Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 19 RJ 1972/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 65/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte dem Kläger Versichertenrente zu zahlen hat. In diesem Zusammenhang sind Zeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) streitig.
Der Kläger ist am X.XXXXXX 1918 in S. bei Krakau geboren. Er lebt heute in den USA und ist amerikanischer Staatsbürger. Er war aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Polen nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen ausgesetzt und erhielt Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
Am 4. März 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente. Zur Begründung gab er an, er habe von Januar 1940 bis März 1943 im Ghetto Krakau-Plaszow für die neuen Kühler- und Flugzeugteilefabriken NKF gearbeitet. Von März 1943 bis Mai 1945 habe er sich in Konzentrationslagern aufgehalten und sei in Theresienstadt befreit worden. Nach dem Krieg sei er über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA gelangt.
Die Beklagte wertete die beigezogene Entschädigungsakte aus und lehnte mit Bescheid vom 9. Dezember 2003 den Antrag auf Gewährung einer Versichertenrente ab: Anspruch auf eine Rentenleistung bestehe, wenn neben persönlichen Voraussetzungen die Wartezeit nach § 50 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) erfüllt sei. Diese Wartezeit betrage je nach beantragter Rentenart mindestens fünf Jahre und setze sich zusammen aus Beitragszeiten und Ersatzzeiten sowie ggf. Anrechnungszeiten und Berücksichtigungszeiten. Die Zeit vom 1. September 1939 bis 28. Februar 1941 könne nicht zugunsten des Klägers als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil nicht ausreichend glaubhaft gemacht sei, dass er damals eine entgeltliche Beschäftigung aus freiem Willensentschluss ausgeübt habe. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe es sich um Zwangsarbeit und nicht um eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gehandelt. Der Bezug von Entgelt oder Sachbezug in wesentlichem Umfang lasse sich den Angaben des Klägers nicht entnehmen. Im Übrigen könne diese Zeit schon deshalb nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil das Ghetto Krakau zu dieser Zeit noch nicht errichtet gewesen sei. Auch bei der Zeit vom 1. März 1941 bis 30. April 1945 handele es sich um einen Aufenthalt in einem Zwangsarbeitslager bzw. Konzentrationslager. Ersatzzeiten für die Verfolgung könnten aufgrund der fehlenden Versicherteneigenschaft des Klägers ebenfalls nicht berücksichtigt werden, sodass keine auf die Wartezeit anzurechnenden Versicherungszeiten vorlägen. Der Rentenanspruch sei mithin abzulehnen.
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, es habe sich bei den fraglichen Tätigkeiten nicht um Zwangsarbeit gehandelt. Im Übrigen sei das Ghetto Krakau nicht erst im März 1941 errichtet worden, sondern habe bereits im August 1940 bestanden. In einer von ihm beigebrachten schriftlichen Zeugenerklärung der im Jahre 1928 geborenen S. heißt es, sie wisse, dass der Kläger zunächst im Ghetto bei Straßenbau und Kanalisationsarbeiten tätig gewesen sei und später für die Kühlerfabrik gearbeitet habe. Über eine Entlohnung wisse sie nichts, wohl aber, dass sie während dieser Zeit schrecklich gehungert hätten und die Arbeiten dem Kläger das Leben gerettet hätten.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Zeiten vor dem 3. März 1941 kämen nicht in Betracht, da das Ghetto Krakau erst zu diesem Zeitpunkt errichtet worden sei. Jedenfalls sei eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht glaubhaft. Laut Angaben im Entschädigungsverfahren sei der Kläger zu Arbeiten im Straßenbau und der Kanalisation abkommandiert worden. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass diese Beschäftigung durch obrigkeitliche Zuweisung erfolgt sei, sodass das Merkmal der Freiwilligkeit fehle. Auch aus der eingereichten Zeugenerklärung ergäben sich keine Hinweise, dass für den Kläger die Möglichkeit einer Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bestanden habe. Es sei daher von Zwangsarbeit auszugehen. Ab März 1951 habe sich der Kläger nach seinen Angaben im Entschädigungsverfahren im sogenannten Julag außerhalb von Krakau aufgehalten und sei dann nach Krakau-Plaszow gekommen. Dabei habe es sich jeweils um Zwangsarbeiterlager für Juden gehandelt. Beschäftigungen in einem solchen Lager würden vom ZRBG nicht erfasst.
Der Widerspruchsbescheid ist am 13. Dezember 2004 zur Post gegeben worden. Am 22. Dezember 2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen modifiziert und vertieft. Insbesondere hat er ausgeführt, dass das Ghetto Krakau früher bestanden habe, als von der Beklagten angenommen. Auch hat er eine Erklärung seines Bruders eingereicht, wonach eine Entlohnung durch den Judenrat stattgefunden habe. Im Übrigen habe er besondere Essensversorgung und Sachbezüge erhalten. Der Kläger selbst hat angegeben, er habe bei Kriegsausbruch in Krakau gewohnt. Krakau sei sogleich ein sogenanntes offenes Ghetto mit allen Einschränkungen geworden. Sie hätten die Stadt nicht verlassen dürfen und das Judenkennzeichen tragen müssen. Da große Armut in seiner Familie geherrscht habe, habe er sich so oft wie möglich zur Arbeit gemeldet, um etwas Entgelt in Zloty zu verdienen. Ab August 1940 sei er als Arbeiter bei der Kanalisation außerhalb des Ghettos tätig gewesen. Die Gruppe habe das Ghetto mit Aufsehern morgens früh verlassen und sei abends wieder dorthin zurückgekehrt. Diese Arbeit, die in Zloty entlohnt worden sei, habe bis Februar 1941 gedauert. Im Februar 1941 habe man ihn in das sogenannte Julag-Lager außerhalb Krakaus bei Plaszow gesandt.
Mit Urteil vom 22. September 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, da er die Voraussetzungen nicht erfülle.
Nach den §§ 35, 50 Abs. 1 SGB VI erhalte auf Antrag Regelaltersrente, wer das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt habe. Auf die allgemeine Wartezeit würden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Beitragszeiten seien nach den §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden seien. Pflichtbeitragszeiten seien auch sogenannte fiktive Beitragszeiten, d.h. Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gälten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Der Kläger habe zwar das 65. Lebensjahr vollendet, jedoch keine Pflichtbeiträge oder freiwilligen Beiträge gezahlt. Eine Beitragsentrichtung nach den Reichsversicherungsgesetzen komme für ihn nicht in Betracht. Für ihn als damals polnischen Staatsangehörigen habe im Generalgouvernement auch nach der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht grundsätzlich das polnische Sozialversicherungsrecht weiter gegolten.
Auch nach dem ZRBG komme die Anerkennung von fiktiven Beitragszeiten für Januar 1940 bis März 1943 nicht in Betracht. Nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 ZRBG würden Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung fingiert, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten und dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen habe, wenn diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden sei und sich das Ghetto in einem Gebiet befunden habe, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert gewesen sei. Das Ghetto Krakau habe grundsätzlich vom 21. März 1941 bis 13./14. März 1943 als Ghetto im Sinne des ZRBG bestanden. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellen würde, dass ein Ghetto im Sinne des ZRBG vorher bestanden habe, so sei jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er dort eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss und gegen Entgelt verrichtet habe. Entsprechendes habe er nicht glaubhaft gemacht. Das folge aus seinen Angaben im Entschädigungsverfahren, insbesondere aber auch aus seinen eigenen Angaben im Renten- und Klageverfahren.
Für die Begründung von Beitragszeiten nach dem ZRBG seien gerade die Angaben der Betroffenen im Entschädigungsverfahren ein wesentliches und maßgebliches Kriterium für die Beweiswürdigung. Der Kammer sei bewusst, dass diese Angaben in keinem direkten Zusammenhang zu Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung stünden, sondern zu einem wesentlich anderen Zweck gemacht worden seien. Gerade dies sei jedoch von Bedeutung, weil es sich gerade nicht um zielgerichtete Tatsachenbehauptungen in Bezug auf Rentenansprüche handele. Hierbei sei es für die Kammer selbstverständlich, dass die im Entschädigungsverfahren gemachten Aussagen über "Zwangsarbeiten" keine Bedeutung für Abgrenzung von Beschäftigungsverhältnissen im Sinne des ZRBG und rechtlich anders einzuordnender Zwangsarbeit habe. Auch berücksichtige das Gericht, dass die Erinnerungen der Verfolgten bei den heutigen Angaben manchmal verschwommen sein könnten. Bei dem danach zu gewinnenden Gesamtbild sprechen die vom Kläger gemachten Angaben im Entschädigungsverfahren eher für das Vorliegen von Zwangsarbeiten und nicht für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG. Gerade die Tätigkeiten im Straßenbau und in der Kanalisation seien nach historischen Erkenntnissen typische Tätigkeiten, die durch obrigkeitliche Zuweisung als Zwangsarbeiten zu charakterisieren seien. Der Kläger habe im Entschädigungsverfahren selbst berichtet, zu solchen Zwangsarbeiten abkommandiert worden zu sein. Zwangsarbeit sei die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem bzw. gesetzlichem Zwang, z.B. bei Strafgefangenen oder Kriegsgefangenen. Typisch sei regelmäßig die obrigkeitliche Zuweisung an bestimmte Unternehmen. Weiter sei charakteristisch, dass ein Entgelt für individuell geleistete Arbeiten nicht gezahlt werde. Dass der Kläger im Ghetto Krakau eine Tätigkeit nach eigenem Willensentschluss aufgenommen und gegen Entgelt verrichtet habe, sei danach nicht überwiegend wahrscheinlich. Im Entschädigungsverfahren habe der Kläger eine Gegenleistung für seine Arbeiten nicht erwähnt. Im Rentenverfahren habe er im Fragebogen der Beklagten Anfang 2004 noch angegeben, dass ihm eine Entlohnung nicht erinnerlich sei. Erst im Klageverfahren habe er davon gesprochen, er sei in Zloty entlohnt worden. Diese Angaben überzeugten die Kammer nicht. Auch die Zeugin h) Kornreich ( S. habe zum Entgelt keine Angaben machen können. Nicht jede Arbeitstätigkeit in Folge eines Ghettoaufenthalts führe zu einer gesetzlichen Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Die Tatbestandsvoraussetzungen des ZRBG seien eng gefasst und müssten zu obrigkeitlichen Zwangsarbeiten abgegrenzt werden. Viele Tätigkeiten, die jüdische Verfolgte für das verbrecherische System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hätten verrichten müssen, seien Zwangsarbeiten gewesen, die nicht von der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, sondern anderweitig zu entschädigen (gewesen) seien.
Das Urteil ist dem Kläger am 27. September 2006 zugestellt worden. Am 5. Oktober 2006 hat er Berufung eingelegt.
In der Begründung seiner Berufung wendet sich der Kläger nochmals insbesondere gegen die Annahme, das Ghetto Krakau habe im Sinne des ZRBG erst ab März 1941 bestanden. Es sei ihm unverständlich, warum seine Angaben für das Ghetto Krakau nicht anerkannt würden. Tatsächlich habe man sich dort, wenn nicht habe verhungern wollen, zur Arbeit melden müssen. Mit der Arbeit habe man etwas verdienen können, dadurch Zeit gewinnen, um am Leben zu bleiben und nicht deportiert zu werden. Man habe sechs Tage in der Woche gearbeitet und täglich ein paar Zloty erhalten. Die Entlohnung sei vom Judenrat gezahlt worden. Auch sei es dem Judenrat möglich gewesen, die Arbeit bei der NKF-Kühlerfabrik zu vermitteln. Er wolle wiederholen, dass die Stadt Krakau ab 1940 bis Ende des Sommers 1941 ein sogenanntes offenes Ghetto mit Regulationen und Anordnungen gewesen sei. Später hätten sie ins Ghetto Plaszow übersiedeln müssen. Plaszow sei ein Ghetto bis Ende 1942 gewesen, als dieser Ort in ein Zwangsarbeiterlager umgewandelt worden sei. Nach den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 2. Juni 2009 könne eine Beschäftigung auch dann zustande gekommen sein, wenn für die Ghettobewohner Arbeitspflicht bestanden habe. Es komme lediglich darauf an, dass der Betroffene nicht zu einer spezifischen Arbeit gezwungen worden sei, sondern diese z.B. bei einer Vermittlung durch den Judenrat habe beeinflussen können. Entgelt sei nach dieser Rechtsprechung jedwede Entlohnung. Auch komme es nicht darauf an, ob das Entgelt direkt ausgehändigt worden sei. Von Zwangsarbeit könne nicht die Rede sein, da gerade im Ghetto Krakau in den fraglichen Teilen und Zeiten normale Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt worden seien. Im Einzelnen hat der Kläger sein Vorbringen mit eidesstattlicher Erklärung vom 21. Januar 2007 präzisiert. Danach hat er von April 1940 bis August 1940 im offenen Ghetto Krakau im Straßenbau gearbeitet, von August 1940 bis Februar 1941 im offenen Ghetto Krakau in der NKF-Kühlerfabrik bei wöchentlicher Zloty-Entlohnung, von Februar 1941 bis August 1941 im ZAL Julag für Siemens ohne Entlohnung, vom August 1941 bis Februar 1942 im Ghetto Krakau für die NKF-Kühlerfabrik bei wöchentlicher Zloty-Entlohnung, vom Februar 1942 bis August 1942 im ZAL Plaszow ohne Entlohnung, von August 1942 bis März 1943 im Ghetto Krakau für die NKF-Kühlerfabrik bei wöchentlicher Zloty-Entlohnung, vom März 1943 bis September 1943 im ZAL Plaszow ohne Entlohnung sowie vom September 1943 bis zur Deportation im November 1944, in Baracken lebend, für die NKF-Kühlerfabrik ohne Entlohnung. In einer vom Kläger vorgelegten Erklärung der Sarah h) Kornreich ( S. ist ebenfalls davon die Rede, dass alle Arbeiter einen wöchentlichen Lohn in Zloty erhalten hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund seiner Beschäftigung im Ghetto Krakau vom August 1940 bis Februar 1941, von August 1941 bis Februar 1942 sowie von August 1942 bis März 1943 sowie unter Anerkennung von Ersatzzeiten eine Regelaltersrente ab dem 10. Juli 1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, sie habe aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ihre Verwaltungspraxis dahingehend geändert, dass großzügig zugunsten der Antragsteller entschieden werde, wenn glaubhaft gemacht sei, dass während des zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto eine Beschäftigung aus eigenem Entschluss oder gegen Entgelt verrichtet worden sei. Damit sei nach wie vor die Anerkennung von Arbeiten in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern als Beitragszeit nach Maßgabe des ZRBG ausgeschlossen. Auch müsse die Arbeit während eines zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto verrichtet worden sein. Der Kläger habe jedoch durchgehend im Entschädigungsverfahren angegeben und dies auch durch Zeugenaussagen belegt, dass er nur bis Februar 1941 im Ghetto Krakau gewesen und dann in das sogenannte Julag außerhalb von Krakau verbracht worden sei. Für Krakau sei die Existenz eines Ghettos jedoch erst für die Zeit ab 21. März 1941 belegt. Allerdings sei bekannt, dass tatsächlich bereits Anfang 1941 in Krakau Kostrze ein Zwangsarbeitslager errichtet worden sei. Das vom Kläger benannte Julag mit den Arbeitsstellen bei der Firma Siemens Bau-Union sei auch spätestens seit Juni 1941 existent gewesen. Die Angaben des Klägers zur Arbeit in diesem Arbeitslager seien somit durchaus glaubhaft und würden von der Beklagten auch nicht bestritten. Soweit der Kläger aber auch im Klageverfahren einen Aufenthalt im Ghetto Krakau nach dem 3. März 1941 nicht behauptet habe, sei es als erwiesen anzusehen, dass ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto Krakau eben nicht vorgelegen habe. Die großzügigen Regelungen, die sich aus der aktuellen Ghettorechtsprechung des Bundessozialgerichts ergäben, griffen insoweit für den Kläger nicht.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits allein durch den Berichterstatter als Einzelrichter erklärt.
Die Sachakten der Beklagten sowie die den Kläger betreffenden Entschädigungsakten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter allein ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und daher zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2006 ist in der Sache nicht begründet. Das Sozialgericht hat unter richtiger Darlegung der einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen, die hier deswegen nicht wiederholt zu werden brauchen, zu Recht entschieden, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Rentenanspruch nicht zusteht. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus einer Anwendung der Regelungen des ZRBG, auch nicht unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2009.
Was die vom Kläger geltend gemachten Zeiten bis März 1941 angeht, scheidet ein Anspruch nach dem ZRBG schon deswegen aus, weil es sich dabei nicht um Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto handeln kann, in dem er sich zwangsweise aufgehalten hat. Entschädigungsbegründende Verfolgungsmaßnahme ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich an einem Ort aufgehalten haben, der als "Ghetto" zu qualifizieren ist, und dass dieser Aufenthalt von der nationalsozialistischen Gewalt erzwungen wurde. Mit der Formulierung "in einem Ghetto ... zwangsweise aufgehalten haben" knüpft das ZRBG an den in § 43 Abs. 2 Bundesentschädigungsgesetz beispielhaft aufgeführten Fall der Freiheitsentziehung eines "Zwangsaufenthalts in einem Ghetto" an. Dieser Fall ist dort neben polizeilicher oder militärischer Haft Inhaftnahme durch die NSDAP, Untersuchungshaft, Straflagerhaft und Konzentrationslagerhaft genannt. Es müsste sich demnach um eine besonders intensive Beeinträchtigung der Freiheit handeln. Diese bestand darin, dass durch eine Aufenthaltsbeschränkung auf einen zugewiesenen - in der Regel von Juden bewohnten - Wohnbezirk (Ghetto) der NS-Verfolgte vollständig und nachhaltig von der Umwelt bei Androhung schwerster Strafen abgesondert wurde (Bundessozialgericht, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Um einen solchen Wohnbezirk handelte es sich beim Ghetto Krakau jedenfalls bis März 1941 nicht; der Kläger selbst bezeichnet das damalige Ghetto als "offenes" Ghetto. In Krakau bestand zwar schon früh der Plan, die Stadt "judenfrei" zu machen, was sich jedoch zunächst nicht bewerkstelligen ließ. In mehreren Schüben wurde der Abzug der Juden in andere Orte organisiert. In der Stadt verblieben ungefähr fünfzehntausend Menschen. Da man nicht mit einem Verbleib der Juden rechnete, wurde das Krakauer Ghetto erst relativ spät eingerichtet. Das Stadtviertel Podgórze wurde am 3. März 1941 als Ghetto ausgewiesen und am 21. März 1941 geschlossen (Gutachten G. vom 9. September 2005 für das Sozialgericht Hamburg im Verfahren S 20 RJ 674/04). Die Schaffung des "jüdischen Wohnbezirks" beruht auf einer Verordnung des Gouverneurs des Krakauer Bezirks vom 3. März 1941, der als Stichtag für alle jüdischen Bewohner zu Einzug in das Ghetto den 20. März 1941 festsetzte (dazu Karolina Komorowska, Eine kurze Geschichte des Krakauer Ghettos, Krakau, 2005; desgl. ARC, www.deathcamps.org/occupation/krakow%20ghetto.html; The Virtual Jewish History Tour, www.us-israel.org/jsource/vjw/Cracow.html).
Auch die späteren Zeiten der Tätigkeit des Klägers für die NKF-Fabriken führen nicht zu einer Berücksichtigung nach dem ZRBG. Es ist, auch im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nicht überwiegend wahrscheinlich und damit nicht glaubhaft, dass es sich dabei um eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt gehandelt hat. Der Senat bezweifelt zwar die Tätigkeiten des Klägers für die NKF-Fabriken nicht, wie sie nunmehr in der Erklärung vom 21. Januar 2007 zeitlich detailliert aufgeführt werden. Er geht jedoch mit der Beklagten und dem Sozialgericht davon aus, dass es sich dabei um Zwangsarbeit gehandelt hat, weil insoweit nicht nur Arbeitspflicht bestand, sondern diese Arbeit auch vom Kläger hinsichtlich des Ob und Wie weder beeinflusst werden konnte noch entlohnt worden sein dürfte. Dafür sind für den Senat weniger die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren maßgeblich, obwohl er dort von der heute behaupteten Zloty-Entlohnung nicht gesprochen hat. Vielmehr passt die Annahme von reiner Zwangsarbeit besser zu den Erkenntnissen über Arbeitslager im besetzten Polen (Distrikt Krakau), wie sie sich z.B. aus den Informationen in ARC www.deathcamps.org/occupation/districts/diskrakowzal de.htm ergibt. Danach wurde das Zwangsarbeiterlager Julag I in Krakau-Plaszow im Juni 1941 errichtet und bestand bis Herbst 1943. Dort fanden Zwangsarbeiten u.a. zugunsten der Firma Siemens Bau-Union statt, wie sie auch vom Kläger - nach seinen Angaben allerdings bereits ab Februar 1941 bis August 1941 - geleistet worden sind. Die Häftlinge wurden zu einem unbestimmten Zeitpunkt dem Zwangsarbeitslager für Juden in Krakau-Plaszow (Jerozolimska-Straße) unterstellt, und in diesem Lager fanden Arbeiten u.a. zugunsten der NKF-Fabriken statt, um die es gerade auch beim Kläger geht. Die Tatsache, dass der Kläger zunächst im Julag I für die Siemens Bau-Union, anschließend aber wiederholt für die NKF-Fabriken tätig war, passt durchaus zu der historischen Erkenntnis, dass es einen Wechsel zwischen Arbeitern des Julag I und des Lagers Jerozolimska-Straße gegeben hat (a.a.O.), so dass angenommen werden darf, der Kläger habe zu diesem gehört, wohingegen außer den neueren Angaben des Klägers sowie den von ihm beigebrachten Zeugenaussagen nichts darauf hindeutet, dass neben den Zwangsarbeitern der beiden genannten Lager auch freiwillig beschäftigte Juden gegen Entgelt für die NKF-Werke in Krakau tätig waren. Vor diesem Hintergrund kann der Senat die gesetzlichen Voraussetzungen des ZRBG zugunsten des Klägers nicht als glaubhaft gemacht ansehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte dem Kläger Versichertenrente zu zahlen hat. In diesem Zusammenhang sind Zeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) streitig.
Der Kläger ist am X.XXXXXX 1918 in S. bei Krakau geboren. Er lebt heute in den USA und ist amerikanischer Staatsbürger. Er war aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Polen nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen ausgesetzt und erhielt Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
Am 4. März 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente. Zur Begründung gab er an, er habe von Januar 1940 bis März 1943 im Ghetto Krakau-Plaszow für die neuen Kühler- und Flugzeugteilefabriken NKF gearbeitet. Von März 1943 bis Mai 1945 habe er sich in Konzentrationslagern aufgehalten und sei in Theresienstadt befreit worden. Nach dem Krieg sei er über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA gelangt.
Die Beklagte wertete die beigezogene Entschädigungsakte aus und lehnte mit Bescheid vom 9. Dezember 2003 den Antrag auf Gewährung einer Versichertenrente ab: Anspruch auf eine Rentenleistung bestehe, wenn neben persönlichen Voraussetzungen die Wartezeit nach § 50 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) erfüllt sei. Diese Wartezeit betrage je nach beantragter Rentenart mindestens fünf Jahre und setze sich zusammen aus Beitragszeiten und Ersatzzeiten sowie ggf. Anrechnungszeiten und Berücksichtigungszeiten. Die Zeit vom 1. September 1939 bis 28. Februar 1941 könne nicht zugunsten des Klägers als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil nicht ausreichend glaubhaft gemacht sei, dass er damals eine entgeltliche Beschäftigung aus freiem Willensentschluss ausgeübt habe. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe es sich um Zwangsarbeit und nicht um eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gehandelt. Der Bezug von Entgelt oder Sachbezug in wesentlichem Umfang lasse sich den Angaben des Klägers nicht entnehmen. Im Übrigen könne diese Zeit schon deshalb nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil das Ghetto Krakau zu dieser Zeit noch nicht errichtet gewesen sei. Auch bei der Zeit vom 1. März 1941 bis 30. April 1945 handele es sich um einen Aufenthalt in einem Zwangsarbeitslager bzw. Konzentrationslager. Ersatzzeiten für die Verfolgung könnten aufgrund der fehlenden Versicherteneigenschaft des Klägers ebenfalls nicht berücksichtigt werden, sodass keine auf die Wartezeit anzurechnenden Versicherungszeiten vorlägen. Der Rentenanspruch sei mithin abzulehnen.
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, es habe sich bei den fraglichen Tätigkeiten nicht um Zwangsarbeit gehandelt. Im Übrigen sei das Ghetto Krakau nicht erst im März 1941 errichtet worden, sondern habe bereits im August 1940 bestanden. In einer von ihm beigebrachten schriftlichen Zeugenerklärung der im Jahre 1928 geborenen S. heißt es, sie wisse, dass der Kläger zunächst im Ghetto bei Straßenbau und Kanalisationsarbeiten tätig gewesen sei und später für die Kühlerfabrik gearbeitet habe. Über eine Entlohnung wisse sie nichts, wohl aber, dass sie während dieser Zeit schrecklich gehungert hätten und die Arbeiten dem Kläger das Leben gerettet hätten.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Zeiten vor dem 3. März 1941 kämen nicht in Betracht, da das Ghetto Krakau erst zu diesem Zeitpunkt errichtet worden sei. Jedenfalls sei eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht glaubhaft. Laut Angaben im Entschädigungsverfahren sei der Kläger zu Arbeiten im Straßenbau und der Kanalisation abkommandiert worden. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass diese Beschäftigung durch obrigkeitliche Zuweisung erfolgt sei, sodass das Merkmal der Freiwilligkeit fehle. Auch aus der eingereichten Zeugenerklärung ergäben sich keine Hinweise, dass für den Kläger die Möglichkeit einer Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bestanden habe. Es sei daher von Zwangsarbeit auszugehen. Ab März 1951 habe sich der Kläger nach seinen Angaben im Entschädigungsverfahren im sogenannten Julag außerhalb von Krakau aufgehalten und sei dann nach Krakau-Plaszow gekommen. Dabei habe es sich jeweils um Zwangsarbeiterlager für Juden gehandelt. Beschäftigungen in einem solchen Lager würden vom ZRBG nicht erfasst.
Der Widerspruchsbescheid ist am 13. Dezember 2004 zur Post gegeben worden. Am 22. Dezember 2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen modifiziert und vertieft. Insbesondere hat er ausgeführt, dass das Ghetto Krakau früher bestanden habe, als von der Beklagten angenommen. Auch hat er eine Erklärung seines Bruders eingereicht, wonach eine Entlohnung durch den Judenrat stattgefunden habe. Im Übrigen habe er besondere Essensversorgung und Sachbezüge erhalten. Der Kläger selbst hat angegeben, er habe bei Kriegsausbruch in Krakau gewohnt. Krakau sei sogleich ein sogenanntes offenes Ghetto mit allen Einschränkungen geworden. Sie hätten die Stadt nicht verlassen dürfen und das Judenkennzeichen tragen müssen. Da große Armut in seiner Familie geherrscht habe, habe er sich so oft wie möglich zur Arbeit gemeldet, um etwas Entgelt in Zloty zu verdienen. Ab August 1940 sei er als Arbeiter bei der Kanalisation außerhalb des Ghettos tätig gewesen. Die Gruppe habe das Ghetto mit Aufsehern morgens früh verlassen und sei abends wieder dorthin zurückgekehrt. Diese Arbeit, die in Zloty entlohnt worden sei, habe bis Februar 1941 gedauert. Im Februar 1941 habe man ihn in das sogenannte Julag-Lager außerhalb Krakaus bei Plaszow gesandt.
Mit Urteil vom 22. September 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, da er die Voraussetzungen nicht erfülle.
Nach den §§ 35, 50 Abs. 1 SGB VI erhalte auf Antrag Regelaltersrente, wer das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt habe. Auf die allgemeine Wartezeit würden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Beitragszeiten seien nach den §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden seien. Pflichtbeitragszeiten seien auch sogenannte fiktive Beitragszeiten, d.h. Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gälten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Der Kläger habe zwar das 65. Lebensjahr vollendet, jedoch keine Pflichtbeiträge oder freiwilligen Beiträge gezahlt. Eine Beitragsentrichtung nach den Reichsversicherungsgesetzen komme für ihn nicht in Betracht. Für ihn als damals polnischen Staatsangehörigen habe im Generalgouvernement auch nach der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht grundsätzlich das polnische Sozialversicherungsrecht weiter gegolten.
Auch nach dem ZRBG komme die Anerkennung von fiktiven Beitragszeiten für Januar 1940 bis März 1943 nicht in Betracht. Nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 ZRBG würden Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung fingiert, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten und dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen habe, wenn diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden sei und sich das Ghetto in einem Gebiet befunden habe, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert gewesen sei. Das Ghetto Krakau habe grundsätzlich vom 21. März 1941 bis 13./14. März 1943 als Ghetto im Sinne des ZRBG bestanden. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellen würde, dass ein Ghetto im Sinne des ZRBG vorher bestanden habe, so sei jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er dort eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss und gegen Entgelt verrichtet habe. Entsprechendes habe er nicht glaubhaft gemacht. Das folge aus seinen Angaben im Entschädigungsverfahren, insbesondere aber auch aus seinen eigenen Angaben im Renten- und Klageverfahren.
Für die Begründung von Beitragszeiten nach dem ZRBG seien gerade die Angaben der Betroffenen im Entschädigungsverfahren ein wesentliches und maßgebliches Kriterium für die Beweiswürdigung. Der Kammer sei bewusst, dass diese Angaben in keinem direkten Zusammenhang zu Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung stünden, sondern zu einem wesentlich anderen Zweck gemacht worden seien. Gerade dies sei jedoch von Bedeutung, weil es sich gerade nicht um zielgerichtete Tatsachenbehauptungen in Bezug auf Rentenansprüche handele. Hierbei sei es für die Kammer selbstverständlich, dass die im Entschädigungsverfahren gemachten Aussagen über "Zwangsarbeiten" keine Bedeutung für Abgrenzung von Beschäftigungsverhältnissen im Sinne des ZRBG und rechtlich anders einzuordnender Zwangsarbeit habe. Auch berücksichtige das Gericht, dass die Erinnerungen der Verfolgten bei den heutigen Angaben manchmal verschwommen sein könnten. Bei dem danach zu gewinnenden Gesamtbild sprechen die vom Kläger gemachten Angaben im Entschädigungsverfahren eher für das Vorliegen von Zwangsarbeiten und nicht für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG. Gerade die Tätigkeiten im Straßenbau und in der Kanalisation seien nach historischen Erkenntnissen typische Tätigkeiten, die durch obrigkeitliche Zuweisung als Zwangsarbeiten zu charakterisieren seien. Der Kläger habe im Entschädigungsverfahren selbst berichtet, zu solchen Zwangsarbeiten abkommandiert worden zu sein. Zwangsarbeit sei die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem bzw. gesetzlichem Zwang, z.B. bei Strafgefangenen oder Kriegsgefangenen. Typisch sei regelmäßig die obrigkeitliche Zuweisung an bestimmte Unternehmen. Weiter sei charakteristisch, dass ein Entgelt für individuell geleistete Arbeiten nicht gezahlt werde. Dass der Kläger im Ghetto Krakau eine Tätigkeit nach eigenem Willensentschluss aufgenommen und gegen Entgelt verrichtet habe, sei danach nicht überwiegend wahrscheinlich. Im Entschädigungsverfahren habe der Kläger eine Gegenleistung für seine Arbeiten nicht erwähnt. Im Rentenverfahren habe er im Fragebogen der Beklagten Anfang 2004 noch angegeben, dass ihm eine Entlohnung nicht erinnerlich sei. Erst im Klageverfahren habe er davon gesprochen, er sei in Zloty entlohnt worden. Diese Angaben überzeugten die Kammer nicht. Auch die Zeugin h) Kornreich ( S. habe zum Entgelt keine Angaben machen können. Nicht jede Arbeitstätigkeit in Folge eines Ghettoaufenthalts führe zu einer gesetzlichen Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Die Tatbestandsvoraussetzungen des ZRBG seien eng gefasst und müssten zu obrigkeitlichen Zwangsarbeiten abgegrenzt werden. Viele Tätigkeiten, die jüdische Verfolgte für das verbrecherische System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hätten verrichten müssen, seien Zwangsarbeiten gewesen, die nicht von der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, sondern anderweitig zu entschädigen (gewesen) seien.
Das Urteil ist dem Kläger am 27. September 2006 zugestellt worden. Am 5. Oktober 2006 hat er Berufung eingelegt.
In der Begründung seiner Berufung wendet sich der Kläger nochmals insbesondere gegen die Annahme, das Ghetto Krakau habe im Sinne des ZRBG erst ab März 1941 bestanden. Es sei ihm unverständlich, warum seine Angaben für das Ghetto Krakau nicht anerkannt würden. Tatsächlich habe man sich dort, wenn nicht habe verhungern wollen, zur Arbeit melden müssen. Mit der Arbeit habe man etwas verdienen können, dadurch Zeit gewinnen, um am Leben zu bleiben und nicht deportiert zu werden. Man habe sechs Tage in der Woche gearbeitet und täglich ein paar Zloty erhalten. Die Entlohnung sei vom Judenrat gezahlt worden. Auch sei es dem Judenrat möglich gewesen, die Arbeit bei der NKF-Kühlerfabrik zu vermitteln. Er wolle wiederholen, dass die Stadt Krakau ab 1940 bis Ende des Sommers 1941 ein sogenanntes offenes Ghetto mit Regulationen und Anordnungen gewesen sei. Später hätten sie ins Ghetto Plaszow übersiedeln müssen. Plaszow sei ein Ghetto bis Ende 1942 gewesen, als dieser Ort in ein Zwangsarbeiterlager umgewandelt worden sei. Nach den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 2. Juni 2009 könne eine Beschäftigung auch dann zustande gekommen sein, wenn für die Ghettobewohner Arbeitspflicht bestanden habe. Es komme lediglich darauf an, dass der Betroffene nicht zu einer spezifischen Arbeit gezwungen worden sei, sondern diese z.B. bei einer Vermittlung durch den Judenrat habe beeinflussen können. Entgelt sei nach dieser Rechtsprechung jedwede Entlohnung. Auch komme es nicht darauf an, ob das Entgelt direkt ausgehändigt worden sei. Von Zwangsarbeit könne nicht die Rede sein, da gerade im Ghetto Krakau in den fraglichen Teilen und Zeiten normale Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt worden seien. Im Einzelnen hat der Kläger sein Vorbringen mit eidesstattlicher Erklärung vom 21. Januar 2007 präzisiert. Danach hat er von April 1940 bis August 1940 im offenen Ghetto Krakau im Straßenbau gearbeitet, von August 1940 bis Februar 1941 im offenen Ghetto Krakau in der NKF-Kühlerfabrik bei wöchentlicher Zloty-Entlohnung, von Februar 1941 bis August 1941 im ZAL Julag für Siemens ohne Entlohnung, vom August 1941 bis Februar 1942 im Ghetto Krakau für die NKF-Kühlerfabrik bei wöchentlicher Zloty-Entlohnung, vom Februar 1942 bis August 1942 im ZAL Plaszow ohne Entlohnung, von August 1942 bis März 1943 im Ghetto Krakau für die NKF-Kühlerfabrik bei wöchentlicher Zloty-Entlohnung, vom März 1943 bis September 1943 im ZAL Plaszow ohne Entlohnung sowie vom September 1943 bis zur Deportation im November 1944, in Baracken lebend, für die NKF-Kühlerfabrik ohne Entlohnung. In einer vom Kläger vorgelegten Erklärung der Sarah h) Kornreich ( S. ist ebenfalls davon die Rede, dass alle Arbeiter einen wöchentlichen Lohn in Zloty erhalten hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund seiner Beschäftigung im Ghetto Krakau vom August 1940 bis Februar 1941, von August 1941 bis Februar 1942 sowie von August 1942 bis März 1943 sowie unter Anerkennung von Ersatzzeiten eine Regelaltersrente ab dem 10. Juli 1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, sie habe aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ihre Verwaltungspraxis dahingehend geändert, dass großzügig zugunsten der Antragsteller entschieden werde, wenn glaubhaft gemacht sei, dass während des zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto eine Beschäftigung aus eigenem Entschluss oder gegen Entgelt verrichtet worden sei. Damit sei nach wie vor die Anerkennung von Arbeiten in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern als Beitragszeit nach Maßgabe des ZRBG ausgeschlossen. Auch müsse die Arbeit während eines zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto verrichtet worden sein. Der Kläger habe jedoch durchgehend im Entschädigungsverfahren angegeben und dies auch durch Zeugenaussagen belegt, dass er nur bis Februar 1941 im Ghetto Krakau gewesen und dann in das sogenannte Julag außerhalb von Krakau verbracht worden sei. Für Krakau sei die Existenz eines Ghettos jedoch erst für die Zeit ab 21. März 1941 belegt. Allerdings sei bekannt, dass tatsächlich bereits Anfang 1941 in Krakau Kostrze ein Zwangsarbeitslager errichtet worden sei. Das vom Kläger benannte Julag mit den Arbeitsstellen bei der Firma Siemens Bau-Union sei auch spätestens seit Juni 1941 existent gewesen. Die Angaben des Klägers zur Arbeit in diesem Arbeitslager seien somit durchaus glaubhaft und würden von der Beklagten auch nicht bestritten. Soweit der Kläger aber auch im Klageverfahren einen Aufenthalt im Ghetto Krakau nach dem 3. März 1941 nicht behauptet habe, sei es als erwiesen anzusehen, dass ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto Krakau eben nicht vorgelegen habe. Die großzügigen Regelungen, die sich aus der aktuellen Ghettorechtsprechung des Bundessozialgerichts ergäben, griffen insoweit für den Kläger nicht.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits allein durch den Berichterstatter als Einzelrichter erklärt.
Die Sachakten der Beklagten sowie die den Kläger betreffenden Entschädigungsakten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter allein ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und daher zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. September 2006 ist in der Sache nicht begründet. Das Sozialgericht hat unter richtiger Darlegung der einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen, die hier deswegen nicht wiederholt zu werden brauchen, zu Recht entschieden, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Rentenanspruch nicht zusteht. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus einer Anwendung der Regelungen des ZRBG, auch nicht unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2009.
Was die vom Kläger geltend gemachten Zeiten bis März 1941 angeht, scheidet ein Anspruch nach dem ZRBG schon deswegen aus, weil es sich dabei nicht um Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto handeln kann, in dem er sich zwangsweise aufgehalten hat. Entschädigungsbegründende Verfolgungsmaßnahme ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich an einem Ort aufgehalten haben, der als "Ghetto" zu qualifizieren ist, und dass dieser Aufenthalt von der nationalsozialistischen Gewalt erzwungen wurde. Mit der Formulierung "in einem Ghetto ... zwangsweise aufgehalten haben" knüpft das ZRBG an den in § 43 Abs. 2 Bundesentschädigungsgesetz beispielhaft aufgeführten Fall der Freiheitsentziehung eines "Zwangsaufenthalts in einem Ghetto" an. Dieser Fall ist dort neben polizeilicher oder militärischer Haft Inhaftnahme durch die NSDAP, Untersuchungshaft, Straflagerhaft und Konzentrationslagerhaft genannt. Es müsste sich demnach um eine besonders intensive Beeinträchtigung der Freiheit handeln. Diese bestand darin, dass durch eine Aufenthaltsbeschränkung auf einen zugewiesenen - in der Regel von Juden bewohnten - Wohnbezirk (Ghetto) der NS-Verfolgte vollständig und nachhaltig von der Umwelt bei Androhung schwerster Strafen abgesondert wurde (Bundessozialgericht, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Um einen solchen Wohnbezirk handelte es sich beim Ghetto Krakau jedenfalls bis März 1941 nicht; der Kläger selbst bezeichnet das damalige Ghetto als "offenes" Ghetto. In Krakau bestand zwar schon früh der Plan, die Stadt "judenfrei" zu machen, was sich jedoch zunächst nicht bewerkstelligen ließ. In mehreren Schüben wurde der Abzug der Juden in andere Orte organisiert. In der Stadt verblieben ungefähr fünfzehntausend Menschen. Da man nicht mit einem Verbleib der Juden rechnete, wurde das Krakauer Ghetto erst relativ spät eingerichtet. Das Stadtviertel Podgórze wurde am 3. März 1941 als Ghetto ausgewiesen und am 21. März 1941 geschlossen (Gutachten G. vom 9. September 2005 für das Sozialgericht Hamburg im Verfahren S 20 RJ 674/04). Die Schaffung des "jüdischen Wohnbezirks" beruht auf einer Verordnung des Gouverneurs des Krakauer Bezirks vom 3. März 1941, der als Stichtag für alle jüdischen Bewohner zu Einzug in das Ghetto den 20. März 1941 festsetzte (dazu Karolina Komorowska, Eine kurze Geschichte des Krakauer Ghettos, Krakau, 2005; desgl. ARC, www.deathcamps.org/occupation/krakow%20ghetto.html; The Virtual Jewish History Tour, www.us-israel.org/jsource/vjw/Cracow.html).
Auch die späteren Zeiten der Tätigkeit des Klägers für die NKF-Fabriken führen nicht zu einer Berücksichtigung nach dem ZRBG. Es ist, auch im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nicht überwiegend wahrscheinlich und damit nicht glaubhaft, dass es sich dabei um eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt gehandelt hat. Der Senat bezweifelt zwar die Tätigkeiten des Klägers für die NKF-Fabriken nicht, wie sie nunmehr in der Erklärung vom 21. Januar 2007 zeitlich detailliert aufgeführt werden. Er geht jedoch mit der Beklagten und dem Sozialgericht davon aus, dass es sich dabei um Zwangsarbeit gehandelt hat, weil insoweit nicht nur Arbeitspflicht bestand, sondern diese Arbeit auch vom Kläger hinsichtlich des Ob und Wie weder beeinflusst werden konnte noch entlohnt worden sein dürfte. Dafür sind für den Senat weniger die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren maßgeblich, obwohl er dort von der heute behaupteten Zloty-Entlohnung nicht gesprochen hat. Vielmehr passt die Annahme von reiner Zwangsarbeit besser zu den Erkenntnissen über Arbeitslager im besetzten Polen (Distrikt Krakau), wie sie sich z.B. aus den Informationen in ARC www.deathcamps.org/occupation/districts/diskrakowzal de.htm ergibt. Danach wurde das Zwangsarbeiterlager Julag I in Krakau-Plaszow im Juni 1941 errichtet und bestand bis Herbst 1943. Dort fanden Zwangsarbeiten u.a. zugunsten der Firma Siemens Bau-Union statt, wie sie auch vom Kläger - nach seinen Angaben allerdings bereits ab Februar 1941 bis August 1941 - geleistet worden sind. Die Häftlinge wurden zu einem unbestimmten Zeitpunkt dem Zwangsarbeitslager für Juden in Krakau-Plaszow (Jerozolimska-Straße) unterstellt, und in diesem Lager fanden Arbeiten u.a. zugunsten der NKF-Fabriken statt, um die es gerade auch beim Kläger geht. Die Tatsache, dass der Kläger zunächst im Julag I für die Siemens Bau-Union, anschließend aber wiederholt für die NKF-Fabriken tätig war, passt durchaus zu der historischen Erkenntnis, dass es einen Wechsel zwischen Arbeitern des Julag I und des Lagers Jerozolimska-Straße gegeben hat (a.a.O.), so dass angenommen werden darf, der Kläger habe zu diesem gehört, wohingegen außer den neueren Angaben des Klägers sowie den von ihm beigebrachten Zeugenaussagen nichts darauf hindeutet, dass neben den Zwangsarbeitern der beiden genannten Lager auch freiwillig beschäftigte Juden gegen Entgelt für die NKF-Werke in Krakau tätig waren. Vor diesem Hintergrund kann der Senat die gesetzlichen Voraussetzungen des ZRBG zugunsten des Klägers nicht als glaubhaft gemacht ansehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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