L 7 SB 67/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 SB 128/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 67/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Merkzeichen RF bei künstlichem Darmausgang
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF".

Der am ... 1932 geborene Kläger stellte erstmals im Januar 1992 beim Amt für Versorgung und Soziales der Stadt M. (Versorgungsamt) einen Antrag nach dem damaligen Schwerbehindertengesetz unter Hinweis auf die Erkrankung einer Colitis ulcerosa. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 1993 stellte das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 v. H. fest.

Im April 2004 stellte der Kläger aufgrund eines Ileostoma einen Neufeststellungsantrag des GdB und beantragte zugleich die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "RF". Mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 hob das Landesverwaltungsamt den Bescheid vom 19. Oktober 1992 auf und stellte den Grad der Behinderung ab 14. April 2004 mit 50 v. H. fest. Es lehnte jedoch die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "RF" ab. Insbesondere seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" nicht erfüllt, weil der Kläger aufgrund seiner Leiden nicht ständig daran gehindert sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Auf den Widerspruch des Klägers erließ das Versorgungsamt den Abhilfebescheid vom 7. März 2005 und stellte ab 14. April 2004 einen GdB von 70 v. H. fest. Das Widerspruchsverfahren gegen den Abhilfebescheid blieb erfolglos.

Im Juli 2005 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt die Neufeststellung des GdB sowie die Feststellung der Voraussetzungen des Merkmals "RF". Zur Begründung legte er die Befundberichte des Direktors der Urologischen Universitätsklinik der Otto-von-Guericke-Universität M. Prof. Dr. A. vom 6. Dezember 2004, 11. April 2005 und 1. Juli 2005 bei. Mit Bescheid vom 18. November 2005 stellte das Versorgungsamt ab 11. Juli 2005 einen GdB von 90 v. H. fest, lehnte es jedoch ab, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festzustellen. Als Funktionsbeeinträchtigungen nahm es den Verlust der Prostata, einen künstlichen Darmausgang bei Verlust des Enddarms und chronischer Darmerkrankung und eine künstliche Harnableitung auf. Hiergegen erhob der Kläger am 30. November 2005 Widerspruch und führte unter anderem aus, aufgrund der zahlreichen schweren Operationen und den damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen und Behinderungen habe er allergrößte Mühe, sein tägliches Leben auf die Reihe zu bekommen. Eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei deshalb nicht möglich. Das Landesverwaltungsamt holte den undatierten Befundbericht von dem Facharzt für Urologie Dipl.-Med. E. aus dem Jahr 2006 ein, der ausführte, der Kläger leide an einer Harninkontinenz, die mit Kondomurinalen versorgt werde. Geruch sei nicht auszuschließen.

In der vom Landesverwaltungsamt veranlassten gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Anästhesiologie Dr. H. schlug dieser vor, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festzustellen. Der Kläger könne eine Geruchsbelästigung vermutlich nicht verhindern. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2006 wies das Landesverwaltungsamt den Widerspruch des Klägers zurück. Nach Auswertung der Befundberichte sei der Kläger trotz der schweren Behinderungen noch in der Lage, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Er sei im Stande, ein Kraftfahrzeug selbst zu führen. Nach dem Befundbericht von Dr. E. sei nicht von einer Geruchsbelästigung auszugehen. Probleme beim Verschluss des künstlichen Darmausgangs würden trotz Bauchwandhernie nicht genannt.

Mit der am 20. Juni 2006 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" weiter verfolgt und ausgeführt, durch das Stoma und die Versorgung mit einem Dauerkondomurinal gehe eine unkontrollierte Blasen- und Darmentleerung einher. Da sich teilweise die Stomaplatte löse und der Stomabeutel abfalle, würden erhebliche Geruchsbelästigungen entstehen. Ebenso löse sich des Öfteren das Kondomurinal. Es entstünden erhebliche hygienische Probleme. Auch müsse er die Kleidung wechseln. Aufgrund der auftretenden Gerüche sei er psychisch nicht in der Lage, öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt: Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. K. hat unter dem 14. Dezember 2007 ausgeführt, der Kläger habe am 7. Dezember 2006 (Tag der letzten Untersuchung) keine Funktionsstörungen oder Bewegungseinschränkungen beklagt. Nach ihrer Erfahrung kommt es bei korrektem Umgang mit Inkontinenzmaterialien zu keiner Geruchsbelästigung für das Umfeld. Unter dem 10. März 2008 hat Dipl.-Med. E. mitgeteilt, der Kläger leide unter einer nahezu totalen Harninkontinenz und Sekretion des Anus. Wegen der Harninkontinenz müsse er regelmäßig Kondome und Vorlagen wechseln. Deshalb sei eine Geruchsbelästigung möglich und der Kläger in seinen Reisemöglichkeiten eingeschränkt. Auch wenn die Geruchsbelästigung möglich sei, habe er sie in seiner Sprechstunde nicht festgestellt. Zu den Befunden hat das beklagte Land mit prüfärztlicher Stellungnahme von Frau S.-S. vom 3. April 2008 ausgeführt, es sei von keiner Geruchsbelästigung für die Umgebung auszugehen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Ehefrau des Klägers angeben, der Stomabeutel müsse bis zu 6 Mal am Tag gewechselt werden. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 18. Juni 2008 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach allen Befundunterlagen seien keine Geruchsbelästigungen feststellbar. Es seien weder ein unzureichend verschließbarer Anus praeter noch eine nicht hinreichend funktionierende Urinableitung berichtet worden. Auch bei den Untersuchungsterminen hätten die Ärzte des Klägers derartige Vorfälle nicht feststellen können. Auch die Kammer habe im Termin am 18. Juni 2008 keine Gerüche bemerkt. Dritte würden deshalb bei öffentlichen Veranstaltungen nicht unzumutbar durch Gerüche belästigt.

Gegen das ihm am 26. Juni 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Juli 2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei gesundheitlich nicht mehr in der Lage, an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Urologe und die Internistin seien aus fachlichen Gründen und wegen der relativ kurzen Untersuchungszeiten nicht in der Lage, Geruchsbelästigungen vom Stoma einzuschätzen. Aufgrund der vielen Narben auf der Bauchdecke sei eine optimale Befestigung der Basisplatten des Stomabeutels nicht mehr möglich, so dass der Stuhl seitlich auslaufe. Aus diesen Gründen meide er öffentliche Verkehrsmittel und könne am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen.

In dem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 16. November 2009 hat der Kläger erklärt, der Beutel sei abhängig vom Darminhalt voll. Danach richte sich auch, wie oft er den Beutel wechseln müsse oder ob sich dieser löse. Nach Einnahme von Medikamenten habe er oft Durchfall, so dass der Beutel nicht halte. Dieser könne sich dann lösen und herunter fallen, was sich z.B. an einer Tankstelle ereignet habe. Zu dem Termin sei er mit dem PKW angereist.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt, ein unabhängiges ärztliches Gutachten zu seinen Leiden und seinem Zustand einzuholen. Diesen Antrag hat er im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. April 2010 nochmals wiederholt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2008 aufzuheben und den Bescheid vom 18. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Land ist weiterhin der Auffassung, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" lägen nicht vor. Mit dem internistischen Bericht von Dezember 2006 und dem urologischen Bericht von Januar 2008 werde eine Geruchsbelästigung der Umgebung verneint. Der vom Landessozialgericht eingeholte Befundbericht von Dipl.-Med. E. sei dürftig, weil er über die Verschließbarkeit des Anus praeter, eine mögliche Geruchsbelästigung und über das Lösen oder Platzen des Beutels keine Angaben enthalte. Gegenüber Dr. K. habe der Kläger über die bestehenden psychischen Belastungen hinaus keine weiteren Beschwerden geäußert. Auch die Stomaschwester habe sich außer Stande gesehen, zu der Frage der Geruchsbelästigung Stellung zu nehmen.

Das Landessozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt: Unter dem 24. Februar 2009 hat Dipl.-Med. E. ausgeführt, er wisse nicht, ob der Anus praeter beim Kläger ausreichend verschließbar sei. Geruchsbelästigungen bestünden eigentlich nicht. Er wisse nicht, ob sich der Anus praeter löse oder platze. Unter dem 3. März 2009 hat Dr. K. ausgeführt, im Rahmen der regelmäßigen Konsultationen habe der Kläger konkret keine Beschwerden geäußert. Ob der Anus praeter ausreichend verschließbar sei, könne sie nicht beantworten, da sich der Kläger hierzu nicht geäußert habe. Während der Konsultationen in ihrer Praxis habe sie keine Geruchsbelästigungen bemerkt. Generell könnten durch Undichtigkeiten im Bereich des Anus praeter Geruchsbelästigungen entstehen. Der Kläger habe sich auch nicht darüber geäußert, ob sich der Anus praeter löse oder platze. Unter dem 9. Dezember 2009 hat der Facharzt für Chirurgie Dr. S. ausgeführt, der Anus praeter sei beim Kläger mit Einschränkungen verschließbar. Dies folge aus einem Narbenbruch im Bereich des Anus praeter. Geruchsbelästigungen hätten nicht bestanden. Zur Frage, ob sich der Anus praeter lösen oder platzen könne hat Dr. S. ausgeführt, durch den Narbenbruch bestünden Unebenheiten in der Stomaumgebung. Unter dem 8. Dezember 2009 hat die Fachärztin für Innere Medizin Dr. M. berichtet, der Kläger habe nach der Versorgung mit einem Anus praeter Durchfälle angegeben. Er leide unter einem Diabetes mellitus, der derzeit noch nicht medikamentös behandelt werde. Unter dem 20. Dezember 2009 hat die Stomatherapeutin M. ausgeführt, sie besuche ihn regelmäßig einmal im Quartal, auf Anforderung auch einmal im Monat, und kontrolliere das Stoma. Es gäbe nur wenige Produkte, die die Größe des Stomas mit 5,5 cm bedienten. Er komme nur mit der Filterleistung eines bestimmten Produktes zu Recht. Aufgrund der Größe des Stomas sei nur noch ein geringer Haftrand vorhanden. Der Kläger habe die Haftung der Basisplatten bemängelt. Es sei schwer zu beantworten, ob der Anus praeter ausreichend verschließbar sei. Aufgrund der Narben könnten Gerüche die Basisplatte unterwandern. Ob ständig Geruchsbelästigungen bestünden, könne sie nicht beurteilen. Der Kläger habe sehr dünnen Stuhlgang, vermutlich durch Schädigung der Darmschleimhaut. Es sei deshalb ein sehr häufiger Versorgungswechsel erforderlich. Auf die Frage, ob sich der Anus praeter häufig löse oder platze und welche Ursache dies habe, hat die Stomaschwester geantwortet, aufgrund der recht hohen Materialanforderungen von Seiten des Klägers würde sie dies mit ja beantworten. Auch sei der Stuhlgang dünn.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Die als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG erhobene Klage ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2006 ist, soweit er hier angegriffen wird, nicht unwirksam und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festzustellen. Diese liegen bei dem Kläger nicht vor.

Anspruchsgrundlage für dieses Begehren ist § 69 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX), wonach die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale feststellen, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "RF" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung [SchwbAwV]). Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen ist dann für die Rundfunkanstalt, die über eine Befreiung zu entscheiden hat, bindend (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. November 2007 - B 9/9a SB 3/06 R - SozR 4-1500 § 155 SGG Nr. 2 Abs. 26 unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung des BSG).

In § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Rundfunkstaatsvertrages vom 31. August 1991 in der Fassung des Art. 5 Nr. 6 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 8. bis 15. Okt. 2004 in Verbindung mit dem Gesetz zu dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag Sachsen-Anhalt vom 9. März 2005 (GVBl. LSA 2005, 122) sind die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ab 1. April 2005 geregelt. Danach werden behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigsten 80 v. H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Sie sind grundsätzlich für die inhaltliche Beurteilung, ob der Klägerin die begehrte Feststellung zusteht, zugrunde zu legen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" liegen hier nicht vor.

Auch hier ist bis zum 31. Dezember 2008 die konkrete Prüfung nach Maßgabe der in den AHP niedergelegten Grundsätze vorzunehmen und für die Zeit ab 1. Januar 2009 die Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung anzuwenden. Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind die in Nr. 33, S. 141 f aufgeführten Kriterien der AHP 2004 weiterhin heranzuziehen, auch wenn die Nr. 33 in den Anhaltspunkten 2008 nicht mehr aufgeführt ist und auch keine Aufnahme in die Versorgungsmedizin-Verordnung gefunden hat. Allein deren weitere Anwendung gewährleistet die im Interesse der Gleichbehandlung der behinderten Menschen gebotene gleichmäßige Anwendung dieser Maßstäbe.

Nach Nr. 33 der Anhaltspunkte 2004 sind die Voraussetzungen immer erfüllt bei behinderten Menschen bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung abstoßend oder störend wirken (z. B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können), mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose, nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden, geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Dieser Personenkreis muss allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen bestimmter Art verbietet. Behinderte Menschen, die noch in nennenswertem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, erfüllen die Voraussetzungen nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 2/96 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 17; Urteil vom 10. August 1993 - 9/9a RVs 7/91 - SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 17. März 1982 - 9a/9 RVs 6/81 - SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175).

Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der schwerbehinderte Mensch wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom Bundessozialgericht vertretenen Auslegung muss der schwerbehinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht allein nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind. Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss praktisch eine Bindung ans Haus bestehen, um den Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen zu begründen. Eine solche Bindung an das Haus besteht hier nicht.

Von den in den Anhaltspunkten genannten Voraussetzungen käme hier lediglich die von dem Kläger geltend gemachte Geruchsbelästigung für Dritte durch einen unzureichend verschließbaren Anus praeter bzw. durch die Verwendung eines Kondomurinals in Betracht. Hierdurch sieht er sich an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Allerdings haben ausweislich ihrer Befundberichte weder Dr. K. noch Dipl.-Med. E. oder Dr. S. solche Geruchsbelästigungen festgestellt. Auch die Stomatherapeutin M., die den Kläger in monatlichen bis vierteljährlichen Abständen betreut, hat keine Geruchsbelästigungen bestätigt. Sie beschreibt zwar seine Probleme mit dem Verschluss des Anus praeter wegen der Größe des Stomas und weist darauf hin, nur wenige Produkte seien in der Lage, das große Stoma ausreichend abzudecken. Sie hält es auch für wahrscheinlich, dass Gerüche im Narbenbereich die Basisplatte unterwandern. In diesem Sinne hat sich auch Dr. S. geäußert, der den Anus praeter des Klägers wegen der Narben nur mit Einschränkungen für ausreichend verschließbar hält. Der unzureichende Verschluss des Anus praeter führt aber offensichtlich trotz all der genannten Probleme bei der Handhabung noch nicht zu ständigen starken Geruchsbelästigungen. Denn andernfalls wären diese den behandelnden Ärzten oder der fachlich besonders bewanderten Stomatherapeutin aufgefallen. Nur zeitweilig auftretende Geruchsbelästigungen oder solche mit geringer Intensität schließen den Kläger aber nicht ständig von sämtlichen öffentlichen Veranstaltungen aus. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn ständig starke Gerüche aufträten, die in unzumutbarer Weise andere Teilnehmer an öffentlichen Veranstaltungen belästigten. Da jedoch keiner der behandelnden Ärzte und Therapeuten eine so intensive Geruchsbelästigung bestätigt hat, ist von einer nennenswerten Belästigung für Dritte nicht auszugehen.

Es hat auch keiner der behandelnden Ärzte oder Therapeuten bestätigt, dass sich der Anus praeter löst oder platzt. Die Stomatherapeutin hat das Auftreten solcher Zwischenfälle zwar bejaht, sich dabei aber nicht auf eigene Wahrnehmung berufen, sondern die Materialanforderungen und den Durchfall des Klägers als mögliche Ursache angeführt. Der Kläger hat lediglich einen Vorfall berichtet, bei dem sich während eines Tankstellenbesuchs der Stomabeutel gelöst habe. Nach diesen Angaben ist nicht davon auszugehen, dass sich der Anus praeter regelmäßig löst oder platzt. Dieses einmalige oder jedenfalls seltene Ereignis steht einer Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen deshalb nicht generell entgegen. Denn der Kläger kann durch einen frühzeitigen Wechsel des Stomabeutels der Gefahr des Platzens oder sich Lösens vorbeugen. Da er nach den Angaben seiner Ehefrau bis zu sechsmal am Tag den Stomabeutel wechselt, ist er nach einem Wechsel grundsätzlich während einer Zeitspanne bis zu 2,5 Std. in der Lage, an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen, bevor der nächste Wechsel erforderlich wird. Sein Vorbringen, es gingen ständig unzumutbare Gerüche von ihm aus, sodass er sich auch nach einem Wechsel des Stomabeutels nicht in der Öffentlichkeit aufhalten könne, hat sich trotz ausführlicher Ermittlungen in beiden Rechtszügen nicht bestätigt. Im Übrigen ist er durch die Versorgung mit einem Anus praeter auch nicht in seiner Reisefähigkeit nennenswert eingeschränkt. So meidet er zwar öffentliche Verkehrsmittel, benutzt aber, wie er selbst dargelegt hat, den eigenen Pkw zur Fortbewegung. Schließlich sind auch keine Geruchsprobleme durch das Kondomurinal festzustellen. Solche hat keiner der Ärzte oder Therapeuten genannt; sie wurden auch vom Kläger nicht näher beschrieben.

Der Senat brauchte angesichts der ausführlichen und eindeutigen Ermittlungsergebnisse der Beweisanregung des Klägers, ein "unabhängiges" ärztliches Gutachten über seinen Zustand (gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG) einzuholen, nicht zu folgen. Zusätzliche Erkenntnisse waren weder notwendig noch zu erwarten. In den Befundberichten der behandelnden Ärzte und im ausführlichen Bericht der Stomatherapeutin sind die Erkrankung des Klägers und die Probleme bei der Versorgung mit dem Anus praeter und dem Kondomurinal hinreichend erläutert. Die entscheidungserhebliche nichtmedizinische Frage der Geruchsbelästigung für Dritte konnte der Senat auf der Grundlage der vorhandenen Unterlagen in eigener Sachkompetenz beurteilen. Einen Antrag nach § 109 SGG hat der Kläger nicht gestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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