L 7 AY 3482/09 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AY 4313/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 3482/09 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Juli 2009 abgeändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren S 12 AY 4313/09 (früher S 20 AY 4313/09) ab 26. Juni 2009 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. G. , Stuttgart, beigeordnet.

Gründe:

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft, weil die Beschwerdeausschlussgründe des § 172 Abs. 3 SGG, insbesondere Nr. 2 a.a.O., nicht eingreifen; das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Ablehnung der Prozesskostenhilfe (PKH) nicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin, sondern allein auf die fehlende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung gestützt. Die sonach zulässige Beschwerde ist auch begründet. Die Klägerin hat für das Klageverfahren S 12 AY 4313/09 Anspruch auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung des von ihr benannten Rechtsanwalts ab 26. Juni 2009.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 81, 347). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Klageverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG NJW 1997, 2102; NJW 2004, 1789; Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-1500 § 62 Nr. 9) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BVerfG NZS 2002, 420; info also 2006, 279). Keinesfalls darf die Prüfung der Erfolgsaussichten dazu führen, die Rechtsverfolgung in das summarische Verfahren der PKH zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347, 357).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage zu bejahen. Im Klageverfahren stellen sich schwierige Fragen im rechtlichen und tatsächlichen Bereich, die nicht von vornherein klar zu beantworten sind.

Streitbefangener Zeitraum dürfte allerdings - entgegen der Auffassung des SG im angefochtenen Beschluss - lediglich die Zeit von Oktober 2008 bis Mai 2009 sein. Ersichtlich greift die Klägerin mit ihrer Klage zunächst die Bescheide der Beklagten vom 29. Oktober und 17. Dezember 2008 über die Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2009 an. Zutreffend dürfte das SG darüber hinaus davon ausgegangen sein, dass auch der Bescheid vom 21. Januar 2009 seitens der Klägerin angefochten ist. Mit den drei vorgenannten (schriftlich erteilten) Bescheiden dürfte die Beklagte - aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers (vgl. hierzu etwa BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr. 2 (jeweils Rdnr. 11)) - lediglich über Leistungen für die Monate Oktober 2008 (Bescheid vom 29. Oktober 2008), Dezember 2008 (Bescheid vom 17. Dezember 2008) und Januar 2009 (Bescheid vom 21. Januar 2009) entschieden haben; für den Monat November 2008 sowie die Monate ab Februar 2009 dürften, soweit nach Aktenlage erkennbar (vgl. ferner den Schriftsatz der Beklagten vom 9. Juli 2009), lediglich konkludente Bewilligungen durch Überweisung des Leistungsbetrags erfolgt sein (§ 33 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X); vgl. hierzu BSGE 101, 49 (Rdnr. 13)). Dass die Klägerin im Übrigen den - auf den Monat begrenzten - Regelungsinhalt der leistungsbewilligenden Verwaltungsakte (vgl. § 31 SGB X) selbst im oben genannten Sinne verstanden hat, wird durch ihre jeweiligen Vorsprachen bei der Beklagten zum Zwecke der Beantragung der Leistungsweitergewährung nach Ablauf des betreffenden Monats deutlich (vgl. Bl. 9/1 bis 9/3 der Verwaltungsakten). Soweit seitens der Beklagten, wovon der Senat derzeit ausgeht, bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2009 konkludente Bewilligungsentscheidungen getroffen worden sein sollten, wären diese, obwohl sie Folgezeiträume betreffen, ebenso wie der vorbezeichnete Bescheid vom 21. Januar 2009 über eine analoge Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 11/07 R - (juris; Rdnrn.10 f.)).

Streitgegenständlich im Klageverfahren vor dem SG (S 12 AY 4313/09) dürfte sonach nur der Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2009, nicht dagegen die Zeit ab 1. Juni 2009 sein. Soweit die Klägerin mit den Leistungsbewilligungen für Zeiträume ab dem letztgenannten Datum nicht einverstanden sein sollte, dürfte, sollten die Verwaltungsentscheidungen auch in dieser Zeit nur konkludent erfolgt sein, mangels Rechtsbehelfsbelehrung (§ 84 Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 66 SGG) die Widerspruchsfrist noch nicht verstrichen und noch zum jetzigen Zeitpunkt die Einlegung eines Widerspruchs zulässig sein, sofern nicht bereits in einer früheren Antragstellung der Klägerin ein entsprechender Rechtsbehelf gesehen werden könnte (vgl. hierzu BSG SozR 4-3520 § 9 Nr. 1 (Rdnr. 11)).

Die Klägerin hat ihr Begehren, das der Sache nach auf höhere als die von der Beklagten bereits zugestandenen Leistungen nach dem AsylbLG gerichtet ist (vgl. BSGE 101, 49 (Rdnr. 14)), zum einen damit begründet, dass ihr Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zustünden, zum anderen damit, dass die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu niedrig seien, weil es der Verordnungsgeber seit Inkrafttreten des Gesetzes entgegen seiner Überprüfungspflicht nach Abs. 3 a.a.O. unterlassen habe, die Bedarfssätze anzupassen, und dieser Zustand verfassungswidrig sei.

Ob der Klägerin, die - nach vorheriger Duldung - soweit ersichtlich seit 29. Dezember 2008 jeweils befristet Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162)) erhalten hat und deshalb leistungsberechtigt nach dem AsylbLG ist (vgl. hierzu BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10; BSG, Urteile vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 40/07 R - und vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 41/07 R - (beide juris)), höhere Leistungen nach dem genannten Gesetz in der streitbefangenen Zeit zustehen, vermag der Senat im Rahmen der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend zu beantworten. Allerdings ist höchstrichterlich bereits geklärt, dass Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (in der ab 28. August 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970)) erst nach einer Vorbezugszeit von 48 Monaten beansprucht werden können und diese - ohne Übergangsregelung in Kraft getretene - auf die Klägerin anzuwendende Rechtsänderung verfassungsgemäß ist (vgl. BSGE 101, 49); zusammenzurechnen sind insoweit nur Zeiten des Bezugs von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (vgl. nochmals BSGE a.a.O.; ferner BSGE 103, 28 = SozR 4-3520 § 2 Nr. 3), sodass Leistungen nach anderen Regelungen bei der Addition nicht berücksichtigt werden können. Da die Klägerin nach Aktenlage erst seit 16. Juni 2006 Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten hat, ist die vorbezeichnete 48-monatige Vorbezugszeit sogar bis zum heutigen Tage noch nicht erreicht.

Ob freilich die Höhe der Grundleistungen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, was die Klägerin mit Blick auf das Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - (NJW 2010, 505) in Zweifel zieht, ist beim derzeitigen Erkenntnisstand als offen zu bezeichnen. Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, für Ausländer mit ungesichertem Aufenthaltsstatus ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen (vgl. BSGE 101, 49 (Rdnr. 30) unter Hinweis auf BVerfGE 116, 229; ferner Bundesverwaltungsgericht Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 18). Indessen wird die seit dem Inkrafttreten des AsylbLG am 1. November 1993 unterbliebene Anpassung der Geldbeträge nach § 3 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 AsylbLG in der Literatur seit längerem kritisiert (vgl. nur Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum Sozialgesetzbuch XII (SGB XII), 17. Auflage, § 3 AsylbLG Rdnr. 39; Birk in LPK-SGB XII, 8. Auflage, § 3 AsylbLG Rdnr. 8; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 3 AsylbLG Rdnr. 3; ferner Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 3 AsylbLG Rdnr. 38). Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen des Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 auf das AsylbLG unter dem 10. März 2010 (vgl. Bundestags-Drucksache 17/979) eine Prüfung der Bedeutung dieses Urteils für die Leistungen nach dem vorgenannten Gesetz angekündigt; mittlerweile wird sogar eine Abschaffung des AsylbLG verlangt (vgl. Gesetzesentwurf von Abgeordneten sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 21. April 2010; Bundestags-Drucksache 17/1428). Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht Bremen (Urteil vom 25. September 2009 - S 3 A 272/07 - InfAuslR 2010, 170) bei Geltendmachung einer Verletzung des soziokulturellen Existenzminimums wegen unzureichender Leistungen nach § 3 AsylbLG von der Klägerseite eine differenzierte Darlegung der ungedeckten Bedarfe unter Einbeziehung des § 6 AsylbLG gefordert. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage steht noch aus. Das beim BSG anhängige Revisionsverfahren gegen das - vom Senat im Beschluss vom 28. Januar 2009 (L 7 AY 5899/08 ER-B) in Bezug genommene Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 2008 (L 20 AY 20/08) - ist in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2010 (B 8 AY 5/08 R) durch Vergleich erledigt worden (vgl. Terminvorschau und Terminbericht Nr. 3/10 (jeweils zu Ziff. 5)).

Schon in Anbetracht der oben dargelegten Umstände bejaht der Senat eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung der Klägerin im Klageverfahren S 12 AY 4313/09; diese ist ferner nicht mutwillig. Im Rahmen der Fortführung des Klageverfahrens dürfte freilich zunächst zu überprüfen sein, ob die Klägerin in der streitbefangenen Zeit sämtliche der - auf den Regelfall abstellenden - Leistungen nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG erhalten hat; darüber hinaus dürfte ggf. auch die Auffangvorschrift des § 6 AsylbLG in den Blick zu nehmen sein. Sollte sich dennoch - auch mit Rücksicht auf die von der Klägerin zu fordernden eingehenden Darlegungen zur (fehlenden) Deckung ihrer Bedarfe - eine Bedarfslücke ergeben, könnte sich ein Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss der von der Bundesregierung zugesagten Prüfung der Auswirkungen des oben genannten Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 auf die Leistungen nach dem AsylbLG anbieten.

Auch die übrigen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor. Die nach § 115 ZPO erforderliche Bedürftigkeit der Klägerin, die auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesen ist, ist gegeben. Die aufgezeigten Rechtsfragen sowie der Sachaufklärungsbedarf bedingen auch, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist (vgl. auch BVerfG NZS 2002, 420). Da die Klägerin ihr Gesuch erst am 26. Juni 2009 durch die Vorlage der Bescheinigung über den Leistungsbezug nach dem AsylbLG vervollständigt und damit ordnungsgemäß begründet hat, war die PKH allerdings erst ab diesem Tag zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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