990 nicht gezeigt. Dies ergibt sich aus allen ärztlichen Unterlagen in nahezu völliger Übereinstimmung. Damit fehlt bereits die medizinische Grundlage für die Diagnose einer PTBS. Auf die Frage, ob die rechtswidrigen Freiheitsentziehungen in der DDR geeignet waren, eine PTBS hervorzurufen oder auch vorübergehend hervorgerufen haben, kommt es daher nicht an. Entscheidend ist, dass der Kläger seit 1990 durchgehend bis heute zu keinem Zeitpunkt die für die Diagnose einer PTBS erforderlichen medizinischen Symptome aufgewiesen hat. Auch die Gutachterin E. geht nach Untersuchung des Klägers von einer "leichteren gesundheitlichen Störung ohne Krankheitswert" aus, die aber nicht ursächlich auf die Freiheitsentziehungen zurückgeführt werden könne.

Letztlich würden die von Frau E. festgestellten leichten Anpassungsstörungen, selbst wenn man sie auf die Folgen der freiheitsentziehenden Maßnahmen zurückführen könnte, keinen rentenberechtigten Grad einer MdE rechtfertigen. Nach den AHP 2004/2008 Nr. 26.3 bzw. Teil B Nr. 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Abschnitt "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen" bedingen erst stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen MdE/GdS-Grad von 30 bis 40 v. H. Stärker behindernde Störungen liegen bei dem Kläger aber eindeutig nicht vor. Vielmehr handelt es sich in seinem Falle allenfalls um leichtere psychovegetative oder psychische Störungen, für die ein MdE/GdS-Rahmen von 0 bis 20 v. H. eröffnet ist, der zu keiner Rente führt.

§ 30 Abs. 2 BVG ist nicht anzuwenden. Eine höhere Bewertung des GdS scheitert schon im Ansatz daran, dass kein GdS festzustellen ist, der höher bewertet werden könnte. Die entsprechenden Hinweise der Sachverständigen E. gehen daher fehl. Außerdem hat die von ihr festgestellte Anpassungsstörung keinen Bezug zu den Inhaftierungen, sondern wird von ihr als "Zustand nach langer psychischer Erkrankung" bewertet. Es besteht also auch hinsichtlich dieser leichten Beeinträchtigung kein kausaler Zusammenhang mit rechtsstaatswidriger Behandlung. Im Übrigen ist der Kläger für die Haftzeiten entschädigt worden und ihm wurden Verfolgungszeiten (zur Berücksichtigung nach dem SGB VI) anerkannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Absatz 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat hält die Frage, ob das beklagte Land - aus seiner Sicht jedenfalls derzeit - prozessfähig ist, nicht mehr für klärungsbedürftig. Der zuständige 9. Senat des Bundessozialgerichts, der die Prozessfähigkeit von Amts wegen zu prüfen hat, hat in der Zeit seit dem 1. Januar 2004 in einer Vielzahl von Fällen keinen Anlass zur Beanstandung gesehen.
Rechtskraft
Aus
Saved