Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 209/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5545/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 04. November 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme eines Therapie-Tandems "Pino" in Höhe von 4.935,20 EUR streitig.
Der 1998 geborene Kläger leidet an frühkindlichem Autismus und einer Intelligenzminderung. Cerebrale Krampfanfälle sind zuletzt 2005 aufgetreten. Seit September 2002 ist er in Pflegestufe II eingestuft. Der Grad der Behinderung des Klägers nach dem Schwerbehindertengesetz beträgt 100 %. Bei ihm sind die Merkmale "B", "G" und "H" anerkannt.
Von Montags bis Freitags besucht er die Klosterbergschule in S. G ... Er wird von einem Fahrdienst abgeholt und wieder nach Hause gebracht. In der Ganztagsschule erhält er fünf Stunden Sportunterricht, davon sind zwei Stunden Schwimmen und im Übrigen einfachste gymnastische Übungen zur Stabilisierung seiner Körperhaltung sowie zur Gleichgewichtsschulung und Körperkoordination (vgl Kurzbericht der K. vom 04. März 2010, Bl 29 Senatsakte). Nach dem Bericht der Z. Anstalten wird er von der Lehrerin nach dem Schwimmen als sehr ausgeglichen und zufrieden erlebt, welches ein Hinweis dafür sei, dass er schlicht auch körperlich nicht ausgelastet sei (Bericht vom 31. Juli 2009, Bl 30 ff Senatsakte).
Der Kläger erhält ärztlich verordnete Heilmitteltherapie (Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie mit Praxisbesuch einmal wöchentlich 45 Minuten). Seine 22 Jahre alte Schwester lebt nicht mehr im elterlichen Haushalt.
Der Kläger kann sicher gehen und alleine Treppensteigen. Er zeigt hierbei ein normales Schrittbild (vgl Pflegegutachten vom 17. Mai 2010, Bl 59 ff Senatsakte). Seine grobmotorischen Koordinationsleistungen sind deutlich eingeschränkt ohne Anhalt für Ataxie, seine Feinmotorik ist ebenfalls massiv eingeschränkt (vgl Bericht des Universitätsklinikums U., Sozialpädiadrisches Zentrum und Kinderneurologie Prof. Dr. B., vom 09. Februar 2010, Bl 55 f Senatsakte).
Der Kläger, der bei der Beklagten über seinen Vater familienversichert ist, beantragte unter Vorlage einer Verordnung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sozialpädiatrisches Zentrum U. vom 2. Juni 2008 die Gewährung eines Therapie-Tandem. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei nicht in der Lage, ein den Verkehrsregeln entsprechendes und notwendiges Koordinationsverhalten zu zeigen. Er werde beim Treten, Lenken und Ausweichen immer einen gewissen Grad an Hilfestellung benötigen. Im Beisein einer Bezugsperson werde das medizinisch-therapeutische Hilfsmittel häufiger genutzt. Ebenfalls könne sich der Aktionskreis für die Familie und das Kind sowie die Belastbarkeit und Ausdauer verbessert werden einhergehend damit, dass das Herz-/Kreislauftraining intensiviert werde.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung des Therapierades mit der Begründung ab, Therapieräder hätten den Zweck, behinderte Kinder weitgehend in den Kreis Gleichaltriger zu integrieren, um an der sonst üblichen Lebensgestaltung teilzuhaben und den sozialen Lernprozess zu fördern. Die Anwesenheit einer Begleitperson werde üblicherweise nicht akzeptiert, da auch Selbständigkeit und Unabhängigkeit bewiesen werden sollten. Deswegen scheide eine Kostenbeteiligung aus.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch ließ der Kläger geltend machen, er habe erst im Alter von drei Jahren unter vielem Einsatz von Ärzten, Therapiepersonal und des Lebenshilfekindergartens sowie seiner Eltern das Laufen erlernt. Deswegen sei ihm erspart geblieben, sich mit einem Rollstuhl fortbewegen zu müssen. Das Therapie-Tandem solle seine Mobilität sicherstellen. Zugleich reichte er den Kostenvoranschlag der F.-K.-GmbH S. vom 07. Juli 2007 über 4.935,20 EUR ein (Bl 13 V-Akte).
Nach Beiziehung des Pflegegutachtens vom 08. September 2005 veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B.-W. (MDK). Dr. W. führte in seinem Gutachten vom 25. Juli 2008 aus, der Kläger könnte unter bestimmten Voraussetzungen mehrspurige Fahrräder mit Eigenkraftantrieb in Form von Zweirädern mit Teleskopstützrädern oder Dreirädern nutzen. Diese ermöglichten eine eigenbestimmte und selbständige Fortbewegung, so dass das therapeutische Ziel im Vordergrund stünde, die Muskulatur zu stärken, die Stütz-/Gleichgewichtsreaktion und Bewegungskoordination zu trainieren sowie die Entwicklung des kranken bzw behinderten Kindes zu verbessern. Eine solche Fortbewegung werde nicht mit dem Therapie-Tandem durchgeführt, so dass bei einem grundsätzlich gehfähigen Kind die Notwendigkeit nicht anerkannt werden könne. Die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung seien daher nicht erfüllt.
Der Kläger ließ daraufhin die Urteile des BSG vom 26. März 2003 (B 3 KR 26/02 R) und 29. September 1997 (8 RKn 27/96) vorlegen. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung nach Aktenlage durch den MDK. Dr. P. führte aus, unabhängig vom eigenständigen Pedalieren durch ein Therapie-Tandem sei beim passiven Transport des Kindes durch das (mit-)fahrende Familienmitglied das Grundbedürfnis nach Integration in die Gruppe Gleichaltriger nicht erfüllt. Damit werde der Basisausgleich bei weitem überschritten. Es ergebe sich somit keine Änderung der gutachterlichen Beurteilung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, das Tandemfahren diene letztlich nicht der Krankenbehandlung. Hierdurch würden allenfalls therapeutische Nebeneffekte erreicht, die kostengünstiger und gezielter durch alternative Behandlungsmöglichkeiten herbeigeführt werden könnten.
Mit seiner dagegen am 16. Januar 2009 beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren mit der Begründung weiterverfolgen lassen, es sei unverständlich, wieso trotz Rezeptierung durch die Universitätsklinik ein Zweirad mit Teleskopstützrädern bzw ein Dreirad aus therapeutischen Gründen für verordnungsfähig erachtet werde, nicht jedoch das allein mögliche Therapie-Tandem. Er könne in gleicher Weise wie gesunde Kinder vorhandene Bewegungsfreude erleben und über die gemeinsamen Familienausflüge umfassende Umwelterfahrungen machen, die ihm auch das Erleben von Geschwindigkeit und Raumorientierung usw ermöglichten.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 04. November 2009, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 06. November 2009, die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Therapie-Tandem könne grundsätzlich nicht als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen gewährt werden. Die Tatsache, dass die den Kläger behandelnden Ärzte eine vertragsärztliche Verordnung ausgestellt und sich mit ausführlicher Begründung für den Einsatz dieses Gerätes ausgesprochen hätten, sei nicht allein entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des erhobenen Anspruches vorlägen oder nicht.
Mit seiner dagegen am 30. November 2009 erhobenen Berufung lässt der Kläger geltend machen, das SG hätte nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen, da er ausdrücklich auf einer mündlichen Verhandlung bestanden habe. Er sei in seiner motorischen Beweglichkeit stark eingeschränkt, so dass er nicht in der Lage sei, ein Verkehrsregeln entsprechendes wendiges Koordinationsverhalten zu zeigen. Durch das Tandem werde auch das zu haltende Gleichgewicht gefördert. Es könne eine Steigerung der physischen und psychischen Ausdauer erreicht werden. Ein anderes Fortbewegungsmittel, insbesondere auch ein Dreirad, scheide aufgrund der Behinderung aus. Mit dem Tandem seien gemeinsame Fahrradausflüge möglich, die die soziale Integration förderten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 04. November 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Therapie-Tandem zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass der Kläger unstreitig nicht gehbehindert sei, so dass durch das Therapie-Tandem eine solche Behinderung nicht ausgeglichen werden könne. Aufgrund der Fähigkeitsstörungen könne er sich zwar nicht mit einem normalen Kinderfahrrad fortbewegen, wohl aber mit einem mehrspurigen Fahrrad (Zweirad mit Teleskopstützen oder Dreirad), vorbehaltlich der Sicherstellung einer Vermeidung von Eigen- und Fremdgefährdung durch die Eltern. Bei einem solchen Hilfsmittel würde die Stärkung der Muskulatur und das Training der Stütz-/Gleichgewichtsreaktion sowie die Bewegungskoordination im Vordergrund stehen. Mit einem Fahrrad mit Fremdbedienung in Antrieb und/oder Steuerung wie dem Tandem, sei ein solcher therapeutischer Effekt nicht zu erzielen. Das Therapie-Tandem stelle auch kein Hilfsmittel im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dar, denn es diene weder der Sicherung einer Krankenbehandlung noch dem Ausgleich einer Behinderung. Eine Versorgung zu Lasten der GKV scheide daher aus.
Die Berichterstatterin hat den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Der Vater des Klägers hat mitgeteilt, dass er ein Therapie-Tandem leihweise genutzt und es zu Familienausflügen eingesetzt habe. Der Kläger fahre in der Schule ein Therapie-Dreirad.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2 SGG), ist statthaft im Sinne des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG, da die erforderliche Berufungssumme von 750 EUR überschritten wird. Die damit insgesamt zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V ua die Versorgung mit Hilfsmitteln. Versicherte haben nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung u. a. mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Ein Therapie-Tandem ist nicht zum Gebrauch durch jedermann bestimmt und deshalb kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es handelt sich vielmehr um eine spezielle Fahrrad-Kombination, die nur für Kranke und Behinderte hergestellt wird; das Hilfsmittel ist auch nicht durch Rechtsverordnung ausgeschlossen. Der Anspruch des Klägers scheitert aber an der fehlenden Erforderlichkeit der Versorgung mit dem Therapie-Tandem iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V.
Es geht hier nicht um die Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (1. Variante des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V). Das BSG hat für ein Therapie-Tandem entschieden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32), dass dieses nicht erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, weil eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreicht, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen erreichen kann, einschließlich der Stärkung von Muskulatur, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl (vgl zum Folgenden BSG Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 11/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 25; stRspr).
Die Benutzung des Therapie-Tandems ist auch nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich. Dieser in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels bedeutet nicht, dass über den Ausgleich der Behinderung als solche hinaus auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). Aufgabe der GKV ist nämlich allein die medizinische Rehabilitation (§ 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 7; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18).
Das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die Rechtsprechung des BSG schon seit den 1990er Jahren immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. So hat das BSG (Urteil vom 8. Juni 1994 - 3/1 RK 13/93 - SozR 3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy) zwar die Bewegungsfreiheit als allgemeines Grundbedürfnis bejaht, dabei aber nur auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt. Später (Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike für Erwachsene) hat es dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 7 zur Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für zu Hause gepflegte Wachkomapatientin). So hat das BSG (Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 9/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche) zwar diejenigen Entfernungen als Maßstab genommen, die ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt. Das die Mobilität über den Nahbereich hinaus ermöglichende Hilfsmittel ist aber nicht wegen dieser - rein quantitativen - Erweiterung, sondern wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Klägers in seiner jugendlichen Entwicklungsphase in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher zugesprochen worden (ebenso BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 zum behindertengerechten Dreirad). Bei Schulkindern war auch immer schon nicht die "Fortbewegung auch in Orten außerhalb des Wohnortes", sondern die Ermöglichung des Schulbesuchs der maßgebliche Gesichtspunkt gewesen (Urteil vom 2. August 1979, W 11 RK 7/78, SozR 2200 § 182b Nr 13 - Faltrollstuhl).
Hier geht es nach den klägerischen Angaben weder um den Schulbesuch des Klägers noch um seine Integration in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher. Zu letzterem Zweck wäre ein Therapie-Tandem schon von der Art des Fahrzeugs her nicht geeignet. Denn die zu seiner Bedienung notwendige Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson wird von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen beweisen wollen, üblicherweise nicht akzeptiert (BSG, Beschluss vom 29. Januar 2009, B 3 KR 39/08 B, juris unter Hinweis auf das Urteil vom 21. November.2002 - B 3 KR 8/02 R - USK 2002-88).
Das Hilfsmittel dient in erster Linie, wie auch der Vater des Klägers im Erörterungstermin eingeräumt hat, der Durchführung gemeinsamer Fahrradausflüge im Familienverbund. Die gemeinsame Fahrradausflüge mit der Familie sind für die soziale Integration des Klägers aber von untergeordneter Bedeutung (so auch BSG, Urteil vom 21. November 2002 - B 3 KR 8/02 R - USK 2002-88). Denn der Kläger besucht eine Behindertenschule und hat eine Schwester. Aufenthalte im Nahbereich und gemeinsames Familienerleben bei Ausfahrten sind ebenso wie das Dreiradfahren auf dem Pausenhof der Schule das ganze Jahr über möglich. Damit ist der erforderliche Basisausgleich ausreichend gewährleistet. Das Therapie-Tandem kann dagegen nur eine Ergänzung darstellen. Es kann (und soll) nur in der warmen Jahreszeit und dann auch nur an den Wochenenden und in den Ferien zu Familienausflügen genutzt werden, sodass diese Aktivitäten einerseits zeitlich beschränkt sind und andererseits räumlich über den Nahbereich hinausreichen. Somit dient es nicht dem Basisausgleich (vgl BSG, Beschluss vom 29. Januar 2009, B 3 KR 39/8 B, juris).
Soweit die - vom Kläger zitierte - Rechtsprechung des 8. Senats des BSG (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 28) über die vorgenannten Grundsätze hinausgeht, hat der nunmehr ausschließlich für das Hilfsmittelrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständige 3. Senat des BSG diese Rechtsprechung des - für die Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen nicht mehr zuständigen - 8. Senats, die sich als zu weitgehend und die Grenzen zwischen medizinischer und sozialer Rehabilitation verwischend erwiesen habe, nunmehr ausdrücklich aufgegeben, um für die Zukunft Klarheit zu schaffen, auf welcher Grundlage zu entscheiden ist.
Der Kläger kann den Sachleistungsanspruch auch nicht auf § 31 SGB IX stützen. Die Vorschriften des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Gesetz vom 19.6.2001, BGBl I 1046) gewähren den Versicherten im Bereich der Hilfsmittelversorgung keine über die Leistungspflichten nach § 33 SGB V hinausreichende Leistungsansprüche. Mit dem SGB IX hat der Gesetzgeber die bisherigen Bestimmungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft und zum Ausgleich von Benachteiligungen, die vor allem im Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaAnglG) und im Schwerbehindertengesetz (SchwbG) enthalten waren, zusammengefasst, sprachlich überarbeitet und hinsichtlich der Stärkung der Selbstbestimmung sowie des Wunsch- und Wahlrechts der Leistungsberechtigten ausgebaut. Hinsichtlich der Zuständigkeit und der Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe wird aber nach wie vor auf die für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetze verwiesen, während diese im Übrigen nur maßgebend sind, soweit sie Abweichendes vorsehen (§ 7 SGB IX; vgl dazu BT-Drucks 14/5074 S 94).
Die Krankenkassen sind nach § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX Träger von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, für deren Voraussetzungen die Vorschriften des SGB V maßgebend sind. Der Anspruch des Klägers, der wegen seiner dauerhaften Behinderungen unter den Personenkreis des SGB IX fällt, ihn mit einem Hilfsmittel zu versorgen, richtet sich somit nach § 33 SGB V, der durch Art 5 Nr 9 des Gesetzes vom 19.6.2001 nur um die Wörter "einer drohenden Behinderung vorzubeugen" ergänzt worden ist. Soweit das SGB IX in § 31 den Hilfsmittelbegriff definiert, kann offenbleiben, ob dies zu den Leistungsvoraussetzungen zählt, die sich allein nach dem SGB V richten, oder ob es sich um Art und Gegenstand der Leistungen handelt, für die das SGB IX gilt, sofern die einschlägigen Leistungsgesetze nichts anderes vorsehen (vgl Götze in Hauck/Noftz, Stand April 2009, SGB IX, K § 1 RdNr 6). Denn § 31 SGB IX gibt hinsichtlich des Hilfsmittelbegriffs nur den Regelungsgehalt des § 33 SGB V wieder, wie er durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt worden ist, und hat somit diese Rechtsprechung bestätigt.
Aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art 3 Abs 3 Satz 2 GG ergeben sich ebenfalls keine weitergehenden Leistungsansprüche bei der Hilfsmittelversorgung. Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung zugleich mit einem Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken (vgl BT-Drucks 12/8165 S 29). Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche (BSG Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 11/08 R aaO).
Der Anspruch des Klägers lässt sich auch nicht auf § 14 SGB IX stützen. Da die Beklagte als "angegangener" Leistungsträger den Leistungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Eingang an einen aus ihrer Sicht zuständigen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat, war sie gehalten, das Begehren nicht nur auf ihre originäre krankenversicherungsrechtliche Zuständigkeit hin, sondern auch unter allen sonstigen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und bei Erfüllung der einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Eine solche Zuständigkeit außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Eingliederungshilfe aus, weil der Vater des Klägers im Erörterungstermin eine "Bedürftigkeit" ausgeschlossen hat. Das Therapie-Tandem kann durch Zuwendungen der elterlichen Familienfürsorge finanziert werden.
Der Senat hat deswegen die Berufung als unbegründet zurückgewiesen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme eines Therapie-Tandems "Pino" in Höhe von 4.935,20 EUR streitig.
Der 1998 geborene Kläger leidet an frühkindlichem Autismus und einer Intelligenzminderung. Cerebrale Krampfanfälle sind zuletzt 2005 aufgetreten. Seit September 2002 ist er in Pflegestufe II eingestuft. Der Grad der Behinderung des Klägers nach dem Schwerbehindertengesetz beträgt 100 %. Bei ihm sind die Merkmale "B", "G" und "H" anerkannt.
Von Montags bis Freitags besucht er die Klosterbergschule in S. G ... Er wird von einem Fahrdienst abgeholt und wieder nach Hause gebracht. In der Ganztagsschule erhält er fünf Stunden Sportunterricht, davon sind zwei Stunden Schwimmen und im Übrigen einfachste gymnastische Übungen zur Stabilisierung seiner Körperhaltung sowie zur Gleichgewichtsschulung und Körperkoordination (vgl Kurzbericht der K. vom 04. März 2010, Bl 29 Senatsakte). Nach dem Bericht der Z. Anstalten wird er von der Lehrerin nach dem Schwimmen als sehr ausgeglichen und zufrieden erlebt, welches ein Hinweis dafür sei, dass er schlicht auch körperlich nicht ausgelastet sei (Bericht vom 31. Juli 2009, Bl 30 ff Senatsakte).
Der Kläger erhält ärztlich verordnete Heilmitteltherapie (Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie mit Praxisbesuch einmal wöchentlich 45 Minuten). Seine 22 Jahre alte Schwester lebt nicht mehr im elterlichen Haushalt.
Der Kläger kann sicher gehen und alleine Treppensteigen. Er zeigt hierbei ein normales Schrittbild (vgl Pflegegutachten vom 17. Mai 2010, Bl 59 ff Senatsakte). Seine grobmotorischen Koordinationsleistungen sind deutlich eingeschränkt ohne Anhalt für Ataxie, seine Feinmotorik ist ebenfalls massiv eingeschränkt (vgl Bericht des Universitätsklinikums U., Sozialpädiadrisches Zentrum und Kinderneurologie Prof. Dr. B., vom 09. Februar 2010, Bl 55 f Senatsakte).
Der Kläger, der bei der Beklagten über seinen Vater familienversichert ist, beantragte unter Vorlage einer Verordnung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sozialpädiatrisches Zentrum U. vom 2. Juni 2008 die Gewährung eines Therapie-Tandem. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei nicht in der Lage, ein den Verkehrsregeln entsprechendes und notwendiges Koordinationsverhalten zu zeigen. Er werde beim Treten, Lenken und Ausweichen immer einen gewissen Grad an Hilfestellung benötigen. Im Beisein einer Bezugsperson werde das medizinisch-therapeutische Hilfsmittel häufiger genutzt. Ebenfalls könne sich der Aktionskreis für die Familie und das Kind sowie die Belastbarkeit und Ausdauer verbessert werden einhergehend damit, dass das Herz-/Kreislauftraining intensiviert werde.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung des Therapierades mit der Begründung ab, Therapieräder hätten den Zweck, behinderte Kinder weitgehend in den Kreis Gleichaltriger zu integrieren, um an der sonst üblichen Lebensgestaltung teilzuhaben und den sozialen Lernprozess zu fördern. Die Anwesenheit einer Begleitperson werde üblicherweise nicht akzeptiert, da auch Selbständigkeit und Unabhängigkeit bewiesen werden sollten. Deswegen scheide eine Kostenbeteiligung aus.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch ließ der Kläger geltend machen, er habe erst im Alter von drei Jahren unter vielem Einsatz von Ärzten, Therapiepersonal und des Lebenshilfekindergartens sowie seiner Eltern das Laufen erlernt. Deswegen sei ihm erspart geblieben, sich mit einem Rollstuhl fortbewegen zu müssen. Das Therapie-Tandem solle seine Mobilität sicherstellen. Zugleich reichte er den Kostenvoranschlag der F.-K.-GmbH S. vom 07. Juli 2007 über 4.935,20 EUR ein (Bl 13 V-Akte).
Nach Beiziehung des Pflegegutachtens vom 08. September 2005 veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B.-W. (MDK). Dr. W. führte in seinem Gutachten vom 25. Juli 2008 aus, der Kläger könnte unter bestimmten Voraussetzungen mehrspurige Fahrräder mit Eigenkraftantrieb in Form von Zweirädern mit Teleskopstützrädern oder Dreirädern nutzen. Diese ermöglichten eine eigenbestimmte und selbständige Fortbewegung, so dass das therapeutische Ziel im Vordergrund stünde, die Muskulatur zu stärken, die Stütz-/Gleichgewichtsreaktion und Bewegungskoordination zu trainieren sowie die Entwicklung des kranken bzw behinderten Kindes zu verbessern. Eine solche Fortbewegung werde nicht mit dem Therapie-Tandem durchgeführt, so dass bei einem grundsätzlich gehfähigen Kind die Notwendigkeit nicht anerkannt werden könne. Die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung seien daher nicht erfüllt.
Der Kläger ließ daraufhin die Urteile des BSG vom 26. März 2003 (B 3 KR 26/02 R) und 29. September 1997 (8 RKn 27/96) vorlegen. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung nach Aktenlage durch den MDK. Dr. P. führte aus, unabhängig vom eigenständigen Pedalieren durch ein Therapie-Tandem sei beim passiven Transport des Kindes durch das (mit-)fahrende Familienmitglied das Grundbedürfnis nach Integration in die Gruppe Gleichaltriger nicht erfüllt. Damit werde der Basisausgleich bei weitem überschritten. Es ergebe sich somit keine Änderung der gutachterlichen Beurteilung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, das Tandemfahren diene letztlich nicht der Krankenbehandlung. Hierdurch würden allenfalls therapeutische Nebeneffekte erreicht, die kostengünstiger und gezielter durch alternative Behandlungsmöglichkeiten herbeigeführt werden könnten.
Mit seiner dagegen am 16. Januar 2009 beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren mit der Begründung weiterverfolgen lassen, es sei unverständlich, wieso trotz Rezeptierung durch die Universitätsklinik ein Zweirad mit Teleskopstützrädern bzw ein Dreirad aus therapeutischen Gründen für verordnungsfähig erachtet werde, nicht jedoch das allein mögliche Therapie-Tandem. Er könne in gleicher Weise wie gesunde Kinder vorhandene Bewegungsfreude erleben und über die gemeinsamen Familienausflüge umfassende Umwelterfahrungen machen, die ihm auch das Erleben von Geschwindigkeit und Raumorientierung usw ermöglichten.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 04. November 2009, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 06. November 2009, die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Therapie-Tandem könne grundsätzlich nicht als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen gewährt werden. Die Tatsache, dass die den Kläger behandelnden Ärzte eine vertragsärztliche Verordnung ausgestellt und sich mit ausführlicher Begründung für den Einsatz dieses Gerätes ausgesprochen hätten, sei nicht allein entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des erhobenen Anspruches vorlägen oder nicht.
Mit seiner dagegen am 30. November 2009 erhobenen Berufung lässt der Kläger geltend machen, das SG hätte nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen, da er ausdrücklich auf einer mündlichen Verhandlung bestanden habe. Er sei in seiner motorischen Beweglichkeit stark eingeschränkt, so dass er nicht in der Lage sei, ein Verkehrsregeln entsprechendes wendiges Koordinationsverhalten zu zeigen. Durch das Tandem werde auch das zu haltende Gleichgewicht gefördert. Es könne eine Steigerung der physischen und psychischen Ausdauer erreicht werden. Ein anderes Fortbewegungsmittel, insbesondere auch ein Dreirad, scheide aufgrund der Behinderung aus. Mit dem Tandem seien gemeinsame Fahrradausflüge möglich, die die soziale Integration förderten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 04. November 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Therapie-Tandem zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass der Kläger unstreitig nicht gehbehindert sei, so dass durch das Therapie-Tandem eine solche Behinderung nicht ausgeglichen werden könne. Aufgrund der Fähigkeitsstörungen könne er sich zwar nicht mit einem normalen Kinderfahrrad fortbewegen, wohl aber mit einem mehrspurigen Fahrrad (Zweirad mit Teleskopstützen oder Dreirad), vorbehaltlich der Sicherstellung einer Vermeidung von Eigen- und Fremdgefährdung durch die Eltern. Bei einem solchen Hilfsmittel würde die Stärkung der Muskulatur und das Training der Stütz-/Gleichgewichtsreaktion sowie die Bewegungskoordination im Vordergrund stehen. Mit einem Fahrrad mit Fremdbedienung in Antrieb und/oder Steuerung wie dem Tandem, sei ein solcher therapeutischer Effekt nicht zu erzielen. Das Therapie-Tandem stelle auch kein Hilfsmittel im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dar, denn es diene weder der Sicherung einer Krankenbehandlung noch dem Ausgleich einer Behinderung. Eine Versorgung zu Lasten der GKV scheide daher aus.
Die Berichterstatterin hat den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Der Vater des Klägers hat mitgeteilt, dass er ein Therapie-Tandem leihweise genutzt und es zu Familienausflügen eingesetzt habe. Der Kläger fahre in der Schule ein Therapie-Dreirad.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2 SGG), ist statthaft im Sinne des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG, da die erforderliche Berufungssumme von 750 EUR überschritten wird. Die damit insgesamt zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V ua die Versorgung mit Hilfsmitteln. Versicherte haben nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung u. a. mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Ein Therapie-Tandem ist nicht zum Gebrauch durch jedermann bestimmt und deshalb kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es handelt sich vielmehr um eine spezielle Fahrrad-Kombination, die nur für Kranke und Behinderte hergestellt wird; das Hilfsmittel ist auch nicht durch Rechtsverordnung ausgeschlossen. Der Anspruch des Klägers scheitert aber an der fehlenden Erforderlichkeit der Versorgung mit dem Therapie-Tandem iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V.
Es geht hier nicht um die Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (1. Variante des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V). Das BSG hat für ein Therapie-Tandem entschieden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32), dass dieses nicht erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, weil eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreicht, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen erreichen kann, einschließlich der Stärkung von Muskulatur, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl (vgl zum Folgenden BSG Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 11/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 25; stRspr).
Die Benutzung des Therapie-Tandems ist auch nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich. Dieser in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels bedeutet nicht, dass über den Ausgleich der Behinderung als solche hinaus auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). Aufgabe der GKV ist nämlich allein die medizinische Rehabilitation (§ 1 SGB V sowie § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 7; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18).
Das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die Rechtsprechung des BSG schon seit den 1990er Jahren immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. So hat das BSG (Urteil vom 8. Juni 1994 - 3/1 RK 13/93 - SozR 3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy) zwar die Bewegungsfreiheit als allgemeines Grundbedürfnis bejaht, dabei aber nur auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt. Später (Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike für Erwachsene) hat es dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 7 zur Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für zu Hause gepflegte Wachkomapatientin). So hat das BSG (Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 9/97 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche) zwar diejenigen Entfernungen als Maßstab genommen, die ein Jugendlicher mit dem Fahrrad zurücklegt. Das die Mobilität über den Nahbereich hinaus ermöglichende Hilfsmittel ist aber nicht wegen dieser - rein quantitativen - Erweiterung, sondern wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Klägers in seiner jugendlichen Entwicklungsphase in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher zugesprochen worden (ebenso BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 zum behindertengerechten Dreirad). Bei Schulkindern war auch immer schon nicht die "Fortbewegung auch in Orten außerhalb des Wohnortes", sondern die Ermöglichung des Schulbesuchs der maßgebliche Gesichtspunkt gewesen (Urteil vom 2. August 1979, W 11 RK 7/78, SozR 2200 § 182b Nr 13 - Faltrollstuhl).
Hier geht es nach den klägerischen Angaben weder um den Schulbesuch des Klägers noch um seine Integration in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher. Zu letzterem Zweck wäre ein Therapie-Tandem schon von der Art des Fahrzeugs her nicht geeignet. Denn die zu seiner Bedienung notwendige Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson wird von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen beweisen wollen, üblicherweise nicht akzeptiert (BSG, Beschluss vom 29. Januar 2009, B 3 KR 39/08 B, juris unter Hinweis auf das Urteil vom 21. November.2002 - B 3 KR 8/02 R - USK 2002-88).
Das Hilfsmittel dient in erster Linie, wie auch der Vater des Klägers im Erörterungstermin eingeräumt hat, der Durchführung gemeinsamer Fahrradausflüge im Familienverbund. Die gemeinsame Fahrradausflüge mit der Familie sind für die soziale Integration des Klägers aber von untergeordneter Bedeutung (so auch BSG, Urteil vom 21. November 2002 - B 3 KR 8/02 R - USK 2002-88). Denn der Kläger besucht eine Behindertenschule und hat eine Schwester. Aufenthalte im Nahbereich und gemeinsames Familienerleben bei Ausfahrten sind ebenso wie das Dreiradfahren auf dem Pausenhof der Schule das ganze Jahr über möglich. Damit ist der erforderliche Basisausgleich ausreichend gewährleistet. Das Therapie-Tandem kann dagegen nur eine Ergänzung darstellen. Es kann (und soll) nur in der warmen Jahreszeit und dann auch nur an den Wochenenden und in den Ferien zu Familienausflügen genutzt werden, sodass diese Aktivitäten einerseits zeitlich beschränkt sind und andererseits räumlich über den Nahbereich hinausreichen. Somit dient es nicht dem Basisausgleich (vgl BSG, Beschluss vom 29. Januar 2009, B 3 KR 39/8 B, juris).
Soweit die - vom Kläger zitierte - Rechtsprechung des 8. Senats des BSG (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 28) über die vorgenannten Grundsätze hinausgeht, hat der nunmehr ausschließlich für das Hilfsmittelrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständige 3. Senat des BSG diese Rechtsprechung des - für die Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen nicht mehr zuständigen - 8. Senats, die sich als zu weitgehend und die Grenzen zwischen medizinischer und sozialer Rehabilitation verwischend erwiesen habe, nunmehr ausdrücklich aufgegeben, um für die Zukunft Klarheit zu schaffen, auf welcher Grundlage zu entscheiden ist.
Der Kläger kann den Sachleistungsanspruch auch nicht auf § 31 SGB IX stützen. Die Vorschriften des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Gesetz vom 19.6.2001, BGBl I 1046) gewähren den Versicherten im Bereich der Hilfsmittelversorgung keine über die Leistungspflichten nach § 33 SGB V hinausreichende Leistungsansprüche. Mit dem SGB IX hat der Gesetzgeber die bisherigen Bestimmungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft und zum Ausgleich von Benachteiligungen, die vor allem im Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaAnglG) und im Schwerbehindertengesetz (SchwbG) enthalten waren, zusammengefasst, sprachlich überarbeitet und hinsichtlich der Stärkung der Selbstbestimmung sowie des Wunsch- und Wahlrechts der Leistungsberechtigten ausgebaut. Hinsichtlich der Zuständigkeit und der Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe wird aber nach wie vor auf die für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetze verwiesen, während diese im Übrigen nur maßgebend sind, soweit sie Abweichendes vorsehen (§ 7 SGB IX; vgl dazu BT-Drucks 14/5074 S 94).
Die Krankenkassen sind nach § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX Träger von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, für deren Voraussetzungen die Vorschriften des SGB V maßgebend sind. Der Anspruch des Klägers, der wegen seiner dauerhaften Behinderungen unter den Personenkreis des SGB IX fällt, ihn mit einem Hilfsmittel zu versorgen, richtet sich somit nach § 33 SGB V, der durch Art 5 Nr 9 des Gesetzes vom 19.6.2001 nur um die Wörter "einer drohenden Behinderung vorzubeugen" ergänzt worden ist. Soweit das SGB IX in § 31 den Hilfsmittelbegriff definiert, kann offenbleiben, ob dies zu den Leistungsvoraussetzungen zählt, die sich allein nach dem SGB V richten, oder ob es sich um Art und Gegenstand der Leistungen handelt, für die das SGB IX gilt, sofern die einschlägigen Leistungsgesetze nichts anderes vorsehen (vgl Götze in Hauck/Noftz, Stand April 2009, SGB IX, K § 1 RdNr 6). Denn § 31 SGB IX gibt hinsichtlich des Hilfsmittelbegriffs nur den Regelungsgehalt des § 33 SGB V wieder, wie er durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt worden ist, und hat somit diese Rechtsprechung bestätigt.
Aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art 3 Abs 3 Satz 2 GG ergeben sich ebenfalls keine weitergehenden Leistungsansprüche bei der Hilfsmittelversorgung. Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung zugleich mit einem Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken (vgl BT-Drucks 12/8165 S 29). Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche (BSG Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 11/08 R aaO).
Der Anspruch des Klägers lässt sich auch nicht auf § 14 SGB IX stützen. Da die Beklagte als "angegangener" Leistungsträger den Leistungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Eingang an einen aus ihrer Sicht zuständigen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat, war sie gehalten, das Begehren nicht nur auf ihre originäre krankenversicherungsrechtliche Zuständigkeit hin, sondern auch unter allen sonstigen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und bei Erfüllung der einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Eine solche Zuständigkeit außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Eingliederungshilfe aus, weil der Vater des Klägers im Erörterungstermin eine "Bedürftigkeit" ausgeschlossen hat. Das Therapie-Tandem kann durch Zuwendungen der elterlichen Familienfürsorge finanziert werden.
Der Senat hat deswegen die Berufung als unbegründet zurückgewiesen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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