L 4 KA 111/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 50/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 111/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 24/10 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungsverfahren zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.001,12 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Auszahlung von Honorarforderungen des Insolvenzschuldners und Mitglieds der Beklagten Dipl.-Psych. B ...

Am 28. Dezember 2005 wurde über das Vermögen des Dipl.-Psych. B. das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Dipl.-Psych. B. ist als Psychotherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in C-Stadt zugelassen.

Auf Nachfrage des Klägers vom 25. April 2006, wann mit einer Abrechnung bzw. Auszahlung gerechnet werden könne, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 28. April 2006 mit, dass für das IV. Quartal 2005 zunächst ein Abschlag auf die Restzahlung, basierend auf dem individuellen Fallwert des Quartals IV/2004 und der abgerechneten Fälle des Quartals IV/2005 an die Ärzte ausgezahlt werde. Danach sei unter Berücksichtigung des eigenen Aufrechnungsbetrages aus dem Vorquartal keine Auszahlung möglich. Es seien am 20. April 2006 2500 EUR für das Quartal I/2006 und 2500 EUR für die Rate April 2006 überwiesen worden.

Hiergegen wandte der Kläger mit Schreiben vom 4. Mai 2006 ein, dass der behauptete Aufrechnungsbetrag nicht nachvollziehbar sei. Sollte die Beklagte aus geleisteten Überzahlungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rückforderungsansprüche geltend machen, so könnten diese nicht mit entsprechenden Auszahlungsansprüchen der Insolvenzmasse für die Zeit nach Eröffnung aufgerechnet werden (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung - InsO -). Spätestens seit Anfang April 2006 lägen der Beklagten sämtliche Quartalsabrechnungen bis einschließlich Quartal I/2006 vor.

Mit Schreiben vom 26. Juni 2006 wies die Beklagte darauf hin, dass die Endabrechnung des Quartals IV/2005 noch ausstehe, da die Abrechnungen für die Quartale II/2005 und III/2005 noch durch die Innenrevision überprüft würden. Der Insolvenzschuldner sei für das Quartal III/2005 nach aktuellem Stand mit 4708,24 EUR überzahlt. Diese Summe errechne sich aus zu hohen Abschlagszahlungen aus den Vorquartalen IV/2004 bis III/2005. Da die Endabrechnung der Quartale III und IV/2005 noch nicht vorliege, könnten die Abrechnungsergebnisse erst später übermittelt werden.

Mit Honorarbescheid vom 29. Juni 2006 setzte die Beklagte das Nettohonorar des Insolvenzschuldners für das Quartal II/05 auf 5.734,88 EUR fest, mit Honorarbescheid vom 12. August 2006 für das Quartal III/05 auf 7.341,45 EUR, mit Honorarbescheid vom 28. November 2006 für das Quartal IV/05 auf 2.013,64 EUR sowie mit weiterem Honorarbescheid vom 20. Januar 2007 für das Quartal I/06 auf 12.458,62 EUR.

Mit Schreiben vom 13. April 2007 wandte sich der Kläger dagegen, dass aus dem Quartal IV/2005 eine Überzahlung in Höhe von 5.001,12 EUR als Belastung in das Quartal I/2006 umgebucht worden sei (Bl. 68 Verwaltungsakte). Eine Verrechnung mit Einkünften aus dem Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei nicht möglich. Unter dem 8. Februar 2006 habe die Beklagte für das Quartal I/2006 einen Betrag in Höhe von 4.807,50 EUR auf das Hinterlegungskonto ausgezahlt. Ohne Berücksichtigung der Umbuchung aus dem Quartal IV/2005 erhöhe sich dieser Betrag auf 9.808,62 EUR. Er bitte, diesen Differenzbetrag bis 4. Mai 2007 auf das Hinterlegungskonto anzuweisen, bei fruchtlosem Fristablauf werde er Klage erheben.

Die Beklagte vertrat im Schreiben vom 4. Mai 2007 die Auffassung, dass sowohl der Überzahlungsbetrag als auch die aufzurechnende Gegenforderung bereits zum Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens fällig gewesen seien. Sei ein Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes zur Aufrechnung berechtigt, so werde dieses Recht durch das Verfahren nicht berührt. Aus Gründen der Vorsorge werde der Überzahlungsbetrag aus dem Quartal II/05 zur Insolvenztabelle angemeldet.

Am 14. Mai 2007 hat der Kläger beim Landgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2007, hat das Landgericht den Rechtsstreit an das Sozialgericht Marburg (SG) verwiesen.

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, alle noch offene Honorarforderungen des Insolvenzschuldners seien an ihn auszuzahlen. Die Beklagte sei nicht zur Aufrechnung mit der strittigen Restforderung für das Quartal IV/2005 berechtigt. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO solle nur Gläubiger schützen, deren Forderung automatisch entstehe, ohne dass es weiterer Rechtshandlungen der Parteien bedürfe. Der Insolvenzschuldner praktiziere nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiter als Vertragspsychotherapeut und habe die Sammelerklärung zur Abrechnung seiner Leistungen der Beklagten zugeleitet. Die Beklagte berechne und verteile die Gesamtvergütung. Darin lägen weitere Rechtshandlungen, die erst den Honoraranspruch des Insolvenzschuldners entstehen ließen. Die Verrechnung sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam, da die Beklagte Vergütungsansprüche des Insolvenzschuldners für das Quartal I/06 aufrechne, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien. Diese Hauptforderungen entstünden als Zahlungsansprüche erst mit der Abrechnung der in diesem Quartal erbrachten Leistungen. Erst mit der Abrechnung und der Honorarverteilung werde die Höhe des Anteils an der Gesamtvergütung konkretisiert. Ein aufrechenbarer Zahlungsanspruch sei erst mit der Abrechnung des Quartals I/06 entstanden, also im Februar 2007 und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Auch die Abrechnung des Quartals IV/05 sei erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Die Honorarrückforderung für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung sei keine Masseforderung, sondern Insolvenzforderung. Die Beklagte hat über ihren früheren Prozessbevollmächtigten unter dem 6. Dezember 2007 darauf hingewiesen, das sich bereits vor dem Quartal IV/05 ein Überzahlungsbetrag in Höhe von 4.964,67 EUR (Kontoauszug für das Quartal III/05) aufsummiert habe. Diesem Vortrag ist der Kläger nicht entgegengetreten.

Mit Urteil vom 22. Oktober 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten auf 5.001,12 EUR habe. Zwar sei die Beklagte nicht nach § 94 InsO zur Aufrechnung berechtigt gewesen. Darüber hinaus gestatte § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Insolvenzgläubiger eine weitere Aufrechnung. Seien zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so könne die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten seien. Die Aufrechnung sei ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig werde, bevor die Aufrechnung erfolgen könne (§ 95 Abs. 1 Satz 3 InsO). Zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien die Honoraransprüche für die Quartale II/05 bis IV/05 noch nicht fällig gewesen. Bis zum Erlass des Honorarbescheids habe lediglich eine Anwartschaft bzw. das Recht auf Teilnahme an der Honorarverteilung nach § 85 Abs. 4 SGB V bestanden. Damit sei die Forderung aber bereits dem Grunde nach angelegt gewesen, ohne dass bereits ihre Höhe und Fälligkeit gegeben gewesen sei. Ebenso verhalte es sich mit dem Erstattungsanspruch wegen Überzahlung. Auf die Honorarforderungen des zugelassenen Arztes bzw. Psychotherapeuten würden monatliche Abschlagszahlungen geleistet. Die Restzahlung erfolge unmittelbar nach Fertigstellung der Arbeiten an der jeweiligen Quartalsabrechnung. Einzelheiten zur Ermittlung der Höhe der Abschlagszahlungen sowie zu den Zahlungsmodalitäten regele der Vorstand der KV Hessen (§ 8 Absatz 8.3 der Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Landesverbänden der Krankenkassen zur Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, bekannt gegeben als Anlage 2 zum Landesrundschreiben/ Bekanntmachung vom 10. November 2005 - im Folgenden: HVV). Die Abschlagszahlungen stünden aber unter dem Vorbehalt der Rückzahlung. Die Höhe der Rückzahlung werde erst mit Erlass des Honorarbescheids feststellbar und fällig. Übersteigen die Abschlagszahlungen den Honoraranspruch, so erlösche der Honoraranspruch vollständig und es entstehe ein fälliger Rückzahlungsanspruch. Von daher hätten Forderung und Gegenforderung "ihrem Kern nach" bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 17. April 2007 – VII R 27/06 – Juris Rdnr. 11) bzw. sei der Rechtsgrund für die Ansprüche bereits gelegt gewesen (vgl. BFH, Urteil vom 31. Januar 2008 – VII B 119/07 – Juris Rdnr. 8 m. w. N.). Im Ergebnis würde eine anders lautende Entscheidung bedeuten, dass eine kassenärztliche Vereinigung im Insolvenzfall das Honorar annähernd doppelt auszuzahlen hätte. Entgegen der Auffassung des Klägers komme es hier auf weitere relevante Rechtshandlungen zur Entstehung des Anspruchs nicht an. Jedenfalls für die Quartale II und III/05 sei die Einreichung der Abrechnung erfolgt gewesen. Sei dies aber der Fall, dann entstehe automatisch der Honoraranspruch. Die Beklagte sei dann verpflichtet, den Honorarbescheid zu erlassen.

Gegen das ihm am 31. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. November 2008 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das angefochtene Urteil habe zu Unrecht eine Aufrechnungslage und Aufrechnungsforderung der Beklagten angenommen. Es werde mit unangebrachten Zweckmäßigkeitserwägungen argumentiert, wonach eine kassenärztliche Vereinigung im Insolvenzfall das Honorar annähernd doppelt auszuzahlen hätte. Bereits nach den Grundsätzen zu § 387 in Verbindung mit § 390 BGB sei im vorliegenden Falle eine Aufrechnung nicht möglich: Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zu § 387 BGB müssten nicht nur die Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen gegeben seien, sondern auch die Fälligkeit der Forderung, mit der aufgerechnet werde. Diese habe zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der Beklagtenseite nicht vorgelegen. Davon gehe auch das angefochtene Urteil aus. Auch das von ihm zur Begründung herangezogene Anwartschaftsrecht der Beklagten führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Dabei werde zunächst der Begriff des Anwartschaftsrechts verkannt: Diese Rechtskonstruktion sei für dingliche Ansprüche entwickelt worden und werde im angefochtenen Urteil unzulässigerweise auf einen schuldrechtlichen Anspruch angewandt. Der vermeintliche Gegenanspruch, mit welchem aufgerechnet werde, sei also gar kein Anspruch gewesen, da selbst nach den Urteilsgründen dessen Höhe und Fälligkeit nicht festgestanden habe. Nach dem gegebenen Sachverhalt hätte eine Gegenforderung eventuell entstehen können, oder auch nicht. Das angefochtene Urteil übersehe auch die Bestimmung des § 96 InsO. Danach sei die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Dieser Fall liege hier vor. Die im Urteil des SG zitierten Urteile des Bundesfinanzhofes hätten eine völlig andere Zielrichtung und Grundlage gehabt. Nach den hier allein maßgebenden Grundsätzen des Zivilrechts setze die Aufrechenbarkeit eine voll wirksame und fällige Gegenforderung voraus, wonach umgekehrt mit einer Forderung, der eine Einrede entgegenstehe, gerade nicht aufgerechnet werden könne. Erst recht ausgeschlossen sei die Aufrechnung mit einer aufschiebend bedingten oder aufschiebend befristeten oder künftigen Forderung (vgl. OLG Köln, NJW 1965, 2109).

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.001,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Mai 2007 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für rechtmäßig. Die Aufrechnungsbefugnis der Beklagten habe ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestanden. Entscheidend sei, dass bereits zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung sowohl der Kläger Honoraransprüche für die Quartale II/05 bis IV/05 gegenüber der Beklagten als auch die Beklagte Rückzahlungsansprüche für zuviel geleistete Abschlagszahlungen dem Grunde nach erworben hätten. In Bezug auf die Hauptforderung gelte: Der Kläger habe kraft seiner Zulassung ein Recht zur Teilnahme an der Honorarverteilung. Ein konkreter Honoraranspruch ergebe sich erst nach Prüfung der von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen und der darauf basierenden Errechnung von Verteilungspunktwerten (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004, B 6 KA 44/03 R). Honoraransprüche für die Quartale II/05 ff. seien erst mit Erlass der Honorarbescheide und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig. In Bezug auf die Gegenforderung gelte: Die Gegenforderung der Beklagten habe ihre Grundlage in einem Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Insolvenzschuldner für zuviel geleistetes Honorar. Die Beklagte leiste im jeweils laufenden Quartal Abschlagszahlungen an ihre Mitglieder als Vorschuss auf ein zu erwartendes Quartalshonorar. Die Beklagte sei stets Inhaberin eines Rückzahlungsanspruchs unter der aufschiebenden Bedingung, dass das dem jeweiligen Arzt gegenüber geschuldete Honorar geringer sei als die geleisteten Vorauszahlungen. Maßgebend für die Möglichkeit der Aufrechnung sei, dass das Rechtsverhältnis, das die Grundlage des Anspruchs darstelle, bestehe. Selbst wenn man auf die Entstehung des Anspruchs abstelle, sei dieser bereits mit dem Leisten der ersten Abschlagszahlung entstanden - lediglich unter einer aufschiebenden Bedingung. Das SG habe die Grundlage des Anspruchs der Beklagten in zutreffender Anlehnung an die steuerrechtliche Rechtsprechung herausgearbeitet. Ein Steuerpflichtiger, der zur Sicherung des Steueraufkommens Steuervorauszahlungen leiste, erlange nach ständiger Rechtsprechung des BFH mit deren Zahlung einen Erstattungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung, dass die nach Ablauf des Besteuerungszeitraums geschuldete Steuer geringer ist, als die Summe der geleisteten Vorauszahlungen. Nichts anderes könne gelten, wenn statt eines Steuerpflichtigen eine Behörde kraft gesamtvertraglicher Regelungen des HVV zu Gunsten des jeweiligen Mitglieds Vorausleistungen erbringe. § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO bestimme, dass die Aufrechnung ausgeschlossen ist, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen könne. Der Rückzahlungsanspruch der Beklagten sei jedoch vor dem Honoraranspruch des Klägers fällig gewesen. Der Honoraranspruch entstehe mit Erlass des Honorarbescheides. Der Rückzahlungsanspruch stehe bereits nach Durchführung der jeweiligen Quartalsabrechnung fest und sei dann fällig. Es bedürfe keines Erlasses eines gesonderten Rückforderungsbescheides. Der Rückforderungsbetrag könne sofort in das Arztkonto eingestellt werden. Die Beklagte verrechne in dem Arztkonto die sich aus dem Vertragsarztverhältnis ergebenden wechselseitigen Zahlungsansprüche bzw. Vorauszahlungen und Verwaltungskostenbeträge mit den im Honorarbescheid festgesetzten Honoraransprüchen nach Art eines Kontokorrents (vgl. SG Marburg, Urteil vom 22. August 2007, S 12 KA 575/06 m. w. N.). Der zulässigen Aufrechnung stehe auch nicht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen. Die Beklagte sei dem Insolvenzschuldner nicht erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden. Die Beklagte habe einen aufschiebend bedingten Anspruch auf Anrechnung bereits geleisteter Zahlungen auf den jeweiligen Honoraranspruch erworben. Dabei handele es sich wie auch im Steuerrecht um eine anwartschaftsrechtlich gesicherte Rechtsposition, die das jeweilige Mitglied der Beklagten nicht mehr einseitig verhindern könne.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Urteil des SG ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung 5.001,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Mai 2007.

Ausgangspunkt ist § 94 InsO, in dem klargestellt wird, dass eine zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch die Verfahrenseröffnung nicht berührt wird und die Aufrechnung zulässig bleibt. Zwischen den Beteiligten ist zwischenzeitlich unstreitig, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Aufrechnungslage in Bezug auf die Hauptforderung, die Honoraransprüche des Insolvenzschuldners für die Quartale II bis IV/05, sowie die Gegenforderung, den Erstattungsanspruch der Beklagten wegen Überzahlung aus den Abschlagszahlungen bestanden hat, da beide Ansprüche zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Höhe nach nicht konkretisiert und damit jedenfalls noch nicht fällig waren. Sind zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so kann die Aufrechnung gemäß § 95 Abs. 1 InsO erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. Die §§ 41, 45 InsO sind nicht anzuwenden. Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann (§ 95 Abs. 1 Satz 3 InsO). § 95 InsO will auch denjenigen schützen, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen durfte, dass er sich durch eine später entstehende Aufrechnungslage Befriedigung für seine Forderungen verschaffen kann (Schutz des Vertrauens auf eine entstehende Aufrechnungslage). Soweit es für die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Forderungen oder darauf ankommt, ob ein Anspruch zur Masse gehört oder ob die Forderung eines Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, ist nicht maßgeblich, ob der Anspruch im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nach den einschlägigen (Spezial-)Normen voll wirksam entstanden war, sondern, ob in diesem Zeitpunkt der Rechtsgrund für den Anspruch nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen im rechtlichen Kern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist (vgl. Kroth in BO., Insolvenzordnung, Kommentar, 3. Auflage 2007, Rdnr. 1 zu § 95 m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH - (Urteil vom 29. Juni 2004 IX ZR 147/03) wird die Aufrechenbarkeit auch davon abhängig gemacht, dass die Forderung fällig wird, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedarf. Der BFH hat im Urteil vom 7. April 2007 VII R 27/06 entschieden, dass das Finanzamt gegen einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf Erstattung von Grunderwerbssteuer auch dann aufrechnen kann, wenn das die Erstattung oder Vergütung auslösende Ereignis selbst erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt. Der Anwendung des § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO stehe nicht entgegen, dass der Anspruch, gegen den aufgerechnet wird, von Bedingungen abhängig ist, deren Eintritt bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ungewiss ist und die herbeizuführen oder zu vereiteln in der Macht des Anspruchsberechtigten oder zumindest eines Dritten (wie durch die Ausübung eines dem Verkäufer vertraglich eingeräumten Gestaltungsrechts) stehe. Auf einen gesetzlich garantierten Erstattungsanspruch beziehe sich die Entscheidung des BGH nicht, und könne auch nicht übertragen werden. Ferner geht der BFH davon aus, dass für einen auf Vorauszahlungen beruhenden steuerrechtlichen Erstattungsanspruch der Rechtsgrund im konkurs- bzw. insolvenzrechtlichen Sinne im Zeitpunkt der Vorauszahlung bereits gelegt ist, da der Steuerpflichtige bei Steuervorauszahlungen bereits mit deren Entrichtung einen Erstattungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung erlangt, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung (vgl. BFH, Beschluss vom 31. Januar 2008, VII 119/07).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung – der sich der Senat anschließt – ist das SG zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 InsO im vorliegenden Fall gegeben sind. Zwar hat der Vertragsarzt auch noch mit Vorlage seiner Abrechnung keinen fälligen Anspruch auf ein betrags- oder punktemäßig beziffertes Honorarvolumen. Sein Anspruch ist zunächst auf die Teilhabe an der vertragsärztlichen Gesamtvergütung beschränkt. Erst durch die Honorarfestsetzung konkretisiert sich der Teilnahmeanspruch in einem Honoraranspruch (vgl. BSG vom 31. Oktober 2001, B 6 KA 16/00 R, vom 9. Dezember 2004, B 6 KA 73/03 R und vom 8. Februar 2006, B 6 KA 27/05 R). Dennoch ist mit dem SG davon auszugehen, dass die Hauptforderung, die Honoraransprüche des Vertragspsychotherapeuten und Insolvenzschuldners für die Quartale II bis IV/05, in ihrem rechtlichen Kern im Sinne des Insolvenzrechts bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand, ebenso die Gegenforderung, der aufschiebend bedingte Anspruch der Beklagten auf Erstattung der Überzahlung aus den geleisteten Abschlägen. Der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Psychotherapeut hatte in den Quartalen II bis IV/2005 Honoraransprüche begründende vertragspsychotherapeutische Leistungen erbracht, für die Konkretisierung des Anspruchs hatte der Vertragspsychotherapeut die erbrachten Leistungen durch Einreichung der Abrechnungsunterlagen und Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit (Sammelerklärung) gegenüber der Beklagten zu dokumentieren. Die Beklagte hatte die für die Verteilung der Gesamtvergütung erforderlichen Feststellungen (Budgetierung, Ermittlung der Punktwerte) zu treffen. Spätestens mit der Festsetzung des konkreten Honorars ergab sich der Erstattungsanspruch der Beklagten aufgrund der Überzahlung im Rahmen der Abschlagszahlungen. Der rechtliche Kern für die Honoraransprüche war durch die Teilnahme des Insolvenzschuldners an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung und Erbringung von Leistungen in den Quartalen II bis IV/05 gelegt, ebenso der rechtliche Kern des Rückzahlungsanspruchs im Sinne eines aufschiebend bedingten Anspruchs wegen zuviel geleisteter Abschläge. Die Konkretisierung des Anspruchs der Höhe nach durch Einreichung der Abrechnungsunterlagen und Festsetzung des Anspruchs durch die Beklagte können nicht als Rechtshandlungen angesehen werden, die den durch § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO geschützten Kern der jeweiligen Ansprüche noch berühren.

Vorliegend greift auch nicht § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO, wonach die Aufrechnung ausgeschlossen ist, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Die Honorarforderungen des Klägers für die Quartale II/05 bis einschließlich IV/05 sind nicht fällig geworden, bevor die Aufrechnung erfolgen konnte, also bevor auch der Erstattungsanspruch der Beklagten aus Überzahlung im Rahmen der geleisteten Abschläge fällig wurde. Da die Aufrechnung gemäß § 95 Abs. 1 InsO erst erfolgen kann, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind, sich also gegenseitige, gleichartige und fällige Haupt- und Gegenforderungen gegenüberstehen, konnte die Aufrechnung zwar nicht vor Fälligkeit des Honoraranspruchs des Klägers sowie des Rückzahlungsanspruchs der Beklagten erklärt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Aufrechnung durch zumindest schlüssige Erklärung der Beklagten gegenüber dem Kläger nach Entstehen der Aufrechnungslage nach Erlass der Honorarbescheide für die Quartale II/05 bis IV/05 erfolgte, spätestens indem sie eine Auszahlung des mit Schreiben des Klägers vom 13. April 2007 geltend gemachten Differenzbetrags verweigerte (vgl. Schreiben der Beklagten vom 4. Mai 2007). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Rechtswirkungen im Wege der Verrechnung auf dem Arztkonto im Sinne des Kontokorrents eintreten können, wie dies von der Beklagten vertreten wird. Jedenfalls ist der Honoraranspruch des Klägers durch Aufrechnung der Beklagten mit deren fälligen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 5001,12 EUR erloschen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Hiernach ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn der Gläubiger nach Verfahrenseröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist, die Hauptforderung des Schuldners also erst nach Verfahrenseröffnung entstanden ist. Entstanden in diesem Sinne ist eine Forderung dann, wenn und sobald ihr gesicherter Rechtsgrund gelegt, der Anspruch insolvenzrechtlich begründet ist. § 96 erfasst damit nicht die bereits durch § 95 Abs. 1 Nr. 1 geschützten Ansprüche, wenn die Aufrechnungsbefugnis bei Verfahrenseröffnung bereits in dem durch § 95 geschützten Kern entstanden war (vgl. Kroth in BO., Insolvenzrecht, a. a. O, Rdnrn. 1, 8 und 10 zu § 96).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die endgültige Streitwertfestsetzung auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlagen.
Rechtskraft
Aus
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