L 1 R 36/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 R 606/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 36/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Januar 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der im XXXXX 1958 in Ghana geborene Kläger hat nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1981 unterschiedliche rentenversicherungspflichtige gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt, ohne eine förmliche Berufsausbildung durchlaufen zu haben, zuletzt bis zu einer durch einen Verkehrsunfall Ende Januar 1995 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit die des Vorarbeiters bzw. Objektleiters bei einem Gebäudereinigungsunternehmen. Seither besteht durchgehend Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen des Bezuges von Sozialleistungen, seit Januar 2005 wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Seit August 1995 ist er als Schwerbehinderter im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (bzw. des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX) anerkannt, mit Wirkung vom 8. Januar 1998 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70, vom Versorgungsamt Hamburg in erster Linie begründet mit einer Herzleistungsminderung bei Herzmuskelerkrankung.

Den ersten Antrag des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom Juni 1995 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 11. Dezember 1995 wegen des Fehlens einer rentenrechtlich relevanten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ab, nachdem der Chirurg Dr. S. und die Internisten Dr. F. und Dr. V. bei Untersuchungen des Klägers im September bzw. November 1995 zum Ergebnis gelangt waren, dem Kläger könnten mittelschwere körperliche Arbeiten vollschichtig zugemutet werden. Insbesondere hatte sich eine relevante cardiopulmonale Leistungseinschränkung nicht objektivieren lassen. Die vom Kläger nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1996) erhobene Klage wies das Sozialgericht Hamburg durch das Urteil vom 18. September 2001 mit der Begründung ab, der Kläger könne zumindest körperlich leichte Arbeiten vollschichtig verrichten und sei deshalb weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig. Es stützte sich dabei auf die Einschätzung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch den Orthopäden P., den Chirurgen Dr. K. und den Internisten Dr. R. aufgrund von Untersuchungen des Klägers im November 1997 (P.) bzw. November 1999 (Dr. K.) und Mai/Juni 2001 (Dr. R.). Dr. K. hatte den Kläger sogar für fähig befunden, körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten vollschichtig zu verrichten; der Orthopäde P. hatte sogar gelegentliche schwere Arbeiten für zumutbar gehalten. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Der Kläger beantragte am 17. Januar 2008 erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Er hielt sich für erwerbsgemindert u. a. wegen Beschwerden in der Wirbelsäule aufgrund ihrer Verkrümmung und eines Bandscheibenvorfalls, wegen Beschwerden in den Knien und in den Schultern sowie wegen einer Herzleistungsminderung, und verwies auf das erste Rentenverfahren. Der Chirurg Dr. M. gelangte aufgrund der von der Beklagten veranlassten Untersuchung am 13. Februar 2008 in seinem Gutachten vom selben Tage zu den folgenden Diagnosen: • Geklagte Knieschmerzen links ohne funktionelle Einschränkung und ohne klinisch spürbar krankhaften Befund (keine Röntgenbilder vorliegend), • Angabe von tiefsitzenden Rückenschmerzen mit Ausstrahlung bis zum Nacken, dezente Flachrückenbildung, altersentsprechend sehr gute Funktion, kein Wurzelreiz, • Geklagte Schulterschmerzen beiderseits mit Linksbetonung, freie Schulterfunktion, aber leichte Inkongruenz im Bereich des linken Schultergelenkes, klinisch arthrotische Degeneration möglich, keine Röntgenbilder. Bei der Untersuchung hatte der Kläger angegeben, von Seiten der Herzsymptomatik derzeit keine nennenswerten Probleme zu haben, da er danach lebe. Soweit er sich schone, habe er weder Herzstiche noch sonstige kardiale Probleme. Der Blutdruck sei völlig normal. Der Versicherte befinde sich in einem sehr guten Allgemein- und Ernährungszustand, sei altersentsprechend gut beweglich und muskulär ausreichend ausgestattet. Die von ihm geklagten Beschwerden sollten nicht in Zweifel gezogen werden, hätten jedoch nicht alle ein klinisches Korrelat. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich nicht dauerhaft über Kopf oder in Armvorhalte, nicht häufig im Hocken oder im Knien und nicht häufig oder dauerhaft in Wirbelsäulenzwangshaltungen verrichten.

Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 22. Februar 2008 der Begründung ab, beim Kläger bestehe weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2008).

Im anschließenden Klageverfahren haben der Orthopäde G. und der Internist Dr. N. auf Veranlassung des Sozialgerichts Hamburg Berichte über die von ihnen im Laufe der Behandlung des Klägers erhobenen Befunde erstattet. Der Orthopäde G. berichtete am 3. Juli 2008 über eine eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule und eine endphasig eingeschränkte Rumpfreklination im Bereich der Lendenwirbelsäule. Dr. N. hat mitgeteilt, der Kläger spreche dort seit Dezember 2004 in größeren Abständen wegen wechselnder Beschwerden - zum Teil links thorakal, zum Teil in der linken Schulter - vor. Immer wieder berichte der Kläger, dass er schlapp und müde sei. Bei der Durchuntersuchung in der kardiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. T. und andere habe man eine leicht eingeschränkte linksventrikuläre Funktion des Herzens bei Zustand nach Myokarditis, einen Zustand nach Aspirationspneumonie, eine Fettstoffwechselstörung im Sinne einer Hyperlipoproteinämie sowie eine chronisch-obstruktive Bronchitis festgestellt. Beigefügt war der Arztbrief der Gemeinschaftspraxis vom 8. Oktober 2004 mit den zwischen März 1995 und Mai 2002 dort erhobenen Befunden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 30. Januar 2009 hat der Kläger den Bericht der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses H. vom 17. Dezember 2008 über die unmittelbar zuvor durchgeführte operative Behandlung eines Leistenbruchs und eines Nabelbruchs vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch das Urteil vom 30. Januar 2009 mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei trotz der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn er könne leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten mit gewissen unwesentlichen qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Gegen dieses ihm am 9. Februar 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 2009 Berufung eingelegt. Er hält an seinem Rentenbegehren fest und beruft sich dafür auf eine bei ihm bestehende Herzmuskelschwäche, auf Schmerzen im Rücken, im Kopf und in den Knien, auf Hörstörungen sowie auf die im Dezember 2008 durchgeführte Leistenbruchoperation und die am 31. August 2009 durchgeführte arthroskopische Operation der rechten Schulter zur Behandlung eines sog. Impingementsyndroms.

Der Kläger beantragt das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Januar 2009 und den Bescheid vom 22. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Veranlassung des Senats hat Dr. Q., Arzt für Chirurgie und Orthopädie, den Kläger am 16. März 2010 ambulant untersucht. In seinem schriftlichen Gutachten vom 17. März 2010 hat er ausgeführt, beim Kläger bestünden mäßige Verschleißveränderungen der Halswirbelsäule, der Lendenwirbelsäule und der Schultergelenke mit allenfalls geringen Beweglichkeitseinschränkungen und ohne neurologische Ausfälle, eine deutliche Verschleißveränderung es linken Kniegelenks ohne Beweglichkeitseinschränkung, eine unklare Sensibilitätsstörung des rechten Daumens sowie Narbenbeschwerden der rechten Leiste ohne Anhalt für ein Rezidiv. Damit könne er leichte Tätigkeiten körperlicher und geistige Tätigkeiten durchschnittlicher Art in wechselnder Körperhaltung ohne regelmäßiges Heben und Tragen von Lasten über 5 kg nicht im Akkord oder unter Zeitdruck nicht auf Leitern und Gerüsten vollschichtig zu verrichten.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Dieser Bestimmung zufolge haben Versicherte unter weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ist der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, so ist er voll erwerbsgemindert (§ 41 Abs. 2 SGB VI). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Er ist nach Überzeugung des Gerichts weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, sondern in der Lage, körperlich leichte Arbeiten mit gewissen unwesentlichen qualitativen Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat hält die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts für zutreffend und nimmt vollen Umfangs auf sie Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies gilt umso mehr, als die im Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen eine für den Kläger günstigere Beurteilung des Sachverhalts nicht rechtfertigen. Vielmehr hat der Sachverständige Dr. Q. nach Untersuchung des Klägers die Richtigkeit der Bewertung der Erwerbsfähigkeit des Klägers durch das Sozialgericht bestätigt. Er hat seine Einschätzung aus den von ihm bei der Untersuchung erhobenen Befunden nachvollziehbar und deshalb überzeugend abgeleitet. Den Beeinträchtigungen des Klägers durch die mäßigen Verschleißveränderungen der Wirbelsäule und der Schultergelenke und den stärkeren Verschleißerscheinungen im linken Kniegelenk ist bei fehlenden Einschränkungen der Beweglichkeit der Wirbelsäule und der Gelenke und bei fehlenden neurologischen Ausfällen durch die Beschränkung auf körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne dauerndes Stehen und ohne regelmäßiges Heben und Tragen von Lasten über 5 kg ausreichend Rechnung getragen; es ist nicht plausibel, dass diese Abweichungen von der Norm zusammen mit der unklaren Sensibilitätsstörung des rechten Daumens sowie Narbenbeschwerden der rechten Leiste ohne Anhalt für ein Rezidiv dem Kläger solche Belastungen nicht für mindestens sechs Stunden täglich erlauben. Die Schilderung seiner Beschwerden gegenüber Dr. Q. rechtfertigt keine Zweifel in dieser Richtung, denn der Kläger hat dort ausgeführt, wegen der Beschwerden im linken Knie und in den Schultern könne er nicht schwer heben. Leichte körperliche Belastungen schließt er selbst mithin nicht aus. Die Schmerzen im Nacken rechts treten seinen Angaben zufolge vor allem beim Schlafen auf. Die pauschale Klage über Rückenschmerzen ist viel zu unspezifisch, als dass daraus Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit in quantitativer Hinsicht abgeleitet werden könnten.

Mit dem Sozialgericht hat der Senat auch keine Zweifel, dass der Arbeitsmarkt dem Kläger auch mit der eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht verschlossen ist, sondern leidensgerechte Arbeitsplätze - gleich, ob derzeit besetzt oder unbesetzt - bereithält. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vorgelegten Aufstellung leichter Tätigkeiten zufolge kann der Kläger leichte Packarbeiten, leichte Montierarbeiten, wie das Montieren von Kugelschreibern und Füllfederhaltern sowie einfache Kontroll- und Prüftätigkeiten verrichten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang vorhanden sind. Seine Chancen, einen solchen Arbeitsplatz tatsächlich zu erhalten, hängen auch von anderen als medizinischen Faktoren ab und sind für seinen Anspruch auf Rente nicht relevant.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hierfür eine Veranlassung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht bestanden hat.
Rechtskraft
Aus
Saved