L 2 U 547/09 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SF 109/09
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 547/09 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei Zweifeln an der Unabhängigkeit des Sachverständigen kann der Kläger nicht abwarten, ob sich seine Zweifel durch das Gutachtenergebnis verdichten.
2. Allein eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen, an Hochschulen ansässigen Institutionen spricht nicht für die Befangenheit des Sachverständigen, der zugleich einem dieser Institute angehört, sondern für eine erweiterte Kompetenz des Gutachtens.
3. Die inhaltliche Bewertung des Gutachtens obliegt dem entscheidenden Richter und kann in ein Verfahren wgen Besorgnis der Befangenheit vorgezogen werden.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 13. November 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. B. begründet ist und ob der Antrag auf dessen Beeidigung zu Recht abgelehnt wurde.

In dem beim Sozialgericht Würzburg anhängigen Klageverfahren (Az.: S 5 U 268/08) begehrt der Kläger und Beschwerdeführer die Anerkennung eines Urothelkarzinoms als Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV). Dies hatte die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, mit Bescheid vom 8. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2008 nach umfangreichen medizinischen und berufskundlichen Ermittlungen abgelehnt. Mit Beschluss vom 3. Dezember 2008 hat das Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und den Prozessbevollmächtigten des Klägers beigeordnet. Ferner hat es von Amts wegen ein Gutachten des Arztes für Pharmakologie und Toxikologie sowie Umweltmedizin, Prof. Dr. Dr. B., eingeholt. Dieser hat in dem Gutachten vom
13. August 2009 eine Mulitmorbidität des Klägers beschrieben. Die Erkrankung des Harnblasenkarzinoms stelle keine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV dar. Die zu fordernden medizinischen Voraussetzungen seien hierfür nicht erfüllt. Dabei sei eine relevante Exposition unter den gegebenen Umständen nur gegenüber 3,3´-Dimethylben-
zidin zu diskutieren gewesen. Es sei zwar sehr wahrscheinlich, dass dieser Stoff beim Menschen Blasenkrebs erzeuge, im naturwissenschaftlichen Sinne voll bewiesen sei dieser Sachverhalt allerdings bislang nicht. Auch Art und Lokalisation des Tumors des Klägers gäben keinen spezifischen Hinweis aus dessen Ursache. Daneben bestünden außerberufliche Risiken in der früheren Rauchanamnese.

Das Gutachten ist den Beteiligten vom Gericht mit Schreiben vom 3. September 2009 übermittelt worden. Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2009 hat der Kläger vorab darauf hingewiesen, dass Prof. Dr. Dr. B. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werde. Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2009 hat der Kläger hierzu ausgeführt, er habe bereits bei

der Bestellung von Prof. Dr. Dr. B. als Gutachter durch das Gericht auf die Möglichkeit der Besorgnis der Befangenheit hingewiesen, da dieser zum Kreis der von der Berufsgenossenschaft vorgeschlagenen Gutachter gehörte habe und vermutlich überwiegend für diese tätig sei. Die Interessen von Prof. Dr. Dr. B. seien durch die Zusammenarbeit des L.-Insituts für Arbeitsforschung an der TU D. (l.) mit der BGFA B. wirtschaftlich eng mit denen der Beklagten verknüpft. Sachlich sei das Gutachten oberflächlich, unkritisch und eindeutig parteilich zum Vorteil der Beklagten. Der Sachverständige verharmlose bzw. ignoriere den erfolgten Umgang mit Benzidin nicht aus Inkompetenz oder Nachlässigkeit, sondern wegen Befangenheit. Bei dem Gutachten handele es sich um ein von Befangenheit geprägtes und entsprechend vorgefasster Meinung oberflächlich und unklar erstelltes typisches Gefälligkeitsgutachten zum Vorteil der Beklagten. Für den Fall, dass dem Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit nicht stattgegeben werde, werde Antrag auf Beeidigung des Gutachters gestellt.

Das Sozialgericht hat eine Äußerung des Prof. Dr. Dr. B., eingegangen am 9. November 2009, eingeholt. Dieser hat den Vorwurf der Befangenheit entschieden von sich gewiesen. Die Tatsache, dass punktuell eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Institut (l.) und dem BGFA, das ein Institut der R.-Universität B. sei, bestehe, sei ein unter Wissenschaftlern normaler Vorgang. Er habe zu keiner Zeit vom BGFA eine Form finanzieller Vergütung erhalten; es bestehe keine wirtschaftliche Verbindung. Dies gelte auch für das l., dessen Direktor er bis zu seiner Pensionierung im Februar 2009 gewesen sei.

Mit Beschluss vom 13. November 2009 hat das Sozialgericht den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. sowie den Antrag auf dessen Beeidigung zurückgewiesen. Das Gesuch auf Ablehnung des Sachverständigen sei unzulässig, soweit es damit begründet werde, dass dieser zum Kreis der von der Beklagten vorgeschlagenen Gutachter gehörte, im Übrigen unbegründet. Prof. Dr. Dr. B. sei mit Beschluss vom
14. April 2009 zum gerichtlichen Sachverständigen benannt worden. Der Beschluss sei den Beteiligten am 5. Mai 2009 zugeleitet worden und somit spätestens Mitte Mai 2009 zugegangen. Das Ablehnungsgesuch mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2009 sei jedenfalls nicht innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Ernennung zum Sachverständigen gestellt worden (§ 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in Verbindung mit § 406

Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Unabhängig davon sei das Ablehnungsgesuch unbegründet, da kein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Soweit beantragt wurde, den Sachverständigen zu beeiden, sei dies unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht notwendig.

Die Beklagte hat, allerdings erst mit Schriftsatz vom 27. November 2009, ausgeführt, dass sie keinerlei Anhaltspunkte für eine eventuelle Befangenheit des Sachverständigen erkenne. Allein aus einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der l. und dem BGFA ergebe sich keine enge wirtschaftliche Verbundenheit zur Beklagten. Diese existiere auch nicht. Auch inhaltlich seien dem Gutachten keine parteilichen Tendenzen zu entnehmen. Der Vorschlag des Gutachters im Verwaltungsverfahren sowie die Wahl als Gutachter durch das Sozialgericht seien allein aufgrund der besonderen Erfahrung mit der Frage von Dosis-Wirkungsbeziehungen erfolgt.

Der Kläger hat Beschwerde gegen den Beschluss, mit dem sein Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen wurde, eingelegt. Der Antrag sei nicht verspätet. Es könne ihm nicht zum Nachteil ausgelegt werden, wenn er abwarte, bis sich seine eventuelle Besorgnis verdichtet habe. Eine vernünftige Besorgnis sei erst nach Durchsicht des Gutachtens aufgrund entsprechender Indizien gegeben. Ferner könne eine Besorgnis wegen Befangenheit aus den Mängeln eines Gutachtens abgeleitet werden. Vorsätzlich verübte sachliche Mängel bewiesen eine Befangenheit. Prof. Dr. Dr. B. habe sich in großen Teilen seines Gutachtens den Meinungen der Vorgutachter angeschlossen, ohne dies zu präzisieren. Er habe diese Meinungen nicht auf deren Richtigkeit durch kritische Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Fakten überprüft. Auch habe er keine Publikationen zu Rate gezogen. Umstände, die er zu seinen Gunsten hätte bewerten müssen, habe er umgangen. Das Gutachten weise an zahlreichen Stellen Mängel auf.

Demgegenüber hat die Beklagte die Ansicht vertreten, dass keine hinreichenden Gründe bestünden, die eine Besorgnis der Befangenheit des medizinischen Sachverständigen ausreichend begründen könnten.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) ist unbegründet.

Die Beschwerde betrifft ausweislich der Beschwerdeschrift vom 16. Dezember 2009 nur die Zurückweisung des Antrags auf Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. und nicht darüber hinaus die des Antrags auf Beeidigung gemäß § 118 Abs. 2 SGG.

Nach § 118 Abs. 1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der ZPO anzuwenden. Nach § 406 Abs. 2 S. 1, 411 Abs. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen - zu einem späteren Zeitpunkt nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne sein Verschulden erst zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen konnte. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn erst aus dem schriftlich abgefassten Gutachten der Ablehnungsgrund ersichtlich wird. In diesem Fall endet die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht den Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten eingeräumt hat. Zweck dieser Regelung ist die Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens.

Das mit Schriftsätzen vom 12. und 18. Oktober 2009 eingereichte Ablehnungsgesuch ist verspätet eingegangen, soweit es das Vorbringen des Beschwerdeführers betrifft, der Sachverständige gehöre zum Kreis der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgeschlagenen Gutachter. Dies war dem Kläger bereits bei Zugang der Beweisanordnung bekannt und hätte deshalb innerhalb von zwei Wochen nach Verkündung bzw. Zustellung des Beschlusses über die Ernennung vorgebracht werden müssen. Ein aktenmäßig erstmaliges Vorbringen im Oktober 2009 ist damit ausgeschlossen. Zweck dieser Fristenregelung ist, bei begründeten Zweifeln die Erstellung eines Gutachtens zu vermeiden, das nicht in die Urteilsfindung einfließen kann und das damit unnütze Kosten und Zeit verursachen würde. Der Kläger kann deshalb nicht abwarten, ob sich seine Zweifel durch das Gutachtensergebnis "verdichten".

Darüber hinaus begründet der Beschwerdeführer das Ablehnungsgesuch jedoch noch mit weiteren Gründen wie "Inkompetenz", vorsätzlichem Handeln zu seinem Nachteil, sachlichen Mängeln des Gutachtens und einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Gutachters von der Beklagten. Insoweit ergeben sich diese Gründe erst aufgrund des vorgelegten Gutachtens, so dass der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit insoweit zulässig, jedoch unbegründet ist.

Konkrete Anhaltspunkte für eine wirtschaftliche Abhängigkeit oder Verstrickung zwischen dem Sachverständigen und der Beklagten bestehen nicht. Es existiert, wie Prof. Dr.
Dr. B. in seiner Stellungnahme zu dem Antrag dargelegt, zwar eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Instituten. Dies ist bei Beauftragung eines Hochschullehrers, auch nach dessen Emeritierung, jedoch eine häufige Gegebenheit, die jedoch grundsätzlich nicht für eine Befangenheit, sondern für eine erweiterte Kompetenz des Gutachters spricht. Eine Abhängigkeit oder wirtschaftliche Verbundenheit des vom Gericht beauftragten Gutachters mit der Beklagten ist nicht ersichtlich und wird sowohl vom Sachverständigen als auch von der Beklagten zurückgewiesen. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass selbst wenn ein Sachverständiger einer von einer Berufsgenossenschaft getragenen Organisation angehörte, dies als Ablehnungsgrund nicht ausreicht (so auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 118 Rdnr. 12 k mit weiterem Nachweis).

Soweit der Beschwerdeführer auf eine angebliche Inkompetenz des Gutachters verweist und den Ablehnungsantrag damit begründet, dass das Gutachten inhaltlich oberflächlich, unkritisch oder sachlich nicht zutreffend sei, rechtfertigen derartige Gründe für sich allein nicht die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit. Eventuelle Unzulänglichkeiten dieser Art treffen beide Parteien und können lediglich dazu führen, die Rechte des Prozessrechts in Anspruch zu nehmen, insbesondere ein neues Gutachten einzuholen (vgl. § 412 ZPO). Derartige Mängel eines Gutachtens können allenfalls ein Gutachten entwerten. Die inhaltliche Bewertung des Gutachtens obliegt dem entscheidenden Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) und kann nicht in ein Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit vorgezogen werden.

Mit dem Vorwurf, der Sachverständige habe vorsätzlich zum Nachteil des Beschwerdeführers agiert, bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung. Hierfür gibt es weder inhaltliche noch sonstige Anhaltspunkte.

Das Sozialgericht hat damit zutreffend den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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