L 11 AS 455/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 857/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 455/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 60/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Erhaltungsaufwand zählt der Aufwand, der periodisch, regelmäßig anfällt und sich auf notwendige Kleinreparaturen, regelmäßig anfallende Wartungsarbeiten sowie kleinere Schönheitsreparaturen und Ausbesserungsarbeiten bezieht, sowie auch solcher Aufwand, der der Verhinderung oder Beseitigung drohender oder schon entstandener Schäden am selbst genutzten Eigenheim dient. Ausgeschlossen sind hiervon größere Erneuerungs- und Modernisierungsarbeiten, die regelmäßig zu einer Umgestaltung und somit zu einem neuen Bestand führen.
§ 20 SGB II ist keine Auffangregelung für jeden Bedarf , der anderweitig nicht explizit geregelt ist.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.06.2009 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 01.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2008 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung eines Darlehens für die Dachsanierung eines Hauses, in dem er und seine Familie eine selbstgenutzte Eigentumswohnung bewohnen.

Der Kläger und seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau sowie die gemeinsamen Kinder beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 07.02.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung eines Darlehens, weil er in seiner Eigentumswohnung ein Schimmelproblem habe, das auf ein schadhaftes Dach zurückzuführen sei. Die Eigentümerversammlung habe beschlossen, das Dach zu sanieren, jedoch könne er seinen für die Sanierung erforderlichen Anteil von 7.440,00 EUR an der durch die Eigentümerversammlung beschlossenen Sonderumlage nicht aufbringen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.04.2008 ab, weil die Dachsanierung keinen unabweisbaren Bedarf iSd § 23 Abs 1 SGB II darstelle.

Mit dem hiergegen erhoben Widerspruch machte der Kläger geltend, dass seine im selben Haus wohnende Nachbarin auf der Grundlage ihres Antrages vom gleichen Tag für die Dachsanierung ein zinsfreies Darlehen erhalten habe. Dieses habe sie in monatlichen Raten zu 100,00 EUR zurückzuzahlen. Ausweislich des Protokolls der Eigentümerversammlung vom 20.03.2008 sei die Sanierung des Daches einschließlich der Dämmung von Dachboden und Dachschrägen sowie ein Neuanstrich der Hausfront beschlossen worden. Hierfür sei eine Sonderumlage von 30.000,00 EUR zu bilden.

Im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 24.06.2008 führte die Beklagte aus, die geplante vollständige Dachsanierung sei als wertsteigernder Erhaltungs- und Sanierungsaufwand zu qualifizieren, der nicht im Rahmen angemessener Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II berücksichtigt werden könne. Auch eine Darlehensgewährung auf der Grundlage des § 22 Abs 5 SGB II scheide aus, denn bei dieser Regelung handele es sich eine Sondervorschrift für Miet- und Energieschulden.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger erneut die Ungleichbehandlung in Bezug auf seine Nachbarin geltend gemacht, der bescheinigt worden sei, dass es sich bei der Dachsanierung um einen unabweisbaren Bedarf handele.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 09.06.2009 verpflichtet, dem Kläger für die erforderliche Dachsanierung ein Darlehen in Höhe von 7.440,00 EUR zu gewähren. Die Beklagte gehe zwar zu Recht davon aus, die geplanten Sanierungsarbeiten könnten nur als wertsteigernder Erneuerungs- und nicht als Erhaltungsaufwand qualifiziert werden, der nicht im Rahmen der Unterkunftskosten von der Beklagten zu übernehmen sei. Derartige Aufwendungen habe der Kläger jedoch - dem Grunde nach - aus der Regelleistung aufzubringen. Nachdem die Dachsanierung keinen Aufschub dulde, sei der Bedarf als unabweisbar iSd § 23 Abs 1 SGB II anzusehen. Aufgrund dessen habe die Beklagte ein Darlehen zu gewähren.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, bei dem Bedarf des Klägers handele es sich der Sache nach um Unterkunftsbedarf, der nicht im Rahmen der Regelleistung abzugelten sei. Insofern sei es unbeachtlich, ob ein unabweisbarer Bedarf iSd § 23 Abs 1 SGB II vorliege, denn diese Vorschrift beziehe sich lediglich auf den Bedarf, der aus der Regelleistung zu decken sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Nürnberg vom 09.06.2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 01.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2008 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen

Er hält die Entscheidung des SG - insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit der anderen Hausbewohnerin, der ein Darlehen gewährt worden ist - für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und in der Sache begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger ein Darlehen zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 01.04.2008 idG des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2008 erweist sich als rechtmäßig, denn der vom Kläger geltend gemachte Aufwand für die Dachsanierung ist weder im Rahmen angemessener Unterkunftskosten noch als unabweisbarer (Regelleistungs-)Bedarf darlehensweise von der Beklagten zu übernehmen. Zudem ist ein Leistungsanspruch auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz herzuleiten.

Nach § 22 Abs 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Zu den grundsätzlich erstattungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft bei Eigenheimen gehören neben den zur Finanzierung des Eigenheims geleisteten Schuldzinsen auch die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Aufwendungen im jeweiligen Bewilligungszeitraum. Berücksichtigungsfähig sind auch tatsächliche Aufwendungen für eine Instandsetzung oder Instandhaltung, soweit diese nicht zu einer Verbesserung des Standards des selbstgenutzten Eigenheims führen und sie angemessen sind (vgl BSG, Urteil vom 03.03.2009 - Az. B 4 AS 38/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 17). Dieser tatsächliche Erhaltungsaufwand muss geeignet und erforderlich sein, dem Leistungsberechtigten sein Eigentum zu Wohnzwecken zu erhalten. Zum Erhaltungsaufwand zählt somit nicht nur derjenige Aufwand, der periodisch, regelmäßig anfällt und sich auf notwendige Kleinreparaturen, regelmäßig anfallende Wartungsarbeiten sowie kleinere Schönheitsreparaturen und Ausbesserungsarbeiten bezieht, sondern auch solcher Aufwand, der der Verhinderung oder Beseitigung drohender oder schon entstandener Schäden am selbst genutzten Eigenheim dient (vgl. BayLSG, Urteil vom 15.10.2008 - Az. L 16 AS 330/07 - veröffentlicht in juris).

Nicht zum Erhaltungsaufwand gehören aber größere Erneuerungs- und Modernisierungsarbeiten, da diese regelmäßig zu einer Umgestaltung, somit zu einem neuen Bestand führen. Kennzeichnend dafür ist, dass das Eigenheim durch sie in einen - nach der Verkehrsanschauung zu beurteilenden - höherwertigen Zustand versetzt wird (vgl. BayLSG aaO). Eine Absenkung des Wohnstandards ist somit hinzunehmen, solange der für Leistungsberechtigte nach dem SGB II genügende einfache, ein menschenwürdiges Leben sicherstellende Ausstattungsstandard gewährleistet bleibt (vgl Hessisches LSG, Beschluss vom 05.02.2007 - Az. L 9 AS 254/06 ER - veröffentlicht in juris). Es ist nicht Aufgabe der Transferleistungen nach dem SGB II oder SGB XII, die aus öffentlichen Steuermitteln finanziert werden, grundlegende Sanierungs- und Erhaltungsarbeiten zu finanzieren (vgl LSG NRW, Beschluss vom 30.08.2007 - Az: L 9 B 136/07 AS ER - veröffentlicht in juris) und dem Leistungsempfänger somit einen Zuwachs seines Vermögens zu ermöglichen, den dieser auch noch nach einem eventuellen Ausscheiden aus dem Leistungsbezug für sich realisieren könnte. Wertsteigernde Erneuerungsmaßnahmen sind somit nicht vom § 22 SGB II umfasst (h.M. vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.Aufl, § 22 Rn 26; Berlit in LPK - SGB II, § 22, 3.Aufl., Rn. 25)

Unter Berücksichtigung des Kostenvoranschlages vom 18.03.2008 handelte es sich bei der in Aussicht genommenen Dachsanierung nicht um einfache Instandhaltungsarbeiten, die erforderlichen gewesen wären, um die Bewohnbarkeit des Anwesens zu erhalten, denn insoweit wäre eine einfache Reparatur schadhafter Stellen der Bedachung ausreichend gewesen, die das Eindringen von Wasser verhindert hätte, um einer Ursache der vom Kläger angeführten Schimmelbildung entgegenzutreten. Vorliegend hat sich der Kläger jedoch - in Übereinstimmung mit Wohnungseigentümergemeinschaft - zu einer aufwendigen und wertsteigernden Vollsanierung des Daches entschlossen, deren Charakter insbesondere in der Anbringung einer bis dahin nicht vorhandenen Dämmung ihren Ausdruck findet.

Für die Übernahme der Kosten scheidet - entgegen der Auffassung des SG - § 23 Abs 1 SGB II ebenfalls als Anspruchsgrundlage zur Deckung des vorliegenden Bedarfes aus.

Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung eines Darlehens bei einem unabweisbaren Bedarf iSd § 23 Abs 1 SGB II liegen nicht vor. Danach kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts bei entsprechendem Nachweis durch Darlehensleistungen gedeckt werden.

Der geltend gemachte Bedarf ist als Unterkunftsbedarf zu qualifizieren, denn er betrifft das existenzielle Bedürfnis nach angemessenem Wohnraum. Die Leistungen hierfür werden jedoch zusätzlich zu den Regelleistungen gewährt und sind durch diese nicht abgegolten. Wegen dieser Differenzierung scheidet für nicht von der Regelleistung umfasste Bedarfe eine abweichende Erbringung von Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB II aus (vgl. LSG NRW aaO, Urteil des Senates vom 16.07.2009 - L 11 AS 447/08 - veröffentlicht in juris).

Insoweit stellt § 20 SGB II keine Auffangregelung für jeden Bedarf dar, der anderweitig nicht explizit geregelt ist, denn der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, den die Regelleistung nach § 20 SGB II einerseits sowie die Kostenübernahme für eine angemessene Unterkunft (§ 22 SGB II) anderseits erfüllen sollen, erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung, Hausrat, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BGBl. I 2010 S 193). Nicht zu den existenziellen Grundbedürfnissen gehört allerdings - wovon das SG jedoch wohl ausgeht - die Bildung von Vermögen, denn bei konsequenter Betrachtungsweise führte die Auffassung des SG dazu, dass jeder Empfänger von Grundsicherungsleistungen zinslose Kredite zur Vermögensbildung beanspruchen könnte.

Zuletzt kann der Kläger auch nicht für sich in Anspruch nehmen, seiner Nachbarin sei auf der Grundlage des selben Sachverhaltes das beantragte Darlehen gewährt worden, so dass aus Gründen der Gleichbehandlung ihm diese Leistung gleichfalls zu bewilligen sei. Die obigen Darlegungen zugrunde gelegt ist offenkundig, dass der Nachbarin des Klägers das Darlehen zu Unrecht bewilligt worden ist. Einen "Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht" kennt die Rechtsordnung nicht (BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvL 25/77 - BVerfGE 50, 142).

Im Ergebnis ist keine Rechtsgrundlage gegeben, aus der der Kläger einen Anspruch auf Übernahme der Dachsanierungskosten ableiten könnte, so dass das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.

Als Unterliegender hat der Kläger keinen Anspruch auf die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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