L 12 AS 2923/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2168/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2923/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des SG Mannheim vom 23.06.2010 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache die tatsächlichen Beiträge der privaten Krankenversicherung voll zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bezieht seit 3.3.2010 von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Dabei wurde ein Zuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 126,05 EUR und zur Pflegeversicherung von 16,12 EUR monatlich gewährt. Der Antragsteller ist bei der Deutschen Krankenversicherung AG (DKV) privat krankenversichert und hat zur Zeit nach dem Nachtrag zum Versicherungsschein vom 26.5.2010 einen monatlichen Beitrag von 295,02 EUR zu entrichten. Im Widerspruch gegen die Bewilligung wurde unter anderem geltend gemacht, dass die Höhe des Zuschusses zur privaten Krankenversicherung zu einer existenzgefährdenden Bedarfsunterdeckung führe, da der Mindestbeitrag eines Leistungsbeziehers zur gesetzlichen Krankenversicherung unter dem ermäßigten Basistarif für Hilfebedürftige liege. Mit Bescheid vom 9.6.2010 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch in dieser Hinsicht zurück. Das Klageverfahren ist beim Sozialgericht Mannheim (SG) anhängig.

Am 15.6.2010 hat der Antragsteller beim SG einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er macht geltend, die Regelung des § 12 Abs. 1 c Satz 5 und 6 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) sei verfassungsrechtlich nicht haltbar, es liege eine Regelungslücke vor. Durch die nur gedeckelte Übernahme sei er ganz erheblich in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet und werde in unzumutbarer Weise auf die Hilfe Dritter verwiesen. Er leide chronisch schwer an einer Immunschwäche und sei auf eine Krankenversicherung existenziell angewiesen. Wegen Beitragsrückständen würden ihm nur noch eine eingeschränkte Leistungspflicht seitens der Krankenkasse drohen.

Mit Beschluss vom 23.06.2010 wies das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. In den Gründen führte es u.a. aus, der begehrte einstweilige Rechtsschutz scheitere letztlich an einem fehlenden Anordnungsgrund. Hinsichtlich des Anordnungsanspruches sei davon auszugehen, dass der Ausgang des Hauptverfahrens offen sei. Nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom 26.3.2007 gelte für privatversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II § 12 Abs. 1 c Satz 5 und 6 VAG. Danach zahle der zuständige Träger, wenn unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrages Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II bestehe, den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen sei. Dies bedeute, dass der Bezieher von Arbeitslosengeld II den Differenzbetrag selbst zu tragen habe, d. h. aus der Regelleistung bestreiten müsse. Auch beim Antragsteller dürfte dies nicht möglich sein. In der Rechtsprechung werde deshalb teilweise die Auffassung vertreten, dass deshalb eine - planwidrige - gesetzgeberische Lücke in verfassungsrechtlichem Ausmaß vorliege, die durch Übertragung einer für einen anderen Tatbestand vorgesehenen Rechtsfolge zu schließen sei. Eine endgültige Klärung durch höchstrichterliche Rechtsprechung stehe aber noch aus, daher könne zur Zeit eine Prognose über den Ausgang des Hauptverfahrens nicht gegeben werden.

Nach Überzeugung des Gerichts liege aber kein Anordnungsgrund vor, denn dem Antragsteller sei es zuzumuten, den Ausgang des Hauptverfahrens abzuwarten. Es entstünden keine unzumutbaren, nicht wieder gut zu machenden Nachteile dadurch, dass der Leistungsträger jetzt nur noch die Beiträge für die Krankenversicherung in der Höhe zahle, die für einen Bezieher in der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen seien. Der Antragsteller laufe nämlich auch dann, wenn er nicht in der Lage sei, den nicht gedeckten Beitragsteil zu seiner Krankenversicherung zu tragen, nicht Gefahr, den Krankenversicherungsschutz zu verlieren. Der private Krankenversicherer sei trotz eventueller Beitragsrückstände verpflichtet, die vollen Leistungen des Basistarifs zu erbringen, denn er dürfe diese nicht ruhend stellen (§ 193 Abs. 6 Satz 5 Versicherungsvertragsgesetz - VVG -). Insoweit sei auch eine Aufrechnung eingereichter Rechnungen des Versicherten mit den noch ausstehenden Beitragszahlungen nicht zulässig. Dem Antragsteller drohe somit nicht die Gefahr, dass er - wie bei einem Ruhen der Versicherung - auf die Notversorgung reduziert bleibe, d. h. die private Krankenversicherung nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen hafte. Wegen der bestehenden Schutzvorschrift nach § 193 VVG könne ein Anordnungsgrund nicht angenommen werden.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller beim LSG Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, es sei nicht zumutbar den Ausgang des Hauptverfahrens abzuwarten. Unzumutbar sei das Abwarten des Hauptsacheverfahrens, wenn das absolute Minimum des Hilfeanspruchs abgelehnt werde. Eine solche Fallgestaltung sei gegeben, da es hier im jetzigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens gehe. Zwar werde der Antragsteller grundsätzlich vor einer eingeschränkten Krankenversicherungsleistung durch die Regelung des § 193 Abs. 6 S. 5 VGG geschützt. Die Argumentation des SG Mannheim, dass aus diesem Grunde ein entstehender Beitragsrückstand durch den Antragsteller hinzunehmen sei, könne nicht als haltbar angesehen werden. Soweit das SG Mannheim das Vorliegen des Anordnungsgrundes verneine, weil der Antragsteller in faktischer Sicht - kurzfristig - keine eingeschränkten Versicherungsleistungen zu befürchten habe, sei dem entgegenzuhalten, dass damit die Judikative den Hilfebedürftigen darauf verweise, sich rechtsuntreu zu verhalten und vertragswidrig Beitragszahlungen nur zu einem Teil zu erbringen. Er laufe damit durchaus Gefahr während des Hilfebezuges in eine gerichtliche Auseinandersetzung mit seiner Krankenversicherung verwickelt zu werden. Dieser gegenüber bestehe - wohl unstreitig - keine Möglichkeit sich durch die Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit oder die Regelungen des VAG zu exkulpieren. Dem Hilfebedürftigen eine solche Auseinandersetzung zuzumuten sei nicht haltbar. Es sei ein rechtlicher Widerspruch zum einen der Krankenkasse einen Beitragsanspruch in Höhe des hälftigen Basistarifes gegen den Versicherten zuzugestehen, jedoch gleichzeitig dem Versicherten den Anspruch auf Kostenübernahme zu versagen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 1 Ziff. 3 SGG zutreffend ausgeführt. Der Senat nimmt hierauf Bezug.

Das SG hat zu Unrecht einen Anordnungsgrund verneint. Dieser ist hier jedoch wegen des offen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens und der existenziellen Gefährdung des Antragstellers zu bejahen.

Die Frage, ob letztendlich eine Rechtsgrundlage besteht, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geklärt werden. Hierzu bedarf es einer eingehenden Prüfung verfassungsrechtlicher Fragen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit, als sich eine Ungleichbehandlung gegenüber in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungspflichtigen und freiwillig versicherten Personen ergibt, für die während des Leistungsbezugs der volle Beitrag übernommen wird sowie gegenüber Privatversicherten, bei denen nur durch eine Tragung der Beiträge Hilfebedürftigkeit vermieden werden kann (vgl. Brünner in LPK-SGB II, § 26 Rn. 23). Weiter bestehen verfassungsrechtliche Bedenken auch insoweit, als eine Bedarfsunterdeckung besteht (vgl. Brünner, a.a.O., § 20 Rn. 30ff m.w.N.).

Der Anordnungsgrund entfällt auch nicht deshalb, weil, wie das SG annimmt, gemäß § 193 Abs. 6 Satz 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bei Hilfebedürftigkeit ein Ruhen der Leistungen der Versicherung nicht eintreten könnte. Es spricht nach Sinn und Zweck der Vorschrift manches dafür, dass diese so auszulegen ist, dass nicht nur ein bereits eingetretenes Ruhen bei Eintritt von Hilfebedürftigkeit endet, sondern ein Ruhen bei bereits bestehender Hilfebedürftigkeit gar nicht erst eintreten kann. Der Gesetzeswortlaut ist allerdings nicht entsprechend formuliert, worauf insbesondere der Bundesrat hingewiesen hat (vgl. "Unterrichtung durch die Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung", Drucksache 16/12256, abgedruckt bei Drucksache 16/12677 des Deutschen Bundestages, S. 17).

Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, sich im Falle einer Erkrankung in eine Auseinandersetzung mit seiner Krankenkasse zu begeben und zu riskieren, dass bei Nichtzahlung der Beiträge für zwei Monate ein Ruhen der Leistungen eintritt und nur für eine Notversorgung Leistungen erstattet werden. Der Antragsteller soll in der Lage sein, bei einer Erkrankung so schnell wie möglich alles Erdenkliche für seine Genesung zu tun, damit er seine Arbeit wieder aufnehmen kann und die Hilfebedürftigkeit und damit auch der Leistungsbezug beendet werden kann. Auch wenn, wie gesagt, einiges dafür spricht, dass bei zutreffender Auslegung der Vorschrift des § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG ein Ruhen im Falle des Antragstellers nicht eintreten kann, so ist eine gegenteilige Auffassung aufgrund des Wortlauts vertretbar.

Eine abschließende Lösung dieser Problematik ist bislang jedoch nicht erreicht worden. Vor diesem Hintergrund ist es dem Antragsteller nicht zumutbar, den politischen Konflikt auf seinem Rücken als schwächstem Glied in der Kette austragen zu lassen und ihm ggf. zuzumuten, Ansprüche gegen seine Krankenversicherung im kostenpflichtigen Zivilrechtsweg über die Beantragung von Prozesskostenhilfe durchzusetzen, wenn diese gegen Erstattungsansprüche der Antragsgegnerin für Arzthonorare mit Beitragsrückständen aufrechnet. Nachteile hat der Antragsteller auch für den Fall des Verzugs mit Beiträgen zu befürchten, da es aufgrund der oben erwähnten sprachlich unklaren Regelung des § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG nicht eindeutig ist, ob auch für versicherte Personen, die hilfebedürftig i. S. des SGB II sind (nicht: "werden"), die Leistungen nicht zum Ruhen gebracht werden dürfen. Der Antragsteller muss daher damit rechnen, dass seine Krankenversicherung wegen Zahlungsverzugs nur noch die in § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG beschriebene Notversorgung finanziert (Landessozialgericht Baden-Württemberg - Beschluss vom 8.07.2009 - L 7 SO 2453/09 ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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