L 4 R 450/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 52 R 1155/10 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 450/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.5.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der in Israel lebende Beschwerdeführer beantragte anwaltlich vertreten nach Rücknahme einer auf Zahlung von Rente unter Berücksichtigung von so genannten "Getto-Beitragszeiten" gerichteten Klage (S 27 R 289/05) unter Hinweis auf geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Überprüfung des ablehnenden Bescheides vom 17.5.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 12.5.2005 (Schreiben vom 15.9.2009). Dazu legte er unter anderem eine von ihm unterzeichnete Zahlungserklärung (22.9.2009) vor, wonach die Rente auf ein mit seinem Namen geführtes - näher bezeichnetes - Konto in Israel und die Rentennachzahlung auf ein - ebenfalls näher bezeichnetes - Konto seiner Bevollmächtigten in Berlin zu überweisen sei. Daraufhin trat die Beschwerdegegnerin in Ermittlungen ein, teilte mit, sie werde ihre ablehnende Entscheidung von Amts wegen unter Beachtung der neueren Rechtsprechung überprüfen und bat um Übersendung von weiteren Unterlagen (Schreiben vom 1.3.2010). Anwaltlich vertreten teilte der Beschwerdeführer mit, die bisherige Zahlungserklärung sei überholt. Er werde für die Überweisung der Rentennachzahlung ein eigenes separates Konto benennen und dies in einer neuen Zahlungserklärung übermitteln. Zugleich bat er um Übersendung eines neuen Zahlungserklärungsvordrucks, um den neuen Zahlungsweg sicher zu stellen (Schreiben vom 25.3.2010), später um stillschweigende Fristverlängerung zur Rücksendung der "Zahlungverfügung", da diese von dem israelischen Korrespondenzbüro noch nicht zurückgereicht worden sei (Schreiben vom 4.5.2010). Eine Anfrage der Beschwerdegegnerin an das National Insurance Institute in Israel (14.4.2010) nach in der dortigen Rentenversicherung für den Erwerb des Anspruchs zurückgelegten Zeiten ist bislang ohne Antwort geblieben und ein Rentenbescheid noch nicht erteilt worden.

Den am 12.5.2010 beim Sozialgericht (SG) gestellten und zeitgleich mit dem Hinweis auf eine unmittelbar bevorstehende Rentennachzahlung sowie eine geänderte Zahlungsabwicklung des Beschwerdegegners - der dazu übergegangen sei, auch Rentennachzahlung ohne Rechtsgrundlage direkt an die Rentenberechtigten zu überweisen - begründeten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, die für den Antragsteller zu erwartende Rentennachzahlung aus dem Rentenverfahren VSNR: 000 auf das Rechtsanwaltsanderkonto der Unterzeichnenden Nr. 000 - H, T - bei der C W-bank, BLZ 000, zu überweisen,

hilfsweise,

im Wege einer Zwischenentscheidung ("Hängebeschluss") die Antragsgegnerin zu veranlassen, bis zur abschließenden Klärung der Sach- und Rechtslage die zu erwartende Rentennachzahlung nicht zur Auszahlung zu bringen,

hat das SG "als unzulässig abgelehnt", weil kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe (Beschluss vom 14.5.2010, zugestellt am 20.5.2010).

Mit der am 28.5.2010 eingelegten Beschwerde verfolgt der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer sein Begehren weiter. Entgegen der Auffassung des SG gebe es unzählige Gründe dafür, dass die Nachzahlung auf das Rechtsanwaltsanderkonto der Bevollmächtigten überwiesen werde. An seinem Rechtsschutzinteresse könne es keinen vernünftigen Zweifel geben. Die vom SG erwähnte Aufsichtsverfügung, gegen die die Beschwerdegegnerin selbst Klage beim 14. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) erhoben habe, stelle lediglich eine interne Meinungsbildung oder Arbeitsanweisung dar. Die übrigen Versicherungsträger hielten an der bisherigen Zahlungspraxis fest und entsprächen dem Willen der Rentenberechtigten.

Die Beschwerdegegnerin hält den angefochtenen Beschluss unter Bezugnahme auf einen Beschluss des SG Berlin vom 30.4.2010 - S 21 R 2208/10 ER -, der in einer vergleichbaren Angelegenheit ergangen sei, für zutreffend. Ein Bescheid habe noch nicht erteilt werden können, da die Zahlungserklärung noch nicht vorliege.

Eine vom Gericht angeforderte Prozessvollmacht, die sich erkennbar auf das vorliegende Verfahren bezieht, ist bislang nicht vorgelegt worden. Die Beteiligten sind auf den Beschluss des LSG NRW vom 17.6.2010 - L 8 R 451/10 B ER - hingewiesen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat das SG sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag des Beschwerdeführers abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Recht des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (S. 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (S. 2).

Die Voraussetzungen für eine solche einstweilige Anordnung liegen nicht vor. Dabei kann der Senat offen lassen, ob hinsichtlich des gestellten Hauptantrages bei dem derzeitigen Sachstand, wonach über einen Anspruch auf Rente dem Grunde nach noch nicht entschieden worden ist und die Beklagte offenbar auch das Fehlen einer Zahlungserklärung als Hindernis für eine Bescheiderteilung ansieht, bereits ein Rechtsschutzbedürfnis besteht und damit die auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen (vergleiche Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rn. 7 und 26 mit weiteren Nachweisen; Düring in Berliner Kommentare, SGG, § 86b Rn. 19) erfüllt sind.

Ferner kann offen bleiben, ob angesichts des noch offenen Ausgangs des unter dem Aktenzeichen L 14 R 281/10 KL geführten Klageverfahrens betreffend die Aufsichtsklage der Beschwerdegegnerin sowie der vorgebrachten Argumente im Antrags- und Beschwerdeverfahren bei der erforderlichen Interessenabwägung insoweit ein Anordnungsanspruch des Beschwerdeführers vorliegt, was der Senat für zweifelhaft hält. Denn jedenfalls fehlt es an einem Anordnungsgrund.

Dem Begehren des Beschwerdeführers entspricht - entgegen seiner Auffassung - jedenfalls hinsichtlich des Hauptantrages nicht die grundsätzlich auf ein Unterlassen gerichtete (vergleiche Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 30.3.2010 - L 2 P 7/10 B ER -) Sicherungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 S. 1 SGG, sondern die auf eine Verpflichtung der Beschwerdegegnerin gerichtete Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da die Unterscheidung der Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 1 oder S. 2 SGG für die zu treffende Entscheidung von untergeordneter Bedeutung ist. In jedem Fall muss - neben einem Anordnungsanspruch - ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden, das heißt überwiegend wahrscheinlich sein (vergleiche LSG NRW, Beschluss vom 10.5.2010 - L 10 P 10/10 B ER Rdn. 20 f. -; Bayerisches LSG, a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

Bei der Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Für die Sicherungsanordnung ist Anordnungsgrund die Gefahr einer Vereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes. Bloße Möglichkeiten einer beeinträchtigenden Maßnahme sind noch keine Gefahr. Es müssen Tatsachen vorliegen, die auf unmittelbar bevorstehende Veränderungen schließen lassen. Vermieden werden soll sowohl bei der Sicherungs- als auch bei der Regelungsanordnung, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann. Für die Frage, ob wesentliche Nachteile in diesem Sinne vorliegen, ist entscheidend, ob es nach den Umständen des Einzelfalls für den Betroffenen zumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, wobei es auf eine Interessenabwägung ankommt (vergleiche Keller, a.a.O., Rn. 29 f mit weiteren Nachweisen). Zudem wird aus dem Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes gefolgert, dass nur eine vorläufige Regelung getroffen werden darf, mit der die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen wird. Nur in dem Ausnahmefall, in dem die Entscheidung in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommen und damit effektiver Rechtsschutz verweigert würde, etwa weil eine Existenzvernichtung droht, ist es zulässig, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren das zu gewähren, was in der Hauptsache begehrt wird (vergleiche Düring, a.a.O., Rn. 35 mit weiteren Nachweisen).

Soweit der Beschwerdeführer mit dem am 12.5.2010 gegenüber dem SG formulierten Hauptantrag die Auszahlung der seiner Auffassung nach zu erwartenden Rentennachzahlung auf das dort ebenso wie in der Zahlungserklärung vom 22.9.2009 genannte Rechtsanwaltsanderkonto begehrt, steht dies bereits in Widerspruch zu seinen zeitnahen Erklärungen gegenüber der Beschwerdegegnerin im Verwaltungsverfahren, die bisherige Zahlungserklärung (vom 22.9.2009) sei überholt, er werde ein eigenes separates Konto benennen und dies in einer neuen Zahlungserklärung übermitteln, er bitte insoweit um Fristverlängerung (Schreiben vom 25.3.2010 und 4.5.2010). Wesentliche Nachteile, die es nach den Umständen des Einzelfalls für ihn unzumutbar machen könnten, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, sind dem Senat auch aus seinem gesamten Vorbringen nicht ersichtlich. Ebenso wenig ergibt sich aus seinem Vortrag das Bestehen der konkreten Gefahr einer Vereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes, sondern allenfalls eine bloße Möglichkeit beeinträchtigender Maßnahmen, denn bislang ist nicht einmal ein Anspruch auf Rente dem Grunde nach festgestellt. Mit einer vom Gericht ausgesprochenen Verpflichtung der Beschwerdegegnerin, eine Rentennachzahlung auf das zunächst genannte Rechtsanwaltsanderkonto zu überweisen, wäre zudem eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache verbunden, ohne dass Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall ersichtlich wären, in dem eine Entscheidung in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommen und damit effektiver Rechtsschutz verweigert würde.

Hinsichtlich des von dem Beschwerdeführer formulierten Hilfsantrages fehlt bereits das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Beschwerdegegnerin hat darauf hingewiesen, ein Bescheid habe noch nicht erteilt werden können, da die Zahlungserklärung noch nicht vorliege. Damit trägt sie offensichtlich unabhängig von den offenbar noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen hinsichtlich des Anspruchs auf Rente dem Grunde nach auch der Tatsache Rechnung, dass der Beschwerdeführer die frühere Zahlungserklärung vom 22.9.2009 als überholt bezeichnet und die Vorlage einer neuen Zahlungserklärung mit Angabe eines eigenen separaten Kontos angekündigt sowie insoweit um Fristverlängerung gebeten hat. Demnach ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin selbst im Falle einer nach Abschluss der sonstigen Ermittlungen vorgesehenen Rentenbewilligung diese umgehend zur Auszahlung bringt, ohne dass eine neue Zahlungserklärung vorliegt.

Verfassungsrechtliche Bedenken beziehungsweise eine drohende Verletzung von Grundrechten sieht der Senat nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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