L 11 R 5140/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 353/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5140/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 08. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1952 geborene Klägerin war nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau fünf Jahre als Stanzerin versicherungspflichtig beschäftigt. Danach war sie nach der Geburt von drei Kindern 25 Jahre Hausfrau. Nach der Trennung von ihrem Ehemann war sie ab 2000 versicherungspflichtig als Raumpflegerin in Teilzeit beschäftigt. Seit April 2008 ist sie arbeitsunfähig krank bzw arbeitslos. In der Zeit vom 27. August 2003 bis zum 26. August 2008 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet, insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden (vgl Versicherungsverlauf vom 09. Februar 2010).

1996/1997 führte die Klägerin eine stationäre Entwöhnungsbehandlung in S. wegen Alkoholabhängigkeit durch. Im Mai 2006 erkrankte sie an einem Mamma-Karzinom rechts mit nachfolgender Ablatio und axillärer Lymphadenektomie. Bis September 2006 erfolgte eine adjuvante Chemo-, seither eine antihormonelle Therapie mit Tamoxifen.

Vom 09. November bis 12. Dezember 2006 führte sie ein stationäres Heilverfahren in der Reha-Klinik a. K. in B. K. durch, aus dem sie als arbeitsunfähig mit den Diagnosen eines Zustands nach Mamma-Karzinom rechts, Ablatio mammae rechts und axillärer Lymphknotendissektion, einem Fatiguesyndrom bei Krebserkrankung sowie einem Nikotinabusus entlassen wurde. Die Klägerin könne nach vollständiger Rekonvaleszenz leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung ohne schweres Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg, ohne einseitige Zwangshaltungen des Oberkörpers, ohne Einflüsse von Kälte, Hitze, extremen Temperaturschwankungen und Vibrationen sowie Erschütterungen in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden ausüben.

Im April 2008 ließ die Klägerin eine Mamma-Rekonstruktion durchführen. Die Kontrolluntersuchungen ergaben keine Hinweise auf Rezidive und/oder Metastasierung. Die Anschlussheilbehandlung erfolgte vom 19. Juni bis 10. Juli 2008 im Rehazentrum B. W ... Im Entlassungsbericht vom 19. Juli 2008 heißt es, die Tätigkeit als Reinigungskraft könne die Klägerin nur noch in einem Umfang von unter 3 Stunden täglich ausüben. Nach vollständiger Rekonvaleszenz könne sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten drei bis unter sechs Stunden verrichten.

Am 27. August 2008 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis auf die Krebserkrankung, eine chronische Gastritis sowie Armproblemen. Der Grad ihrer Behinderung (GdB) betrage 60 seit Mai 2006.

Die Beklagte veranlasste eine internistische Begutachtung nach ambulanter Untersuchung. Dr. L. diagnostizierte einen Zustand nach Mamma-Karzinom rechts ohne Hinweis auf Rezidiv und/oder Metastasierung, rezidivierende depressive Episoden, aktuell leicht bis mittelgradiger Ausprägung mit Fatigue-Symptomatik, eingeschränkte Schultergelenksbeweglichkeit rechts nach operativer Karzinom-Therapie, Osteoporose mit Zustand nach pathologischer Rippenfraktur sowie rezidivierende Lumbalgien bei Wirbelsäulenfehlhaltung und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, aktuell ohne relevante Bewegungseinschränkung. Nebenbefundlich wurde ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, unter CPAP-Therapie kompensiert, sowie eine Alkoholabhängigkeit bei Abstinenz seit Januar 2008 beschrieben. Die Klägerin führe selbständig ihren Haushalt, Freizeitaktivitäten (Schwimmen, Radfahren und A.-Rückenschulung) und soziale Kontakte seien vorhanden sowie eine Tagesstrukturierung erhalten. Er erachte die Klägerin daher für in der Lage, leichte Arbeiten ohne Zeitdruck sechs Stunden und mehr unter Vermeidung von häufigem Bücken, länger anhaltenden Zwangshaltungen, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel sowie Überkopfarbeiten, unter extremen Temperaturschwankungen sowie unter Einwirkung von Kälte, Hitze, Vibrationen und Erschütterungen zu verrichten.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch verwies die Klägerin auf eine gutachterliche Äußerung der Agentur für Arbeit R. vom 02. Oktober 2008, wonach sie voraussichtlich länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer nicht leistungsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei. Außerdem legte sie ein Attest des behandelnden Hausarztes Dr. K. vor, wonach sie für den Beruf der Raumpflegerin und Einzelhandelskauffrau nach der Krebsoperation berufsunfähig sei. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L., dass es bei seiner Leistungseinschätzung verbleibe, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07. Januar 2009 zurück. Ergänzend führte sie aus, eine weitere Begutachtung oder Beiziehung zusätzlicher Unterlagen sei nicht erforderlich. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig, da sie zuletzt eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Reinigungskraft ausgeübt habe, die dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen sei. Sie müsse sich deshalb auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen, für die noch ein ausreichendes vollschichtiges Leistungsvermögen bestehe.

Hiergegen hat die Klägerin am 02. Februar 2009 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, zu deren Begründung sie vorgetragen hat, die Beklagte habe ihre gesundheitlichen Einschränkungen nicht hinreichend berücksichtigt. Die Heilmaßnahme habe keine erkennbare Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse erbracht. Sie leide an erhöhter Tagesmüdigkeit und befinde sich aufgrund der wesentlichen Verschlechterung ihres seelischen Befundes in psychiatrischer Betreuung bei Dr. H. und ergänzend ab April 2009 bei Dr. B ...

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört und die Klägerin anschließend nervenärztlich begutachten lassen.

Die Internistin Dr. E. hat angegeben, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden aufgrund der schweren Osteoporose mit Zustand nach Spontanfrakturen, der Bewegungseinschränkung im rechten Arm sowie des ausgeprägten Fatigue-Syndroms nachvollziehbar seien. Sie schätze die Belastbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als sehr gering ein. Der Neurologe und Psychiater Dr. B. hat ausgeführt, er habe die Klägerin nur bis April 2000 behandelt und sehe sich daher nicht im Stande, ihren aktuellen Gesundheitszustand zu beurteilen. Der Neurologe und Psychiater Dr. H. hat die Klägerin aufgrund der chronischen Schmerzen und allgemeinen Erschöpfung für nur noch in der Lage erachtet, drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig zu sein. Der Internist Dr. Kahmann hat die Ansicht vertreten, dass die Klägerin aufgrund ihrer Multimorbidität auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sei. Eine Reinigungstätigkeit sei aufgrund der Behinderungen der rechten Brust und des rechten Armes nicht mehr zumutbar.

Der Neurologe und Psychiater Dr. H. hat in seinem Gutachten die Diagnosen einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes, Angst und depressive Störung gemischt, ein operiertes Mamma-Karzinom rechts mit Aufbauplastik ohne Hinweis auf Lokalrezidiv oder Metastasen, eine Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Symptomatik sowie eine chronische Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent, gestellt. Er hat die Klägerin für in der Lage erachtet, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten und Vermeidung von Überkopfarbeiten, besonderem Einsatz der rechten Hand, ständigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sowie Einfluss von Kälte, Zugluft und Nässe sechs Stunden und mehr zu verrichten. Die Klägerin habe sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand gezeigt. Eine Psychotherapie werde nicht durchgeführt. Alle Reflexe seien beiderseits gut auslösbar. Eine gute affektive Schwingungsfähigkeit, lebhaft in Gestik und Mimik, habe bestanden. Die Klägerin habe vielfältige Freizeitaktivitäten geschildert, so dass ein Hinweis auf Interessenverlust oder Freudlosigkeit nicht vorliege. auch das Selbstwertgefühl sei nicht beeinträchtigt. Er habe allenfalls leichte unterschwellige Ängste hinsichtlich der Krebserkrankung bemerkt. Hinweise auf eine vorzeitige Ermüdbarkeit hätten sich auch nicht im Rahmen der längeren Exploration und der Untersuchung gezeigt. Die Klägerin habe kein Morgentief oder psychomotorische Hemmungen geschildert, so dass sie keinesfalls tiefergreifend depressiv verstimmt sei.

Die Klägerin ist dem Gutachten unter Vorlage eines Attest von Dr. B. über eine erste Behandlung vom 05. Mai 2009 entgegengetreten, wonach aufgrund der Schilderungen der Klägerin sie sicherlich für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in versicherungsrelevantem Umfang nicht mehr belastbar sei. Des Weiteren legte sie einen Arztbrief von Dr. K. vor, dass die Beschwerden im rechten Arm und der Schulter fortbestünden, sie könne den rechten Arm nicht mehr in gewohnter Weise bewegen. Auch stelle die Anfahrt zur bisherigen Arbeitsstelle eine Belastung dar, die ihr in ihrer psychischen Verfassung nicht mehr zugemutet werden könne.

Die Beklagte hat hierzu eine ärztliche Stellungnahme von Dr. B., Facharzt für Innere Medizin, vorgelegt, wonach die Begutachtung durch Dr. H. auf einer Untersuchung neueren Datums basiere und deswegen der nachgereichte Bericht von Dr. B. nicht den aktuelleren Befund berücksichtige.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 08. Oktober 2009, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 19. Oktober 2009, die Klage mit der Begründung abgewiesen, die für die Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin maßgeblichen Erkrankungen lägen auf nervenärztlichen und orthopädischem Fachgebiet. Eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung ließe sich daraus nicht ableiten. Die qualitativen Einschränkungen deckten sich mit dem Merkmal "körperlich leicht". Das entnehme das Gericht insbesondere dem Gutachten von Dr. H., der den Krankheitsverlauf ausführlich geschildert, den Beschwerden nachgegangen und die Klägerin sorgfältig und umfassend untersucht habe. Er habe sie auch zu ihrem Tagesablauf befragt, wobei die Klägerin vielfältige Freizeitaktivitäten beschrieben habe. Auch Zusatzuntersuchungen seien durchgeführt worden. Das Gutachten sei in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Leistungsbeurteilung werde auch durch das Gutachten von Dr. L. gestützt. Die Aussagen der behandelnden Ärzte seien nicht geeignet, die Richtigkeit dieser Einschätzung zu widerlegen. Dr. E. habe keine konkrete zeitliche Einschränkung und Belastbarkeit angegeben und ihre Aussage auch nicht nachvollziehbar begründet. Dr. H. und Dr. K. seien zwar von einem aufgehobenen Leistungsvermögen der Klägerin ausgegangen, hätten aber keine funktionellen Einschränkungen beschrieben, was für eine sozialmedizinische Beurteilung indessen unerlässlich sei. Dr. B. hätte keine Angaben zur Leistungsfähigkeit machen können. Nachdem er die Klägerin am 05. Mai 2009 erneut untersucht habe, habe er angegeben, dass sie nicht mehr für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt belastbar sei, aber ebenfalls keine funktionellen Einschränkungen beschrieben. Auch sei seine Untersuchung noch vor der durch Dr. H. erfolgt, so dass durch den Bericht keine neuen Gesichtspunkte gegenüber der Begutachtung genannt werden könnten. Schließlich bestehe ein grundlegender Unterschied in der prozessualen Stellung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und eines zu Auskunftszwecken herangezogenen Arztes. Dieser stehe in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu seinem Patienten, welches auch gleichermaßen durch die Geldinteressen geprägt sei. Demgegenüber sei der gerichtliche Sachverständige kraft Gesetzes verpflichtet, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Die Verletzung dieser Pflichten könne erhebliche strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Deswegen komme der Sachverständigenbeurteilung grundsätzlich der höhere Beweiswert zu. Der Rehabilitationsentlassungsbericht sei ebenfalls nicht geeignet, eine quantitative Leistungsminderung darzulegen. Denn auch hier werde nicht begründet, warum funktionelle Einschränkungen zu quantitativen Einschränkungen führten. Die gutachterliche Äußerung der Agentur für Arbeit Ravensburg nenne keine funktionellen Einschränkungen, welches aber für die sozialmedizinische Beurteilung des Leistungsvermögens unerlässlich gewesen sei. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Denn sie habe sich von ihrem erlernten Beruf der Einzelhandelskauffrau nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Bei dem zuletzt ausgeübten Beruf als Reinigungskraft handele es sich um eine ungelernte Tätigkeit, so dass die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Mit ihrer dagegen am 05. November 2009 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, ihr behandelnder Arzt Dr. B. hätte als sachverständiger Zeuge gehört werden müssen, nachdem sie im Mai 2009 eine Behandlung bei ihm aufgenommen habe. Auch habe Dr. H. ihren Tagesablauf nicht ausreichend hinterfragt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 08. Oktober 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01. August 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hat dem Senat einen aktuellen Versicherungsverlauf vorgelegt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat Dr. B. als sachverständigen Zeugen gehört und die Klägerin anschließend erneut nervenärztlich begutachten lassen.

Dr. B. hat mitgeteilt, dass es sich primär um eine rezidivierende depressive Störung mit lang anhaltender zumindest mittelschwer ausgeprägter chronifizierter Symptomatik einhergehend mit sekundärer Entwicklung einer schweren Alkoholabhängigkeit bis hin zu epileptischen Krampfanfällen handele. Die Sozialisationsbedingungen der Klägerin seien problematisch gewesen. Ihr Vater sei auch in alkoholisiertem Zustand äußerst aggressiv gewesen. Die Klägerin sei nachhaltig ausgelaugt, vorzeitig erschöpfbar und leide an einem anhaltenden Fatigue-Syndrom, wobei erschwerend neben der Krebserkrankung ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom sowie eine Osteoporose mit Spontanfrakturen der Rippen hinzugetreten sei. Sie stünde sicherlich dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung, geschweige denn in vollschichtigem Umfang.

Die Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. R. hat in ihrem Gutachten eine rezidivierende depressive Störung, derzeitig remittiert, sowie eine Alkoholabstinenz diagnostiziert und die Klägerin für in der Lage erachtet, sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Vermeidung von Nacht- und Akkordarbeit, Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung und hoher Verantwortung sowie Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, Arbeiten mit besonderem Einsatz des rechten Armes und in Kälte, Zugluft und Nässe auszuführen. Einschränkungen in der Lebensführung hätten sich durch die geklagte Müdigkeit und Körperschmerzen nicht gefunden. Die Klägerin habe einen strukturierten Tagesablauf geschildert, in dem sie zusammen mit ihrem ebenfalls arbeitslosen Lebenspartner den Haushalt meistere. Sie ginge ihren Hobbys und Interessen nach, indem sie spazieren ginge, Kurse bei der Volkshochschule besuche und plane einen Computerkurs für Senioren zu besuchen. Von ihren sozialen Kontakten habe sie sich ebenfalls nicht zurückgezogen, sondern pflege einen kleinen, aber beständigen Freundeskreis und halte gute Kontakte zu ihren Kindern, die sie mit der Beaufsichtigung der drei Enkelkinder unterstütze.

Die Berichterstatterin hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 06. Juli 2010 erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da es um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr geht. Die damit insgesamt zulässige Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I Seite 554). Nach § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach § 240 Abs 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin, wie das SG zutreffend entschieden hat, unter Berücksichtigung der vom SG und der Beklagten vorgenommenen Ermittlungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf den sie verweisbar ist, unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies hat auch die vom Senat durchgeführten Beweiserhebung bestätigt. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Gerichtsbescheides Bezug, denen er sich in vollem Umfang anschließt; insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.

Ergänzend ist auszuführen, dass die Klägerin nach dem vorgelegten Versicherungsverlauf zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, sie ist aber nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Die vom Senat durchgeführten Beweiserhebungen haben ebenfalls bestätigt, dass die Klägerin unter Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen noch in der Lage ist, mindestens leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich mehr als sechs Stunden zu verrichten.

Der Senat stützt sich insoweit auf das eingeholte Gutachten von Dr. R., die in Auswertung der orthopädischen und nervenärztlichen Befunde nachvollziehbar dargelegt hat, warum die Klägerin nicht quantitativ leistungsgemindert ist. Aufgrund des Brustaufbaus und der Beschwerden im Bewegungsapparat kann sie zwar nicht mehr Arbeiten in Zwangshaltungen verbunden mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg unter besonderem Einsatz des rechten Armes und in Kälte, Zugluft und Nässe verrichten. Funktionelle Einschränkungen, die das Leistungsvermögen der Klägerin zeitlich limitieren, werden aber durch die schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes, die Neigung zu Wirbelsäulenbeschwerden und die schwere Osteoporose nicht begründet. Dagegen spricht, dass weder Dr. L., Dr. H. noch Dr. R. neurologische Ausfallerscheinungen feststellen konnten, vielmehr die Muskeleigenreflexe noch gut auslösbar waren und keine Lymphödeme des rechten Armes oder Muskelatrophien oder Gefühlsstörungen vorlagen, auch die Nervenleitgeschwindigkeiten waren unauffällig.

Die Klägerin ist auch nicht aufgrund der rezidivierenden depressiven Symptomatik in einem Maße eingeschränkt, wie dies Dr. B. seiner abweichenden Einschätzung zugrunde gelegt hat. Dagegen spricht, dass die Klägerin noch vielfältige Haushaltsarbeiten verrichten kann (Staubsaugen, Wäsche waschen und Bügeln, Fenster putzen, Kochen und Einkaufen), ihr Tagesablauf strukturiert ist, sie auch längere Fahrten zu Ärzten oder Gutachtern mit öffentlichen Verkehrsmitteln allein durchführt. Die von der Klägerin beklagte Müdigkeit und Körperschmerzen schränken ihre Lebensführung nicht ein, vielmehr kann sie noch regelmäßig einmal pro Woche schwimmen gehen, unternimmt längere Spaziergänge am Bodensee, fährt häufiger Fahrrad, pflegt die Blumen auf dem Balkon, besucht Kurse auf der Volkshochschule für Kochen und Gymnastik sowie Pilates und überlegt weiter Yoga zu erlernen und einen Computerkurs für Senioren zu besuchen.

Auch ein sozialer Rückzug hat nicht stattgefunden, vielmehr trifft sich die Klägerin regelmäßig mit drei Schulfreundinnen, pflegt auch guten Kontakt zu ihren Kindern und ihrem Exmann und beaufsichtigt ihre drei Enkelkinder. Der Senat entnimmt dies der Anamnese der Sachverständigen Dr. R ...

Die Analyse ihrer Alltagsaktivitäten spricht auch zur Überzeugung des Senats gegen eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens. Die von der Klägerin beklagten gesundheitlichen Einschränkungen haben in Bezug auf Schlaf, Tätigkeiten im Haushalt, Hobbys, soziale Aktivitäten und Sport keinen schweren Ausprägungsgrad erreicht. Ihr Freizeitverhalten lässt sich mit dem Vorliegen eines vollschichtigen Leistungsvermögens bei Berücksichtigung bestehender qualitativer Leistungseinschränkungen in Einklang bringen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 24. September 2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen.

Im Hinblick auf die daraus resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen braucht der Klägerin keine konkrete Berufstätigkeit benannt zu werden, weil sie ihrer Anzahl, Art und Schwere nach keine besondere Begründung zur Verneinung einer "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" oder einer "schweren spezifischen Leistungsminderung" erfordern (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 136). Sie erscheinen nämlich nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaubt ihr weiterhin noch körperliche Verrichtungen, die in leichten einfachen Tätigkeiten gefordert werden wie zB Zureichen, Abnehmen, Bedienen von Maschinen, Montieren, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von kleinen Teilen.

Die Klägerin ist auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit. Sie hat sich von ihrem Ausbildungsberuf nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst und während ihres Versicherungslebens allenfalls angelernte Tätigkeiten verrichtet. Sie ist deswegen auch zur Überzeugung des Senats auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, auf dem noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen besteht.

Der Senat hat deswegen die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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