L 10 R 5732/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3344/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5732/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 02.10.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, streitig.

Die am 1951 in K. , P. , geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Verkäuferin. Bis zu ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 war sie als Kontoristin, Buchhalterin und Bilanzbuchhalterin sowie zuletzt als Hauptbuchführerin tätig. Von 1990 bis Juni 1999 übte die Klägerin keine berufliche Tätigkeit aus; sie absolvierte Fortbildungen im Bereich der Buchhaltung, PC-Anwendung und der deutschen Sprache. Vom 01.07.1999 bis 31.12.2000 war sie im Rahmen eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses in der Registratur des Landwirtschaftsamtes in S. beschäftigt. Seither ist sie arbeitslos.

Am 30.12.2004 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag begründete sie mit degenerativen Wirbelsäulen- und Hüftgelenksveränderungen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Cholesterin, chronische Nierenentzündung, Inkontinenz, Schilddrüsenunterfunktion, diabetische Nephropathie und Polyneuropathie. Die Beklagte holte das Gutachten des Internisten Dr. I. auf Grund Untersuchung der Klägerin vom 31.01.2005 ein (Diagnosen: insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit Nephropathie als Sekundärschaden, anamnestisch Polyneuropathie, metabolisches Syndrom: Hyperlipidämie, Hypertonus, Adipositas, anamnestisch Hypothyreose), der die Klägerin für leichte berufliche Tätigkeiten in Tagesschicht ohne häufiges Treppensteigen sowie Steigen auf Leitern oder Gerüste, wie beispielsweise in einem Büro, vollschichtig einsetzbar erachtete. Die Urologin W. , die nach Untersuchung der Klägerin am 17.03.2005 ein fachurologisches Gutachten erstattete (Diagnosen: Belastungsharninkontinenz 2. Grades, diabetische Nephropathie) hielt die Klägerin bei Vermeidung von Tätigkeiten in Nässe, Zugluft, schwankenden Temperaturen, Erschütterungen und Vibrationen im Umfang von sechs Stunden leistungsfähig, wobei eine Toilette in erreichbarer Nähe sein sollte und die Tätigkeit in reiner Tagesschicht ausgeübt werden sollte.

Mit Bescheid vom 18.04.2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, diese könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ebenso wie im bisherigen Beruf als kaufmännische Angestellte zumindest sechs Stunden täglich tätig sein und sei daher weder teilweise noch voll erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, keine drei Stunden täglich leistungsfähig zu sein. Die bei ihr vorliegende Polyneuropathie sei mit stark belastenden brennenden Schmerzen sowie mit einem Unruhegefühl verbunden. Durch den Diabetes mellitus bestehe dauernd die Gefahr einer Unterzuckerung und durch die Inkontinenz sei sie gezwungen, stündlich eine Toilette aufzusuchen und anschließend eine Intimhygiene vorzunehmen. Zudem bestünden degenerative Wirbelsäulen- und Hüftgelenksveränderungen, die mit sehr starken Schmerzen verbunden seien. Die Beklagte holte Befundberichte bei dem Facharzt für Urologie S. , dem Diabetologen und Sportmediziner Dr. D. , dem Facharzt für Innere Medizin Dr. M. sowie dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. ein und veranlasste das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. auf Grund Untersuchung der Klägerin vom 25.07.2005. Dieser diagnostizierte auf nervenärztlichem Fachgebiet ein Burning-Feet-Syndrom in Folge diabetischer Polyneuropathie, eine längere depressive Anpassungsstörung sowie einen Spannungskopfschmerz und erachtete die Klägerin in ihrer erlernten Tätigkeit als Büroangestellte bzw. kaufmännische Angestellten vollschichtig leistungsfähig. Zu vermeiden seien erhöhte Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, schweres Heben und Tragen, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüste, Tätigkeiten, die ein erhöhtes Maß an Gang- und Standsicherheit erforderten sowie Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, Nässe und Zugluft; darüber hinaus sollte diese nur mit begrenztem Publikumsverkehr verbunden sein. Im Hinblick auf das im Vordergrund stehende Burning-Feet-Syndrom hielt er eine adäquate Behandlung für notwendig, mit der innerhalb kurzer Zeit eine Zustandsbesserung und Stabilisierung erreicht werden könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 17.11.2005 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert; sie sei noch immer nicht in der Lage, drei Stunden täglich zu arbeiten. Sie leide an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit Nierenschädigung, wodurch sie heftige Schlafstörungen, massiven Durst, ständig Durchfall, Unterzuckerungen sowie Ängste habe, ferner an einer Schilddrüsenunterfunktion, die mit Leistungsschwäche einhergehe, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Antriebsmangel, Hitzewallungen, Gewichtszunahme und sehr trockener Haut. Darüber hinaus bestehe eine Harninkontinenz mit unkontrolliertem tröpfchenweisen Urinverlust, wodurch sie ständig zur Toilette gehen müsse, zur ständigen Intimhygiene gezwungen sei und ständige Harnwegsinfekte habe. Durch eine diabetische Nephropathie komme es zu einer Wasseransammlung im Gewebe und erhöhten Blutfetten. Sie leide ferner unter einer Hypertonie, seit 2004 an einer Depression, ständigen Kopfschmerzen mit Schwindel- und Lichtproblemen sowie an einer degenerativen Schultergelenkserkrankung links.

Das SG hat Dr. Bernstein, Dr. D. und den Urologen S. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. B. hat über die Feststellungen im Gutachten des Dr. K. hinaus eine Hypästhesie/Hypalgesie nicht nur am Vorfuß, sondern an beiden Unterschenkeln beschrieben, hinsichtlich des Leistungsvermögens dadurch jedoch keine Diskrepanzen im Vergleich zu der Einschätzung des Dr. K. gesehen. Dr. D. hat wegen der nicht behandelbaren Schmerzsymptomatik und der durch die Nervenstörung bedingten Blaseninkontinenz ein längeres konzentriertes Arbeiten nicht für möglich erachtet, weshalb leichte Bürotätigkeiten allenfalls drei bis unter sechs Stunden möglich seien. Der Urologe S. hat die Klägerin in einer stehenden, insbesondere mit körperlicher Belastung verbundenen Tätigkeit deutlich eingeschränkt gesehen, sitzende Arbeiten hingegen für möglich erachtet, soweit im Hinblick auf die erhöhte Miktionsfrequenz eine häufige Unterbrechung der Tätigkeit sowie Pausen zum Wechsel der Inkontinenzvorlagen möglich seien. Das SG hat ferner das Gutachten des Dr. Sch. , Chefarzt der Abteilung Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie im Psychiatrischen Zentrum N., auf Grund Untersuchung der Klägerin vom 05.09.2006 eingeholt. Dieser hat eine ängstlich depressiv gefärbte Anpassungsstörung diagnostiziert, wodurch eine Verminderung der psychosozialen Stressbelastbarkeit vorliege. Dadurch sollten Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck und andauernd erhöhter Konzentration, wie beispielsweise Akkordarbeit, sowie mit unphysiologischer Stressbelastung, wie beispielsweise Nachtschichttätigkeit, vermieden werden. Im Hinblick auf die diabetische Polyneuropathie und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen des Koordinationsvermögens seien Tätigkeiten auf Gerüsten oder mit der Notwendigkeit regelmäßigen Besteigens von Treppen zu vermeiden. Im Hinblick auf die Urindranginkontinenz sollten lediglich Tätigkeiten abverlangt werden, die problemlos für Toilettengänge unterbrochen werden können. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen hat er die Klägerin weiterhin vollschichtig leistungsfähig erachtet. Mit der Klägerin am 12.11.2008 zugestellten Urteil vom 02.10.2008 hat das SG die Klage gestützt auf das Gutachten des Dr. Sch. abgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 09.12.2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 02.10.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2005 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat zunächst Prof. Dr. K. , Chefarzt der Abteilung Urologie im T.krankenhaus und St. H. Klinik, den Facharzt für Urologie Dr. H. sowie den Facharzt für Urologie Dr. H. und nach Geltendmachung einer zwischenzeitlich eingetretenen Verschlimmerung erneut Dr. H. sowie darüber hinaus Dr. R. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Nach einer geltend gemachten weiteren Verschlimmerung hat der Senat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. sowie Dr. D. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 18.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Ihr steht daher weder ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch nicht bei Berufsunfähigkeit, zu.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen für den geltend gemachten Anspruch (§§ 43, 240 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI) im Einzelnen dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt, weil sie sowohl eine leichte Bürotätigkeiten der zuletzt ausgeübten Art als auch sonstige leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (überwiegend im Sitzen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nachtschicht, nicht auf Gerüsten, ohne häufiges Treppensteigen, Möglichkeit jederzeit eine Toilette aufzusuchen) zumindest sechs Stunden täglich zumutbar verrichten kann. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an, sieht von einer nochmaligen Darstellung ab und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.

Ebenso wenig wie das SG vermag der Senat auf der Grundlage des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. Sch. festzustellen, dass die Klägerin in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit durch die im Vordergrund ihrer Beeinträchtigungen stehende Belastungsinkontinenz, den Diabetes mellitus und die diabetische Polyneuropathie quantitativ und damit in einem rentenrelevanten Ausmaß eingeschränkt ist. Eine abweichende Leistungsbeurteilung ist insbesondere nicht aus dem von der Klägerin noch im Verfahren vor dem SG vorgelegten ärztlichen Bericht des Dr. D. vom 07.12.2007 herzuleiten. Darin wird zwar aktuell eine unter laufender Therapie wesentlich verschlechterte Stoffwechseleinstellung beschrieben. Jedoch werden die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin maßgebenden diabetesbedingten Endorganschäden (schwere symptomatische diabetische Polyneuropathie; diabetisches Fußsyndrom Wagner Stadium 0: Risikofuß, keine offene Läsion; diabetische Nephropathie Stadium III mit leichter Einschränkung der Nierenfunktion [GFR 76 ml/min]) im Vergleich zu dem - nach der letzten sachverständigen Zeugenaussage vom 07.02.2006 erstellten - Bericht vom 29.03.2006 als unverändert angegeben.

Auch die im Berufungsverfahren durchgeführten weiteren Ermittlungen des Senats rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Durch diese konnte insbesondere nicht nachgewiesen werden, dass sich die urologische Gesundheitsstörung der Klägerin wesentlich verschlimmert hatte. So hat Prof. Dr. K. , bei dem die Klägerin sich einmalig am 15.10.2007 vorgestellt hat, von der bekannten Belastungsinkontinenz II. Grades berichtet, die nach den Angaben der Klägerin stündliche Toilettengänge und tagsüber ca. zehn Vorlagenwechsel erforderlich machten, was der Ausübung einer leichten beruflichen Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich nicht entgegenstehe. Ausgehend von diesem Befund hat Dr. H. im Rahmen seiner Auskunft vom 06.06.2009 bezogen auf die zuletzt davor erfolgte Vorstellung der Klägerin am 22.01.2009 keine Verschlechterung beschreiben können. Zur Objektivierung einer möglichen Verschlechterung hat er vielmehr eine erneute Inkontinenzdiagnostik für erforderlich gehalten. Im Hinblick auf eine Verschlimmerung erbrachte auch die von Dr. H. erteilte Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 11.08.2009 keine neuen Erkenntnisse, da dieser die Klägerin letztmals im April 2006 untersucht hatte.

Auch das von der Klägerin im Laufe des Berufungsverfahrens für die Zeit ab September 2009 geltend gemachte weitere Fortschreiten ihrer urologischen Erkrankung hat durch die Ermittlungen des Senats nicht bestätigt werden können. Insoweit hat Dr. H. vor dem Hintergrund der letzten Vorstellung der Klägerin am 21.09.2009 im Rahmen seiner dem Senat erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 04.10.2009 vielmehr angegeben, dass sich von urologischer Seite im Vergleich zu seiner letzten Auskunft keine wesentliche Befundänderung ergeben habe. In Bezug auf die geltend gemachte Verschlechterung des Diabetes mellitus seit dem Bericht des Dr. D. vom 07.12.2007, wobei insbesondere die Gehfähigkeit betroffen sei, haben die weiteren Ermittlungen des Senats ergeben, dass die von der Klägerin beim Gehen geklagten Schmerzen neben der diabetischen Polyneuropathie zum Teil auch auf eine arterielle Verschlusskrankheit zurückzuführen sind. Hinweise auf eine rentenrelevante Einschränkung der Gehstrecke haben sich jedoch weder aus der daraufhin eingeholten Auskunft des Dr. R. ergeben noch aus den von diesem vorgelegten Arztbriefen. Auch die dem Senat unter dem 07.07.2010 erteilte weitere Auskunft des Dr. D. hat im Sinne einer wesentlichen Verschlechterung der Gehfähigkeit der Klägerin keine weitergehenden Erkenntnisse erbracht. Dr. D. hat demgegenüber vielmehr ausgeführt, dass die Befunde im Hinblick auf den Diabetes mellitus seit 2006 im Wesentlichen stabil seien und auf seinen Bericht über die am 03.03.2010 erfolgte Untersuchung verwiesen. Die danach erhobenen Befunde stimmen im Wesentlichen mit jenen überein, die zuvor schon in seinem Bericht vom 07.12.2007 dokumentiert wurden. Damit ist im Sinne des Vorbringens der Klägerin aber auch von diabetologischer Seite nicht von eine Verschlechterung auszugehen, die es erforderlich machen könnte, die daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin einer neuen Beurteilung zu unterziehen.

Eine rentenrelevante Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin ergibt sich letztendlich auch nicht von neurologisch-psychiatrischer Seite, wie der dem Senat unter dem 08.07.2010 erteilten Auskunft des Dr. D. zu entnehmen ist. Dieser hat ein diffuses deutlich depressiv getöntes Schmerzsyndrom sowie eine depressive Entwicklung beschrieben, das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet jedoch ausdrücklich verneint. Auch den Schwerpunkt der die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin einschränkenden Erkrankungen hat er nicht auf neurologisch-psychiatrischem, sondern eher auf internistischem Fachgebiet gesehen. Soweit er die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin mit drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschätzt hat, ist diese Beurteilung für den Senat nicht nachvollziehbar, nachdem Dr. D. keinerlei Befunde dokumentiert hat, die ein derart eingeschränktes Leistungsvermögen rechtfertigen könnten und er - wie auch dem seiner Auskunft beigefügten Bericht vom 22.04.2010 zu entnehmen ist - von einer nur unsicheren Compliance der Klägerin ausgeht.

Nach alledem kann die Klägerin daher zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich ausüben. Sie ist daher nicht erwerbsgemindert. Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie die Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80 in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, SozR 3 a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden. Soweit das Erfordernis besteht, dass sie jederzeit eine Toilette aufsuchen kann, benötigt die Klägerin im Rahmen der oben beschriebenen Tätigkeiten keine betriebsunüblichen Pausen. In § 4 Arbeitszeitgesetz sind Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden vorgesehen. Dies bedeutet, dass bei bis zu sechs Stunden Arbeit eine Ruhepause nicht vorgeschrieben ist. Angesichts üblicher menschlicher Bedürfnisse ist es ausgeschlossen, dass somit der notwendige Gang zur Toilette unterbleiben muss. Vielmehr geht der Gesetzgeber wie selbstverständlich davon aus, dass derart dringende persönliche Bedürfnisse während der Arbeit verrichtet werden. Damit ist es der Klägerin möglich, bei Bedarf auch stündlich die Toilette aufzusuchen.

Allerdings kann nur das Leistungspotenzial, das auf dem Arbeitsmarkt konkret einsetzbar ist, als Maßstab für die Fähigkeit eines Versicherten, Einkommen zu erzielen, herangezogen werden. Folglich gehört nach der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos, das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung.

Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (insbes. die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen.

Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin in Abweichung zu der Einschätzung des Sachverständigen Dr. Sch. zwischenzeitlich derartige Einschränkungen vorliegen könnten, sieht der Senat nicht, da die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen gerade keine Verschlimmerung der Gesundheitsstörungen der Klägerin belegen.

Der Umstand, dass bei der Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft und darüber hinaus ein Grad der Behinderung von 70 anerkannt ist, ist für das vorliegende Verfahren auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ohne entscheidende Bedeutung. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht besitzt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987, 5b BJ 156/87, veröffentlicht in Juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des Grades der Behinderung unterscheiden sich maßgeblich (vgl. § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch: Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. z.B. § 43 Abs. 3 SGB VI: Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten). Gleiches gilt für das Merkzeichen G (Grenze: übliche Wegstrecke von 2 km, vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008, B 9/9a SB 7/06 R in SozR 4- 3250 § 146 Nr. 1 gegenüber den oben dargestellten geringeren Anforderungen im Rahmen der Wegefähigkeit).

Nach alledem kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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