Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 R 1344/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 194/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Oktober 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Der gegenwärtig 52 Jahre alte Kläger war nach einer Mitte der siebziger Jahre durchlaufenen Berufsausbildung als Betonbauer erwerbstätig und nach Erwerb der entsprechenden Zusatzqualifikation Mitte der achtziger Jahre als Bautenschutzfachkraft bzw. Bausanierer. Während seiner Beschäftigung bei der Fa. A. vom 22. Mai 1991 bis zu ihrer betriebsbedingten Beendigung zum 31. Dezember 2004 hatte er Stemm-, Spachtel-, Korrosionsschutz-, Maler- und Helferarbeiten verrichtet und war insbesondere bei der Betonsanierung durch die Arbeit mit Stemmhammer und Presslufthammer Lärmbelastungen ausgesetzt. Anschließend hat er bei der Firma I. vom 6. Juni bis zum 14. Sept. 2005 Baunebentätigkeiten zur Vorbereitung von Sanierungen und andere Arbeiten im Rahmen des Unternehmensgegenstandes "Dienstleistung und Service rund ums Haus" verrichtet. Gegenwärtig ist er bei einer Zeitarbeitsfirma in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen beschäftigt. Eine arbeitsmedizinische Untersuchung durch Dr. C. vom Arbeitsmedizinischen Dienst der Beigeladenen im März 1995 ergab, dass beim Kläger eine Hochtonschwerhörigkeit bestand. Dr. C. teilte den Kläger mit, dass keine gesundheitlichen Bedenken gegen die derzeitige (lärmbelastete) Tätigkeit bestünden unter der Voraussetzung, dass er bei Arbeiten im Lärmbereich konsequent Gehörschutz trage. Er wies den Kläger darauf hin, dass er Sprache auch beim Tragen von Gehörschutz ausreichend verstehe bzw. verstehen werde. Inhaltsgleiche Mitteilungen ergingen an ihn nach arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen im April 1998 sowie im Juli 2001. Mittlerweile hatte die Beigeladene mit Bescheid vom 15. Juli 1999 beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit im Sinne von Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannt. Grundlage waren Ermittlungen ihres technischen Aufsichtsdienstes sowie das Gutachten des Dr. P., Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-(HNO)-Klinik des Allgemeinen Krankenhauses S. (Hamburg) vom 25. Februar 1999, der eine berufsbedingte Innenohrhochtonschwerhörigkeit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um weniger als 10 v. H. festgestellt hatte, sowie die Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes Z. vom 21. April 1999.
Mitte August 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe in der Gestalt von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Arzt für HNO-Erkrankungen Dr. W. attestierte die Notwendigkeit von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wegen Tinnitus und Innenohrschwerhörigkeit. Als gesundheitliche Beschwerden führte der Kläger im Antrag auf medizinische Leistungen unerträgliche ständige Ohrgeräusche, Schlaflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsstörungen an. Als besondere Probleme und Belastungen im beruflichen Bereich bezeichnete er auf entsprechende Fragen zum einen eine seit Jahren bestehende ständige Lärmexposition durch Kompressoren, Presslufthämmer und Bohrmaschinen. Das Tragen von Gehörschutz sei aus organisatorischen Gründen nicht immer durchführbar. Zum anderen verwies er auf eine seit Jahren bestehende Angst vor der Arbeitslosigkeit. Wegen der aktuell erfolgten Kündigung habe er Existenzangst. Seither sei es zu einer Zunahme des Tinnitus mit Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen gekommen.
Der Arzt für HNO-Erkrankungen Dr. B. kam aufgrund der von der Beklagten veranlassten Untersuchung des Klägers am 8. Oktober 2004 in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. Oktober 2004 zum Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für die Kostenübernahme von Leistungen zur Teilhabe lägen nicht vor, denn der Kläger könne die Anforderungen seiner derzeitigen Tätigkeit als Bausanierer und Betonbauer erfüllen. Bei ihm bestehe beiderseits ein normales Hörvermögen, das im Hochfrequenzbereich des Tonaudiogramms beiderseits symmetrisch eingeschränkt sei und dort von subjektiven störenden Ohrgeräuschen begleitet werde. Im Vordergrund stehe eine psychische Belastung durch die Ohrgeräusche, verstärkt durch den baldigen Verlust des Arbeitsplatzes. Diskussionswert sei eine apparative Versorgung mit Tinnitusgeräten bei verhaltenstherapeutischer Begleitung.
Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 2004 den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und mit Bescheid vom 1. November 2004 seinen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation sei nicht erforderlich, da eine Krankenbehandlung im Rahmen der Krankenversicherung ausreichend sei. Zudem sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht erheblich gefährdet oder gemindert, denn er sei in der Lage, eine Beschäftigung als Bautenschutzfachkraft weiterhin auszuüben.
Der Kläger legte gegen beide Bescheide erfolglos Widerspruch ein (Widerspruchsbescheide vom 27. April 2005). Im Mai 2005 ging der Beklagten über die Beigeladene sein Antrag vom 13. Mai 2005 auf Förderung seiner Umschulung zur Fachkraft für Abwassertechnik zu. Die Beigeladene hatte sich insofern mit der Begründung für unzuständig erklärt, nach ihren Unterlagen hätten der Tinnitus und die damit zusammenhängenden psychischen Erkrankungen zur Aufgabe der Tätigkeit als Betonsanierer geführt. Dieser Tinnitus sei jedoch keine Folge der anerkannten Berufskrankheit. Die von der Beigeladenen mit Bescheid vom 15. Juni 2005 diesbezüglich getroffene negative Feststellung ist nach Zurückweisung des Widerspruchs Gegenstand des vor dem Sozialgericht Hamburg anhängigen Rechtsstreits mit dem Aktenzeichen S 40 U 264/06.
Zur Begründung seines neuerlichen Antrags führte der Kläger aus, die berufsbedingte Innenohrschwerhörigkeit führe zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten und damit auch zu gefährlichen Situationen, denn Hörgeräte könnten wegen der Schmutzentwicklung während der Arbeit nicht getragen werden. Zudem führe die anhaltende Lärmbelästigung wegen der Unmöglichkeit, die Hörgeräte zu tragen (möglicherweise ist hier der Gehörschutz gemeint), zu einer ständigen Zunahme des Tinnitus mit Konzentrationsstörungen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Juni 2005 auch diesen Antrag mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei weder erheblich gefährdet noch gemindert, denn er sei in der Lage, eine Beschäftigung als Bautenschutzfachkraft weiterhin auszuüben.
Der Kläger hatte bereits am 24. Mai 2005 Klage gegen beide Widerspruchsbescheide vom 27. April 2005 erhoben. Die auf die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtete Klage (S 15 R 1345/05) hat er im Dezember 2006 zurückgenommen. Zum Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat er vorgetragen, aufgrund der ständigen unerträglichen Ohrgeräusche mit Schlaflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsstörungen sei seine Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf als Bautenschutzfachkraft erheblich gefährdet, wenn nicht gemindert, da er z. B. auf Baugerüsten vieles nicht mehr verstehen könne, so dass er auch seine Sicherheit gefährdet sehe.
Der vom Sozialgericht zum Sachverständigen bestellte Dr. O., Leitender Oberarzt an der Poliklinik und Klinik für HNO-Heilkunde des Universitätsklinikums Hamburg-E., hat nach Untersuchung des Klägers im Juni 2006 in seinem Gutachten von Mitte Juli 2006 die Auffassung vertreten, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei durch die von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen in Gestalt einer beginnenden Schwerhörigkeit und eines subjektiven beidseitigen Tinnitus nicht gefährdet oder signifikant gemindert. Arbeiten unter Einwirkung von Geräuschen müssten unter Verwendung von persönlichem Gehörschutz verrichtet werden. Die Verwendung von Hörgeräten sei im Lärm in jedem Fall zu vermeiden. Der Kläger hatte ihm gegenüber beklagt, der Tinnitus bewirke neben psychovegetativen Alterationen in der Gestalt von Schlafstörungen eine Unsicherheit bei Gesprächsführungen, insbesondere bei verstärktem Umgebungslärm auf Baustellen. Er könne den Gesprächen häufig nicht folgen, was zu Missverständnissen geführt habe.
Der Kläger hat der Einschätzung durch Dr. O. entgegengehalten, dass Dr. L. vom ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur Hamburg in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2006 seine - des Klägers - berufliche Umorientierung aus arbeitsmedizinischer Sicht für sinnvoll gehalten habe, weil die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Baubereich seine Leistungsfähigkeit überschritten habe. Er sei wegen der bekannten Gesundheitsstörungen nicht in der Lage, im Baulärm mit ausreichender Zuverlässigkeit Zurufe und verbale Kommunikation von Baulärm zu unterscheiden, was zum Teil zu Missverständnissen führe. Das Tragen von Hörgeräten sei unter Baubedingungen wegen der erheblichen Verschmutzung der-selben praktisch nicht möglich. Zudem müsse eine Lärmgefährdung wegen des bestehenden Tinnitus vermieden werden.
Der Sachverständige Dr. O. hat gleichwohl in ergänzenden Stellungnahmen vom 27. Juni 2007, vom 1. Januar 2008 sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 31. Januar 2008 an seiner Einschätzung festgehalten. Nach dem Ergebnis der sprachaudiometrischen Untersuchungen und der dort dokumentierten äußerst geringen Hörverluste sei das Sprachverständnis im Umgebungslärm wahrscheinlich nicht signifikant eingeschränkt. Es bestehe auch keine Einschränkung des Hörvermögens aufgrund des Tinnitus. Die medizinischen Kriterien für eine Hörgeräteverordnung seien nicht sprachaudiometrisch erfüllt, sondern nur tonaudiometrisch. Bei einer arbeitsbedingten Lärmbelastung mit mehr als 90 dB sei auch bei einem physiologischen Hörvermögen (Normalhörigkeit) die verbale Kommunikation erschwert. Daher sei in diesen Fällen zusätzlich eine nonverbale Kommunikation erforderlich, insbesondere unter Verwendung persönlicher Gehörschutzmittel. Der berufskundige Sachverständige Meinhardt hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausgeführt, der wegen der Lärmbelastung bei Tätigkeiten im Rahmen der Bausanierung zu tragende Gehörschutz mache eine verbale Kommunikation nicht möglich; diese erfolge vielmehr über Zeichensprache. Der vom Gericht sodann zum Sachverständigen bestellte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N. hat nach Untersuchung des Klägers am 9. Mai 2008 in seinem Gutachten vom 10. Juni 2008 die Erwerbsfähigkeit des Klägers für gemindert erachtet. Er hat die von ihm auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet erhobenen Befunde als unauffällig beschrieben und das Arbeiten unter Zeitdruck oder im Akkord für tolerabel gehalten, solange es nicht mit relevantem Lärm verbunden ist. Die Leistungsgrenze werde hingegen schnell erreicht, wenn der Kläger zusätzlich erheblichen und andauernden Lärmbelastungen ausgesetzt sei. Zwar könne er gegen die leichten psychischen Auswirkungen des Tinnitus, nämlich Schlafstörungen und passagere Konzentrationsstörungen, durch zumutbare Willensanspannung angehen; jedoch werde sich bei anhaltender Überlastung und zunehmender Dekompensation des Tinnitus mit der Entwicklung auch einer relevanten psychischen Begleitsymptomatik die Fähigkeit zur Willensanstrengung nach und nach erschöpfen. Das Sozialgericht hat durch den Gerichtsbescheid vom 3. Oktober 2008 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Der Kläger erfülle neben den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 11 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) auch die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 10 SGB VI. Insbesondere sei seine Erwerbsfähigkeit in seinem Beruf als Bautenschutzfachkraft gemindert. Dieser beinhalte Tätigkeiten an einem Lärmarbeitsplatz, an dem Lärmpegel von über 85 dB auftreten können. Eine dauerhafte Tätigkeit an einem solchen Arbeitsplatz sei ihm den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. N. zufolge aufgrund der bestehenden Gefahr einer Dekompensation des derzeit kompensierten Tinnitus mit dann entstehenden zusätzlichen psychischen Beeinträchtigungen nicht mehr zuzumuten. Gegen diesen ihr am 8. Oktober 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24. Oktober 2008 Berufung eingelegt. Sie geht unverändert davon aus, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Bautenschutzfachkraft bzw. Betonbauer weiterhin ausüben kann. Der HNO-Arzt Prof. Dr. O. habe festgestellt, dass der beim Kläger vorliegende Tinnitus die Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährde oder mindere. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ergebe sich auch nicht aus den Ausführungen des Professor Dr. N. im Gutachten vom 10. Juni 2008. Die sich dort findende Aussage, bei anhaltender Überlastung und zunehmender Dekompensation des Tinnitus sei mit einer allmählichen Erschöpfung der Fähigkeit zur Willensanstrengung zu rechnen, sei eine rein spekulative Aussage, die im Rahmen eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei einer HNO-spezifischen Fragestellung aus nervenärztlicher Sicht nicht zulässig sei. Gegen eine Lärmbelastung am Arbeitsplatz, die nach Aussage des Sachverständigen zu vermeiden sei, könne der Kläger sich durch das Tragen eines Gehörschutzes schützen, ohne dass dadurch die Verrichtung der Arbeit sowie die damit in Zusammenhang stehende notwendige Kommunikation mit Kollegen oder Vorgesetzten beeinträchtigt werde. Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 1. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 und gegen den Bescheid vom 22. Juli 2005 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und vertritt die Auffassung, dass die Verwendung eines Gehörsschutzes an einem lärmbelasteten Arbeitsplatz die notwendige Kommunikation entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen nicht unbeeinträchtigt lasse. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie macht sich die Auffassung der Beklagten zu Eigen und weist darauf hin, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ein Ursachenzusammenhang zwischen dem beim Kläger diagnostizierten Tinnitus und der beruflichen Lärmbelastung nicht bestehe. Zudem sei sie nicht davon überzeugt, dass der Tinnitus durch Lärm verschlimmert werde. Entgegen der Auffassung des Klägers schränke die Notwendigkeit der Benutzung eines Gehörsschutzes an einem lärmbelasteten Arbeitsplatz die Möglichkeiten der Kommunikation nicht wesentlich ein, weil dieser sehr vielfältig ausgestaltet werden könne. Der bei ihr beschäftigte Techniker K., Mitglied des Fachausschusses Lärm der Berufsgenossenschaften auf Bundesebene, hat für die Beigeladene in der Verhandlung des Senats am 28. Januar 2010 vorgetragen, entgegen den Ausführungen des vom Sozialgericht gehörten berufskundigen Sachverständigen müsse die Verständigung auf lärmbelasteten Baustellen nicht durch Zeichensprache und "Anticken" erfolgen, denn moderne Gehörschutzgeräte seien in der Lage, Maschinenlärm von etwa 95 bis 100 dB auf bis zu 40 dB zu verringern, so dass auf Baustellen Sprache verstanden und Warnsignale gehört werden. Etwas anderes würde nicht zugelassen werden. Auf Veranlassung des Senats hat Dr. V., Oberarzt der HNO-Klinik des Krankenhauses M. in Hamburg, den Kläger untersucht und das Gutachten vom 2. Dezember 2009 zu den beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen und sich daraus evtl. ergebenden Einschränkungen für regelmäßige Arbeit erstattet. Diesbezüglich hat er zusammenfassend ausgeführt, beim Kläger bestünden beiderseits eine anerkannte Lärmschwerhörigkeit sowie ein - derzeit kompensierter - chronischer Tinnitus. Ein Lärmarbeitsplatz mit unsicherer akustischer Abschirmung (Ohrstöpsel) sollte wegen der möglichen Verstärkung des Tinnitus und der bereits eingetretenen Innenohrschädigung vermieden werden. Abgesehen davon bestünden keine Einschränkungen für eine regelmäßige Arbeit. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme am 18. Dezember 2009 hat Dr. V. klargestellt, dass die von ihm erhobenen klinischen Befunde mit den von Professor Dr. O. erhobenen Befunden übereinstimmen. Des Weiteren hat er auf Befragen bekräftigt, eine Verschärfung des Tinnitus durch Lärmbelastung sei durchaus möglich. Es gebe keinen Automatismus, aber es gebe durchaus Erfahrungen in dieser Richtung. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 3. Oktober 2008 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 1. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 und gegen den Bescheid vom 22. Juli 2005 abzuweisen. Diese Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht ab-gelehnt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Es fehlt an der gemäß § 10 SGB VI hierfür zu fordernden erheblichen Gefährdung oder Minderung seiner Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung, denn er kann den Beruf der Bautenschutzfachkraft/des Bausanierers weiterhin ausüben. Die von ihm und vom Sozialgericht vertretene entgegengesetzte Auffassung beruht auf der Überzeugung, diese Tätigkeit sei unvermeidbar mit einer Lärmbelastung verbunden, die die Gefahr einer Dekompensation des derzeit kompensierten Tinnitus mit dann entstehenden zusätzlichen psychischen Beeinträchtigungen in sich berge. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Es ist schon zweifelhaft, ob eine Lärmbelastung am Arbeitsplatz den beim Kläger festgestellten Tinnitus verstärken und damit zu den vom Sachverständigen Dr. N. befürchteten Folgen führen würde. Zweifel daran sind insofern angebracht, als sich auf der Grundlage der wiederholten Angaben des Klägers - so z. B. im Aug. 2004 im Fragebogen zur gutachterlichen Untersuchung, des weiteren in der Anlage zum Antrag Ende Juli und schließlich gegenüber Prof. N. - der Tinnitus trotz der langjährigen Lärmbelastung am Arbeitsplatz erst im zeitlichen Zusammenhang mit der arbeitgeberseitigen Kündigung seiner Beschäftigung bei der Fa. A. massiv verstärkt hat. Dies kann jedoch auf sich beruhen, denn der Kläger kann eine Lärmbelastung an seinem Arbeitsplatz durch das Tragen von Gehörschutz vermeiden. Der Senat teilt nicht seine Auffassung, dass ihm dies wegen der bei der Arbeit entstehenden Stäube oder wegen der notwendigen Kommunikation mit Kollegen oder Vorgesetzten nicht möglich ist. Würde diese Behauptung des Klägers zutreffen, so wäre ein Gehörschutz auf dem Bau gerade bei lärmintensiven Abbrucharbeiten überhaupt nicht möglich. Gehörschutz auf solchen Arbeitsplätzen würde nach dieser Lesart nicht der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz diesen, sondern diese im Gegenteil in Frage stellen. Er wurde und wird aber von der Beigeladenen bzw. ihrem arbeitsmedizinischen Dienst (AMD) gefordert. Dies ist, wie die oben dargestellte Vorgeschichte zeigt, mehrfach gerade auch im Falle des Klägers geschehen. Seit 1995 hat die Beklagte ihn wiederholt darauf hingewiesen, dass bei ihm eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit bestehe, hat seine lärmintensive Arbeit nur unter der Voraussetzung für arbeitsmedizinisch unbedenklich gehalten, dass er bei der Arbeit Gehörschutz trägt, und abschließend klargestellt, dass er Sprache auch beim Tragen von Gehörschutz ausreichend verstehen werde. Ein Tinnitus wurde dabei erstmalig in der Mitteilung des AMD der Beigeladenen vom 6. Juli 2001 über das Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung vom 25. Juni 2001 erwähnt. Wenn aber die Notwendigkeit, bei der lärmintensiven Beton- bzw. Bausanierung Gehörschutz zu tragen, schon von jeher bestand und der weiteren Verrichtung dieser Tätigkeit offenbar auch aus der Sicht des Klägers nicht entgegenstand, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, was sich insofern durch das verstärkte Auftreten des Tinnitus im Sommer 2004 geändert haben sollte. Auf derselben Linie liegen die oben wiedergegebenen Ausführungen des bei der Beigeladenen beschäftigten Technikers K. in der Verhandlung des Senats am 28. Januar 2010 zur Effizienz moderner Gehörschutzgeräte, die in der Lage sind, Maschinenlärm von etwa 95 bis 100 dB auf bis zu 40 dB zu verringern, und das Verstehen von Sprache und das Hören von Warnsignalen ermöglichten, sodass entgegen den Ausführungen des vom Sozialgericht gehörten berufskundigen Sachverständigen die Verständigung auf lärmbelasteten Baustellen nicht durch Zeichensprache und "Anticken" erfolgen muss. Andere Gehörschutzmittel werden demnach durch die Beigeladene erst gar nicht zugelassen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Der gegenwärtig 52 Jahre alte Kläger war nach einer Mitte der siebziger Jahre durchlaufenen Berufsausbildung als Betonbauer erwerbstätig und nach Erwerb der entsprechenden Zusatzqualifikation Mitte der achtziger Jahre als Bautenschutzfachkraft bzw. Bausanierer. Während seiner Beschäftigung bei der Fa. A. vom 22. Mai 1991 bis zu ihrer betriebsbedingten Beendigung zum 31. Dezember 2004 hatte er Stemm-, Spachtel-, Korrosionsschutz-, Maler- und Helferarbeiten verrichtet und war insbesondere bei der Betonsanierung durch die Arbeit mit Stemmhammer und Presslufthammer Lärmbelastungen ausgesetzt. Anschließend hat er bei der Firma I. vom 6. Juni bis zum 14. Sept. 2005 Baunebentätigkeiten zur Vorbereitung von Sanierungen und andere Arbeiten im Rahmen des Unternehmensgegenstandes "Dienstleistung und Service rund ums Haus" verrichtet. Gegenwärtig ist er bei einer Zeitarbeitsfirma in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen beschäftigt. Eine arbeitsmedizinische Untersuchung durch Dr. C. vom Arbeitsmedizinischen Dienst der Beigeladenen im März 1995 ergab, dass beim Kläger eine Hochtonschwerhörigkeit bestand. Dr. C. teilte den Kläger mit, dass keine gesundheitlichen Bedenken gegen die derzeitige (lärmbelastete) Tätigkeit bestünden unter der Voraussetzung, dass er bei Arbeiten im Lärmbereich konsequent Gehörschutz trage. Er wies den Kläger darauf hin, dass er Sprache auch beim Tragen von Gehörschutz ausreichend verstehe bzw. verstehen werde. Inhaltsgleiche Mitteilungen ergingen an ihn nach arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen im April 1998 sowie im Juli 2001. Mittlerweile hatte die Beigeladene mit Bescheid vom 15. Juli 1999 beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit im Sinne von Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannt. Grundlage waren Ermittlungen ihres technischen Aufsichtsdienstes sowie das Gutachten des Dr. P., Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-(HNO)-Klinik des Allgemeinen Krankenhauses S. (Hamburg) vom 25. Februar 1999, der eine berufsbedingte Innenohrhochtonschwerhörigkeit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um weniger als 10 v. H. festgestellt hatte, sowie die Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes Z. vom 21. April 1999.
Mitte August 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe in der Gestalt von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Arzt für HNO-Erkrankungen Dr. W. attestierte die Notwendigkeit von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wegen Tinnitus und Innenohrschwerhörigkeit. Als gesundheitliche Beschwerden führte der Kläger im Antrag auf medizinische Leistungen unerträgliche ständige Ohrgeräusche, Schlaflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsstörungen an. Als besondere Probleme und Belastungen im beruflichen Bereich bezeichnete er auf entsprechende Fragen zum einen eine seit Jahren bestehende ständige Lärmexposition durch Kompressoren, Presslufthämmer und Bohrmaschinen. Das Tragen von Gehörschutz sei aus organisatorischen Gründen nicht immer durchführbar. Zum anderen verwies er auf eine seit Jahren bestehende Angst vor der Arbeitslosigkeit. Wegen der aktuell erfolgten Kündigung habe er Existenzangst. Seither sei es zu einer Zunahme des Tinnitus mit Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen gekommen.
Der Arzt für HNO-Erkrankungen Dr. B. kam aufgrund der von der Beklagten veranlassten Untersuchung des Klägers am 8. Oktober 2004 in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. Oktober 2004 zum Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für die Kostenübernahme von Leistungen zur Teilhabe lägen nicht vor, denn der Kläger könne die Anforderungen seiner derzeitigen Tätigkeit als Bausanierer und Betonbauer erfüllen. Bei ihm bestehe beiderseits ein normales Hörvermögen, das im Hochfrequenzbereich des Tonaudiogramms beiderseits symmetrisch eingeschränkt sei und dort von subjektiven störenden Ohrgeräuschen begleitet werde. Im Vordergrund stehe eine psychische Belastung durch die Ohrgeräusche, verstärkt durch den baldigen Verlust des Arbeitsplatzes. Diskussionswert sei eine apparative Versorgung mit Tinnitusgeräten bei verhaltenstherapeutischer Begleitung.
Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 2004 den Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und mit Bescheid vom 1. November 2004 seinen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation sei nicht erforderlich, da eine Krankenbehandlung im Rahmen der Krankenversicherung ausreichend sei. Zudem sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht erheblich gefährdet oder gemindert, denn er sei in der Lage, eine Beschäftigung als Bautenschutzfachkraft weiterhin auszuüben.
Der Kläger legte gegen beide Bescheide erfolglos Widerspruch ein (Widerspruchsbescheide vom 27. April 2005). Im Mai 2005 ging der Beklagten über die Beigeladene sein Antrag vom 13. Mai 2005 auf Förderung seiner Umschulung zur Fachkraft für Abwassertechnik zu. Die Beigeladene hatte sich insofern mit der Begründung für unzuständig erklärt, nach ihren Unterlagen hätten der Tinnitus und die damit zusammenhängenden psychischen Erkrankungen zur Aufgabe der Tätigkeit als Betonsanierer geführt. Dieser Tinnitus sei jedoch keine Folge der anerkannten Berufskrankheit. Die von der Beigeladenen mit Bescheid vom 15. Juni 2005 diesbezüglich getroffene negative Feststellung ist nach Zurückweisung des Widerspruchs Gegenstand des vor dem Sozialgericht Hamburg anhängigen Rechtsstreits mit dem Aktenzeichen S 40 U 264/06.
Zur Begründung seines neuerlichen Antrags führte der Kläger aus, die berufsbedingte Innenohrschwerhörigkeit führe zu erheblichen Verständigungsschwierigkeiten und damit auch zu gefährlichen Situationen, denn Hörgeräte könnten wegen der Schmutzentwicklung während der Arbeit nicht getragen werden. Zudem führe die anhaltende Lärmbelästigung wegen der Unmöglichkeit, die Hörgeräte zu tragen (möglicherweise ist hier der Gehörschutz gemeint), zu einer ständigen Zunahme des Tinnitus mit Konzentrationsstörungen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Juni 2005 auch diesen Antrag mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei weder erheblich gefährdet noch gemindert, denn er sei in der Lage, eine Beschäftigung als Bautenschutzfachkraft weiterhin auszuüben.
Der Kläger hatte bereits am 24. Mai 2005 Klage gegen beide Widerspruchsbescheide vom 27. April 2005 erhoben. Die auf die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtete Klage (S 15 R 1345/05) hat er im Dezember 2006 zurückgenommen. Zum Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat er vorgetragen, aufgrund der ständigen unerträglichen Ohrgeräusche mit Schlaflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsstörungen sei seine Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf als Bautenschutzfachkraft erheblich gefährdet, wenn nicht gemindert, da er z. B. auf Baugerüsten vieles nicht mehr verstehen könne, so dass er auch seine Sicherheit gefährdet sehe.
Der vom Sozialgericht zum Sachverständigen bestellte Dr. O., Leitender Oberarzt an der Poliklinik und Klinik für HNO-Heilkunde des Universitätsklinikums Hamburg-E., hat nach Untersuchung des Klägers im Juni 2006 in seinem Gutachten von Mitte Juli 2006 die Auffassung vertreten, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei durch die von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen in Gestalt einer beginnenden Schwerhörigkeit und eines subjektiven beidseitigen Tinnitus nicht gefährdet oder signifikant gemindert. Arbeiten unter Einwirkung von Geräuschen müssten unter Verwendung von persönlichem Gehörschutz verrichtet werden. Die Verwendung von Hörgeräten sei im Lärm in jedem Fall zu vermeiden. Der Kläger hatte ihm gegenüber beklagt, der Tinnitus bewirke neben psychovegetativen Alterationen in der Gestalt von Schlafstörungen eine Unsicherheit bei Gesprächsführungen, insbesondere bei verstärktem Umgebungslärm auf Baustellen. Er könne den Gesprächen häufig nicht folgen, was zu Missverständnissen geführt habe.
Der Kläger hat der Einschätzung durch Dr. O. entgegengehalten, dass Dr. L. vom ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur Hamburg in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2006 seine - des Klägers - berufliche Umorientierung aus arbeitsmedizinischer Sicht für sinnvoll gehalten habe, weil die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Baubereich seine Leistungsfähigkeit überschritten habe. Er sei wegen der bekannten Gesundheitsstörungen nicht in der Lage, im Baulärm mit ausreichender Zuverlässigkeit Zurufe und verbale Kommunikation von Baulärm zu unterscheiden, was zum Teil zu Missverständnissen führe. Das Tragen von Hörgeräten sei unter Baubedingungen wegen der erheblichen Verschmutzung der-selben praktisch nicht möglich. Zudem müsse eine Lärmgefährdung wegen des bestehenden Tinnitus vermieden werden.
Der Sachverständige Dr. O. hat gleichwohl in ergänzenden Stellungnahmen vom 27. Juni 2007, vom 1. Januar 2008 sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 31. Januar 2008 an seiner Einschätzung festgehalten. Nach dem Ergebnis der sprachaudiometrischen Untersuchungen und der dort dokumentierten äußerst geringen Hörverluste sei das Sprachverständnis im Umgebungslärm wahrscheinlich nicht signifikant eingeschränkt. Es bestehe auch keine Einschränkung des Hörvermögens aufgrund des Tinnitus. Die medizinischen Kriterien für eine Hörgeräteverordnung seien nicht sprachaudiometrisch erfüllt, sondern nur tonaudiometrisch. Bei einer arbeitsbedingten Lärmbelastung mit mehr als 90 dB sei auch bei einem physiologischen Hörvermögen (Normalhörigkeit) die verbale Kommunikation erschwert. Daher sei in diesen Fällen zusätzlich eine nonverbale Kommunikation erforderlich, insbesondere unter Verwendung persönlicher Gehörschutzmittel. Der berufskundige Sachverständige Meinhardt hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausgeführt, der wegen der Lärmbelastung bei Tätigkeiten im Rahmen der Bausanierung zu tragende Gehörschutz mache eine verbale Kommunikation nicht möglich; diese erfolge vielmehr über Zeichensprache. Der vom Gericht sodann zum Sachverständigen bestellte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N. hat nach Untersuchung des Klägers am 9. Mai 2008 in seinem Gutachten vom 10. Juni 2008 die Erwerbsfähigkeit des Klägers für gemindert erachtet. Er hat die von ihm auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet erhobenen Befunde als unauffällig beschrieben und das Arbeiten unter Zeitdruck oder im Akkord für tolerabel gehalten, solange es nicht mit relevantem Lärm verbunden ist. Die Leistungsgrenze werde hingegen schnell erreicht, wenn der Kläger zusätzlich erheblichen und andauernden Lärmbelastungen ausgesetzt sei. Zwar könne er gegen die leichten psychischen Auswirkungen des Tinnitus, nämlich Schlafstörungen und passagere Konzentrationsstörungen, durch zumutbare Willensanspannung angehen; jedoch werde sich bei anhaltender Überlastung und zunehmender Dekompensation des Tinnitus mit der Entwicklung auch einer relevanten psychischen Begleitsymptomatik die Fähigkeit zur Willensanstrengung nach und nach erschöpfen. Das Sozialgericht hat durch den Gerichtsbescheid vom 3. Oktober 2008 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Der Kläger erfülle neben den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 11 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) auch die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 10 SGB VI. Insbesondere sei seine Erwerbsfähigkeit in seinem Beruf als Bautenschutzfachkraft gemindert. Dieser beinhalte Tätigkeiten an einem Lärmarbeitsplatz, an dem Lärmpegel von über 85 dB auftreten können. Eine dauerhafte Tätigkeit an einem solchen Arbeitsplatz sei ihm den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. N. zufolge aufgrund der bestehenden Gefahr einer Dekompensation des derzeit kompensierten Tinnitus mit dann entstehenden zusätzlichen psychischen Beeinträchtigungen nicht mehr zuzumuten. Gegen diesen ihr am 8. Oktober 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24. Oktober 2008 Berufung eingelegt. Sie geht unverändert davon aus, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Bautenschutzfachkraft bzw. Betonbauer weiterhin ausüben kann. Der HNO-Arzt Prof. Dr. O. habe festgestellt, dass der beim Kläger vorliegende Tinnitus die Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährde oder mindere. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ergebe sich auch nicht aus den Ausführungen des Professor Dr. N. im Gutachten vom 10. Juni 2008. Die sich dort findende Aussage, bei anhaltender Überlastung und zunehmender Dekompensation des Tinnitus sei mit einer allmählichen Erschöpfung der Fähigkeit zur Willensanstrengung zu rechnen, sei eine rein spekulative Aussage, die im Rahmen eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei einer HNO-spezifischen Fragestellung aus nervenärztlicher Sicht nicht zulässig sei. Gegen eine Lärmbelastung am Arbeitsplatz, die nach Aussage des Sachverständigen zu vermeiden sei, könne der Kläger sich durch das Tragen eines Gehörschutzes schützen, ohne dass dadurch die Verrichtung der Arbeit sowie die damit in Zusammenhang stehende notwendige Kommunikation mit Kollegen oder Vorgesetzten beeinträchtigt werde. Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 1. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 und gegen den Bescheid vom 22. Juli 2005 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und vertritt die Auffassung, dass die Verwendung eines Gehörsschutzes an einem lärmbelasteten Arbeitsplatz die notwendige Kommunikation entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen nicht unbeeinträchtigt lasse. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie macht sich die Auffassung der Beklagten zu Eigen und weist darauf hin, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ein Ursachenzusammenhang zwischen dem beim Kläger diagnostizierten Tinnitus und der beruflichen Lärmbelastung nicht bestehe. Zudem sei sie nicht davon überzeugt, dass der Tinnitus durch Lärm verschlimmert werde. Entgegen der Auffassung des Klägers schränke die Notwendigkeit der Benutzung eines Gehörsschutzes an einem lärmbelasteten Arbeitsplatz die Möglichkeiten der Kommunikation nicht wesentlich ein, weil dieser sehr vielfältig ausgestaltet werden könne. Der bei ihr beschäftigte Techniker K., Mitglied des Fachausschusses Lärm der Berufsgenossenschaften auf Bundesebene, hat für die Beigeladene in der Verhandlung des Senats am 28. Januar 2010 vorgetragen, entgegen den Ausführungen des vom Sozialgericht gehörten berufskundigen Sachverständigen müsse die Verständigung auf lärmbelasteten Baustellen nicht durch Zeichensprache und "Anticken" erfolgen, denn moderne Gehörschutzgeräte seien in der Lage, Maschinenlärm von etwa 95 bis 100 dB auf bis zu 40 dB zu verringern, so dass auf Baustellen Sprache verstanden und Warnsignale gehört werden. Etwas anderes würde nicht zugelassen werden. Auf Veranlassung des Senats hat Dr. V., Oberarzt der HNO-Klinik des Krankenhauses M. in Hamburg, den Kläger untersucht und das Gutachten vom 2. Dezember 2009 zu den beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen und sich daraus evtl. ergebenden Einschränkungen für regelmäßige Arbeit erstattet. Diesbezüglich hat er zusammenfassend ausgeführt, beim Kläger bestünden beiderseits eine anerkannte Lärmschwerhörigkeit sowie ein - derzeit kompensierter - chronischer Tinnitus. Ein Lärmarbeitsplatz mit unsicherer akustischer Abschirmung (Ohrstöpsel) sollte wegen der möglichen Verstärkung des Tinnitus und der bereits eingetretenen Innenohrschädigung vermieden werden. Abgesehen davon bestünden keine Einschränkungen für eine regelmäßige Arbeit. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme am 18. Dezember 2009 hat Dr. V. klargestellt, dass die von ihm erhobenen klinischen Befunde mit den von Professor Dr. O. erhobenen Befunden übereinstimmen. Des Weiteren hat er auf Befragen bekräftigt, eine Verschärfung des Tinnitus durch Lärmbelastung sei durchaus möglich. Es gebe keinen Automatismus, aber es gebe durchaus Erfahrungen in dieser Richtung. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 3. Oktober 2008 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 1. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 und gegen den Bescheid vom 22. Juli 2005 abzuweisen. Diese Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht ab-gelehnt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren. Es fehlt an der gemäß § 10 SGB VI hierfür zu fordernden erheblichen Gefährdung oder Minderung seiner Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung, denn er kann den Beruf der Bautenschutzfachkraft/des Bausanierers weiterhin ausüben. Die von ihm und vom Sozialgericht vertretene entgegengesetzte Auffassung beruht auf der Überzeugung, diese Tätigkeit sei unvermeidbar mit einer Lärmbelastung verbunden, die die Gefahr einer Dekompensation des derzeit kompensierten Tinnitus mit dann entstehenden zusätzlichen psychischen Beeinträchtigungen in sich berge. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Es ist schon zweifelhaft, ob eine Lärmbelastung am Arbeitsplatz den beim Kläger festgestellten Tinnitus verstärken und damit zu den vom Sachverständigen Dr. N. befürchteten Folgen führen würde. Zweifel daran sind insofern angebracht, als sich auf der Grundlage der wiederholten Angaben des Klägers - so z. B. im Aug. 2004 im Fragebogen zur gutachterlichen Untersuchung, des weiteren in der Anlage zum Antrag Ende Juli und schließlich gegenüber Prof. N. - der Tinnitus trotz der langjährigen Lärmbelastung am Arbeitsplatz erst im zeitlichen Zusammenhang mit der arbeitgeberseitigen Kündigung seiner Beschäftigung bei der Fa. A. massiv verstärkt hat. Dies kann jedoch auf sich beruhen, denn der Kläger kann eine Lärmbelastung an seinem Arbeitsplatz durch das Tragen von Gehörschutz vermeiden. Der Senat teilt nicht seine Auffassung, dass ihm dies wegen der bei der Arbeit entstehenden Stäube oder wegen der notwendigen Kommunikation mit Kollegen oder Vorgesetzten nicht möglich ist. Würde diese Behauptung des Klägers zutreffen, so wäre ein Gehörschutz auf dem Bau gerade bei lärmintensiven Abbrucharbeiten überhaupt nicht möglich. Gehörschutz auf solchen Arbeitsplätzen würde nach dieser Lesart nicht der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz diesen, sondern diese im Gegenteil in Frage stellen. Er wurde und wird aber von der Beigeladenen bzw. ihrem arbeitsmedizinischen Dienst (AMD) gefordert. Dies ist, wie die oben dargestellte Vorgeschichte zeigt, mehrfach gerade auch im Falle des Klägers geschehen. Seit 1995 hat die Beklagte ihn wiederholt darauf hingewiesen, dass bei ihm eine beidseitige Hochtonschwerhörigkeit bestehe, hat seine lärmintensive Arbeit nur unter der Voraussetzung für arbeitsmedizinisch unbedenklich gehalten, dass er bei der Arbeit Gehörschutz trägt, und abschließend klargestellt, dass er Sprache auch beim Tragen von Gehörschutz ausreichend verstehen werde. Ein Tinnitus wurde dabei erstmalig in der Mitteilung des AMD der Beigeladenen vom 6. Juli 2001 über das Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung vom 25. Juni 2001 erwähnt. Wenn aber die Notwendigkeit, bei der lärmintensiven Beton- bzw. Bausanierung Gehörschutz zu tragen, schon von jeher bestand und der weiteren Verrichtung dieser Tätigkeit offenbar auch aus der Sicht des Klägers nicht entgegenstand, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, was sich insofern durch das verstärkte Auftreten des Tinnitus im Sommer 2004 geändert haben sollte. Auf derselben Linie liegen die oben wiedergegebenen Ausführungen des bei der Beigeladenen beschäftigten Technikers K. in der Verhandlung des Senats am 28. Januar 2010 zur Effizienz moderner Gehörschutzgeräte, die in der Lage sind, Maschinenlärm von etwa 95 bis 100 dB auf bis zu 40 dB zu verringern, und das Verstehen von Sprache und das Hören von Warnsignalen ermöglichten, sodass entgegen den Ausführungen des vom Sozialgericht gehörten berufskundigen Sachverständigen die Verständigung auf lärmbelasteten Baustellen nicht durch Zeichensprache und "Anticken" erfolgen muss. Andere Gehörschutzmittel werden demnach durch die Beigeladene erst gar nicht zugelassen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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