L 2 AS 3404/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 3811/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 3404/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung in dem Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung ist zulässig; insbesondere ist sie gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Beschwerde ist aber nicht etwa deshalb unbegründet, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits deshalb unzulässig wäre, weil ein Antrag auf Feststellung nicht Gegenstand eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes sein kann. Der Antragsteller begehrt mit seinem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Feststellung, dass die Eingliederungsvereinbarung zwischen ihm und der Antragsgegnerin vom 24. Juni 2010 ungültig bzw. rechtsunwirksam ist.

Da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG nicht vorliegen, kann der begehrte vorläufige gerichtliche Rechtsschutz nur im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG gewährt werden. Für die Frage, wie etwaiger vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden kann, ist auf das in Betracht kommende Hauptsacheverfahren und den dort möglichen Entscheidungsrahmen abzustellen (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 3. März 2008 - L 3 B 187/07 AS-ER, veröffentlicht in Juris). Das Gericht kann allerdings durch eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht mehr zusprechen, als der Antragsteller mit einer Hauptsacheklage erreichen könnte (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2009, § 123 Rdnr. 11 mwN.). Im Hauptsacheverfahren wäre die Feststellungsklage nach § 55 SGG die statthafte Klageart. Der Antragsteller macht geltend, dass die Eingliederungsvereinbarung, die auf § 15 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) beruht, ungültig bzw. rechtsunwirksam sei. Ob die vom Antragsteller gegen die Eingliederungsvereinbarung vorgetragenen Einwände durchgreifen, wäre im Rahmen der Begründetheit einer Feststellungsklage zu prüfen. Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, dass der Antragsteller im Kern behauptet, die Eingliederungsvereinbarung sei wegen "Gesetzesverstößen" unwirksam, d. h. nichtig im Sinne von § 58 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Frage aber, ob ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig ist, kann unstreitig mit der Feststellungsklage geklärt werden (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage, 2008, § 58 Rdnr. 3 mwN.).

Dass aber im Rahmen einer einstweiligen Anordnung auch vorläufige Feststellungen getroffen werden können, hat bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 1985 2 BvR 1167, 1185, 1636/84, 308/85 und BVerfGE 71, 305, 347; Kopp/Schenke aaO, Rdnr. 9 mwN).

Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist auch nicht - mehr - deshalb unzulässig, weil dem Antragsteller hierfür das Rechtsschutzbedürfnis - wovon das SG in seinem Beschluss vom 5. Juli 2010 ausgeht - fehlt.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung und muss bei jeder Rechtsverfolgung, d. h. jedem an ein Gericht adressierten Antrag, vorliegen. Demnach hat nur derjenige den Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt. Das Gericht muss in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen prüfen, ob das Rechtsschutzinteresse (noch) vorliegt. Der Antragsteller hat in seinem Schriftsatz vom 4. Juli 2010 - eingegangen beim SG am 5. Juli 2010 -, der sich mit dem Beschluss des SG vom 5. Juli 2010 gekreuzt hat, vorgetragen, dass er inzwischen die Eingliederungsvereinbarung vom 24. Juni 2010 unterschrieben und der Antragsgegnerin zurückgereicht habe; auch in seiner Beschwerdebegründung hat der Antragsteller hierauf abgehoben. Insofern ist nunmehr - im Hinblick auf die Ausführungen des SG zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis mangels Unterschrift des Antragstellers unter der Eingliederungsvereinbarung vom 24. Juni 2010 - eine neue tatsächliche Situation geschaffen. Ein Rechtsschutzinteresse fehlt u. a. auch dann, wenn Rechtsschutz in einer zu missbilligenden Weise oder zur Verfolgung von missbilligenden Zielen in Anspruch genommen wird (vgl. Kopp/Schenke aaO., Vorb § 40 Rdnr. 52 mwN.). Dies kann der Fall sein, wenn die Rechtsverfolgung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch) verstößt. Eine Rechtsausübung ist u. a. unzulässig, wenn sie mit früherem Verhalten im Widerspruch steht, auch wenn durch das frühere Verhalten kein schützenswertes Vertrauen anderer begründet wurde (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 3. März 2008 aaO.). Der Senat lässt vorliegend ausdrücklich offen, ob und unter welchen Voraussetzungen in diesem Sinne eine missbräuchliche Rechtsverfolgung für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung angenommen werden kann, wenn ein Bürger, der mit einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Feststellung der Unwirksamkeit einer Eingliederungsvereinbarung verfolgt, während des anhängigen gerichtlichen Verfahrens die bis dahin wegen seiner fehlenden Unterschrift schon nicht wirksame Eingliederungsvereinbarung mit seiner Unterschrift jedenfalls in dieser Hinsicht zur Rechtswirksamkeit verhilft.

Denn der Antragsteller hat jedenfalls im Hinblick auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. z.B. Beschlüsse Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa Beschlüsse Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.)

Soweit sich der Antragsteller dafür, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 24. Juni 2010 unwirksam sei, darauf bezieht, dass es einer neuen Eingliederungsvereinbarung gar nicht bedurft hätte, da die vorherige noch bis 27. Juni 2010 gültig gewesen sei, sowie darauf, dass ihm zur Prüfung und Unterschrift unter die Eingliederungsvereinbarung lediglich eine nicht angemessene Frist von 1 Woche gesetzt worden sei, sind diese Einwände schon durch "Zeitablauf" bzw. durch das eigene Verhalten des Antragstellers obsolet geworden. Da maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen - somit auch des Anordnungsanspruchs - regelmäßig die Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung sind, war die vorherige Eingliederungsvereinbarung vom 28. Dezember 2009 zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht mehr gültig. Im Übrigen hat der Antragsteller nunmehr die Eingliederungsvereinbarung unterschrieben, weswegen es auf seinen Einwand der hierfür unangemessenen Frist nicht mehr ankommt. Soweit der Antragsteller darauf abhebt, dass es den in der Eingliederungsvereinbarung sich wiederfindenden Beruf des "Elektrotechnikermeisters" nicht gäbe bzw. darauf, dass ihm im Hinblick auf die in der Eingliederungsvereinbarung enthaltene Erstattung von Bewerbungskosten nicht die Möglichkeit eingeräumt worden sei, eine entsprechende Kontoverbindung anzugeben, sind diese Einwände unerheblich bzw. inhaltlich unzutreffend. Offensichtlich kann die von der Antragsgegnerin in der Eingliederungsvereinbarung gewählte Berufsbezeichnung "Elektrotechnikermeister" nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Eingliederungsvereinbarung führen; dies muss nicht näher ausgeführt werden. Da der Antragsteller im laufenden Leistungsbezug steht und damit der Antragsgegnerin seine Kontoverbindung bekannt ist, wird sie auch für eine evtl. Erstattung von Bewerbungskosten diese Kontoverbindung in Anspruch nehmen, weswegen der Einwand des Antragstellers fehl geht. Sachlich unzutreffend ist der weitere Einwand des Antragstellers, die Eingliederungsvereinbarung vom 24. Juni 2010 sei "gegen ihn gerichtet" in dem Sinne, dass die Antragsgegnerin selbst in der Eingliederungsvereinbarungen keine Verpflichtungen eingehe, sondern ausschließlich ihm Pflichten auferlegt würden. Unter der Rubrik "Verpflichtungen der Antragsgegnerin" ist Folgendes aufgenommen: die Antragsgegnerin vermittelt dem Antragsteller Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen. Sie nimmt das Bewerbungsprofil in www.arbeitsagentur.de auf. Die Antragsgegnerin bietet dem Antragsteller folgende Forderungen aus dem Vermittlungsbudget gem. § 16 Abs. 1 SGB II iVm. § 45 SGB III an: - Übernahme der Kosten für schriftliche Bewerbungen auf vorherige Antragstellung und schriftlichen Nachweis bis zu einem Betrag von 500,00 EUR jährlich; - Übernahme von Reisekosten zu Vorstellungsgesprächen auf vorherige Antragstellung und Nachweis. Ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung kann der Hinweis des Antragstellers führen, es sei ihm bislang kein Exemplar der Eingliederungsvereinbarung ausgehändigt worden; dies dürfte sich durch eine einfache diesbezügliche Nachfrage bei der Antragsgegnerin erledigen lassen. Soweit der Antragsteller in seiner Antragsbegründung vom 25. Juni 2010 noch darauf abgehoben hat, dass die "angegebenen Termine für Stellenbewerbungen maßlos überzogen" seien, hat er seine Ansicht diesbezüglich revidiert, denn in der weiteren Antragsbegründung vom 4. Juli 2010 hat er ausdrücklich angeführt, dass es ihm "nicht um die Anzahl der Bewerbungen" gehe, zu der er sich in der Eingliederungsvereinbarung verpflichtet hat. Soweit der Antragsteller schließlich grundsätzlich Kritik an der Eingliederungsvereinbarung dahingehend übt, dass es auf ihn bezogen keiner Eingliederungsvereinbarung bedürfe, er diese "quasi" als Erpressung sehe und er in der Vergangenheit auch ohne eine solche Eingliederungsvereinbarung seinen Verpflichtungen nachgekommen sei, ist er darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin mit dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung lediglich dem "gesetzlichen Auftrag" aus § 15 Abs. 1 SGB II nachkommt, wonach mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen (Eingliederungsvereinbarung) vereinbart werden sollen. Schließlich ist der Einwand des Antragstellers, die Eingliederungsvereinbarung verstoße gegen das Grundgesetz für den Senat nicht nachvollziehbar; insofern finden sich keine Anhaltspunkte in der Eingliederungsvereinbarung.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gem. § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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