L 1 R 296/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 608/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 296/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
SGB 6, Leistungen der medizinischen Rehabilitation, persönliche Voraussetzungen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. Juli 2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Der 1966 Kläger absolvierte von 1983 bis 1985 eine Lehre als Maler und war bis zum Jahre 1992 als Maler/Verkaufsberater tätig. Vom 23. September 1993 bis 31. Dezember 1998 bezog der Kläger auf Grund des Bescheides der Beklagten vom 15. Mai 1995 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 11. März 2005 gewährte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 30. Juli 2007 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 29. Juli 2005 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und reichte hierzu verschiedene medizinische Unterlagen ein. In einem Bericht des E.-Krankenhauses in H. vom 2. März 1992, in dem sich der Kläger vom 8. September 1991 bis zum 28. Januar 1992 einer stationären Behandlung unterzogen hatte, wird mitgeteilt, es handele sich um ein ausgesprochen schwerwiegendes Krankheitsbild, dass in schweren Fällen zum Tode führen könne. Nach einem Arztbericht der M.-L.-U. H.-W. vom 19. April 1994 war eine Krisenintervention wegen akuter Suizidalität bei kombinierter Persönlichkeitsstörung erforderlich; hierzu befand sich der Kläger vom 3. März 1994 bis 7. April 1994 in dortiger stationärer Behandlung.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Oktober 2005 den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab. Der Kläger beziehe bereits eine Rente wegen voller Erwerbsminderung; seine Erwerbsfähigkeit könne durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in absehbarer Zeit nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Hiergegen legte der Kläger am 21. November 2005 Widerspruch ein. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung werde lediglich befristet bis Juni 2007 gewährt; solange die Beklagte diese Rente nicht in eine Rente auf Dauer umwandeln würde, gehe sie selbst davon aus, dass die Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Art und Schwere der Gesundheitsstörungen – somatoforme Störungen und kombinierte Persönlichkeitsstörungen – sei leider nicht zu erwarten, dass durch die beantragte Leistung zur medizinischen Rehabilitation die bereits bestehende Erwerbsminderung beseitigt werden könne. Der Kläger hat am 28. Juli 2006 beim Sozialgericht Halle (SG) Klage erhoben und vorgetragen, er gehe davon aus, dass seine Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert bzw. wiederhergestellt werden könne. Diesbezüglich verweist er auf einen Reha-Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik G., Abteilung Psychosomatik, vom 3. Dezember 1998, in der er sich vom 19. August 1998 bis zum 7. Oktober 1998 einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unterzogen hatte. Die behandelnden Ärzte haben eine asthenisch-zwanghafte Persönlichkeit mit sozialer Isolierung und Selbstaufgabetendenzen sowie eine funktionelle Störung psychischen Ursprungs im Magen-Darm-Trakt diagnostiziert. Sie haben eine ambulant-supportive Psychotherapie sowie berufsfördernde Leistungen in Form einer Umschulung vorgeschlagen.

Auf Veranlassung der Beklagten im Rentenverfahren hat der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. nach Hausbesuch am 13. Juni 2007 ein nervenfachärztliches Gutachten vom 13. Juni 2007 erstellt. Der Arzt hat eine gehemmt aggressive schizoide Primärpersönlichkeit (Psychopathie) mit Zeichen einer instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ und Hinweisen für ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom diagnostiziert. Der Kläger sei schwer psychisch gestört und völlig außerstande, seine hohe Primärintelligenz praktisch umzusetzen. Er sei nach Schulabschluss nicht in der Lage gewesen, sich kontinuierlich in ein Berufsbild einzufinden und sich entsprechend anzupassen. Dadurch sei es permanent zu krankheitsbedingten Auseinandersetzungen mit der eigenen Familie und dem gesamten sozialen Umfeld gekommen. Der Kläger versuche die Umwelt unter sich leiden zu lassen und sei unverrückbar der Meinung, dass sich die Umwelt nach seinen Belangen zu richten habe. Er meine, dass andere Menschen nur das Schlechteste von ihm wollen würden und er sich deshalb in seine häusliche Umgebung zurückziehen müsse. Er wehre sich energisch gegen die "Zumutung" außer Haus zu gehen, um sich begutachten zu lassen. Ihm würden nur wenige Tätigkeiten Freude bereiten. Er verhalte sich distanziert mit abgeflachten Affekten und sei völlig außerstande, warme und zärtliche Gefühle für andere zu empfinden. Er sei gleichgültig gegenüber Lob oder Kritik von anderen. Er zeige kein Interesse an sexuellen Erfahrungen mit anderen Menschen und sei übermäßig beansprucht mit Fantasien und Introvertiertheit. Er habe und wünsche keine Freunde und habe ein mangelhaftes Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen. Unter diesen Kriterien sei er nicht für eine regelmäßige lohnbringende Tätigkeit einsatzfähig. Eine Besserung sei unwahrscheinlich.

Die Beklagte hat daraufhin mit Rentenbescheid vom 4. Juli 2007 dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2007 auf unbestimmte Dauer bewilligt.

Das SG hat einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Hausarztes und Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 2. September 2008 eingeholt, wonach eine ausgeprägte psychiatrische Erkrankung mit Vermeidungsverhalten vorliege und eine Verbesserung auch unter intensiver medikamentöser und psychiatrischer Therapie nicht zu erzielen sei; eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme sei nicht sinnvoll. Das SG hat einen Entlassungsbericht des C.-v.-B.-Klinikums M. vom 22. Juli 2006 beigezogen, in dem sich der Kläger zu verschiedenen Zeiträumen einer stationären oder teilstationären Behandlung unterzogen hat. Auch die dort behandelnden Ärzte haben eine somatoforme, autonome Funktionsstörung mit chronifizierten ausgeprägten Vermeidungsverhalten diagnostiziert sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (paranoid, narzisstisch, abhängig, schizoid). Es sei von einer schwerwiegenden und umfangreichen Persönlichkeitsstörung auszugehen mit chronifizierten Somatisierungs- und Rückzugstendenzen sowie Vermeidungsverhalten. Es könnten nur minimale Verbesserungen der Symptomatik erreicht werden. Es sei von einer ungünstigen Prognose und einer Therapieresistenz auszugehen. Nach einem ebenfalls vom SG beigezogenen Entlassungsbericht des Klinikums M.-L. vom 8. September 2004, in dem sich der Kläger ebenfalls einer stationären Behandlung unterzogen hatte, liegen bei dem Kläger eine unklare Persönlichkeitsstörung bei chronisch familiärer Belastungssituation, eine Mastopathie beidseits sowie ein Verdacht auf Hormonstörung vor. Eine Behandlung in der geschlossenen Station habe der Kläger abgelehnt und sei daraufhin gegen ärztlichen Rat entlassen worden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. Juli 2009 abgewiesen. Eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sei nicht wahrscheinlich. Dies ergebe sich aus den medizinischen Unterlagen sowie daraus, dass der Kläger nach den Ausführungen seines Prozessbevollmächtigten in einem Erörterungstermin, zu dem der Kläger nicht erschienen ist, nicht in der Lage gewesen sei, die Grenzen seines Grundstücks zu überschreiten. Dr. W. sei bereits in seinem Gutachten, dem das SG folge, davon ausgegangen, dass eine Besserung der bei dem Kläger bereits seit dem Jahr 1994 bestehenden Gesundheitsstörung unwahrscheinlich sei und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht sinnvoll seien. Auch in dem Entlassungsbericht des C.-v.-B.-Klinikums M. vom 22. Juni 2006 werde beschrieben, dass im Rahmen der dortigen stationären und teilstationären Behandlungen nur minimal Verbesserungen hätten erzielt werden können. Es sei insgesamt von einer Therapieresistenz auszugehen. Dies stimme überein mit den Angaben des behandelnden Allgemeinmediziners Koth, der eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme für nicht sinnvoll erachtet habe. Auch in dem Bericht des E.-Krankenhauses vom 2. März 1992 würde ein entsprechend schwerwiegendes Krankheitsbild beschrieben und mitgeteilt, dass keine Verbesserungen der Gesundheitsstörungen des Klägers hätten erzielt werden können.

Gegen das ihm am 31. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. August 2009 Berufung eingelegt. Er hat auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen sowie u. a. wörtlich ausgeführt: "Die medizinischen Unterlagen ergeben den Straftatbestand des Betruges ( ) dann wird der Richter urteilen: der Arzt verstößt mit seinem gewaltigtätigen Verhalten gegen soziale Normen, eine Antiaggressionstherapie wäre anzuraten, oder Richter? ( ) sollte das Urteil nicht in meinen Sinn ausfallen, werde ich mich in Zukunft genauso anderen Menschen gegenüber verhalten, wie die Psychiater, Soz.-Arbeiter und Behörden mir gegenüber verhalten, als erstes greife ich einer entsprechenden weiblichen Person zwischen die Beine und sperre sie anschließend 36 Tage in einen Keller ( ) als erstes müssen bei Reha-Maßnahmen die körperl. Beschwerden behoben werden, da mir eine Psychiaterin 1991 dicke Eier verpasst hat und das mit Thusnelda offensichtlich nichts ist, können hier Prostituierte zum Einsatz kommen ( ) Der Gedanke und die Perspektive eines Bordells wäre eine sehr konstruktive Idee. Ich würde dort mit Unterstützung ca. 10 bis 15 Arbeitsplätze schaffen, als Existenzgründer gerade hier in der Krisenregion sehr wichtig ( ) Die zu ermöglichen Kontakte wären in meinem Fall Fick-Kontakte. Diese Leistungen hätten mir schon vor genau 16 Jahren ermöglicht werden müssen. Nun kann man sagen, so etwas ist keine Leistung nach dem Sozialgesetzbuch. Das was Ärzte mit mir gemacht haben und zu meiner Situation führte, waren auch keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Es wurde trotzdem anerkannt und honoriert. Da sah man keine Probleme. Aber bei der Behebung des Schadens werden mir Probleme bereitet. Wo ist hier die Moral? Es gibt auch eine freie Budgetierung. Über diese Leistung könnte ich mir die Behebung der dicken Eier leisten."

Der Senat hat einen Befundbericht vom 19. November 2009 des Allgemeinmediziners M. K.-H. eingeholt, wonach die Arzt-Patientenbeziehung Anfang 2009 beendet wurde. Der Gesundheitszustand habe sich bis dahin eher verschlechtert, wobei sich der Kläger einer Behandlung entziehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. das Urteil des Sozialgericht Halle vom 24. Juli 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2006 aufzuheben, und

2. die Beklagte zu verpflichten, auf seinen Antrag vom 29. Juli 2005 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu bewilligen.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt,

die Berufung gegen das Urteil vom 24. Juli 2009 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gem. §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und gem. § 155 Abs. 3 und 4 SGG durch den Berichterstatter entscheiden. Es besteht kein Grund, abweichend von den Erklärungen der Beteiligten durch den gesamten Senat zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 2/08 R – juris). Denn die zu beurteilende Sach- und Rechtslage ist klar und eindeutig.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2006 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 9 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) i.V.m. §§ 10, 11 SGB VI. Hiernach erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI setzt dies bei geminderter Erwerbfähigkeit voraus, dass diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann. Liegt bereits eine volle Erwerbsminderung vor, besteht ein Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur, wenn wahrscheinlich ist, dass durch diese Leistungen nicht nur vorübergehend eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit im Sinne der Wiederherstellung einer zumindest teilweisen Erwerbsfähigkeit erreicht werden kann (Kater in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 64. Ergänzungslieferung, § 10 Rn. 11).

Bei dem Kläger war bei einer vorliegenden verminderten Erwerbsfähigkeit zu keinem Zeitpunkt eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erwarten. Das Gericht verweist insoweit auf die Ausführungen des SG im Urteil vom 24. Juli 2009 und schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Überprüfung an (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend wird auf den im Berufungsverfahren eingeholten Befundbericht des Hausarztes Koth-Herrmann vom 19. November 2009 hingewiesen, wonach sich die gesundheitliche Situation des Klägers eher verschlechtert hat. Die oben zitierten Äußerungen des Klägers im Berufungsverfahren bestätigen die überstimmende Bewertung aller behandelnden Ärzte und auch des Gutachters Dr. Wartmann, wonach wegen der schweren psychischen Erkrankung des Klägers eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit nicht erreicht werden kann. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst meint, die von ihm begehrten Leistungen seien "keine nach dem Sozialgesetzbuch".

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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