L 8 R 87/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 30 R 35/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 87/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.04.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des am 00.00.2007 verstorbenen Herrn KP.

Die am 00.00.1934 geborene Klägerin und der am 00.00.1932 geborene KP (im Folgenden: Versicherter) schlossen am 00.08.1955 die Ehe, die am 00.04.1972 rechtskräftig geschieden wurde. Aus der Ehe sind zwei Kinder, Herr OP, geb. am 00.00.1958, und Herr NP, geb. 00.00.1961, hervorgegangen. Die Kinder wurden von der Klägerin versorgt und erzogen.

Die Ehe der Klägerin und des Versicherten wurde aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens schloss die Klägerin mit dem Versicherten am 00.04.1972 den folgenden Vergleich:

1.Beide Parteien verzichten gegenseitig auf jeglichen Unterhalt einschließlich Notunterhalt für Vergangenheit und Zukunft und nehmen den Verzicht beiderseits an. 2.Hinsichtlich des Hausrats sind sich die Parteien darüber einig, dass diese Hausratsgegenstände, die jede Partei besitzt, deren Eigentum sein soll, mit Ausnahme eines Essservices, Marke Thomas, das der Beklagte der Klägerin zu Eigentum heraus gibt.

Sowohl die Klägerin als auch der Versicherte haben beide nicht wieder geheiratet.

Zum Zeitpunkt der Scheidung besaßen die geschiedenen Eheleute u.a. ein gemeinsames Hausgrundstück, das der Versicherte zusammen mit einer Mietpartei bewohnte. Von seinen Einkünften brachte er etwa 280,- DM für die Belastungen auf, das Kindergeld floss der Klägerin zu. Der Erlös eines kurz zuvor verkauften weiteren Grundstücks lag noch treuhänderisch bei einem Notar, da Uneinigkeit bezüglich der Verwendung bestand. Es wurde diskutiert, ob nicht ein Fachwerkhaus, welches mit dem Neubau ein Doppelhaus bildete, renoviert werden oder zugunsten eines Neubaus abgerissen werden sollte. Diesbezügliche Entscheidungen wurden insofern erschwert, als der Vorbesitzer des Fachwerkhauses an diesem ein Wohnrecht hatte, welches er wegen Unbewohnbarkeit nicht nutzen konnte. Vorübergehend bewohnte er ein Zimmer im Neubau.

Die Klägerin erzielte entsprechend ihren eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Scheidung ein monatliches (Netto-)Gehalt iHv 620,- DM. Zum Zeitpunkt des Ablebens des Versicherten im Februar 2007 verfügte sie über Netto-Renteneinkommen iHv 840,44 Euro und wohnte mietfrei im Haus ihres Sohnes N. Daneben erhielt sie eine Betriebsrente iHv 84,30 Euro.

Der Versicherte verfügte bis Ende März 1970 zumindest über ein monatliches Netto-Gehalt von 1.018,- DM, sodann bezog er vorübergehend Erwerbsminderungsrente iHv etwa 800,- DM, die zunächst bis zum 31.12.1971 befristet war und erst rückwirkend mit Bescheid vom 10.8.1973 bis zum 31.7.1972 verlängert wurde. Er hatte nach dem Vorbringen der Klägerin zudem Einkünfte aus Vermietung von 230,- DM. Im August 1972 nahm der Versicherte wieder eine sozialversicherte Tätigkeit entsprechend dem Gehaltsniveau der Vorjahre auf. Zum Zeitpunkt des Versterbens verfügte er über Netto-Renteneinkünfte iHv 1.059,87 Euro.

Am 13.7.2007 beantragte die Klägerin die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13.8.2007 mit der Begründung ab, dass der frühere Ehemann zur Zeit seines Todes nicht zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet gewesen sei. Da die Klägerin auf Unterhalt verzichtet und der frühere Ehemann im letzten Jahr vor dem Tode auch keinen Unterhalt geleistet habe, seien die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt. Sie habe nicht nur wegen der Höhe des eigenen Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens keinen Unterhaltsanspruch gehabt, sondern auch weil sie und ihr früherer Ehegatte anlässlich der Scheidung im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung gegenseitig auf jeglichen Unterhalt für Vergangenheit und Zukunft verzichtet hätten. Die Klägerin legte am 17.9.2007 Widerspruch ein. Der geschlossene Vergleich sei unwirksam gemäß § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Versicherte habe vor Rentenbezug 1.080,- DM bei der H Versicherung verdient, sie selbst lediglich 700,- DM einschließlich 80,- DM Kindergeld. Der Versicherte habe nach Verlust der Beschäftigung bei der H Versicherung bis Ende des Jahres 1971 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich 598,- DM bezogen. Er habe zudem ihr gegenüber angegeben, dass er ab 1972 - auch zum Zeitpunkt der Ehescheidung - keine Rente mehr erhalten habe, sondern lediglich Sozialhilfeleistungen in Höhe von 320,- DM. Dies habe er auch für die Zukunft behauptet. Bereits am 3.2.1972 habe das Sozialamt bei ihr, der Klägerin, aus übergeleitetem Recht Rückforderungsansprüche aus geleisteter Sozialhilfe angemeldet. Diese Angaben des Versicherten seien Grundlage des Unterhaltsverzichts vom 00.04.1972 gewesen. Nach richtiger Berechnung hätte sie sowohl zum Zeitpunkt der Ehescheidung (zugrunde gelegt wurden: 598,- DM Erwerbsunfähigkeitsrente + 230,- DM Einkünfte aus Vermietung + Sozialhilfe 320,- DM = 1.148 DM Einkünfte des Versicherten) als auch zum Zeitpunkt des Todes einen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Versicherten gehabt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.2.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 243 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bestehe ein Rentenanspruch jedenfalls nur dann, wenn im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem gezahlt wurde oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod ein Anspruch hierauf bestanden habe. Unterhalt sei jedoch nicht gezahlt worden und im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens sei ein umfassender Unterhaltsverzicht erklärt worden, mit dem ein Anspruch ausgeschlossen worden sei. Für eine Unwirksamkeit des Verzichts gebe es keine Anhaltspunkte. Der Verzicht sei auch nach der Rechtsprechung des BSG zur sogenannten "leeren Hülse" vorliegend nicht ausnahmsweise für das Rentenrecht unbeachtlich, da er nicht rein deklaratorischen Charakter habe. Für die Annahme einer solchen "leeren Hülse" sei der Nachweis zu erbringen, dass sowohl zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Verzichts als auch zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten aus den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten Gründen kein Unterhaltsanspruch bestanden habe, dass die geschiedenen Ehegatten bei Vereinbarung des Unterhaltsverzichts vernünftigerweise davon ausgehen konnten, dass die in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten Hinderungsgründe bis zum Tod des Versicherten Bestand haben würden und dass der Verzicht ausschließlich deswegen vereinbart worden sei, weil wegen der genannten Gründe des § 243 Absatz 3 Nr. 1 SGB VI ohnehin kein Unterhaltsanspruch bestand und voraussichtlich bis zum Tod des Versicherten nicht entstehen würde. Zum Zeitpunkt des Verzichts habe die Klägerin aber nicht davon ausgehen können, dass sie auch künftig in der Lage sein werde, ihren Lebensunterhalt durch eigene Einkünfte bestreiten zu können. Zudem sei nicht absehbar gewesen, ob der Versicherte, der eine befristete Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen habe, auch künftig dauerhaft nicht leistungsfähig sein würde. Vielmehr liege die Vermutung nahe, dass die Klägerin in ihrem eigenen Interesse den Unterhaltsverzicht erklärt habe, um einer gegebenenfalls drohenden Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem früheren gesundheitlich beeinträchtigten Ehemann zu entgehen.

Mit der am 10.3.2008 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und unter Hinweis auf höchstrichterliche Entscheidungen vorgetragen, dass es auf den Unterhaltsverzicht im Vergleich vom April 1972 nicht ankomme, weil dieser unwirksam sei. Es liege ein Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 21.2.1989, B 5 R 2/86 R) vor. Es habe ein wechselseitig bedingter Irrtum bei Vergleichsabschluss vorgelegen, da sie und der Versicherte von einer falschen Sachverhaltsbasis ausgegangen seien. Ohne diesen Irrtum wäre es nicht zu der Ungewissheit, die die Parteien beseitigen wollten, gekommen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30.8.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.2.2008 zu verurteilen, ihr eine Witwenrente gemäß § 243 SGB VI aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes, KP, zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid verteidigt und ergänzend vorgetragen es sei nicht erkennbar, dass zum Zeitpunkt der Scheidung ein realisierbarer Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten bestanden hätte.

Mit Urteil vom 21.4.2009 hat das SG Köln die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 243 SGB VI. Der Versicherte habe weder im letzten Jahr vor seinem Tod - oder auch sonst - Unterhalt gezahlt noch habe die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Unterhalt gehabt. Zur Verneinung des Unterhaltsanspruchs müsse nicht einmal auf den umfassenden Unterhaltsverzicht vom 00.04.1972 zurückgegriffen werden. Ein rentenrechlich relevanter Unterhaltsanspruch setze nämlich voraus, dass dieser zumindest 25 % des zeitlich und örtlich maßgebenden Sozialhilfeanspruchs betrage. Ein solcher habe der Klägerin jedoch unterhaltsrechtlich nicht zugestanden. Auszugehen sei dabei davon, dass die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden wäre und daher nur ein Anspruch auf einen sogenannten Unterhaltsbeitrag nach § 60 Ehegesetz (EheG) in Betracht komme. Dieser sei regelmäßig etwa 50 % niedriger anzusetzen als ein Unterhaltsanspruch nach §§ 58, 59 EheG. Da die Klägerin selbst für sich lediglich einen Anspruch in Höhe von 108,93 Euro errechne, betrage die Hälfte hiervon 54,46 Euro, sodass die nötige Mindesthöhe von 86,25 Euro nicht erreicht würde. Darüber hinaus schließe der bei der Entscheidung vereinbarte umfassende Unterhaltsverzicht jegliche Unterhaltsverpflichtung aus. Der Verzicht sei nicht gemäß § 779 Abs. 1 BGB unwirksam, denn dem Vortrag der Klägerin, allein die - beidseitig - irrtümlich angenommene dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Versicherten sei Anlass für den Unterhaltsverzicht gewesen, könne nicht gefolgt werden. Zunächst sei festzuhalten, dass nach Auffassung der Kammer auch bei Hinzudenken der Erwerbsunfähigkeitsrente keineswegs ein Unterhaltsanspruch der Klägerin als erwiesen angesehen werden könne. Die Sozialhilfe des Versicherten müsse sicherlich abgesetzt werden. Ausweislich des Gesamtkontenspiegels sei ein Unterhaltsanspruch der Klägerin auch bei Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente durch den Versicherten äußerst zweifelhaft. Zudem sei nicht ersichtlich, dass beide Parteien eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Versicherten als feststehend zugrunde gelegt hätten. Vielmehr habe die Klägerin durch ein Schreiben des Sozialhilfeträgers gewusst, dass die Verlängerung der befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten beantragt gewesen sei. Es sei also zum Zeitpunkt der Scheidung völlig unklar gewesen, ob der Versicherte weiter Rente beziehen werde oder ob die Weiterzahlung abgelehnt werden würde. Aber auch bei einer möglichen Ablehnung sei nicht ersichtlich gewesen, weshalb die früheren Ehegatten davon ausgegangen seien sollten, dass der Versicherte nur noch Sozialhilfe beziehen werde. Im übrigen sei der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem von der Klägerin zitierten Urteil des BSG vergleichbar. Dort seien bis zur Entscheidung bereits zwei Anträge des Ehegatten auf Ruhegehalt abschlägig beschieden worden, sodass beide Ehegatten davon ausgehen konnten, es werde in Zukunft kein Ruhegehalt gezahlt. Der Sachverhalt liege vorliegend anders. Ein Anspruch der Klägerin nach § 243 Abs. 3 SGB VI scheitere schließlich ebenfalls an dem Vorliegen des wirksamen Unterhaltsverzichts.

Gegen das ihr am 22.6.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.6.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag hinsichtlich der vermeintlichen Unwirksamkeit des vereinbarten Unterhaltsverzichts. Ferner ist sie der Meinung, dass ihr im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten ein Unterhaltsanspruch zugestanden habe: Ihre Betriebsrente in Höhe von 84,30 Euro sei unterhaltsrechtlich nicht zu berücksichtigen, da sie in gleicher Höhe monatliche Ausgaben für Medikamente habe. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass sie kein Verschulden am Scheitern der Ehe treffe. Dementsprechend sei es nicht angemessen, zur Berechnung des Unterhaltsbeitrages nach § 60 EheG den angemessenen Unterhalt um 50 % zu reduzieren.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts (SG) Köln vom 21.4.2009 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.2.2008 zu verurteilen, ihr eine Witwenrente gemäß § 243 SGB VI aus der Versicherung des Herrn KP zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist im Übrigen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 243 SGB VI in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung (aF, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI), und zwar weder nach den Absätzen 1 und 2 (I.), noch nach Absatz 3 (II.)

I.

Die Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 und 2 SGB VI aF liegen nicht vor.

Nach § 243 Abs. 1 SGB VI aF besteht Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente ohne Beschränkung auf 24 Monate auch für geschiedene Ehegatten, 1. deren Ehe vor dem 1.7.1977 geschieden ist, 2. die nicht wieder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft gegründet haben und 3. die im letzten Jahr vor dem Tode des geschiedenen Ehegatten (Versicherter) Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatten, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30.4.1942 gestorben ist.

Nach § 243 Abs. 2 SGB VI aF besteht Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente auch für geschiedene Ehegatten, 1. deren Ehe vor dem 1.7.1977 geschieden ist, 2. die nicht wieder geheiratet haben noch eine Lebenspartnerschaft gegründet haben und 3. die im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatten und 4. die entweder a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen, b) das 45. Lebensjahr vollendet haben, c) erwerbsgemindert sind, d) vor dem 2.1.1961 geboren und berufsunfähig sind oder am 31.12. 2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30.4.1942 gestorben ist.

Die allein zwischen den Beteiligten streitige Voraussetzung jeweils der Nr. 3 des § 243 Abs. 1 und 2 SGB VI aF ist nicht erfüllt. Die Klägerin hat im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von diesem keinen Unterhalt erhalten und hatte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod hierauf wegen des wirksam Unterhaltsverzichts zwischen ihr und dem Versicherten auch keinen Anspruch.

Die Frage des Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegenüber dem Versicherten beurteilt sich insbesondere nach den §§ 58 ff. EheG. Denn die Ehe der Klägerin und des Versicherten ist vor dem 1.7.1977 geschieden worden, sodass die Bestimmungen des EheG trotz ihrer Aufhebung durch das erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. Ehe-RG) vom 14.6.1976 hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Regelungen "künftig" weiter Anwendung finden (Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 des 1. Ehe-RG, vgl. auch z.B. BSG, Urteil v. 29.4.1997, 4 RA 38/96 Rdnr. 16). Ein endgültiger Verzicht schließt jedoch jegliche Unterhaltsverpflichtung nach dem EheG aus (vgl. zu § 65 Abs. 1 Satz 1 RKG BSG, Urteil v. 30.9.1996, 8 R Kn 17/95; BSG, Urteil v. 28.3.1979, Soz-R 2200 § 1265 Nr. 40 mwN).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze schließt die gerichtliche Vereinbarung vom 00.04.1972 einen Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber dem Versicherten aus. Der im Wortlaut eindeutige von der Klägerin insofern auch nicht in Abrede gestellte wechselseitige Verzicht auf nachehelichen Unterhalt ist ein Erlass gemäß § 397 BGB. Der Vergleich ist weder von Anfang an nach §§ 104, 105 BGB in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung (aF) wegen Geschäftunfähigkeit (des Versicherten) (hierzu unter 1.) oder nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig (hierzu unter 2.) noch nachträglich rückwirkend durch Anfechtung vernichtet worden (hierzu unter 3.). Es liegen auch nicht die Voraussetzungen für eine Unwirksamkeit nach § 779 BGB vor (hierzu unter 4.). Der Unterhaltsverzicht ist auch nicht etwa deswegen rentenrechtlich unbeachtlich, weil er eine sogenannte "leere Hülse" darstellt (hierzu unter 5.).

1. Der Vergleich ist nicht wegen Geschäftsunfähigkeit des Versicherten nichtig nach den §§ 104, 105 BGB aF. Zwar bestanden bei dem Versicherten zum damaligen Zeitpunkt, wie sich insbesondere aus den medizinischen Ermittlungen der Beklagten im Verfahren auf die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente ergibt, nicht unerhebliche psychische Probleme. Diese waren aber nicht so gravierend, dass eine Vormundschaft eingerichtet wurde. Es kam lediglich zur Anordnung einer Gebrechlichkeitspflegschaft. So hatten auch das im Scheidungsverfahren erkennende Gericht und die die damaligen Parteien vertretenden Rechtsanwälte, obwohl ihnen die gesundheitlichen Probleme des Versicherten bekannt gewesen sein mussten, keine Zweifel an dessen Geschäftsfähigkeit. Die Klägerin trägt hierzu auch nichts vor.

2. Der Vergleich ist weder nach den Umständen seines Zustandekommens noch nach seinem Inhalt nichtig nach § 138 BGB. Bei der inhaltlichen Überprüfung ist nicht die Vereinbarung über den Verzicht auf nachehelichen Unterhalt isoliert, sondern als ein Bestandteil der mit dem Vergleich vorgenommenen Gesamtregelung zu würdigen, wobei es auch auf den aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter der Vereinbarung ankommt (vgl. BGH, Urteil v. 8.12.1982, IVb ZR 333/31, NJW 1983, 1851). Dabei zeigt sich jedoch, dass mit dem gegenseitigen Verzicht eine ausgewogene Regelung getroffen wurde, die gerade auch (wenn nicht gar überwiegend) die Interessen der Klägerin berücksichtigte und keinesfalls einseitig unter Ausnutzung einer unterlegenen Verhandlungsposition im Sinne einer Übervorteilung zu ihren Lasten getroffen wurde. Zu berücksichtigen ist vor diesem Hintergrund zunächst einmal, dass die Scheidungsvereinbarung unter Beteiligung des Gerichts und von Rechtsanwälten als Bevollmächtigten auf Seiten der Parteien zu Stande gekommen ist, was sichergestellt hat, dass die damaligen Parteien - also auch die Klägerin - rechtskundig beraten wurden. Des Weiteren beinhaltet die Vereinbarung - worauf auch die Beklagte zu Recht hinweist - nicht nur einen Verzicht der Klägerin, sondern auch den Verzicht des Versicherten, was aus objektiver Sicht einen nicht unerheblichen Vorteil für die Klägerin bedeutete. Denn gerade angesichts des laufenden Verfahrens auf Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und damit der dauerhaften Reduzierung des Einkommens des Versicherten auf "Rentenniveau", konnte die Klägerin hierdurch das Risiko, ihrerseits vom Versicherten möglicherweise in Zukunft auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, wirksam ausschließen. Im Übrigen zeigt auch die Regelung zum Hausrat, dass die Interessen der Klägerin beim Abschluss der Vereinbarung in allen Punkten Berücksichtigung gefunden haben. Auch sonst ergibt sich kein Anhalt für eine Unwirksamkeit des Unterhaltsverzichts z.B. gem. § 138 Abs. 2 BGB. Unter dem Aspekt einer Belastung Dritter, insbesondere des Sozialhilfeträgers, ist eine Sittenwidrigkeit ebenfalls nicht gegeben. Zwar stand der Versicherte wohl vorübergehend im Bezug von Sozialhilfeleistungen, ein dauerhafter Anspruch war angesichts des beträchtlichen Vermögens des Versicherten in Form der bestehenden Hausgrundstücke jedoch nicht zu erwarten. Zudem war weiteres Vermögen vorhanden. So hat die Klägerin im Rahmen einer Kinderunterhaltsklage vortragen lassen, dass sie dem Versicherten in den Jahren 1974 und 1975 eine Geldsumme von mehr als 60.000,- DM hat zufließen lassen können. Schließlich zeigen auch die Versicherungsverläufe der Klägerin und des Versicherten, dass die geschiedene Eheleute zumindest ab August 1972 (erneute Arbeitsaufnahme des Versicherten) nicht von Sozialhilfeleistungen abhängig waren. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch den Versicherten war lediglich auf den Zeitraum vom 1.1.1972 bis zum 31.7.1972 beschränkt.

3. Sollte die Klägerin sich bei dem Abschluss des Unterhaltsverzichtsvertrages rechtlich relevant geirrt im Sinne des § 119 BGB haben oder im Sinne des § 123 BGB bei dem Abschluss des Vertrages arglistig getäuscht worden sein, so macht dies das Rechtsgeschäft zwar von Anfang an nichtig, es bleibt aber bis zur wirksamen Anfechtung für und gegen jedermann bestehen, so dass die Anfechtung nicht mehr nach dem Tode des Versicherten geltend gemacht werden kann (BSG, Soz-R 2200, § 165 Nr. 4, Gürtner in Kassler Kommentar, § 243 SGB VI Rdnr. 24). Da die Klägerin eine Anfechtung des Verzichts weder behauptet hat, noch es Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen gegeben sind, kann der Senat das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dahin stehen lassen.

4. Der gerichtliche Unterhaltsverzicht ist auch nicht nach § 779 BGB unwirksam. Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen ersichtlich nicht vor. § 779 BGB ist ein gesetzlich geregelter Sonderfall der Störung der Geschäftsgrundlage, die grundsätzlich einen gemeinsamen Irrtum (beider) Vertragsparteien über bestimmt Umstände voraussetzt, die Vergleichsgrundlage geworden sind (vgl. Palandt § 779 BG Rdnr. 13). Zwar mag sich die Klägerin möglicherweise über die Einkünfte des Versicherten zum Zeitpunkt der Scheidung geirrt haben, für einen entsprechenden Irrtum des Versicherten gibt es hingegen keinerlei Anhaltspunkte. Die indirekte Unterstellung der Klägerin, der Versicherte habe seine eigenen Einkünfte nicht gekannt, ist lebensfremd. Im Übrigen hat der Versicherte zum Zeitpunkt der Scheidung im April 1972 tatsächlich vorübergehend keine laufenden Rentenleistungen erhalten. Ursprünglich war die gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente nämlich auf den 31.12.1971 befristet. Sie wurde erst mit Bescheid vom 10.8.1973 um 12 Monate bis zum 31.7.1972 verlängert. Insofern war der Versicherte bei Vereinbarung des Verzichts auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Ferner sind - wie schon das SG zu Recht ausgeführt hat - keine Umstände ersichtlich, dass die vermeintlichen Annahmen der geschiedenen Eheleute insbesondere hinsichtlich ihrer Einkommensverhältnisse, tatsächlich Grundlage des Vergleiches geworden sind. Auch insofern ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der dem von der Klägerin zitierten Urteil des BSG vom 28.6.1989, 5/4a RJ 77/87, zugrunde lag.

5. Der Unterhaltsverzicht ist schließlich nicht etwa deswegen unbeachtlich, weil er eine sog. "leere Hülse" darstellen würde (statt aller: BSG, Urteil v. 30.9.1996, 8 RKn 17/95, Kompaß 1997, 284). Danach ist ein Unterhaltsverzicht aus Billigkeitsgründen dann als unschädlich für einen Rentenanspruch anzusehen, wenn er im Hinblick auf die bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nur deklaratorischen Charakter hatte, mithin einer "leeren Hülse" gleich kam. Dabei ist aber nicht auf die subjektiven, sondern auf die objektiven Umstände des jeweiligen Falles abzustellen. Die subjektiven Überlegungen der früheren Ehepartner sind in diesem Zusammenhang unerheblich. Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob sich die Klägerin vorgestellt hat, dass der Versicherte auf Dauer leistungsunfähig bleiben würde und sie ohnehin keinen Unterhaltsanspruch würde durchsetzen können. Ein rein deklaratorischer Verzicht liegt jedenfalls schon angesichts des insbesondere in Hausgrundstücken bestehenden Vermögens der geschiedenen Eheleute und der diesbezüglich nicht einfach zu lösenden Verhältnisse, wie sie der Versicherte gegenüber einem von der Beklagten beauftragten Gutachter während des Verfahrens auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente beschrieben hat, nicht vor. Objektiv war im Zeitpunkt der Scheidung auch nicht mit einer dauerhaften Reduzierung des Einkommens des Versicherten auf Sozialhilfeniveau zu rechnen. Wie sein Versicherungskonto zeigt, war er in der Lage, ab August 1972 wieder für einige Jahre eine Tätigkeit mit erheblichem Einkommen aufzunehmen. Hinzu kommen die von der Klägerin in einem Unterhaltsverfahren der gemeinsamen Kinder gegen den Versicherten erwähnten Vermögenszuflüsse von mehr als 60.000,- DM in den Jahren 1974 und 1975. Schließlich räumt auch die Klägerin ein, dass der Verzicht konstitutiven Charakter hatte.

Wegen des wirksamen und auch beachtlichen Unterhaltsverzichts zwischen den geschiedenen Eheleuten kann der Senat dahin stehen lassen, ob sich nach den bestehenden Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin und des Versicherten überhaupt ein Unterhaltsanspruch bzw. ein Anspruch auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrags der Klägerin gegenüber dem Versicherten im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Ableben des Versicherten ergeben hätte.

II.

Ein Anspruch auf große Witwenrente besteht auch nicht nach § 243 Abs. 3 SGB VI aF.

Nach § 243 Abs. 3 Satz 1 SGB VI aF besteht Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente auch ohne Vorliegen der in Abs. 2 Nr. 3 genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten, die 1. einen Unterhaltsanspruch nach Abs. 2 Nr. 3 wegen eines Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten und 2. im Zeitpunkt der Scheidung entweder a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen haben oder b) das 45. Lebensjahr vollendet hatten und 3. entweder a) ein eigenes Kinder oder ein Kind des Versicherten erziehen, b) erwerbsgemindert sind, c) vor dem 2.1.1961 geboren und berufsunfähig sind, d) am 31.12.2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind oder e) das 60. Lebensjahr vollendet haben, wenn auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe oder Witwer noch für einen überlebenden Lebenspartner des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften besteht.

Die zwischen den Beteiligten allein streitige Voraussetzung nach der Nr. 1 des § 243 Abs. 3 Satz 1 SGB VI aF ist nicht erfüllt. Denn ein Unterhaltsanspruch nach Abs. 2 Nr. 3 der Vorschrift war nicht wegen der in Absatz 3 Nr. 1 genannten Gründe, sondern wegen des wirksamen und beachtlichen Unterhaltsverzichts - wie vorbeschrieben hergeleitet - ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Anlass zur Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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