L 19 R 16/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 746/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 16/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier: Erkrankung und fehlende Sprachkenntnisse als Hindernisse, die Berufungsfrist einzuhalten).
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.11.2007 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin von der Beklagten eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes N. A. beanspruchen kann.

Die 1948 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Türkei. Sie war mit dem 1931 geborenen und am 04.06.2002 verstorbenen N. A. verheiratet, der türkischer Staatsangehöriger allerdings mit Wohnsitz in Deutschland war. Die Eheschließung erfolgte am 14.03.2002 in der Türkei. Der Versicherte A. bezog seit dem 01.09.1996 eine Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Am 24.07.2002 beantragte die Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt Hamburg die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Die Beklagte lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.03.2003 den Rentenantrag der Klägerin ab, weil der Nachweis, dass es sich nicht um eine Versorgungsehe im Sinne des § 46 Abs.2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gehandelt habe, nicht erbracht sei. Die tödlichen Folgen der Erkrankung seien zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits vorhersehbar gewesen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2003 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat nach Beiziehung ärztlicher Befundunterlagen über die Erkrankung des Versicherten N. A., insbesondere über die Krankenhausbehandlung im Dezember 2001 sowie den weiteren Fortgang der Erkrankung bis zum tödlichen Ausgang am 04.06.2002, die Klage mit Urteil vom 05.11.2007 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs.2a SGB VI nicht widerlegt habe. Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr bestehe die gesetzliche Vermutung, dass die Eheschließung zur Erlangung einer Versorgung das Ziel der Eheschließung gewesen sei. Diese gesetzliche Vermutung sei widerlegbar, fordere jedoch den vollen Beweis des Gegenteils. Es sei zu prüfen, ob nach dem konkreten Fall genügend beweiskräftige Umstände gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprächen. Besondere Umstände in diesem Sinne seien alle, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst würden und die geeignet seien, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Es seien solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen ließen. Das Gericht habe sich jedoch keine volle Überzeugung darüber zu verschaffen vermocht, dass die Eheschließung unabhängig von einer Versorgungsabsicht erfolgt sei. Bedenken ergäben sich aus der Schilderung der Verhältnisse vor der Eheschließung durch die Klägerin, aus den beigezogenen Krankenunterlagen sowie aus den Angaben der Klägerin zum Zweck und Motiv der Heirat, die sich einander widersprächen.

Das Urteil des SG wurde ausweislich des Zustellungsnachweises am 10.11.2007 an die Bevollmächtigte der Klägerin, Frau G. Y., durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt. Am 07.01.2008 legte die Klägerin gegen das Urteil des SG vom 05.11.2007 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht ein. Nach Hinweis des Senats auf die Verfristung der Berufung teilte die Klägerin mit Schreiben vom 26.02.2008 mit, dass sie nicht unbedingt krank, sondern lediglich stark verstört gewesen sei, als sie die Nachricht von ihrer Verwandten, G. Y., am Telefon erhalten habe, dass sie die Klage verloren habe. Sie habe sich auf eine weite Reise innerhalb der Türkei begeben. So sei die Klage verspätet bei ihr eingegangen. Außerdem wohne sie weit entfernt von Istanbul, wo sie einen vom deutschen Generalkonsulat genannten Dolmetscher erreichen könne, der in der Lage sei, ein Schreiben für die Berufungseinlegung zu verfassen. Zur Sache selbst wolle sie vortragen, dass die Anschuldigung einer Versorgungsehe für sie eine Beleidigung sei. Die Ehe mit A. sei ihre dritte Ehe gewesen. Auch die beiden vorherigen Ehemänner seien deutlich älter als sie gewesen. Ihr dritter Ehemann sei im Übrigen nicht an Krebs verstorben, sondern an einem Herzversagen. Er sei in der Badewanne tot aufgefunden worden. Ein so schneller Tod sei nicht zu erwarten gewesen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.11.2007 sowie den Bescheid
der Beklagten vom 24.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.09.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab
Antragstellung (24.07.2002) Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.11.2007 als unzulässig zu verwerfen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 05.11.2007 ist unzulässig, weil sie verspätet eingelegt wurde und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen.

Gemäß § 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ist die Berufung bei dem Landesozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Das Urteil des SG vom 05.11.2007 ist nachweislich des Zustellungsnachweises am 10.11.2007 der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Frau G. Y. zustellt worden, und zwar durch Einlegen in den Hausbriefkasten. Frau G. Y. war von der Klägerin ordnungsgemäß zur Wahrnehmung ihrer Rechte in dem laufenden sozialgerichtlichen Verfahren bevollmächtigt worden. Gründe für eine Unwirksamkeit der Bevollmächtigung sind nicht ersichtlich. Das SG durfte deshalb das Urteil vom 05.11.2007 an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zustellen. Mit dieser Zustellung am 10.11.2007 beginnt die Berufungsfrist des § 151 Abs.1 SGG zu laufen. Da eine Bevollmächtigte im Inland vorhanden war, verlängert sich die Berufungseinlegungsfrist auch nicht entsprechend § 153 iVm § 87 Abs.1 Satz 2 SGG auf drei Monate. Die Berufung hätte somit spätestens am 10.12.2007 beim Bayer. Landessozialgericht bzw. alternativ beim SG Bayreuth eingelegt werden müssen. Die Berufung der Klägerin ist jedoch erst am 07.01.2008 eingegangen und somit verspätet.

Ein Grund zur Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß
§ 67 SGG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Gemäß § 67 Abs 1 SGG ist dem Betroffenen auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Die Berufungseinlegungsfrist nach § 151 Abs 1 SGG ist eine solche gesetzliche Verfahrensfrist im Sinne des § 67 SGG. Gleichwohl hat die Klägerin diese Frist nicht schuldlos versäumt. In ihrem Schreiben, mit dem sie Berufung eingelegt hatte, hatte die Klägerin mitgeteilt, dass sie das Urteil vom 05.11.2007 spät erhalten habe und dass sie momentan krank sei, weshalb sie sich nicht so lange und ausgiebig verteidigen könne. Sie betrachte dieses Urteil als Ungerechtigkeit gegen sie. Ihre Schulter sei verletzt, sie habe ihre Gesundheit verloren. Eine Erkrankung ist nach ständiger Rechtsprechung aber nur dann als Grund für die Gewährung einer Wiedereinsetzung anzusehen, wenn der Kläger infolge der Schwere der Erkrankung willens- oder handlungsunfähig und deshalb außer Stande gewesen wäre, die Berufung selbst einzulegen oder einen Dritten damit zu beauftragen (vgl. Beschluss des BSG vom 25.02.1992 - 9 a BVg 10/91 - ; BVerfG vom 17.07.2007 - 2 BvR 1164/07, NJW-RR 07, 1717). Eine solche schwere Erkrankung lag bei der Klägerin offensichtlich nicht vor, sie hat selbst nur von einer Schulterverletzung gesprochen. Nach Hinweis des Senats auf eine Verfristung der Berufung hat die Klägerin demgegenüber mit Schreiben vom 26.02.2008 mitgeteilt, dass sie telefonisch von ihrer Prozessbevollmächtigten darüber informiert worden sei, dass sie die Klage verloren habe. Sie habe sich daraufhin auf eine weite Reise innerhalb der Türkei begeben. Sie kann deshalb also offensichtlich nicht so schwer erkrankt gewesen sein, dass sie willens- oder handlungsunfähig gewesen wäre. Auch der Umstand, dass sie in Kenntnis des verlorenen Rechtsstreits angeblich "verstört" eine Reise durch die Türkei unternommen habe, kann nicht als Grund für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gesehen werden. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, weshalb sie bei der telefonischen Information durch ihre Prozessbevollmächtigte über die verlorene Klage diese nicht gebeten hat, das im Urteil genannte Rechtsmittel einzulegen. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, weit entfernt von Istanbul zu wohnen, wo sie eine Übersetzung durch einen Dolmetscher erhalten oder Rechtsrat hätte suchen können. Die Klägerin gab selbst an, eine weite Reise durch die Türkei gemacht zu haben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb hierbei nicht ein Dolmetscher oder ein Rechtsanwalt hätte aufgesucht werden können. Die von ihr bevollmächtigte Frau Y. konnte im Übrigen Deutsch, hat das Urteil verstanden, ihr den Inhalt auch mitgeteilt und konnte die Klägerin über den Ausgang des Verfahrens informieren. Es besteht kein ersichtlicher Grund, weshalb sie nicht auch die Rechtsmittelbelehrung, die das Urteil des SG Bayreuth enthielt, verstanden haben und deshalb die Klägerin nicht darüber hätte informieren können. Fehlende Sprachkenntnisse eines Ausländers können ausnahmsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG rechtfertigen, wenn nämlich der sprachunkundige Ausländer bei aller zumutbaren Sorgfalt nicht rechtzeitig eine Übersetzung ermöglichen konnte (BSG vom 21.09.1981 - 9 BV 218/81, veröffentlicht in juris; Beschluss des BFH vom 21.05.1997 - VII S 37/96 - BFH/NV 1997 634 - 635; Bay LSG vom 28.10.2008 - L 17 U 423/07 - , veröffentlicht in juris). Eine solche Anstrengung der ihr zumutbaren Sorgfalt hat die Klägerin jedoch nicht substantiiert vorgetragen. Dass ein weiterer Aufklärungsbedarf über den Inhalt des Urteils bestanden haben könnte, den sie trotz Anstrengung aller ihr zumutbarer Sorgfalt nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 SGG erreichen konnte, ist nicht ersichtlich. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war deshalb nicht zu gewähren. Die Berufung war deshalb verspätet eingelegt, so dass sie als unzulässig zu verwerfen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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