L 10 U 938/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 4692/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 938/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.08.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente streitig.

Der am 1957 geborene Kläger ist seit November 1997 bei der D. Sicherheit GmbH als Sicherheitsfachkraft im Sicherheits- und Ordnungsdienst auf Bahnhöfen und in Zügen beschäftigt. Am 04.08.2001 erlitt er im Rahmen seiner Tätigkeit einen Verkehrsunfall, indem er mit einem PKW auf der B Richtung T. fahrend bei einem Überholmanöver von dem überholten Fahrzeug nach links abgedrängt wurde, beim Bremsen ins Schleudern geriet, sich mit dem Fahrzeug überschlug und am rechten Fahrbahnrand auf der Fahrerseite liegend zum Stillstand kam.

Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen in die F. Klinik verbracht und durch PD Dr. Gl. untersucht, der ausweislich seines Durchgangsarztberichts vom selben Tag eine oberflächliche Schürfung ohne Erguss im Bereich des linken Knies bei freier Beweglichkeit und eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich des rechten Daumens bei regelrechter Durchblutung, Motorik und Sensibilität erhob und nach röntgenologischen Untersuchungen des rechten Daumens und des linken Knies, die keine knöcherne Verletzungen ergaben, eine Distorsion des rechten Daumens und eine Prellung des linken Knies diagnostizierte und den Kläger durch Anlage eines Arnika-Salbenverbandes versorgte. Er entließ den Kläger in die ambulante Weiterbehandlung seines Hausarztes Dr. Pr. , bei dem der Kläger sich am 06., 10. und 14.08.2001 vorstellte, analgetisch mit Ibuprofen und durch Anlage eines Salbenverbandes mit Voltaren Gel behandelte, Arbeitsunfähigkeit bescheinigte und die am 17.08.2001 bei dem Unfallchirurgen V. erfolgte Vorstellung veranlasste. Dieser fand bei seiner Untersuchung ausweislich seines Nachschauberichts vom selben Tag eine beidseits der HWS bis suprascapular reichende Muskelverspannung mit leichtem Weichteildruck- und Bewegungsschmerz sowie eine in allen Ebenen endgradig leicht eingeschränkte Beweglichkeit ohne Stauchungsschmerz der HWS und ohne Blockierung, eine Restschwellung mit diskreter Hämatomverfärbung am Daumenrundglied des rechten Daumen sowie über dem ersten Mittelhandknochen, einen diffusen Druckschmerz, eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit im Daumengrundgelenk, einen Dehnungsschmerz des ulnaren Seitenbandes sowie am linken Knie im Bereich des Tibiakopfes ventro-lateral eine diskrete Hämatomverfärbung, eine mäßige Schwellung, ein lokaler Weichteildruckschmerz bei freier Beweglichkeit. Nach röntgenologischer Untersuchung der HWS sowie des Daumengrundgelenks rechts, die keine Auffälligkeiten zeigten, diagnostizierte er auf seinem Fachgebiet eine HWS-Distorsion, multiple Prellungen, u.a. am linken Knie sowie eine Prellung/Distorsion des rechten Daumengrundgelenks, im Hinblick auf die anamnestischen Angaben des Klägers ferner einen Tinnitus rechts. Die Arbeitsunfähigkeit verlängerte er bis 25.08.2001 und verordnete zusätzlich zu der hausärztlicherseits eingeleiteten Therapie eine Muskelrelaxanz, legte am rechten Daumengrundgelenk einen Salben- und elastischen Kompressionsverband an, riet dem Kläger zu einer Eisbehandlung am Knie und am Daumengrundgelenk rechts, zur selbständigen täglichen Anlage eines Salbenverbandes mit Voltaren Gel sowie zur weiteren Einnahme der HNO-ärztlicherseits verordneten durchblutungsfördernden Medikation und empfahl im Bereich der HWS eine Wärmeanwendung sowie selbständige Bewegungsübungen.

Bei der Kontrolluntersuchung am 21.08.2001 fand Dr. V. Restverspannungen im Bereich der HWS, links mehr als rechts, bei nicht mehr wesentlich eingeschränkter Beweglichkeit, eine minimale Restschwellung am rechten Daumen bei weitgehend freier Beweglichkeit ohne Instabilität und eine mäßige Restschwellung am linken Knie bei freier Beweglichkeit; subjektiv gab der Kläger eine Kraftlosigkeit sowie bewegungs- und belastungsabhängige Restbeschwerden an (auch am Unterschenkel und Knie links). Wegen der bei der Kontrolluntersuchung am 27.08.2001 unverändert angegebenen Restbeschwerden verlängerte Dr. V. die Arbeitsunfähigkeit bis 02.09.2001 und vereinbarte mit dem Kläger bei der neuerlichen Vorstellung am 31.08.2001 (Befund: freie Beweglichkeit der HWS mit Restverspannung der Muskulatur, minimale Restschwellung am Daumengrundgelenk bei weitgehend freier Beweglichkeit und verbesserter Kraft und gebrauchsabhängigen Restbeschwerden; erstmals jetzt auch Angabe von Beschwerden an der Thoraxwand rechts lateral bei lokal fehlenden äußeren Verletzungszeichen - radiologisch fissurale Fraktur lateral an der linken Rippe nicht sicher auszuschließen) die Wiederaufnahme der Arbeit zum 03.09.2001.

Bei der Wiedervorstellung am 06.09.2001 gab der Kläger Angstgefühle im Straßenverkehr und erneut Restbeschwerden im Bereich der unteren Thoraxapparatur rechts und am Daumengrundgelenk rechts vor allem beim Gebrauch beugeseitig an. Dr. V. erachtete den Kläger für weiterhin arbeitsfähig. Bei der vorzeitigen Wiedervorstellung am 11.09.2001 gab der Kläger an, bei der Arbeit seien Spannungskopfschmerzen rechtsbetont aufgetreten und dass er nicht arbeiten könne, worauf Dr. V. bis 16.09.2001 Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. Gleichzeitig veranlasste er zur Festlegung des weiteren Vorgehens eine Vorstellung in der B. klinik T. , wo sich der Kläger am 13.09.2001 vorstellte. Dort beklagte er ausweislich des Zwischenberichts des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. We. belastungsabhängige wechselhafte Beschwerden von Kopf, Schulter, rechter Thoraxregion, linker Daumen und linkes Kniegelenk, wodurch ihm ein Arbeiten nicht möglich sei. Bei der klinischen Untersuchung fand Prof. Dr. We. keine Funktionsbeeinträchtigungen; in der Röntgen-Diagnostik von Hemithorax rechts und rechtem Daumen sah er keine Zeichen einer strukturellen Läsion. Prof. Dr. We. bescheinigte noch bis 23.09.2001 Arbeitsunfähigkeit und erachtete ab 24.09.2001 wieder vollschichtige Arbeitsfähigkeit gegeben, wenn auch Einschränkungen bezüglich der Aufsichtstätigkeiten bestünden und für die kommenden Wochen eine innerbetrieblich Umsetzung initiiert werden sollte. Von Arbeitsfähigkeit ging Prof. Dr. We. auch bei der Wiedervorstellung des Klägers am 21.09.2001 aus, bei der er über persistierende Beschwerden im Bereich der HWS und der rechten Thoraxhälfte bzw. dem rechten Unterbauch berichtete, derentwegen er krankengymnastische Übungstherapie rezeptierte.

Am 08.10.2001 stellte sich der Kläger bei dem Orthopäden Dr. Sche. vor und beklagte im Wesentlichen die bisher bereits vorgebrachten Beschwerden. Dr. Sche. riet zur Durchführung der bereits verordneten Krankengymnastik, zur Schonung des Daumens und zu Bewegungsübungen. Am 15. und 16.10.2002 wurde der Kläger durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. untersucht, die keine neurologischen Ausfälle fand und den Kläger an den Psychotherapeuten Dr. St. weiterverwies. Am 22.10.1001 suchte der Kläger erneut Dr. V. auf und klagte über diffuse Restbeschwerden von der HWS bis zur Thoraxwand rechts, rezidivierenden Schwindel und Kopfschmerzen. Er berichtete von einer psychischen Belastung, ausgelöst durch den Unfall, sowie eine sehr belastende familiäre Situation, derentwegen er vor ca. fünf oder sechs Jahren eine psychotherapeutische Gesprächstherapie sowie eine Kurmaßnahme durchgeführt habe. Dr. V. erachtete den Kläger weiterhin für arbeitsfähig und hielt diesen an, sich möglichst bald bei Dr. St. vorzustellen. Er vertrat die Auffassung, dass zunächst fünf Sitzungen zu Lasten der Beklagten durchgeführt werden sollten, um psychotherapeutischerseits dazu Stellung nehmen zu können, ob die erhebliche psychische Alteration unfallbedingt ist.

Am 14.11.2001 stellte sich der Kläger wiederum in der B. klinik T. vor und berichtete über persistierende Beschwerden der HWS, eine Berührungsempfindlichkeit des rechten Brustkorbs und des rechten Unterbauchs sowie über rezidivierende Übelkeitsattacken vornehmlich bei Stresssituationen. Prof. Dr. We. , der wegen der HWS-Beschwerden eine erneute krankengymnastische Übungstherapie rezeptierte, riet angesichts der Berührungsempfindlichkeit und der Übelkeitsattacken zu einer nochmaligen psychosomatischen Vorstellung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse.

Am 02.01.2002 suchte der Kläger mit dem Wunsch nach Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erneut Dr. V. auf, der diese jedoch verweigerte und den Kläger in die Berufsgenossenschaftliche klinik T. überwies, die die weiteren Maßnahmen koordinieren und überwachen sollte. Bei der dortigen Vorstellung am 10.01.2002 erhob Prof. Dr. We. ausweislich seines Zwischenberichts keinen pathologischen Befund, hielt den Kläger weiterhin für arbeitsfähig, sah eine erhebliche Übertragung und empfahl bei zunehmender Chronifizierung des Problems eine Zusammenhangsbegutachtung.

Zur Feststellung von Unfallfolgen holte die Beklagte Befundberichte bei Dr. Sche. sowie dem HNO-Arzt Dr. Ros. ein und veranlasste das unfallchirurgische Gutachten des Dr. O. , Chefarzt der Unfallchirurgischen Klinik im Kreiskrankenhaus B. , aufgrund Untersuchung des Klägers vom 07.02.2003, das neurologisch-psychiatrische Gutachten der Dr. R. aufgrund Untersuchung vom 07.03.2003 sowie das HNO-ärztliche Gutachten des HNO-Arztes Dr. Kr. aufgrund Untersuchung vom 14.05.2003. Dr. O. führte aus, auf seinem Fachgebiet lägen keine unfallbedingten Krankheitserscheinungen mehr vor. Eine HWS-Distorsion Grad I nach Erdmann, eine Prellung des rechten Daumens und des linken Kniegelenks sowie eine Schulterprellung links und ein Zustand nach Bauchdecken- und Flankenprellung durch Aufprall am Sicherheitsgurt seien jeweils ausgeheilt. Die bestehenden Wirbelsäulenveränderungen (beginnende Degeneration der unteren HWS, der mittleren und unteren BWS und der LWS mit Osteochondrose zahlreicher Segmente und Endlordosierung des thorakolumbalen Übergangs) seien unfallunabhängig und altersentsprechend bzw. habitusverursacht. Seit 24.09.2001 sei der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig. Dr. R. verneinte das Vorliegen unfallbedingter Folgen auf psychiatrischem Fachgebiet seit Wegfall der Arbeitsunfähigkeit. Zwar lägen beim Kläger ausgeprägte psychopathologische Störungen mit Somatisierungen und gehemmt aggressiver Symptomatik vor, jedoch sei der Unfall vom 04.08.2001 hierfür lediglich als Auslöser anzusehen, jedoch für die spätere psychische Dekompensation nicht kausal im rechtlichen Sinne. Maßgeblich hierfür sei vielmehr eine unfallunabhängige neurotische Persönlichkeitsstörung. Dr. Kr. beschrieb auf seinem Fachgebiet als Unfallfolge einen Tinnitus Grad I beidseits, eine Hyperakusis sowie einen vertebragen bedingten Schwindel und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür auf 5 vom Hundert (v.H.).

Mit Bescheid vom 25.06.2003 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger wegen der Folgen des Versicherungsfalls vom 04.08.2001 Verletztenrente zu gewähren, weil seine Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall nicht in einem rentenberechtigenden Grade gemindert sei. Als Folgen dieses Versicherungsfalls anerkannte sie: Tinnitus Grad I beidseits, Geräuschüberempfindlichkeit, vertebragen bedingter Schwindel nach einer Distorsion der HWS Grad I. Weiter führte sie aus, die Prellung des rechten Daumens, des linken Kniegelenks, der linken Schulter, der Bauchdecke und Flanke sei ohne wesentliche Folgen ausgeheilt. Als Unfallfolgen anerkannte sie ausdrücklich nicht: Neurotische Persönlichkeitsstörung, Engegefühl im Hals, Hyperreflexie, Innenohrschwerhörigkeit bei 4 khz, beginnende Degeneration der unteren HWS, der mittleren und unteren BWS und der LWS mit Osteochondrose zahlreicher Segmente und Endlordosierung des thorakolumbalen Übergangs. Der dagegen mit der Begründung eingelegte Widerspruch des Klägers, die aufgeführten Verletzungen seien nicht ausgeheilt und zudem habe es unfalladäquate Anwendungen bzw. Rehabilitationsmaßnahmen nicht gegeben, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2003 zurückgewiesen.

Am 02.09.2003 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und zahlreiche Beschwerden aufgeführt, die auf den Unfall zurückzuführen seien; durch diese sei er kaum noch in der Lage, am "normalen Leben" teilzunehmen. Insbesondere seien auch die psychischen Folgen des Unfallereignisses anzuerkennen, da er erst dadurch psychisch aus der Bahn geworfen worden sei. Auch wenn er bereits vor dem Unfall psychisch erkrankt gewesen sei, sei er gleichwohl in der Lage gewesen, den Anforderungen seines anstrengenden und konfliktträchtigen Berufes, der eine psychische Stabilität erfordere, nachzukommen. Der Kläger hat den Entlassungsbericht der Rehaklinik G. vorgelegt, wo er vom 10.11. bis 22.12.2003 stationär behandelt worden war (Diagnosen: somatoforme Schmerzstörung, depressive Anpassungsstörung nach Autounfall, Adipositas Grad II, Gonarthrose).

Das SG hat den Psychologischen Psychotherapeuten Lu. , Dr. Sche. , Dr. Ros. und den Facharzt für Innere und Psychotherapeutische Medizin Dr. G. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Der Psychotherapeut Lu. hat von einer Behandlung seit 30.01.2002 berichtet (Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung, sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung, neurotische Störung; diverse psychosomatische Beschwerden als Begleitsymptomatik, zum Teil hypochondrisch verarbeitet) und die Auffassung vertreten, dass der Kläger den Unfall seiner Persönlichkeitsstörung gemäß verarbeitet habe (passive Erwartungshaltung, Kränkbarkeit mit latenten Wutgefühlen, Anspruchshaltung - Wiedergutmachungsansprüche). Dr. Sche. hat im Vordergrund der Beeinträchtigungen eine Psychosomatisierung des Unfallgeschehens gesehen, wobei die bestehenden Veränderungen im Bereich der HWS und BWS diesen Effekt verstärkten. Dr. Ros. hat von den bekannten Beeinträchtigungen von HNO-ärztlicher Seite berichtet und Dr. G. von der Entwicklung einer Angststörung nach dem Unfall, wodurch der Kläger belastende Situationen nur unter Aufbietung seiner gesamten psychischen Energie durchstehen könne. Ob diese Störungen schon früher bestanden haben, hat er nicht zu sagen vermocht. Die Schmerzen seien durch Verspannungen - traumatisch - ausgelöst, würden aber somatoform überlagert und dienten der Affektabwehr. Das SG hat darüber hinaus das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Pa. aufgrund Untersuchung des Klägers vom 13.05.2004 eingeholt. Dieser hat eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert, die im Rahmen einer persönlichkeitsbedingten sozialen Anpassungsstörung auf der Grundlage einer emotional instabilen Persönlichkeit mit querulatorischen Zügen entstanden, nicht aber wesentlich durch den erlittenen Unfall bedingt sei. Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG ferner das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Dr. L. aufgrund Untersuchungen des Klägers am 01., 06. und 23.09.2004 eingeholt. Diese ist diagnostisch von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen, die mit einer MdE um 100 v.H. zu bewerten sei.

In seiner von der Beklagten hierzu vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme hat der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Neuroradiologie PD Dr. Ro. die Auffassung vertreten, dass der Kläger an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leide, für die eine komplexe Fülle von Entstehungsbedingungen verantwortlich gemacht werden könne, bei denen dem Unfall jedoch nur eine untergeordnete Bedeutung beizumessen sei. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung hat er nicht als erfüllt angesehen. Mit Urteil vom 18.08.2005 hat das SG die auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. gerichtete Klage gestützt auf die Gutachten der Dr. R. und des Dr. Pa. mit der Begründung abgewiesen, das Unfallereignis sei nicht wesentliche Ursache, sondern nur Gelegenheitsursache für das Hervortreten der beim Kläger vorliegenden psychischen Störung.

Am 19.10.2005 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung (L 10 U 4316/05) eingelegt und sein Begehren im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten der Dr. L. , das im Gegensatz zu den Gutachten der Dr. R. und des Dr. Pa. schlüssig und überzeugend sei, weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.08.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 25.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2003 zu verurteilen, ihm Verletztenrente ab dem 03.09.2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. , bei dem der Kläger in dem Zeitraum zwischen 1991 und 1997 in Behandlung stand, schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dieser hat über einen seinerzeit diagnostizierten depressiven Erschöpfungs- und Versagenszustand berichtet und u.a. den Entlassungsbericht der B.-Klinik in H. - Bad M. vorgelegt, wo der Kläger vom 21.11.1989 bis 16.01.1990 unter den Diagnosen depressive Verstimmung bei paranoider Persönlichkeitsstruktur stationär behandelt worden war. Der Senat hat ferner von dem Internisten Dr. P. , Praxisnachfolger des Dr. Pr. , eine Auskunft aufgrund der ihm vorliegenden Patientenakten eingeholt. Danach habe sich der Kläger am 06., 10., 14. und 30.08.2001 bei Dr. Pr. vorgestellt und über die oben bereits dargelegten Beschwerden geklagt; an Befunden habe er am 06.08.2001 Abschürfungen am rechten Oberarm und Handgelenk, eine schmerzhafte Schulterbeweglichkeit und muskuläre Verspannungen im Schultergürtel und am 10.08.2001 einen muskulären Hartspann in beiden Schultern, rechts mehr als links, und eine Schwellung mit Hämatom am linken Ellenbogen dokumentiert. Behandelt worden sei der Kläger mit lokalen und systemischen Antiphlogistika. Das SG hat darüber hinaus eine ergänzende Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. Pa. eingeholt, der an seiner zuvor getroffenen Einschätzung festgehalten und die Auffassung vertreten hat, dass entgegen der diagnostische Einschätzung der Dr. L. keine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren sei. Der Senat hat ferner bei der H. M. Krankenkasse sowie beim Arbeitgeber des Klägers eine Auskunft eingeholt und bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlungsakte (74 Js 66651/01) des gegen den Unfallverursachers geführten Verfahrens sowie bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft/Bahn die über den Kläger geführte Rentenakte beigezogen. Letztlich hat es das psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. F. , Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in der U. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie d. U. T. , aufgrund Untersuchungen des Klägers vom 05. und 26.04.2007 sowie 03.05.2007 eingeholt. Der Sachverständige hat beim Kläger eine sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und paranoiden Zügen sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert, wobei sich die Schmerzstörung als Folge der paranoid-narzisstisch determinierten Verarbeitung des Unfallereignisses entwickelt habe und seines Erachtens mehr dafür als dagegen spreche, dass die vorbestehende psychische Gesundheitsbeeinträchtigung in anderen Belastungssituationen ebenfalls eine psychiatrische Symptomatik im Sinne einer Dekompensation verursacht hätte.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Akten beider Rechtszüge sowie der aufgeführten beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs.1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 25.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2003 ist, soweit die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt hat, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger wegen gesundheitlicher Folgen seines Arbeitsunfalls vom 04.08.2001 Verletztenrente zu gewähren.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Bei dem vom Kläger am 04.08.2001 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erlittenen Verkehrsunfall handelt es sich um einen Arbeitsunfall in diesem Sinne. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Die Beklagte hat diesen Unfall in dem angefochtenen Bescheid selbst als Versicherungsfall bezeichnete und diesen damit der Sache nach als Arbeitsunfall anerkannt. Streitig ist daher lediglich, ob beim Kläger als Folge des Arbeitsunfall gesundheitliche Schäden in einem rentenberechtigenden Ausmaß verblieben sind und sogar die Bemessung mit einer MdE um 100 v.H. rechtfertigen.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Nach diesen Grundsätzen liegen beim Kläger als Folge des Unfalls vom 04.08.2001 keine Gesundheitsschäden vor, die die Bewertung mit einer MdE in einem rentenberechtigenden Ausmaß rechtfertigen würden und damit erst Recht nicht mit einer MdE um 100 v.H.

Dass die Funktionsbeeinträchtigungen, die von den von der Beklagten als Unfallfolge anerkannten Gesundheitsstörungen (Tinnitus Grad I beidseits, Geräuschüberempfindlichkeit, vertebragen bedingter Schwindel nach einer Distorsion der HWS Grad I) ausgehen und von dem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren hinzugezogenen Gutachter Dr. Kr. mit einer MdE um 5 v.H. bewertet wurden, eine MdE in einem rentenberechtigenden Ausmaß, d.h. um wenigstens 20 v.H. rechtfertigen, hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt vorgebracht. Vielmehr hat er im Klageverfahren zunächst geltend gemacht, dass er weiterhin an den von der Beklagten als ausgeheilt bezeichneten Beeinträchtigungen (Prellung des rechten Daumens, des linken Kniegelenks, der linken Schulter, der Bauchdecke und Flanke) leide und darüber hinaus die psychischen Folgen des Unfalls gänzlich unberücksichtigt geblieben seien. Im Berufungsverfahren hat der Kläger vor dem Hintergrund des Gutachtens der Dr. L. sein Begehren allein mit den psychischen Unfallfolgen begründet, so dass der Senat von weitergehenden Darlegungen in Bezug auf die Bewertung der anerkannten und die Berücksichtigung der als ausgeheilt betrachteten Gesundheitsstörungen absieht, zumal auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die insoweit getroffene Einschätzung der Beklagten Bedenken begegnen könnte. Im Übrigen hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil auch zutreffend dargelegt, dass die Unfallfolgen auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet folgenlos ausgeheilt sind und jene auf HNO-ärztlichem Fachgebiet lediglich eine MdE um 5 v. H. begründen. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Entgegen der Ansicht des Klägers rechtfertigen auch die bei ihm aufgetretenen Gesundheitsstörungen auf psychiatrischen Fachgebiet nicht die Gewährung von Verletztenrente. Denn die insoweit vorliegenden Beeinträchtigungen sind nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 04.08.2001 zurückzuführen und damit nicht Unfallfolge im unfallversicherungsrechtlichen Sinn.

Beim Kläger hat sich in zeitlichem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Unfall eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt, die nach Auffassung des Senats ohne den Unfall nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht in dieser Form aufgetreten wäre, so dass der Unfall in dem oben dargelegten Sinne in naturwissenschaftlichem Sinne ursächlich für diese Erkrankung ist. Seine Überzeugung, dass beim Kläger eine somatoforme Schmerzstörung vorliegt, stützt der Senat auf die insoweit übereinstimmenden Gutachten der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren hinzugezogenen Gutachterin Dr. R. , des vom SG beauftragten Sachverständigen Dr. Pa. sowie das Gutachten des Prof. Dr. F. , den der Senat im Berufungsverfahren mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt hat. Nach dem statistischen Klassifikationssystem ICD-10 (F 45.4) ist die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung zu stellen, wenn die vorherrschende Beschwerde ein andauernder schwerer und quälender Schmerz ist, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann. Er tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auf, die schwerwiegend genug sein sollten, um als entscheidende ursächliche Faktoren gelten zu können. In der Folge kommt es meist zu einer beträchtlich gesteigerten persönlichen oder medizinischen Hilfe und Unterstützung. Diese Kriterien sind im Falle des Klägers erfüllt. Dass ein physiologisches Korrelat für die vom Kläger angegebenen unfallbedingten Schmerzen und Beschwerden nicht besteht, ist durch das von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. O. hinreichend belegt. Dieser hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die beim Kläger unfallbedingt aufgetretene, ohnehin lediglich leichtgradigen Verletzungen in Form einer HWS-Distorsion Grad I nach Erdmann, einer Prellung des rechten Daumen und des linken Kniegelenks, einer Schulterprellung links sowie einer Bauchdecken- und Flankenprellung ausgeheilt sind. Allenfalls die vom Kläger im Bereich der Wirbelsäule geklagten Schmerzen können gegebenenfalls durch die dort unfallunabhängig vorhandenen degenerativen Veränderungen in gewisser Weise erklärt werden. Für den Senat überzeugend hat Prof. Dr. F. in dem "Kampf" des Klägers um Gerechtigkeit, den er seit dem Unfall führt, auch eine ausreichende psychosoziale Belastung in dem obigen Sinne gesehen. Insgesamt lag dem Schmerz direkt nach dem Unfall eine körperliche Störung zugrunde, wobei sich das Ausmaß der Symptomatik sowohl hinsichtlich Schwere als auch Dauer in den folgenden Jahren deutlich im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung aggraviert hat.

Demgegenüber leidet der Kläger nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung. wovon er auf der Grundlage des Gutachtens der Dr. L. ausgeht. Soweit diese Sachverständige vom Vorliegen eines solchen Krankheitsbildes ausgeht, folgt der Senat dieser diagnostischen Einschätzung nicht. Nach dem ICD-10 (F 43.1) entsteht eine posttraumatische Belastungsstörung als eine verzögert oder protrahierte Reaktion auf ein belastenden Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albräumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf.

Ebenso wie zuvor schon der von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt Dr. Ro. hat auch der Sachverständige Prof. Dr. F. zwar das A-Kriterium (drohende Lebensgefahr, Schutz- und Hilflosigkeit) einer posttraumatischen Belastungsstörung als erfüllt angesehen, nicht jedoch das sog. B-Kriterium (Wiedererleben des Ereignisses) dieses Krankheitsbildes. Hierbei handelt es sich in erster Linie um sog. Flashbacks, nämlich wiederholte und sich aufdrängende Erinnerungen an das Unfallereignis, das Gefühl und Vorstellungen, das Ereignis wieder zu durchleben. Über solche Nachhallerinnerungen an das Unfallgeschehen hat der Kläger weder bei Dr. R. berichtet noch bei Dr. Pa. und Dr. L. und zuletzt auch nicht anlässlich der Untersuchungen bei Prof. Dr. F ... Bei der ausführlichen Exploration durch Dr. L. hat der Kläger lediglich über einen in den letzten Tagen gehabten Albtraum berichtet, der sich allerdings in keiner Weise am Unfallablauf orientiert hat und in seiner allgemeinen Art lediglich abstrakt eine Hilflosigkeit zum Thema hatte, so dass er nicht im Sinne einer Nachhallerinnerung klassifiziert werden kann. Ebenso wenig lassen sich - entgegen der von der Dr. L. vertretenen Ansicht - Schmerzen des Klägers an der Gurtprellmarke als eine Art Erinnerung des Körpers an den Unfall als Nachhallerinnerungen im Sinne der obigen Kriterien klassifizieren. Da somit aber bereits nicht das sog. B-Kriterium erfüllt ist, lässt sich das Krankheitsbild des Klägers diagnostisch auch nicht einer posttraumatische Belastungsstörung zuordnen.

Ausgehend von dem beim Kläger nach alledem vorliegenden Krankheitsbild einer somatoformen Schmerzstörung folgt der Senat der von den Sachverständigen Dr. Pa. und Prof. Dr. F. sowie der Gutachterin Dr. R. vertretenen Auffassung, dass diese Erkrankung zwar als Folge des in Rede stehenden Unfall aufgetreten ist, rechtlich wesentlich jedoch nicht durch diesen verursacht ist und sich vielmehr als Folge der persönlichkeitsbedingt erfolgten Verarbeitung des Unfallereignisses darstellt. Im Sinne der obigen Darlegungen ist im Rahmen einer konkurrierenden Ursache damit der Persönlichkeit des Klägers im Verhältnis zu dem Unfallgeschehen überragende Bedeutung beizumessen. Dabei berücksichtigt der Senat insbesondere auch, dass der Kläger bei dem Unfall lediglich leichteste Verletzungen erlitt, die - entgegen seinem Vorbringen - adäquat und umfangreich behandelt wurden, wie anhand die oben näher dargelegten, von verschiedenen Behandlern eingesetzten zahlreichen therapeutischen Maßnahmen hinreichend deutlich wird.

Für den Senat schlüssig und überzeugend hat Prof. Dr. F. nach ausführlicher Exploration des Klägers die Diagnose einer sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 - F 60.8) gestellt. In nachvollziehbarer Weise hat er dargelegt, dass beim Kläger die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung, d.h. einer schweren Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens der betroffenen Person, die nicht direkt auf eine Hirnschädigung oder Krankheit oder auf eine andere psychiatrische Störung zurückzuführen sind, vorliegen und auch spezielle Kriterien einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und paranoiden Zügen erfüllt sind, namentlich eine übertriebene Empfindlichkeit auf Rückschläge und Zurücksetzungen, eine Neigung dauerhaft Groll zu hegen, d.h. Beleidigungen, Verletzungen oder Missachtungen nicht zu vergeben, eine Streitbarkeit und beharrliches, situationsunangemessenes Bestehen auf eigenen Rechten, ein Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung (bspw. übertreiben die Betroffenen ihre Leistungen und Talente) sowie eine Anspruchshaltung in Form unbegründeter Erwartung besonders günstiger Behandlung oder automatischer Erfüllung der Erwartungen. So hat der Sachverständige für den Senat vor dem Hintergrund der ausführlichen Schilderungen des Klägers schlüssig dargelegt, dass dieser eine deutlich narzisstisch gefärbte Selbsteinschätzung gezeigt hat, indem er viele Episoden aus seinem Leben berichtet hat, in denen er ausgehend von seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn sich für Recht und Ordnung eingesetzt bzw. hilfsbedürftige Menschen unterstützt hat. Insoweit hat der Sachverständige exemplarisch die Schilderungen seiner Tätigkeit während eines Pflegepraktikums aufgeführt, als er mit Verstorbenen zu tun gehabt hat, die anderen Mitarbeiter ihm aufgrund seines guten Einsatzes zum Abschied ein Geschenk gemacht hätten, seine Auseinandersetzung mit dem Bundesgrenzschutz, sein Bericht, wonach er sich auch nicht vor einer Anzeige gegen Kollegen gescheut habe, die ihren Dienst seiner Einschätzung nach nicht ordnungsgemäß verrichtet hätten, mehrere Situationen, in denen er beispielsweise während der Kur Mitpatienten beinahe therapeutisch gestützt habe, Polizeischutz organisiert oder sich mit dem Vermieter einer Bekannten über deren schimmelige Wohnung auseinandergesetzt habe. Dass der Kläger zum anderen Misserfolge und negative Aspekte seiner Biografie externalisiert, kommt in den Schilderungen zum Ausdruck, wonach er angestrebte Ziele nicht oder suboptimal habe verwirklichen können, da er ungerecht behandelt oder Opfer von Missständen geworden sei. So hat der Kläger angegeben, aufgrund eines Sehfehlers und der häufig erkrankten Mutter eine Klasse wiederholen zu müssen, ein heißer Sommer habe einen besseren Lehrabschluss verhindert und schlechte hygienische Verhältnisse hätten ihn von der Fortsetzung einer Umschulungsmaßnahme abgehalten. Im Übrigen habe er seinen zum Untersuchungszeitpunkt bestehenden schlechten Zustand darauf zurückgeführt, dass er nach seinem Unfall nie eine adäquate Unterstützung seitens der Verantwortlichen erhalten habe. Da sich diese deutlich narzisstisch gefärbte Selbsteinschätzung sowie die Externalisierung der Misserfolge und negativen Aspekte der Biographie nach den Schilderungen des Klägers bis in die Kindheit zurückverfolgen lassen und diese wiederholt zu persönlichem Leiden und sozialer Beeinträchtigung geführt haben, sieht der Senat keine Gründe, am Vorliegen einer unfallunabhängig bestehenden Persönlichkeitsstörung zu zweifeln. Dass diese Störung nicht in Zusammenhang mit dem Unfall steht, wird insbesondere auch durch die dem Senat erteilte Auskunft des als sachverständiger Zeuge gehörten Dr. S. bestätigt, bei dem der Kläger lange vor dem Unfall zwischen 1991 und 1993 sowie 1997 in Behandlung stand. Dieser hat von Konsultationen wegen psychosomatisch belastenden Konflikten und Ereignissen berichtet und insbesondere den Entlassungsbericht über die vom 21.11.1989 bis 16.01.1990 in der B. Klinik H. -Bad M. durchgeführte stationäre Behandlung vorgelegt, in dem eine paranoide Persönlichkeitsstörung dokumentiert ist. Schließlich zeigt - worauf die Sachverständigen zutreffend hingewiesen haben - gerade auch die Biographie des Klägers eine Instabilität mit mangelnder Kontinuität im beruflichen Bereich und auch hinsichtlich persönlicher Beziehungen. So hat die Sachverständige Dr. L. zu seiner ausbildungs- und beruflichen Vorgeschichte in dem Zeitraum ab Juli 1973 neben seiner Lehr- und Bundeswehrzeit sowie dreier Umschulungsmaßnahmen bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit bei der D. Sicherheit GmbH im November 1997 mehr als 15 Tätigkeitswechsel dokumentiert.

Für den Senat überzeugend sind auch die weiteren Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. , wonach die beim Kläger vorbestehende Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und paranoiden Zügen die Art und Weise, wie er den Unfall verarbeitete, determiniert hat. Während der Kläger durch seine Arbeit beim Sicherheitsdienst eine deutliche narzisstische Gratifikation erlebte, indem er zum einen eine wichtige Rolle übernahm und zum anderen auch Lob von Vorgesetzten und Kollegen erhielt, die Arbeit mithin stabilisierend bezüglich seiner Persönlichkeitsstörung wirkte, blieb dem Kläger infolge der paranoid narzisstisch determinierten Verarbeitung des Unfallereignisses die erwartete Aufmerksamkeit und Behandlung versagt. Dies kommt deutlich darin zum Ausdruck, dass er angegeben hat, keine adäquate Hilfe, weder psychisch noch physisch erhalten zu haben; auch habe keine vernünftige Wiedereingliederung stattgefunden, was für ihn mit den ganzen Verletzungen zu viel gewesen sei. Demgegenüber war der Kläger jedoch objektiv weder schwer verletzt noch wurde ihm adäquate Hilfe versagt, wie die obigen Darlegungen zu den zahlreich verordneten Behandlungsmaßnahmen trotz der jeweils geringfügigen objektiven Befundsituation aufzeigen. All diese Gesichtspunkte machen nach Überzeugung des Senats deutlich, dass der vorbestehenden Persönlichkeitsstörung überragende Bedeutung gegenüber dem Unfallereignis im Hinblick auf das Entstehen der somatoformen Schmerzstörung beizumessen ist.

Da beim Kläger nach alledem keine entschädigungspflichtigen Unfallfolgen aus Anlass des Ereignisses vom 04.08.2001 verblieben sind, kann auch dessen Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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