L 9 R 4389/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 2648/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4389/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1955 geborene Kläger hat den Beruf des Holzmechanikers (1.9.1975 bis 4.6.1978) erlernt, nachdem er 1974 eine Banklehre im zweiten Lehrjahr abgebrochen hatte. Im Ausbildungsbetrieb wurde er im Anschluss an die Lehre im Maschinensaal als Springer eingesetzt und von 1985 bis Ende März 1998 in der Büromöbelmontage als Transporteur beschäftigt. Im selben Betrieb arbeitete er dann bis 30.6.1999 in der Metalllackiererei als Lackierhelfer. Nachdem die Firma Insolvenz anmelden musste, war der Kläger noch ein Jahr in einer Auffanggesellschaft beschäftigt. Dort absolvierte er nach eigenen Angaben einen Lagerfachkurs und war auch am PC geschult worden. Im Anschluss daran war er -unterbrochen durch kurzzeitige, von der Bundesagentur für Arbeit bezuschusste kurze Beschäftigungen - arbeitslos und bezog zunächst Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II über die ARGE Jobcenter Esslingen.

Zur Begründung seines Rentenantrages vom 19.2.2007 verwies der Kläger auf psychische Pro-bleme, auf eine Zuckererkrankung und Gelenkbeschwerden. Er ist im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 19.5.2005 (im Einzelnen: Kopfschmerzsyndrom, Depression, funktionelle Organbeschwerden Teil-GdB 30, Funktionsbehinderung des linken Sprunggelenks Teil-GdB 20, Schuppenflechte Teil-GdB 20, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom Teil-GdB 10). Wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 5.12.1988 wurde ihm von der Verwaltungsberufsgenossenschaft (Bescheid vom 1.3.2000) eine Rente auf unbestimmte Zeit in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zugesprochen aufgrund einer "Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk - um ein Drittel vermindert -, geringfügige Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk, arthrotische Veränderungen im oberen Sprunggelenk sowie verminderte Muskulatur in den Beinen nach knöchern fest verheiltem Bruch des Sprunggelenkes mit Abriss des hinteren Volkmannschen Dreiecks".

Der Beklagte gab ein chirurgisches Gutachten bei Dr. N. und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. H. in Auftrag. Dr. N. stellte einen Zustand nach Arbeitsunfall mit Sprunggelenksbeteiligung links (1988) mit Bewegungs- und Belastungsminderung im unteren Sprunggelenk mehr als im oberen Sprunggelenk ohne aktuelle Reizzeichen und eine leichte Gebrauchsminderung des linken Beines fest. Dadurch seien keine Arbeiten auf unebenem Boden sowie schiefen Unterlagen, keine häufigen Lastwechsel der unteren Extremität oder schwerpunktmäßig Arbeiten auf Gerüsten/Leitern und unter relevantem Vibrations- und Witterungseinfluss mehr möglich. Leichte bis mittelschwere Wechseltätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien hingegen vollschichtig, wobei der Arbeitsschwerpunkt eher auf einer sitzenden Körperhaltung liegen sollte, möglich. Dr. H. stellte in seinem Gutachten vom 11.6.2007 einen möglicherweise gelegentlich bestehenden Clusterkopfschmerz ohne Behandlung, einen oral behandelten Diabetes mellitus und einen früheren Alkoholabusus (seit 20 Jahren trocken) neben den bereits von Dr. N. festgestellten Gesundheitsstörungen fest. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht eingeschränkt. Er schloss sich der Leistungsbeurteilung des Dr. N. an. Seinem Gutachten lagen auch die ärztlichen Bescheinigungen der Allgemeinärztin Dr. U. ("zur Vorlage beim Sozialgericht") zugrunde, in der diese über eine Psoriasis vulgaris, ein HWS-, LWS-Syndrom, eine Periarthritis links, eine Kalkschulter, eine rezidivierende Blockierung im linken Sprunggelenk bei Zustand nach Fraktur und beginnender Arthrose, ein metabolisches Syndrom, einen Prädiabetes, eine Alkoholkrankheit ("trockener Alkoholiker"), eine selbstunsichere Persönlichkeitsstruktur, neurotische Depressionen und einen Clusterkopfschmerz berichtete sowie unter dem 10.04.2006 ausführte, dass der Kläger ein Grenzfall zur Minderbegabung sei. Durch den Verlust des Elternhauses sei er jetzt in erhebliche psychische Not geraten. Weil der sich zunächst kümmernde Familienangehörige kurzfristig verstorben sei, sei auch ein sozialer Rückzug und eine Vereinsamung festzustellen. Die Einschränkung manifestiere sich in allen Lebensbereichen, praktisch nicht möglich sei es, eine adäquate Arbeitsstelle zu finden. Eine selbstständige Lebensführung sei nur zweifelhaft möglich.

Mit Bescheid vom 13.6.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, das Gutachten von Dr. H. greife viel zu kurz, er sei kaum in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, schon bei Alltagsdingen sei er deutlich überfordert. Auch seine finanzielle Situation habe er nicht im Griff. Im daraufhin eingeholten Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. U. wird eine intellektuelle Leistungsminderung mit Einschränkung der Alltagsfunktionen und eine selbstunsichere Persönlichkeitsstruktur neben einer rezidivierenden Blockierung des Sprunggelenkes mit Arthrose und einem HWS-, LWS-Syndrom sowie eines Diabetes mellitus und einer Psoriasis vulgaris beschrieben. Es bestehe eine massive Einschränkung der Teilhabe, der Patient verfüge über rudimentäre soziale Kontakte, er habe weder jemals eine Partnerin noch sonstige Freundschaften gehabt. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 3.4.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen eines psychiatrischen Fachgutachtens bei der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H., Böblingen. Sie hat in ihrem am 10.10.2008 vorgelegten Gutachten eine Minderbegabung ausgeschlossen und die Diagnose einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung gestellt. Diese habe bereits während der Berufstätigkeit vorgelegen und es sei während dieser Zeit zu keinen Einschränkungen im Arbeitsleben gekommen. Der Kläger sei noch in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben bzw. an 5 Tagen in der Woche mindestens 6 bis unter 8 Stunden zu arbeiten. Es zeige sich eine Verlangsamung beim Einüben neuer Sachverhalte. Deshalb benötige er etwas längere Anlaufzeiten, sei aber bei den geübten Tätigkeiten durchaus in der Lage diese wieder durchzuführen.

Mit Urteil vom 31.7.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger noch in der Lage sei, zumindest leichte Tätigkeiten mit den von Dr. N. beschriebenen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Die von Dr. H. beschriebene selbstunsichere Persönlichkeitsstörung beeinträchtige auch eine weitere Berufstätigkeit nicht. Anders als Dr. U. habe Dr. H. keine intellektuelle Leistungsminderung feststellen können. Sie verweise auf einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten, der Aufmerksamkeits- und Belastungstest habe eine durchschnittliche Fehlerquote er-bracht, bei allerdings extrem langsamer Arbeitsweise. Darüber hinaus sei der Kläger durchaus in der Lage zu beurteilen, ob er unterstützende Hilfe brauche, so z.B. beim Ausfüllen von Formularen. Er habe sich auch bewusst gegen einen Betreuer entschieden. Der Kläger kenne Anlaufstellen und nutze diese für seine Zwecke. Er sei auch ausreichend in der Lage gewesen, während seiner Zeit in einer Übungs-(Auffang-)Firma neue Fakten, wie den Umgang mit einem PC, zu erlernen und sich für den Kauf eines PC zu entscheiden, den er auch zuhause nutze. Es seien auch keine ausgeprägten depressiven Symptome feststellbar gewesen. Der Kläger habe kein soziales Netz, das ihn auffange, dennoch finde er Anlaufstellen, die ihn bei seinen Schwierigkeiten unterstützten. Die Persönlichkeitsstörung sei insgesamt nicht so ausgeprägt, dass sie eine Arbeitsunfähigkeit bedinge. Die von Dr. N. auf orthopädischem Fachgebiet beschriebenen Gesundheitsstörungen im Bereich des Sprunggelenkes links führten zu keiner wesentlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit, was schon dadurch belegt sei, dass der Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles aus dem Jahre 1988 noch bis 1998 als Möbeltransporteur und anschließend als Lackierhelfer tätig gewesen sei. Der Kläger habe darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Bezugsberuf für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei nicht die dreijährige Ausbildung zum Holzmechaniker sondern die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Lackierhelfer. Denn der Kläger habe sich 1985, als er mit der Tätigkeit als Transporteur im Büromöbelbereich begann, von seinem erlernten Beruf gelöst. Nach dem Stufenschema sei er in die unterste Stufe der ungelernten Arbeiter einzustufen und damit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbar.

Gegen das dem Kläger am 4.9.2009 zugestellte Urteil hat er am 25.9.2009 Berufung eingelegt.

Er weist darauf hin, dass er bis zum Jahre 2002 bzw. 2004 von seinen Eltern und anschließend von seinem Bruder betreut worden sei. Diese Familienmitglieder seien zwischenzeitlich verstorben, so dass er die notwendige Unterstützung mit dem entsprechenden Vertrautheitsgefühl nicht mehr erhalte. Vor diesem Hintergrund sei das ärztliche Attest der Frau Dr. U. zu sehen, wonach bei ihm eine selbstunsichere Persönlichkeit, eine Reifestörung bei unterdurchschnittlicher Begabung und eine neurotische Depression vorlägen. Zusammen mit der behandelnden Ärztin sei er der Ansicht, dass er nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten könne, weil seine psychischen Voraussetzungen und seine Persönlichkeitsstruktur eine solche Tätigkeit nicht zuließen. Die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes stellten Anforderungen an die Zeitdauer, innerhalb der Tätigkeiten erledigt werden müssten, wobei die bei ihm vorliegenden Einschränkungen genau diese zeitgebundenen Erledigungen ausschlössen. Es sei unter diesen Voraussetzungen kein Arbeitsplatz vorstellbar, an dem er beschäftigt werden könnte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 31. Juli 2009 sowie den Bescheid vom 13. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe ab 1. März 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) durch Beschluss zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Der Senat hat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit - §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung und teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht besteht, weil der Kläger noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist und keinen Berufsschutz genießt. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist im Hinblick auf den Vortrag im Berufungsverfahren lediglich darauf hinzuweisen, dass der Kläger noch bis zur Insolvenz seines Ausbildungsbetriebes 1999 und darüber hinaus im Rahmen der Tätigkeit in der Auffanggesellschaft sowie bei den über die ARGE vermittelten befristeten Beschäftigungsverhältnissen in der Lage war, einer vollschichtigen Beschäftigung nachzugehen. Dass er für die Ausübung dieser Tätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen der Unterstützung seiner Familienangehörigen bedurfte ist nicht ersichtlich, zumal diese nicht im selben Betrieb arbeiteten. Auch sonst lässt sich nicht erkennen, inwieweit ein nun fehlendes stützendes Umfeld einer grundsätzlich erhaltenen Erwerbsfähigkeit entgegenstehen könnte, zumal - neben der schon seit Kindheit bestehenden selbstunsicheren Persönlichkeit - gerade keine Minderbegabung und auch keine sonstigen, auf psychiatrischem Gebiet zu berücksichtigenden Einschränkungen vorliegen. Vielmehr folgt aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. Heidemann, dass der Kläger durch die Persönlichkeitsstörung nicht so nachhaltig beeinträchtigt ist, dass es hierdurch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit kommt. Dies belegen im Übrigen schon die durchgeführten Aufmerksamkeits- und Belastungstestungen, die der Kläger mit einer durchschnittlichen Fehlerquote meisterte. Soweit der Kläger lediglich beim Einüben neuer Sachverhalte etwas mehr Zeit benötigt, steht dies einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit ebenfalls nicht entgegen, zumal dies nicht für das Ausüben eingeübter Tätigkeiten gilt, wie Dr. Heidemann ebenfalls überzeugend dargelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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