L 6 U 4569/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2716/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4569/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 02.09.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1972 geborene Kläger begehrt eine höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Kläger erlitt am 16.04.2003 bei einem sich auf dem Weg zwischen seinem Arbeitsplatz und seiner Wohnung ereigneten Motorradunfall eine Tibiakopffraktur im rechten Knie mit Gelenkbeteiligung und eine tiefe Ablederungsverletzung am rechten Unterschenkel. Die Erstbehandlung erfolgte in der Chirurgie des Krankenhauses R. (Durchgangsarztbericht vom 16.04.2003). Anschließend wurde der Kläger stationär vom 16.04.2003 bis zum 18.06.2003 in der Chirurgie des H.-Klinikums in S. (Berichte vom 17.04.2003, 09.05.2003, 21.05.2003 und 17.06.2003) und vom 10.07.2003 bis zum 06.08.2003 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (Bericht vom 12.08.2003) behandelt. Ambulante Vorstellungen erfolgten im H.-Klinikum in S. (Berichte vom 08.10.2003, 09.12.2003, 30.12.2003, 05.03.2004, 13.04.2004 und 11.05.2004) und beim Chirurgen Dr. R. (Bericht vom 01.06.2004).

Sodann ließ die Beklagte den Kläger untersuchen und begutachten. Dr. P. vom H.-Klinikum in S. beschrieb in seinem Gutachten vom 01.06.2004 als Unfallfolgen röntgenologische Veränderungen mit noch einliegendem Material bei einer knöchern konsolidierten Tibiakopffraktur rechts, eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk mit Beugehemmung, eine Bewegungseinschränkung im rechten oberen Sprunggelenk, eine Narbenbildung an der Innenseite des rechten Unterschenkels und des rechten Kniegelenks sowie subjektive Beschwerden mit Belastungsschmerzen und Wetterfühligkeit und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 20 vom Hundert (v. H.) ein. Mit Bescheid vom 21.07.2004 anerkannte die Beklagte eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk mit Beugehemmung, eine Bewegungseinschränkung im rechten oberen Sprunggelenk, eine Muskelminderung im Bereich des rechten Oberschenkels, röntgenologische Veränderungen mit noch einliegendem Material bei einer knöchern konsolidierten Tibiakopffraktur rechts, eine Narbenbildung an der Innenseite des rechten Unterschenkels und des rechten Kniegelenks als Unfallfolgen und bewilligte Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H. ab 15.04.2004.

Den dagegen am 04.08.2004 Widerspruch eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2004 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 10.11.2004 Klage zum Sozialgericht Konstanz. Er legte unter anderem die Berichte des Orthopäden Dr. F. vom 10.05.2005 und des Orthopäden Dr. B. vom 19.08.2005 vor. Die Beklagte legte die Berichte des Dr. R. vom 12.05.2005 und 23.06.2005 vor.

In dem die Gewährung von Rente auf unbestimmte Zeit betreffenden Verwaltungsverfahren holte die Beklagte zunächst die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Chirurgen Dr. H. vom 19.09.2005 und 04.10.2005 und sodann das Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 10.11.2005 ein. Der Gutachter schätzte die MdE mit 20 v. H. ein. Mit Bescheid vom 19.12.2005 bewilligte die Beklagte Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v. H. Hiergegen legte der Kläger am 10.01.2006 Widerspruch ein.

Im sozialgerichtlichen Verfahren legte der Kläger den Bericht des Dr. B. vom 05.02.2006 vor. Danach holte das Sozialgericht das Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 27.05.2006 ein. Der Sachverständige beschrieb als Unfallfolgen variable, teilweise belastungsabhängige Beschwerden im rechten Unterschenkel, eine mäßige Bewegungseinschränkung, eine leichte Innenbandinstabilität und eine leichte knöcherne Deformierung des rechten Kniegelenks ohne sichere sekundäre arthrotische Anzeichen sowie eine leichte Spitzfußstellung rechts und schätzte die MdE mit 20 v. H. ein. Die Beteiligten legten die Berichte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. vom 29.08.2006, des Artes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. vom 14.11.2006 und des Orthopäden Dr. O. vom 02.04.2007 vor. In seinen zu den Einwendungen des Klägers erstellten Stellungnahmen vom 12.04.2007 und 23.06.2007 blieb Dr. H. bei seiner Einschätzung. Der Kläger legte hierzu die Stellungahme des Dr. B. vom 23.07.2007 vor.

Daraufhin holte das Sozialgericht auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Orthopäden und Chirurgen Dr. L. vom 23.04.2008 mit Zusatzgutachten des Dr. O. vom 08.04.2008 und dessen Bericht vom 18.01.2008 ein. Dr. L. schätzte die MdE mit 30 v. H. bis zum 15.04.2005 und mit 20 v. H. ab 16.04.2005 ein. Hierzu äußerte sich Dr. H. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 19.05.2008.

Das Sozialgericht hörte Dr. B. unter dem 29.09.2008 schriftlich als sachverständigen Zeugen.

Daraufhin holte das Sozialgericht auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 05.12.2008 ein. Der Sachverständige führte aus, auf nervenärztlichem Fachgebiet fänden sich Sensibilitätsstörungen und eine Überempfindlichkeit im Bereich der Weichteilverletzung des rechten Unterschenkels. Es ergebe sich keine eigenständige unfallbedingte MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet. Hierzu äußerte sich Dr. H. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 02.04.2009.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.09.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es folgte den Gutachten von Dr. P., Dr. K. und Dr. H ... Wegen der im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Funktionsbegutachtung seien die Beweglichkeitsmaße in die MdE-Bewertung einzustellen. Im Bereich des rechten Knie- und oberen Sprunggelenks liege keine funktionell gravierende Bewegungseinschränkung vor. Beim Kläger liege eine mit einer vollständigen Versteifung des Kniegelenks, welche eine MdE um 30 v. H. bedinge, vergleichbare Situation nicht vor. Daher sei die gegenteilige MdE-Bewertung des Dr. L. widerlegt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten des Dr. O ... Dieser habe lediglich am rechten Bein eine die Koordination betreffende Leistungsminderung gefunden, die nach seiner Einschätzung nur bei höheren Leistungsanforderungen im Sportbereich eine ernsthafte Rolle spiele. Ferner ergäben sich aus dem Gutachten des Dr. R. keine Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 08.09.2009 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat der Kläger am 06.10.2009 Berufung eingelegt. Das Gericht habe die fundierten medizinischen Aussagen des Dr. B. nicht genügend berücksichtigt. Ferner habe Dr. L. die MdE zeitweise mit 30 v. H. eingeschätzt und lägen entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auf nervenfachärztlichem Gebiet Unfallfolgen vor. Zwischenzeitlich sei eine dauerhafte Verschlechterung der Unfallfolgen zu beklagen. Die Fehlstellung des rechten Beines habe zu einer starken Beschwielung des Fußes geführt. Bei zunehmender Belastung des Beines träten belastungsabhängige Beschwerden mit Erwärmung und Schmerzen auf. Der Kläger hat die Bescheinigung des Chirurgen Dr. Dr. S. vom 29.09.2009 vorgelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 02.09.2009 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen des Arbeitsunfalls vom 16.04.2003 Rente nach einer MdE um mindestens 30 v. H. ab 15.04.2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Für eine Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Gerichtsbescheides bestehe kein Anlass.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 21.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2004 sowie der in entsprechender Anwendung des § 96 SGG zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens gewordene Bescheid der Beklagten vom 19.12.2005 sind rechtmäßig. Der Kläger hat wegen des Ereignisses vom 16.04.2003 keinen Anspruch auf die Gewährung von Rente nach einer höheren MdE als 20 v. H ...

Rechtsgrundlage ist § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), das heißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (§ 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VII). Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VII).

Erforderlich ist für die Gewährung von Verletztenrente, dass die eine MdE um mindestens 20 v. H. bedingenden längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitserstschadens entstanden sind. Dabei müssen die durch das Unfallereignis und den Gesundheitserstschaden verursachten längerandauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 20 v. H.

Der Senat folgt dabei den von Amts wegen eingeholten Gutachten des Dr. P., Dr. K. und Dr. H ... Nach deren Messungen liegen beim Kläger im rechten Kniegelenk Bewegungsmaße zwischen 0/0/120 und 5/0/120 Grad vor. Mithin besteht im Vergleich zum Normalmaß von 5-10/0/120-150 Grad lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung. Ferner liegen im rechten oberen Sprunggelenk Bewegungsmaße zwischen 5/0/30 und 0/0/35 Grad vor. Nach der unfallmedizinischen Fachliteratur beträgt die MdE für das Kniegelenk bei einer endgradigen Behinderung der Beugung/Streckung mit muskulär kompensierbaren instabilen Bandverhältnissen 10 v. H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Nr. 8.10.4.5, S. 612) und für das obere Sprunggelenk bei einem Bewegungsmaß von 0/0/30 Grad 10 v. H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Nr. 8.12.8, S. 678). Mit diesen Verhältnissen ist der Gesundheitszustand des Klägers vergleichbar. Mithin beträgt die Gesamt-MdE des Klägers höchstens 20 v. H. Demgegenüber vermochte der Senat der höheren MdE-Einschätzung des Dr. L. nicht zu folgen. Auch er hat im rechten Kniegelenk ein Bewegungsmaß von 0/0/120 Grad und für das rechte obere Sprunggelenk von 5/0/30 Grad festgestellt und damit keine von den Vorgutachtern abweichende Funktionseinschränkung beschrieben. Seine für die Zeit bis zum 15.04.2005 vorgenommene höhere MdE-Bewertung hat er nicht begründet. Ferner konnte sich der Senat auch von den Ausführungen des Dr. B. zur Höhe der MdE nicht überzeugen. Auch er hat keine gravierendere Bewegungseinschränkung befundet. Angesichts dessen ist der zur Begründung seiner MdE-Einschätzung lediglich erfolgte Hinweis auf eine "höchst komplexe Symptomatik" nicht schlüssig.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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