L 6 U 52/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 95/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 52/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Unfall der Klägerin ein in der gesetzlichen Unfallversicherung versichertes Ereignis war.

Die 1954 geborene Klägerin bewohnte eine Doppelhaushälfte, in der auch ihre pflegebedürftige Mutter wohnte. Diese bewohnte das Erdgeschoss, die Familie der Klägerin die erste Etage. Die Mutter verfügte im Erdgeschoss über zwei Zimmer, Küche und Bad. Auf der anderen Seite eines Hofes bewohnte die Schwiegermutter der Klägerin allein eine Doppelhaushälfte. Diese Wohnsituation ergibt sich aus den jeweiligen Pflegegutachten. Nach ihren Angaben pflegte die Klägerin beide Personen, wobei sie der Pflegekasse lediglich als Pflegeperson für ihre Mutter bekannt war. Die Pflegezeiten unterschritten 14 Stunden wöchentlich.

Am 12. Februar 2006, einem Sonntag, begab die Klägerin sich nach ihren Angaben kurz nach 6.00 Uhr morgens zum Hoftor, welches über Nacht geschlossen gehalten wurde, um es zu öffnen. Dies war notwendig, da gegen 6.30 Uhr regelmäßig der Pflegedienst eintraf. Dabei rutschte die Klägerin aus und zog sich Schulterverletzungen zu.

Mit Eingangsdatum vom 9. Mai 2007 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Mit Bescheid vom 6. März 2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall ab. Sie führte aus, die von der Klägerin zum Unfallzeitpunkt ausgeführte Tätigkeit unterliege nicht dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, da es sich hierbei nicht um eine Pflegetätigkeit im Sinne von § 14 SGB XI handele. Erfasst seien Tätigkeiten im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Das Öffnen des Tores gehöre dazu nicht. Dementsprechend habe keine Versicherung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII bestanden. Der Bescheid wurde auf dem Postweg bekannt gegeben.

Der am 7. April 2008 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch hatte zum Inhalt, ohne das Öffnen des Tores sei die Tätigkeit des Pflegedienstes nicht möglich gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er führte aus, der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls sei wertend zu ermitteln, indem untersucht werde, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liege, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reiche. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII seien Pflegepersonen im Sinne von § 19 SGB XI bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI versichert, die bestimmte konkrete Pflegeleistungen umfasse. Dazu habe das Öffnen des Hoftores nicht gehört. Es habe sich auch nicht um einen versicherten Weg im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gehandelt, weil er nicht zurückgelegt worden sei, um Pflegetätigkeiten durchzuführen. Als eine Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sei die Tätigkeit jedenfalls nach § 4 Abs. 4 SGB VII als unentgeltliche Tätigkeit Verwandter oder Verschwägerter für den Haushaltsführenden versicherungsfrei. Auch sei ein einer abhängigen Beschäftigung ähnliches Abhängigkeitsverhältnis nicht ersichtlich. Mit der am 25. Juni 2008 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die unfallträchtige Tätigkeit habe unmittelbar Pflegeleistungen ermöglicht. Auch die Vorbereitung von Pflegehandlungen müsse insoweit Berücksichtigung finden.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Juni 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Eigenschaft der Klägerin als Pflegeperson im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII sei schon nicht nachgewiesen. Voraussetzung für die Anerkennung als Pflegeperson sei eine Tätigkeit von wenigstens 14 Stunden pro Woche. Dieser zeitliche Umfang sei schon nicht vorgetragen. Auch sei ein innerer Zusammenhang zwischen der Unfall bringenden und der versicherten Tätigkeit nicht gegeben. Eine Vorbereitungshandlung – die hier nur in Betracht komme – werde nur dann angenommen, wenn sie unmittelbar der Arbeit diene bzw. den Umständen nach bereits als Teil der betrieblichen Tätigkeit angesehen werde. Grundsätzlich handele es sich um den privaten unversicherten Bereich. Hier sei eine dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnende Vorbereitungshandlung betroffen. Pflegeleistungen seien in § 14 Abs. 3 SGB XI geregelt; das Öffnen des Hoftores oder auch nur eine annähernd vergleichbare Tätigkeit zähle dazu nicht. Auch bestehe nach § 4 Abs. 4 SGB VII für die Tätigkeit Versicherungsfreiheit.

Gegen den ihr am 15. Juni 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 13. Juli 2009 Berufung eingelegt. Sie bleibt bei ihrem Vorbringen und hält ihre Lage mit einer Rufbereitschaft für vergleichbar. Sie sei schon im Jahre 2005 Pflegeperson im Sinne von § 19 SGB XI gewesen. Die Versicherung kraft Gesetzes werde durch die Regelung des § 4 Abs. 4 SGB VII nicht aufgehoben. Auf die zeitliche Dauer der Pflege komme es nicht an.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Magdeburg vom 8. Juni 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2008 aufzuheben und das verletzende Ereignis vom 12. Februar 2006 als Arbeitsunfall festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Entscheidung.

Die Beteiligten haben eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 16. Juni 2010 – die Klägerin – und 30. Juni 2010 – die Beklagte – zugestimmt.

Bei der Entscheidung hat der Ausdruck der elektronischen Akte der Beklagten – Az. 2007020524 – vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 6. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2008 beschwert die Klägerin nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil er rechtmäßig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Ereignisses vom 12. Februar 2006 als Arbeitsunfall. Denn der darin zu sehende Unfall ist nicht im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) als Arbeitsunfall infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2 – insoweit nur in Betracht kommend – begründenden Tätigkeit eingetreten. Der Weg zum Hoftor zu dessen Öffnung stellt keine Pflege im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII dar, "bei der" die Pflegeperson versichert ist. Für den maßgeblichen Begriff der Pflege verweist die Vorschrift ausdrücklich auf § 14 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI), unter welche Vorschrift das Öffnen des Hoftores nicht fällt. § 14 Abs. 3 SGB XI benennt als Gegenstand der Pflege Hilfe in Bezug auf Verrichtungen, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgezählt sind. In § 14 Abs. 3 SGB XI benannt sind Hilfeleistungen, die – möglicherweise mit Ausnahme der hier ohnehin nicht betroffenen Anleitung – unmittelbar die Durchführung der Verrichtungen bewirken. Der unmittelbare Rahmen wird bestimmt, indem für jede der in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgezählten Verrichtungen in lebensnaher Betrachtungsweise geprüft wird, welche Abfolgen von Tätigkeiten damit umschrieben werden (BSG, Urt. v. 27. 8. 1998 – B 10 KR 4/97 RSozR 3-3300 § 14 Nr. 7). Die maßgeblichen Verrichtungen des Pflegebedürftigen bewirken dessen Körperpflege, Ernährung, Mobilität oder hauswirtschaftliche Versorgung. Die entsprechende Unmittelbarkeit fehlt dem Gang zur Öffnung des Hoftores. Mit dieser Hilfeleistung für einen Pflegebedürftigen wird mit keiner Verrichtung der Körperpflege, Ernährung, Mobilität oder hauswirtschaftlichen Versorgung begonnen; die Klägerin benennt auch selbst keine konkrete Verrichtung, der das Öffnen des Hoftores zuzuordnen sein soll. Es handelt sich allein um eine Handlung, die im Rahmen einer Kausalkette spätere Pflege (durch Dritte) ermöglicht. Dies begründet aber keinen Versicherungsschutz, weil schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch darin selbst keine Pflege liegt. Darüber hinaus ist aber auch eine Ausdehnung des Begriffs der Pflege auf alle dafür naturwissenschaftlich ursächlichen Handlungen nicht sinnvoll möglich, weil diese unübersehbar sind. Zu solchen ursächlich unabdingbaren Handlungen gehört z. B. die Schaffung der gesamten Infrastruktur, die Pflegepersonen zur Vorbereitung der Pflege in Anspruch nehmen. Es hätte keiner vergleichsweise ausführlichen Eingrenzung der versicherten Tätigkeit durch § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII bedurft, wenn der Gesetzgeber eine solch uferlose Auslegung gewollt hätte. Die von der Klägerin gezogenen Parallele zu Wegeunfällen betrifft schon deswegen nicht ihren Fall, weil sie den Weg nicht zu einer eigenen versicherten Tätigkeit als Pflegeperson zurückgelegt hat. Ebenso wenig trifft der Vergleich mit einer Bereitschaft ihren Fall, weil sich der Unfall nicht durch das Warten auf einen eigenen Pflegeeinsatz ereignet hat. Eine Versicherung der Klägerin nach § 2 Abs. 2 SGB VII scheidet aus, ohne dass es auf die Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen ankäme. Einer Versicherung steht hier § 4 Abs. 4 SGB VII entgegen. Danach sind u. a. Verwandte und Verschwägerte bis zum zweiten Grad von Haushaltsführenden bei der Tätigkeit in deren Haushalt von der Versicherung nach § 2 Abs. 2 SGB VII frei. Die Klägerin fällt als Tochter unter den Personenkreis der Verwandten und als Schwiegertochter unter den Personenkreis der Verschwägerten bis zum zweiten Grad. Beide Eigenschaften beziehen sich auf Mutter und Schwiegermutter als Haushaltsführende. Denn beide Personen verfügten über vollständig ausgestattete Wohnungen, die eine eigenständige Hauswirtschaft ermöglichten. Eine Eingliederung in einen anderen Haushalt unter anderer Führung kommt angesichts dieser Wohnsituation nicht in Betracht. Bei dem Gang zum Öffnen des Tores handelte es sich auch um Tätigkeit im Haushalt von Mutter und Schwiegermutter im Sinne von § 4 Abs. 4 SGB VII. Denn die Tätigkeit ist unmittelbar auf die Zugänglichkeit als Teil der Nutzbarkeit des Haushalts gerichtet und insoweit etwa mit Raumpflegetätigkeiten vergleichbar; eine räumliche Beschränkung besteht durch die Wortwahl "im" Haushalt nicht. Die Zugehörigkeit der Tätigkeit zur Haushaltstätigkeit folgt auch aus dem Zusammenhang des § 4 Abs. 4 SGB VII mit der anderenfalls bestehenden Versicherung nach § 2 Abs. 2 SGB VII. Die Versicherung danach für eine Tätigkeit wie ein Beschäftigter muss nämlich dementsprechend eine Tätigkeit zum Gegenstand haben, wie sie auch von Arbeitnehmern ausgeführt wird. Eine allgemeine Aufgabe des Öffnens einer Zugangstür zu den Haushaltsräumen ist nur für Haushaltspersonal als Gegenstand abhängiger Beschäftigung üblich. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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