S 13 KR 128/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 128/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 13.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2009 verurteilt, den Kläger eigenanteilsfrei (mit Ausnahme der gesetzlichen Zu- zahlung) beidseits mit Hörgeräten zu versorgen, die nach dem Stand der Hörgerätetechnik einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes - auch in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen - ermöglichen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt zwei Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Umfang des Anspruchs des Klägers auf Versorgung mit Hörgeräten.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist seit 2000 Rentner. Er leidet an beidseitiger Schwerhörigkeit (Sprachverstehen ohne Hörgerät: 55 %), die durch Hörgeräte ausgeglichen wird, zuletzt durch das Hörgerät "Widex Senso C 8". Im April 2009 nahm der Kläger an einer Hörtestaktion des Augenoptik- und Akustikbetriebes K teil. Dieser ist Mitglied der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (BIHA) und unterliegt dem "Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen" (im Folgenden: Versorgungsvertrag), den die BIHA und die Rechtsvorgänger des Verbandes der Ersatzkassen (VdEK) geschlossen haben. Bei der Testaktion entschied sich der Kläger für das nach seinen Angaben vom Hörgeräteakustiker als optimal bezeichnete Hörgerät " Oticon Epoq XW BTE", das in der Hörtestaktion angeboten worden war.

Am 06.05.2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Hörgeräteversorgung. Er legte dazu eine Hörhilfeverordnung des HNO-Arztes Dr. C vom 29.04.2009 und einen Kostenvoranschlag der Firma K vom 25.04.2009 über 5.240,00 EUR (unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zuzahlung von 20,00 EUR) für beidseitige Hörgeräte "Oticon Epoq XW BTE" nebst Zubehör vor. Aus einer ebenfalls vorgelegten Dokumentation zur Hörgeräteanpassung ergab sich, dass der Hörgeräteakustiker lediglich Vergleichsmessungen mit dem bisherigen Hörgerät und dem Hörgerät "Oticon Epoq XW BTE" vorgenommen hatte, nicht aber mit anderen - eigenanteilsfreien - Hörgeräten. In einer Bescheinigung vom 29.04.2009 teilte Dr. C mit, die neue Hörgeräteversorgung sei erforderlich; der Kläger habe angegeben, dass er nur mit der vom Akustiker vorgeschlagenen Versorgung eine erhebliche Hörverbesserung sowie auch einen räumlichen Höreindruck erziele.

Durch Bescheid vom 13.05.2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für eine Hörgeräteversorgung oberhalb des Vertragspreises in Höhe von 1.212,80 EUR abzüglich 20,00 EUR gesetzlicher Zuzahlung ab. Sie behauptete, dieser Vertragspreis ermögliche die Auswahl eines Produktes ohne Eigenanteil, durch das eine ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und qualitative Versorgung möglich sei. Die Hörgeräteakustiker seien vertraglich verpflichtet, mindestens zwei Hörsysteme eigenanteilsfrei anzubieten, die dem aktuellen technischen Standard entsprächen und die geeignet seien, den individuellen Hörverlust ausreichend und zweckmäßig auszugleichen.

Dagegen legte der Kläger am 25.05.2009 Widerspruch ein. Er wies auf die Messergebnisse der Vergleichstestung hin; diesen sei zu entnehmen, dass die ausgewählten Geräte zu einer wesentlichen Hörverbesserung führten. Mit diesen Hörgeräten würde für ihn das Telefonieren wieder möglich werden; ohne die Geräte sei für ihn das Gehörte ein nicht zuzuordnendes Gemisch aus Geräuschen, von dem er nur einen Teil verstehen könne; die Teilnahme an Gesprächen mit mehreren Personen sei ihm ebensowenig möglich, wie eine Einzelunterhaltung bei vorhandenen Störgeräuschen. All dies sei ihm mit den versuchten Hörgeräten wieder möglich.

Am 20.07.2009 führte die Firma K beim Kläger eine Hörgeräteanpassung/-testung mit einem eigenanteilsfrei angebotenen Hörgerät "Oticon Swift 70" durch. Die dabei erzielten Werte ergaben keinen so weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes wie mit dem Gerät "Oticon Epoq XW BTE".

Durch Bescheid vom 06.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid zurück. Sie vertrat die Auffassung, mit der Bewilligung der Versorgungspauschale nach dem Versorgungsvertrag habe sie ihren Leistungsanspruch erfüllt; die Leistungspflicht der Krankenkasse beschränke sich bei mehreren Alternativen grundsätzlich auf die kostengünstigste Hilfsmittelversorgung. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe kein Anspruch auf eine Optimalversorgung, sondern nur auf ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel.

Dagegen hat der Kläger am 13.08.2009 Klage erhoben.

Am 21.01.2010 fand eine weitere Hörgerätetestung mit einem - vom Hörgeräteakustiker eigenanteilsfrei angebotenen - Hörgerät "Bernafon Win 102" im freien Schallfeld statt. Nach den erzielten Werten vermag auch dieses Hörgerät den Verlust nicht so weitgehend auszugleichen wie das Hörgerät "Oticon Epoq XW BTE". Die Messergebnisse des bisherigen Hörgerätes, der beiden eigenanteilsfrei angebotenen Hörgeräte und des vom Kläger ausgesuchten und als optimal empfundenen Hörgerätes stellen sich wie folgt dar:

Dezibel (dB) Widex Senso C8 Oticon Swift 70 Bernafon Win 102 Oticon Epoq XW 55 dB 60 % 45 % 80 % 75 % 65 dB 80 % 55 % 20 % 90 % 65 dB mit Störgeräusch 35 % 10 % 25 % 55 %

Der Kläger weist darauf hin, dass er nicht nur schlecht hören könne; vielmehr fehle ihm auch die Fähigkeit zum räumlichen Hören. Dies habe starke Auswirkungen auf sein Orientierungsvermögen und seine Sicherheit. Mit dem Hörgerät "Oticon Epoq XW BTE" habe er seine Hörminderung am besten ausgleichen können. Er ist der Auffassung, deshalb Anspruch auf dieses Gerät zu haben, jedenfalls aber auf solche Hörgeräte, die ihm einen weitestgehenden Ausgleich des Hörverlustes ermöglichen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2009 zu verurteilen, ihn eigenanteilsfrei - von den gesetzlichen Zuzahlungen abge- sehen - beidseits - mit Hörgeräten der Marke "Oticon Epog XW BTE" zu versorgen, hilfsweise, - mit Hörgeräten, die nach dem Stand der Hörgerätetechnik einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes - auch in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen - ermöglichen, zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den zwischen der BIHA und dem VdEK bestehenden Versorgungsvertrag. Nach den Vorgaben dieses Vertrages könne zu dem in den angefochtenen Bescheiden bewilligten Vertragspreis eine zuzahlungsfreie und ausreichende Versorgung mit einem Hörgerät erfolgen, die dem nach dem Hilfsmittelverzeichnis geforderten Qualitätsstandard entspreche. Der Hörgeräteakustiker sei nach dem Vertrag verpflichtet, zwei eigenanteilsfreie Hörgeräte anzubieten, mit denen eine zweckmäßige Kompensation der individuellen Schwerhörigkeit erreicht wird. Die Beklagte meint, das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R - sei vorliegend nicht anwendbar.

Das Gericht hat zu den Umständen der Hörgeräteversorgung Auskünfte von der Firma K eingeholt. Diese hat zuletzt am 06.05.2010 mitgeteilt, in der Lage zu sein, dem Kläger zwei anteilsfreie Hörsysteme anzubieten, die eine "ausreichende und zweckmäßige Versorgung" bieten würden: zum einen "Oticon Swift 70", zum anderen "Bernafon Win 102".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und - im Umfang des Hilfsantrags - auch begründet.

Streitgegenstand ist nicht ein Anspruch auf Erstattung von den Festbetrag bzw. Vertragspreis für Hörhilfen übersteigenden Mehrkosten. Denn die im April 2009 eingeleitete Versorgung des Klägers mit (neuen) Hörgeräten ist noch nicht abgeschlossen und ihm sind insoweit noch keine Kosten entstanden. Streitgegenstand ist der Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Hörhilfen.

Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht eine Optimalversorgung des Klägers mit Hörgeräten abgelehnt und seinen gesetzlichen Anspruch im Rahmen der Hörgeräteversorgung auf die Zahlung eines Vertragspreises von 1.212,80 EUR abzüglich 20,00 EUR gesetzlicher Zuzahlung begrenzt, ohne zu prüfen, ob damit Hörgeräte erhältlich sind, die nach dem Stand der Hörgerätetechnik einen möglichst weitgehenden Ausgleich des individuellen Hörverlustes des Klägers ermöglichen. Soweit der Kläger (im Hauptantrag) die - mit Ausnahme der gesetzlichen Zuzahlung eigenanteilsfreie - konkrete Versorgung mit dem Hörsystem "Oticon Epoq XW BTE" begehrt, ist die Klage unbegründet. Denn es ist nicht nachgewiesen und (noch) nicht ersichtlich, dass dieses das einzige Gerät ist, was seinen Hilfsmittelversorgungsanspruch erfüllen kann.

Nach § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit u.a. Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind (Satz 1). Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (Satz 5). Die Regelung des Satz 5 ist Ausfluss des für alle Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (Abs. 1 Satz 1); ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag (Abs. 2). § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V bestimmt, dass die Versorgung durch einen (erforderlichenfalls von der Krankenkasse zu benennenden) Vertragspartner erfolgt, wenn die Krankenkasse Verträge nach § 127 Abs. 1 SGB V über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln geschlossen hat. Die Krankenkasse übernimmt dann die jeweils vertraglich vereinbarten Preise (§ 33 Abs. 7 SGB V).

Für Hörhilfen sind Festbeträge festgesetzt (vgl. Beschluss der GKV-Spitzenverbände über die Festsetzung von Festbeträgen von Hörhilfen vom 23.10.2006, in Kraft getreten am 01.01.2007). Daneben haben die Rechtsvorgänger des VdEK und die BIHA mit Wirkung vom 01.02.2007 einen Versorgungsvertrag gemäß § 127 Abs. 1 SGB V geschlossen; in diesem sind Vertragspreise vereinbart. § 3 Ziffer 1 Satz 1 und 2 des Versorgungsvertrages lauten:

Der Versicherte erhält mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsangebote (=ohne wirtschaftliche Aufzahlung, ausgenommen der gesetzlichen Zuzahlung) mit analogen, digital programmierbaren oder volldigitalen Hörsystemen (Hörsysteme mit digitaler Signalverarbeitung) der Produktgruppen 13.20.01, 13.20.02 und 13.20.03 entsprechend dem festgestellten Hörverlust einschließlich der erforderlichen Otoplastik. Hierzu hält der Leistungserbringer eigenanteilsfreie Angebote zum angemessenen Ausgleich des Hörverlustes bei allen Schwerhörigkeitsgraden vor.

Sofern die Beklagte und der Hörgeräteakustiker als ihr Vertragspartner der Auffassung sind, dass der gesetzliche Versorgungsanspruch des Klägers mit den eigenanteilsfrei angebotenen Hörgeräten "Oticon Swift" und "Bernafon Win 102" erfüllt werden kann, verkennen sie allerdings den Umfang des gesetzlichen Anspruchs auf Hilfsmittelversorgung mit Hörgeräten. Das BSG hat in der grundlegenden Entscheidung vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R) festgestellt:

"Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich" (Rn 19)

und dazu ausgeführt:

"Ziel der Versorgung ist die Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen; solange dieser Ausgleich im Sinne eines Gleichziehens mit deren Hörvermögen nicht vollständig erreicht ist, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hörgerät nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die GKV nur für die Aufrechterhaltung eines - wie auch immer zu bestimmenden - Basishörvermögens aufzukommen habe (vgl. zu den Anforderungen an die orthopädische Versorgung - BSGE 93, 183 - SozR 4-2500 § 33 Nr. 8, jeweils Rdnr. 4 - C-Leg II). Das Maß der notwendigen Versorgung wird deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte ... ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur zur Verständigung "beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache" zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleich ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) jeweil erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen".(Rn. 20)

Diese Feststellungen sind grundsätzlicher Natur und gelten allgemein und unabhängig von den individuellen Besonderheiten des vom BSG entschiedenen Falles für alle Versicherten der GKV. Der Anspruch auf Hörgeräteversorgung ist somit ein Anspruch auf Optimalversorgung, nicht lediglich auf einen Basisausgleich. Dem steht nicht entgegen, dass - worauf das BSG ausdrücklich hingewiesen hat - der so umrissene Anspruch im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V u.a. durch Festbetragsregelungen und Versorgungsverträge begrenzt ist. Diese stellen allerdings nur eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebotes dar, legitimieren aber nicht zu grundsätzlichen Einschnitten in den GKV-Leistungskatalog (BSG, a.a.O., Rn. 21 und 23).

Nach der dem Gericht erteilten Auskunft vom 06.05.2010 geht der vom Kläger in Anspruch genommene Hörgeräteakustiker davon aus, dass "zum angemessenen Ausgleich des Hörverlustes" im Sinne von § 3 Ziffer 1 des Versorgungsvertrages die beiden eigenanteilsfrei angebotenen Hörgeräte "Oticon Swift 70" und "Bernafon Win 102" genügen. Auch die Beklagte ist offenbar dieser Meinung (vgl. Schriftsatz vom 07.06.2010). Diese Auffassung ist jedoch mit der zitierten Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang zu bringen. Dies zeigt die Gegenüberstellung der Messwerte des bisher getragenen Hörgerätes, der beiden eigenanteilsfrei angebotenen Hörgeräte sowie des vom Kläger ausgesuchten und als optimal empfundenen Hörgerätes. Aus den gemessenen Werten lässt sich ablesen, dass von den verglichenen Hörsystemen nicht die eigenanteilsfrei angebotenen Hörgeräte, sondern das über dem Vertragspreis liegende Hörgerät "Oticon Epoq XW BTE" einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes - auch und gerade bei störenden Umgebungsgeräuschen - bietet. Wäre dies das einzige Gerät, was diesen Ausgleich erzielen kann, wäre der Versorgungsanspruch auf dieses Hörgerät focussiert, auch wenn die Kosten den Festbetrag/Vertragspreis überschreiten. Die Kammer geht allerdings davon aus, dass es noch andere Hörgeräte gibt, die den Hörverlust des Klägers möglichst weitgehend auszugleichen in der Lage sind. Zum Einen leidet er mit einem Sprachverstehen ohne Hörgerät von 55 % nicht an einer so hochgradigen Schwerhörigkeit wie der Kläger des BSG-Falles, der bei einem Hörverlust von nahezu 100 % praktisch ertaubt war; zum Anderen hat der Hörgeräteakustiker mehrfach versichert, den Kläger - eigenanteilsfrei - mit Hörgeräten zum angemessenen Ausgleich des Hörverlustes gemäß § 3 Ziffer 1 des Versorgungsvertrages ausstatten zu können.

In diesem Zusammenhang ergibt sich jedoch, wie der vorliegenden Fall und die Äußerungen der Betroffenen zeigen, ein Problem bezüglich der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit im Sinne von § 3 Ziffer 1 des Versorgungsvertrages. Dieses betrifft zwar nicht den Anspruch des Klägers im Verhältnis zur beklagten Krankenkasse, wohl aber das Vertragsverhältnis zwischen der BIHA bzw. den einzelnen Hörgeräteakustikern und den Krankenkassen, hier: der Beklagten. Wenn nämlich die Krankenkassen/die Beklagte meinen, ein "angemessener Ausgleich des Hörverlustes" wäre mit einem "möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes" gleichzusetzen, die BIHA/der Hörgeräteakustiker diese Ansicht aber nicht teilten, sondern der Auffassung wären, mit eigenanteilsfreien Hörgeräten zwar einen angemessenen (ausreichenden und zweckmäßigen), aber keinen möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes erzielen zu können, ergäbe sich ein Dissens, der nicht auf dem Rücken der GKV-Versicherten - hier: des Kläger - ausgetragen werden kann und darf. Dementsprechend hat die Kammer - für alle Beteiligten klarstellend - die Beklagte verurteilt, den Kläger wie tenoriert, mit Hörgeräten zu versorgen. Wenn ein Vertragshörgeräteakustiker in der Lage ist, diesen Versorgungsanspruch individuell und eigenanteilsfrei für den Kläger zu erfüllen, ist der Anspruch des Klägers auf ein solches Hörgerät - und damit auf den Festbetrag/Vertragspreis - begrenzt. Wenn allerdings die Versorgung im tenorierten Umfang nicht mit für den Kläger eigenanteilsfreien Hörgeräten zu erreichen ist, sondern nur mit solchen über dem Festbetrag/Vertragspreis, wird die Beklagte den Kläger mit einem solchen Hörgerät versorgen und ihn von etwaigen Mehrkostenforderungen des Hörgeräteakustikers freistellen müssen. Gegebenenfalls wird die Krankenkasse sich sodann mit dem Hörgeräteakustiker darüber auseinanderzusetzen haben, wie der Versorgungsvertrag auszulegen und anzuwenden ist und ob sich der Hörgeräteakustiker vertragsgemäß verhalten hat.

Nur für den Fall, dass sich der Kläger für ein Hörgerät entscheidet, dass das Maß des Notwendigen überschreitet, also für ein Hörgerät, dessen Kosten - z.B. durch Bedienungskomfort oder hochwertige Ausstattung oder Verarbeitung - über den Kosten eines Hörgerätes liegt, das bereits einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörverlustes (wie tenoriert) ermöglicht, hätte er gemäß § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V die Mehrkosten zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Kläger nicht mit dem Hauptantrag obsiegt hat, jedoch mit dem Hilfsantrag seinem Begehren in wesentlicher Hinsicht entsprochen worden ist, hat es die Kammer für sachgerecht gehalten, der Beklagten den überwiegenden Teil der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers, nämlich zwei Drittel aufzuerlegen.
Rechtskraft
Aus
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