S 4 KR 217/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 217/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Kostenerstattung für eine kieferorthopädische Behandlung hat.

Der 1990 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 30.03.2009 haben die Kieferorthopäden Dres. R. einen kieferorthopädischen Behandlungsplan erstellt. Ausgehend von einer Nichtanlage der Zähne 25, 35 und 45 bei weiteren Erkrankungen (Williams-Beuren-Syndrom, operierter Aortenstenose, Zungenfehlfunktion) solle ein Lückenschluss und Schließen des offenen Bisses erreicht werden. Die voraussichtlichen Gesamtkosten wurden mit 5.025,91 Euro angenommen. Dieser Behandlungsplan wurde am 03.04.2009 bei der Beklagten zur Genehmigung eingereicht.

Mit Bescheid vom 15.04.2009 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, da die kieferorthopädische Behandlung von Personen, die bereits das 18. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre; auch liege nicht der im Gesetz zugelassene Ausnahmefall vor.

Hiergegen legte der Betreuer des Klägers mit Schreiben vom 19.04.2009 Widerspruch ein. Er machte geltend, dass der Kläger seit Geburt einen GdB von 100 aufweise, was durch die Diagnose eines Williams-Beuren-Syndroms begründet sei. Für den Kläger sei eine Betreuung eingerichtet und es liege Pflegestufe II vor. In der Vergangenheit sei wegen dieser Grunderkrankung eine kieferorthopädische Behandlung ärztlicherseits als nicht besonders erfolgversprechend abgelehnt worden. Erst im Juni 2008 habe der Betreuer des Klägers Hinweise erhalten, dass eine solche Behandlung – gerade auch wegen des fortgeschrittenen Alters des Klägers - nunmehr Sinn mache. Beigefügt war ein Attest der Zahnärztin Dr. W.-L. vom 17.04.2009, in dem die dringende Notwendigkeit der Behandlung unterstrichen wurde.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2009 den Widerspruch zurück: Der angefochtene Bescheid sei nicht zu beanstanden, da die Beklagte durch die gesetzlichen Bestimmungen an einer Leistungsbewilligung gehindert sei.

Daraufhin erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 25.06.2009 per Telefax Klage zum Sozialgericht Würzburg. Es wurde im Weiteren geltend gemacht, dass hier eine besondere Situation vorliege, weil der Kläger als Behinderter nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt kieferorthopädisch habe behandelt werden können, ohne dass weitere Schäden an den Zähnen aufgetreten wären. Auch habe erst ein im Umgang mit Behinderten erfahrener Kieferorthopäde gefunden werden müssen. Wegen der Dringlichkeit der jetzigen Durchführung sei mit der Behandlung im September 2009 begonnen worden und es würden sich bereits erhebliche Erfolge zeigen.

Der Kläger beantragt, 1. Der Bescheid vom 15.04.2009 und der Widerspruchbescheid vom 15.06.2009 werden aufgehoben. 2. Die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung werden übernommen. 3. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten und Auslagen werden erstattet.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben (§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist jedoch nicht begründet, weil der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf diese Behandlung hat.

Nach § 2 Abs. 2 S. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten die gesetzlich Krankenversicherten die Leistungen als Sachleistungen. Dass der Kläger mit der Behandlung bereits begonnen hat und somit eine Sachleistung der Beklagten nicht mehr in Betracht kommt, lässt die Klagebefugnis aber nicht entfallen, da der Kläger nach § 13 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB V einen Anspruch auf Kostenerstattung haben würde, wenn die Beklagte die Leistung (bereits vorher) zu Unrecht abgelehnt gehabt hätte.

§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V bestimmt, dass Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V). Der Umfang der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung wird in § 28 SGB V näher bestimmt. § 29 SGB V regelt dann die Details zur kieferorthopädischen Behandlung: Danach haben Versicherte Anspruch auf kieferorthopädischen Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien festgelegt (§ 29 Abs. 4 SGB V).

Diese Regelung des § 29 SGB V kommt jedoch nur zur Anwendung, wenn die zahnärztliche Behandlung nach § 28 SGB V grundsätzlich eröffnet ist.

§ 28 Abs. 2 S. 6 SGB V legt jedoch einschränkend fest, dass zur – beanspruchbaren - zahnärztlichen Behandlung nicht die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten gehört, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben. Dies ist eine generelle Ausschlussregelung für einen bestimmten Personenkreis. Nachdem der Kläger bereits zum Zeitpunkt der Leistungsbeantragung und ebenso zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns offensichtlich das 18. Lebensjahr vollendet hatte, ist er von diesem generellen Leistungsausschluss betroffen.

Auch die Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 2 S. 7 SGB V, wonach die Ausschlussregelung nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien gilt, wenn diese ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert, eröffnet im vorliegenden Fall keinen Leistungsanspruch für den Kläger. Bei ihm ist nach dem Behandlungsplan keine derartig kombinierte Behandlung vorgesehen, sondern soll ausschließlich eine kieferorthopädische Maßnahme durchgeführt werden. Somit ist ebenso offensichtlich, dass die Behandlung des Klägers nicht unter diese Ausnahmevorschrift fällt. Daran hätte sich im übrigen auch dann nichts geändert, wenn der Behandlungsplan zwar eine mit kieferchirurgischen Maßnahmen kombinierte Behandlung vorgeschlagen hätte, diese jedoch nicht als erforderlich angesehen worden wäre.

Zwar ist die von der Klägerseite vorgetragene Begründung, dass beim Kläger im Hinblick auf seine Behinderung eine kieferorthopädische Behandlung erst zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll durchgeführt werden konnte, durchaus einleuchtend. Die vorliegende Gesetzeskonstruktion, die eine generelle Ausschlussregelung mit einer klar umrissen Ausnahmeregelung verbindet, lässt eine erweiternde Analogie auf ähnlich gelagerte Fälle jedoch nicht zu. Bei der kieferorthopädischen Behandlung von Erwachsenen ist vom Gesetzgeber ein Heranziehen der inhaltlichen Notwendigkeit einer derartigen Behandlung – anders als in § 29 SGB V für Minderjährige - gerade nicht zum maßgeblichen Kriterium gemacht worden. Ebenso kann aus Sicht des Gerichtes nicht damit argumentiert werden, dass behinderte junge Menschen (das sind nach der Terminologie beispielsweise des SGB VIII - § 7 Abs. 1 Nr. 4 - Personen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres) in anderen Gesetzen Minderjährigen gleichgestellt sind; der Gesetzgeber hätte eine solche Regelung ausdrücklich treffen müssen.

Das Gericht sieht sich auch nicht gehalten, den Rechtsstreit wegen Verletzung von Verfassungsrecht auszusetzen und dies verfassungsgerichtlich überprüfen zu lassen. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden im
Krankenversicherungsrecht allgemein Regelungslücken des Gesetzes dann im Wege der verfassungskonformen Ausgestaltung ergänzt, wenn lebensbedrohliche Erkrankungen betroffen sind (vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98). Dies ist hier nicht der Fall.

Dementsprechend waren die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden und die Klage war abzuweisen.

Aus § 193 SGG ergibt sich die Kostenfolge.
Rechtskraft
Aus
Saved