L 13 SB 31/10 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 SB 147/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 31/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 8. Februar 2010 aufgehoben.

Dem Kläger wird mit Wirkung vom 22. Oktober 2009 für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gewährt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist statthaft (§ 172 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers nach §§ 73a SGG, 114 ZPO verneint; die wirtschaftlichen Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO liegen vor.

1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet i. V. m. dem u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses Nebenverfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28.11.2007, 1 BvR 68/07). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können (BVerfG, a. a. O., und Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 04.07.1993, 1 BvR 1523/92). Demnach ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn zum rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt entweder noch Beweis zu erheben ist oder wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund eines geklärten Sachverhalts für zutreffend oder für zumindest vertretbar und klärungsbedürftig hält.

2. Nach diesen Maßstäben war zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags am 22. Oktober 2009 (vollständige Einreichung der Unterlagen zu der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) die hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu verneinen. Soweit der Kläger die Zuerkennung eines höheren GdB als 50 begehrt, mag dahinstehen, ob es weiterer Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf oder eine Würdigung einzuholender aktueller Befundberichte für die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung ausreicht, jedenfalls kann der Sachverhalt nicht in einer Weise als geklärt angesehen werden, die schon jetzt eine hinlänglich verlässliche Beurteilung der konkreten Funktionsbeeinträchtigung zulässt. Fehlerhaft ist das Sozialgericht zu der Einschätzung gelangt, die globale Entwicklungsstörung des Klägers sei mit einem GdB von 50 keineswegs zu gering bewertet, denn es hat die nach Ziffer 3.4.1 der Anlage zu § 2 VersMedV für eine globale Entwicklungsstörung mit starken Auswirkungen anzusetzende Spanne des GdB irrig mit 40 bis 70 anstelle der zutreffenden Spanne 50 bis 70 angenommen und daher verkannt, dass ein GdB von 50 für jene Funktionsbeeinträchtigung dem niedrigsten Grad entspricht.

Auch soweit der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens "H" begehrt, bietet die Klage in dem eingangs genannten Sinn hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach dem fachärztlichen Bericht vom 5. Januar 2009 soll der Kläger an einer Entwicklungsstörung vom Ausmaß einer geistigen Behinderung leiden. In einem solchen Fall ist jedoch der Hilfebedarf für die Beurteilung einer Zuerkennung des Merkzeichens "H" nicht identisch mit jenem der Pflegeversicherung gem. § 14 SGB XI, sondern bezieht sich auch auf Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation wie Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. November 2008, L 11 SB 150/08, Juris, Rdnr. 19). Es greift deshalb zu kurz, wenn das Sozialgericht der Klage unter Hinweis auf die Zuerkennung lediglich der Pflegestufe I nach § 15 SGB XI die hinreichende Erfolgsaussicht abspricht. Auch insoweit erscheint eine weitere Sachaufklärung nötig.

Gleiches gilt konsequenter Weise auch für die weiterhin begehrte Zuerkennung des Merkzeichens "B".

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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