L 9 KR 42/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 12 KR 16/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 42/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 8. Februar 2010 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten für das Verfahren vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht zu erstatten.

Gründe:

Nachdem die Antragsgegnerin die Kosten für die Beschaffung eines Pulsoximeters mit Schriftsatz vom 26. Februar 2010 übernommen und die Beteiligten die Beschwerde insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, richtet sich die Beschwerde des Antragstellers nur noch gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus, soweit dieses mit seinem Beschluss vom 8. Februar 2010 eine Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung abgelehnt hat, den Antragsteller vorläufig mit einer Rufklingel mit Alarmerweiterung Viso Step II der Firma I GmbH (angegebene Kosten 2.171,75 EUR) zu versorgen.

Die insoweit gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist unbegründet. Es spricht schon vieles dafür, dass es an einem Anordnungsanspruch für die Versorgung des Antragstellers mit der streitigen Rufklingel i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG fehlt; jedenfalls lässt sich aber derzeit kein Anordnungsgrund nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für die streitige Kostenübernahme erkennen.

1.) Für die hier begehrte ambulante Versorgung des Antragstellers mit der Rufklingel nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) ist gemäß §§ 15 Abs. 1 Satz 2, 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V eine vertragsärztliche Verordnung erforderlich, deren Vorliegen bisher nicht festzustellen ist, weil die Rufklingel bisher lediglich von den den Antragsteller behandelnden Krankenhausärzten verordnet worden ist. Dass diese zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen einer Zulassung oder Ermächtigung berechtigt waren, ist weder aus den Verordnungen noch sonst erkennbar.

2.) Unbeschadet hiervon ist der Antragsteller nach der Bewilligung des Pulsoximeters durch die Antragsgegnerin nach seinem eigenen Vorbringen zum Einen mit Hilfsmitteln (Pulsoximeter und Beatmungsgerät) versorgt, die einen Gerätealarm auslösen, wenn die Sauerstoffsättigung des Blutes unter einen tolerablen Grenzwert absinkt oder wenn es zu einer die Beatmung gefährdenden Ansammlung von Lungensekret kommt. Zum anderen hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V bewilligt, die eine 24stündige Krankenbeobachtung mit Überwachung der Vital- und Beatmungsparameter, endotracheales Absaugen bei Notwendigkeit zur Sicherung der Atmung, TK-Wechsel, Tracheostomaversorgung, Verbandswechsel, Medikamentengaben und PEG-Versorgung sicherstellt. Damit ist der Antragsteller derzeit ausreichend versorgt.

3.) Dem kann er nicht entgegenhalten, dass die bewilligten Pflegekräfte sich nicht oder jedenfalls nicht überwiegend in seinem Aufenthaltsraum aufhielten und der Gerätealarm so leise gestellt sei, dass die Pflegekräfte ihn in ihrem Aufenthaltsraum oder auf der Toilette nicht hören könnten. Zu Recht hat die Antragsgegnerin hierzu in ihrem Schriftsatz vom 2. März 2010 darauf hingewiesen, dass sie eine 24-Stunden-Intensiv-Behandlungspflege mit jederzeitiger Interventionsmöglichkeit bewilligt habe, die eine ganztägige kontinuierliche Beobachtung des Antragstellers umfasse. Dazu gehört, dass die jeweilige Pflegekraft sich sowohl tagsüber als auch nachts grundsätzlich im selben Raum wie der Antragsteller aufhalten muss und diesen während ihrer Schicht nur aus Gründen verlassen darf, die mit der Behandlungspflege vereinbar oder aus persönlichen Gründen unerlässlich sind; zumindest in dieser Zeit ist es sowohl dem Antragsteller als auch der Pflegekraft - jedenfalls bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren - zuzumuten, den Gerätealarm so laut einzustellen, dass er von der Pflegekraft auch außerhalb des Aufenthaltsraumes des Klägers gehört werden kann. Dass dies technisch nicht möglich ist, lässt sich weder dem Vorbringen des Antragstellers noch der Hilfsmittelverordnung des Chefarztes des Behandlungszentrums für Rückenmarkverletzte Dr. N im Unfallkrankenhaus Berlin vom 25. Januar 2010 entnehmen. Aus dessen Stellungnahme geht im Gegenteil hervor, dass die Alarme der Geräte so eingestellt werden können, dass sie auch in Nebenräumen noch gehört werden können; eine dauerhafte Einstellung der vollen Lautstärke der Alarme sei nur deshalb nicht angezeigt, weil die meisten Alarme durch Kleinigkeiten ausgelöst würden oder Fehlalarme seien und deshalb regelrechte Panikattacken bei dem Beatmeten auslösen könnten. Dem kann allerdings dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Einstellung der Geräte auf volle Lautstärke nur bei dem kurzzeitigen und vorübergehenden Aufenthalt der Pflegekraft in einem Nebenraum erfolgt. Insoweit irrt der Antragsteller, wenn er meint, die Pflegekräfte seien zur Zubereitung seiner Nahrung, der Reinigung der Wohnung und der Entsorgung des Mülls zuständig und müssten deshalb seinen Aufenthaltsraum häufig verlassen. Denn Hilfen bei den genannten Tätigkeiten sind nicht Bestandteil der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V. Ob es den Pflegekräften zuzumuten sei, nachts im Dunkeln neben dem Bett des Antragstellers zu sitzen, oder solche Pflegebedingungen für die Pflegekräfte arbeitsrechtlich zu beanstanden seien, wie der Antragsteller meint, ist im vorliegenden Verfahren ohne rechtliche Relevanz. Denn zum einen ist nicht ersichtlich, warum die Bedingungen, unter denen im Krankenhaus eine mit der ständigen Beobachtung eines Patienten beauftragten Sitzwache nachts tätig ist (abgedunkelter Raum mit schwachem Licht, das ein gefahrloses Bewegen im Zimmer ermöglicht), nicht auch im ambulanten Bereich für die Pflegekraft und den Antragsteller zumutbar sein sollen. Zum anderen sind Hilfsmittel, die dieser von der Antragsgegnerin zusätzlich zur Pflege fordert, nicht dazu da, annehmbare Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte zu gewährleisten. Vielmehr ist es Aufgabe des von der Antragsgegnerin oder dem Antragsteller beauftragten Pflegeunternehmens, die Pflege so zu organisieren, dass die für den Antragsteller erforderlichen und bewilligten Pflegeleistungen unter Beachtung des Arbeitsrechts und der beachtlichen Interessen der Pflegekräfte ohne Störung der Pflege erbracht werden können. Dazu gehört auch, dass Telefonate zur Dienstplanorganisation, mit Sanitätshäusern, Apotheken und Ärzten auf das Notwendige beschränkt werden, zumal sie unter Verwendung eines Mobiltelefons regelmäßig auch aus dem Aufenthaltsraum des Antragstellers vorgenommen werden können.

Eine Anrechnung von Pflegeleistungen nach dem SGB XI findet – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – nach dem dem Senat mitgeteilten Sachverhalt derzeit nicht statt, da eine Pflegekraft noch gar nicht bewilligt ist. Eine Anrechnung wäre aber rechtlich auch ausgeschlossen, da Pflegekräfte, die mit der 24-stündigen Behandlungspflege des Antragstellers an dessen Krankenbett beauftragt sind, selbstverständlich nicht gleichzeitig Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung – wie vom Antragsteller offensichtlich gewünscht – übernehmen können.

4.) Der Senat verkennt nicht, dass der gesundheitliche Zustand des Antragstellers nach dem Entlassungsbericht des Unfallkrankenhauses Berlin vom 5. Januar 2010 im Hinblick auf die bei ihm bestehende Mulitimorbidität schnellen und gravierenden Veränderungen unterworfen sein kann; deshalb schließen die vorgenannten Erwägungen im vorliegenden Verfahren derzeit nur das für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche eilige Regelungsbedürfnis mit Sicherheit aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller den begehrten Pulsoximeter bewilligt hat, auf den er nach den vorstehenden Ausführungen auch einen im Wege der einstweiligen Anordnung sicherungsfähigen Anspruch besessen haben dürfte. Deshalb war sie - bei ungefähr gleich hohen Kosten der ursprünglich begehrten Hilfsmittel - zur Übernahme der Hälfte der außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu verpflichten.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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