S 12 KA 808/09

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 808/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 67/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Zulassungsgremien sind gegenüber einem vor dem 01.01.2007 bestandskräftig zugelassenen Medizinischen Versorgungszentrum nicht berechtigt, eine Verpflichtung zur Vorlage von selbstschuldnerischen Bürgschaften durch ihre Gesellschafter, verbunden mit der Androhung des Widerrufs der Zulassung für den Fall der Nichtabgabe, auszusprechen.
Jedenfalls dann, wenn die Zulassungsgremien in der Vergangenheit eine solche Erklärung verlangt haben und ein Verlangen für die Zukunft nicht ausschließen, ist eine Feststellungsklage zulässig.
1. Es wird festgestellt, dass für die Teilnahme der Klägerin an der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne von § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht Voraussetzung ist, dass ihre Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen im Sinne von § 95 Abs. 2 S. 6 SGB V für Forderungen von Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen abgeben.

2. Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 9) haben jeweils zu 1/3 der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten und die Gerichtskosten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass für ihre Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht Voraussetzung ist, dass ihre Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen für Forderungen von Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen abgeben.

Die Klägerin ist ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in der Rechtsform einer GmbH. Sie ist seit 01.01.2006 als MVZ zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie hat zwei Gesellschafter. Die AAT.Kliniken gGmbH ist eine gemeinnützige GmbH.

Bereits unter Datum vom 02.04.2007 forderte der Zulassungsausschuss die Klägerin zur Einreichung einer selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärung der Gesellschafter binnen zwei Monaten auf. Die Klägerin reichte unter Datum vom 04.06.2007 die Erklärung unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung ein.

Der Zulassungsausschuss gab ferner mit Beschluss vom 24.04.2007 (Beschlussausfertigung am 29.05.2007) dem Antrag der Klägerin auf Bestellung des Herrn Dr. med. AB zum ärztlichen Leiter statt. Die Genehmigung erfolgte unter der aufschiebenden Bedingung, dass eine selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung der Gesellschafter bis 05.06.2007 vorgelegt werde. Mit weiterem Beschluss vom 24.04.2007 (Beschlussausfertigung am 29.05.2007) stellte der Zulassungsausschuss fest, dass die Gemeinschaftspraxis A-Straße GbR als Mitgesellschafter in das A. eintrete. Auch diese Genehmigung erfolgte unter der aufschiebenden Bedingung, dass eine selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung der Gesellschafter bis 05.06.2007 vorgelegt werde. Gegen beide Beschlüsse läuft ein Widerspruchsverfahren.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gab mit Beschluss vom 30.01.2007 (Beschlussausfertigung am 02.04.2007) dem Antrag der Klägerin auf Übernahme eines Vertragsarztsitzes in B-Stadt statt. Am Ende der Begründung heißt es, die Zulassung des MVZ sei zu widerrufen, sofern die gem. § 95 Abs. 2 SGB V erforderliche selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen für Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und der Krankenkassen gegen das medizinische Versorgungszentrum aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses vorgelegt werde.

Gegen den Beschluss legte die Klägerin am 23.04.2007 Widerspruch ein. Sie wandte sich gegen die Befristung der Nachbesetzung und die Befristung der Einstellung eines weiteren Arztes bei Reduktion der Arbeitszeit sowie gegen die Aufforderung zur Vorlage einer Bürgschaftserklärung, da das MVZ vor dem 01.01.2007 gegründet worden sei. Die nachträgliche Forderung nach einer Bürgschaft stelle einen enteignungsgleichen Eingriff dar.

Die Beigeladene zu 1) teilte mit Schriftsatz vom 18.06.2007 mit, dass sich die Notwendigkeit zur Vorlage einer selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärung nicht nur für MVZ ergebe, die nach dem 01.01.2007 gegründet worden seien. Die Forderung stelle ein milderes Mittel im Vergleich zur Zulassungsentziehung dar.

Mit Beschluss vom 20.06.2007, ausgefertigt am 11.09.2007, änderte der Berufungsausschuss die Frist zur Nachbesetzung auf sechs Monate ab. Ferner bestimmte er, dass die übrigen Bestimmungen des angefochtenen Beschlusses unverändert blieben; den Widerspruch wies er insoweit zurück. Zur Begründung führte er u. a. aus, der Widerspruch sei zulässig. Ein Widerspruch sei auch dann möglich, wenn die angegriffene Regelung sich nicht in der Tenorierung des angefochtenen Verwaltungsaktes unmittelbar befinde, sondern lediglich in der Begründung desselben. Dies gelte für die im Beschluss ausgesprochene Verpflichtung zur Beibringung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft. Diese Nebenbestimmung sei zulässig. Dem Gesetzgeber sei es unbenommen, für die Gründung von MVZ neue Gründungsvoraussetzungen zu schaffen, die bei Inkrafttreten Wirkung auch für bereits gegründete MVZ gelten würden. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X könne bei einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufgehoben werden. Von daher bestünden keine Bedenken, bei Schaffung neuer Gründungsvoraussetzungen diese auch für bereits in Betrieb befindliche MVZ zu fordern. Wenn statt der Aufhebung der Genehmigung mit der Möglichkeit eines Neuantrags eine Auflage mit Widerrufsvorbehalt gewählt werde, begegne dies keinen rechtlichen Bedenken.

Am 14.09.2007 erhob die Klägerin zum Az.: S 12 KA 395/07 die Klage, die sie ausdrücklich auf die Bestimmung zur Bürgschaftserklärung beschränkte. Sie trug vor, die angegriffene Bestimmung sei selbständig anfechtbar. Als Adressatin, die zur Vorlage verpflichtet werde, sei sie beschwert. Eine rückwirkende Geltung hätte der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmen müssen. § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Anwendung für bereits bestehende MVZ unterbleibe. Andernfalls würde eine unzulässige Rückwirkung bestehen. Der Zulassungsstatus könne nicht rückwirkend entwertet werden. Wegen der Spezialität des § 95 Abs. 6 SGB V könne § 48 SGB X nicht angewandt werden. Es bestehe ein Zwang zum Ausscheiden der Gesellschafter, wodurch sie beschwert sei. Für ihre Gesellschafterin AAT.Kliniken gGmbH bestehe die Gefahr, die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Auch die weitere Gesellschafterin könne sich nicht im Hinblick auf die Höhe und den Zeitpunkt der Inanspruchnahme unkalkulierbare Haftungsrisiko schützen. Die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sei ihr als Freiberufler-GbR generell nicht möglich. Eine überfordernde Bürgschaft sei auch sittenwidrig. Die Klägerin beantragte, den Beschluss des Beklagten insoweit aufzuheben, als darin die im angefochtenen Beschluss des Zulassungsausschusses vom 30.01.2007 ihr gegenüber ausgesprochene Verpflichtung zur Vorlage von selbstschuldnerischen Bürgschaften durch ihre Gesellschafter, verbunden mit der Androhung des Widerrufs der Zulassung für den Fall der Nichtabgabe, nicht aufgehoben wird und den Beklagten zu verpflichten, diese Verpflichtung nebst damit verbundener Androhung des Widerrufs der Zulassung aufzuheben.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Er trug unter Verweis auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss im Übrigen vor, die Anwendung des § 48 SGB X scheitere nicht an der Spezialität der vertragsärztlichen Vorschriften über Entziehung und Beendigung der Zulassung, hier des § 95 Abs. 6 und 7 SGB V. Die Sperrwirkung könne jedoch nur insoweit eintreten, wie in den Spezialregelungen abschließende Festlegungen getroffen werden. In der von der Klägerin zitierten Entscheidung des BSG vom 05.02.2003, Az: B 6 KA 22/02 werde deutlich gemacht, dass die weiterreichenden Regelungen des Vertragsarztrechtes in § 95 Abs. 6 SGB V sogar dann zum Zuge kommen könnten, wenn nach den Regeln des allgemeinen Sozialverwaltungsrechts, wie sie im SGB X niedergelegt seien, keine Handlungsmöglichkeit bestehe. Zur Frage, ob und inwieweit nach Einführung neuer Gründungsvoraussetzungen für Medizinische Versorgungszentren die neuen Bestimmungen auch auf bereits bestehende Medizinische Versorgungszentren anzuwenden seien, enthielten die Spezialbestimmungen des Vertragsarztrechtes keine Regelungen. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung der neuen Gründungsvoraussetzungen auch keine Übergangsbestimmungen erlassen. Es spreche alles dafür, dass das Schweigen des Gesetzgebers zur Frage der Geltung der neuen Regelungen auch für bereits bestehende Medizinische Versorgungszentren dahingehend zu interpretieren sei, dass die allgemeinen Regelungen des SGB X anzuwenden seien. Es sei schlechthin nicht nachzuvollziehen, weshalb bei identischer Interessenlage bereits bestehende Medizinische Versorgungszentren gegenüber neu gegründeten Medizinischen Versorgungszentren dahingehend privilegiert werden sollten, dass sie die streitbefangenen Bürgschaftserklärungen nicht beibringen sollen. Dem Gesetzgeber sei es unbenommen, für die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren neue Gründungsvoraussetzungen zu schaffen, die bei ihrem In-Kraft-Treten Wirkung auch für bereits gegründete und zugelassene Medizinische Versorgungszentren entfalteten. Insofern bestünden im Hinblick auf die eindeutige Regelung des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X keinerlei Bedenken, bei Schaffung neuer Gründungsvoraussetzungen für Medizinische Versorgungszentren durch den Gesetzgeber die Einhaltung dieser Voraussetzungen auch von bereits in Betrieb befindlichen und zugelassenen Medizinischen Versorgungszentren zu fordern. Eine nachträgliche Auflage sei das wesentlich günstigere, schnellere und einfachere Mittel zur Erreichung des gesetzgeberisch normierten Auftrages, das bereits aus Verhältnismäßigkeitsgründen zu wählen sei. Es werde nicht in einen möglicherweise bestehenden Bestandsschutz des Medizinischen Versorgungszentrums oder seiner Gesellschafter eingegriffen. Ebenso wenig liege eine unzulässige Rückwirkung vor. Im Falle der Entziehung der kassenärztlichen Zulassung des Medizinischen Versorgungszentrums wegen der Nicht-Beibringung der selbstschuldnerischen Bürgschaft würde die kassenärztliche Zulassung nicht mit ex-tunc-Wirkung entfallen, sondern lediglich mit Wirkung für die Zukunft. Auch werde nicht in bestehende Rechtspositionen des Medizinischen Versorgungszentrums eingegriffen, da lediglich verlangt werde, dass unstreitige Rückforderungsansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung oder der Krankenkassen aus vertragsärztlicher Tätigkeit abgesichert werden. Bei der Verpflichtung zur Beibringung selbstschuldnerischer Bürgschaften gemäß § 95 Abs. 2 S. 6 SGB V handele es sich um Gründungsvoraussetzungen, deren Einhaltung nicht im Ermessen der Zulassungsgremien liege. Die Zulassungsgremien hätten keinerlei Spielräume, auf die Beibringung der Bürgschaftserklärungen zu verzichten. Deshalb bedürfe es auch grundsätzlich keines weiteren Eingehens auf die von der Klägerin vorgetragenen eigenen Rechtsbeeinträchtigungen bzw. diejenigen ihrer Gesellschafterinnen, da es hierauf bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Auflage nicht ankomme. Die behauptete Gemeinnützigkeitsfeindlichkeit der verlangten Bürgschaftserklärung käme auch dann zum Tragen, wenn das MVZ der Klägerin erst nach dem 01.01.2007 gegründet und zugelassen worden wäre. Die Bürgschaftsverbindlichkeit sei auf keinen Fall höher als in einer Fallgestaltung, in welcher die Gesellschafterin der Klägerin selbst vertragsärztlich tätig geworden wäre. Sittenwidrigkeit werde regelmäßig nur dann angenommen, wenn eine Überforderung rechtsunkundiger und/oder mittelloser Bürgen zu gewärtigen sei. Beide Fallgestaltungen könnten im vorliegenden Sachzusammenhang in keiner Weise angenommen werden. Soweit die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns und die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein in Altfällen auf die Beibringung selbstschuldnerischer Bürgschaftserklärungen verzichtet hätten, sei die dort geäußerte Rechtsauffassung weder für die Kassenärztliche Vereinigung Hessen noch für den Beklagten verbindlich.

Am 16.10.2007 hat die Klägerin zum o. g. Az.: S 12 KA 435/07 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die Subsidiarität der Feststellungsklage stehe der Zulässigkeit nicht entgegen. Der Subsidiaritätsgrundsatz gelte nicht bei Feststellungsklagen gegenüber juristischen Personen. Die Klägerin könne auch nicht die Rückgabe der Bürgschaften beanspruchen, da sie nicht zur Vorlage der Bürgschaften verpflichtet sei. Sie habe ein besonderes persönliches Feststellungsinteresse, weil die Abgabe der Bürgschaftserklärung zu einem persönlichen Haftungsrisiko der Gesellschafter führe, was durch die spezifische Rechtsformwahl aber ausgeschlossen werden solle. Es bestehe auch eine Wiederholungsgefahr. Eine Bürgschaftserklärung könne auch von ihr nicht verlangt werden. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 02.04.2007 eine Bürgschaftserklärung verlangt. Im Parallelverfahren unter dem Aktenzeichen S 12 KA 395/07 sei hingegen ein Verwaltungsakt Gegenstand der Anfechtung. Von daher bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Auch richte sich das Verfahren unter Aktenzeichen S 12 KA 395/07 gegen den Berufungsausschuss. In jenem Verfahren gehe es um die Aufhebung einer Nebenbestimmung, im vorliegenden Verfahren um das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. § 48 SGB X scheide als Rechtsgrundlage aus. Anzuwenden wäre stattdessen die spezielle Vorschrift des § 95 Abs. 6 SGB V. Eine rückwirkende Anwendung des Bürgschaftserfordernisses sei aber im Lichte der einschlägigen Grundrechte und des Vertrauensschutzes nicht zulässig.

Der Beigeladene zu 9) trägt vor, sollte wider Erwarten der Anfechtungsklage unter dem Aktenzeichen S 12 KA 395/07 stattgegeben werden, ohne dass die Frage der Zulässigkeit der nachträglichen Einforderung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft der Gesellschafter eines in der rechtlichen Form einer juristischen Person des Privatrechts geführten MVZ, welches vor dem 01.01.2007 gegründet worden sei, entschieden werde, könne die Klägerin ohne weiteres erneut rechtliche Schritte einleiten, da nach Abschluss des genannten Verfahrens dieses keine Sperrwirkung mehr entfalten könne. Der Beigeladene zu 9) hat ferner im Einzelnen dargelegt, weshalb auch er auch in diesem Verfahren der Auffassung ist, dass die Klage materiell rechtlich unbegründet sei.

Auf Antrag der Beteiligten hat die Kammer mit Beschluss vom 07.03.2008 das Ruhen des Verfahrens beschlossen.

Nach dem stattgebenden Urteil der Kammer v. 12.12.2007 - S 12 KA 395/07 – wies LSG Hessen, Urt. v. 04.11.2009 – L 4 KA 10/08 – die Berufung mit der Maßgabe zurück, dass die mit der Androhung des Widerrufs der Zulassung verbundene Auflage, nach der die Kl. zur Vorlage selbstschuldnerischer Bürgschaften ihrer Gesellschafter verpflichtet wird, aufgehoben wird. Das LSG war der Auffassung, dass es sich bei der Verpflichtung eines MVZ zur Vorlage von Bürgschaftserklärungen, die mit der Androhung der Entziehung der Zulassung verbunden wurde, um eine einem Verwaltungsakt beigefügte selbständige, belastende Nebenbestimmung handelt und Nebenbestimmungen unzulässig sind, die mit dem Verwaltungsakt in keinem sachlichen (inneren) Zusammenhang stehen und es an einem solchen inneren Zusammenhang fehlt bei einer Verpflichtung zur Vorlage einer Bürgschaftserklärung bei einer Entscheidung über die Übernahme eines weiteren Vertragsarztsitzes durch ein MVZ. Ist die Zulassung als Hauptverwaltungsakt bereits bestandskräftig, so ist eine einschränkende Änderung der bestandskräftigen Zulassungsentscheidung erforderlich nach §§ 44 ff. SGB X. Fehlt es hieran, so bedarf es keiner Entscheidung, ob die Zulassungsgremien berechtigt sind, auch von MVZ, die bereits vor dem 01.01.2007 bestandskräftig zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, die Vorlage selbstschuldnerischer Bürgschaftserklärungen nach § 95 Abs. 2 Satz 6 SGB V zu verlangen, oder ob in diesem Fall ein nach verfassungsrechtlichen Maßstäben unzulässiger, rückwirkender Eingriff in die bestandskräftige Zulassung im Sinne eines vollständig abgeschlossenen Sachverhalts gegeben ist.

Hierauf hat die Klägerin das Verfahren am 09.11.2009 zum o. g. Az. S 12 KA 808/09 wieder aufgerufen.

Die Klägerin trägt weiter vor, sie behalte sich die Erweiterung der Klage auf eine Herausgabeklage vor. Sie habe den Beklagten mit gleicher Post aufgefordert, die erteilten Bürgschaften herauszugeben. Der angegriffene Bescheid des Beklagten sei nach wie vor in der Welt, so dass der Beklagte prinzipiell aus dem Bescheid auch die Vorlage der Bürgschaft beanspruchen könne, zumindest wenn dieser Bescheid bestandskräftig würde. Der Beklagte habe auch bisher nicht zu erkennen gegeben, dass er seine bisher vertretene Rechtsposition aufgebe. Das streitige Rechtsverhältnis bestehe daher durchaus fort. Durch die Rückgabe der Bürgschaften, mithin also lediglich durch ein faktisches Handeln ohne Veränderung der rechtlichen Situation, sei keine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten.

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass für ihre Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne von § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht Voraussetzung ist, dass ihre Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen im Sinne von § 95 Abs. 2 S. 6 SGB V für Forderungen von Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen abzugeben.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 9) beantragen,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält eine weitere Stellungsnahme für nicht erforderlich, da er an der Rechtsauffassung festhalte, dass die Klage unzulässig sei. Im Schreiben vom 02.04.2007 sei nach wie vor kein Verwaltungsakt zu sehen, auch wenn die Klägerin von einem "angegriffenen Bescheid" spreche, aus dem er prinzipiell die Vorlage der Bürgschaften beanspruchen könnte, zumindest wenn dieser Bescheid bestandskräftig werden würde. Es handele sich um eine reine Vorbereitungshandlung gegen die eigenständige rechtliche Schritte nicht möglich seien. Insofern sei das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Eine Nachfrage bei der Beigeladenen zu 1) habe ergeben, dass diese an der Rechtsauffassung festhalte, wonach eine selbstschuldnerische Bürgschaft vorzulegen sei. Er halte dies für zutreffend. Ggf. sei ein Entziehungsverfahren durchzuführen, für das das Festsstellungsbegehren nur einen Teilaspekt darstelle. Das LSG habe sich gerade zur Frage zur Vorlagepflicht einer Bürgschaftserklärung nicht geäußert.

Der Beigeladene zu 9) trägt ergänzend vor, er sehe sich derzeit nicht in der Lage, abschließend zum Rechtsstreit Stellung zu nehmen, da ihm noch nicht das Urteil des hessischen Landessozialgerichts in schriftlicher Form vorliege. Er halte aber an seinen verfahrensrechtlichen Bedenken fest. Der Klägerin sei die Bürgschaft im Original zurückgereicht worden. Damit erscheine äußerst fraglich, ob noch ein Rechtsverhältnis existiere, welches rechtlich zu überprüfen sei.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 17.10.2007 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 26.05.2010 angehört.

Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.

Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Als Rechtsverhältnis werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm u. a. für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander ergeben (BVerwG, Urt. v. 23.01.1992, BVerwGE 89, S. 327, 329).

Die Beteiligten streiten um die Feststellung, ob für Teilnahme der Klägerin an der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne von § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V Voraussetzung ist, dass ihre Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaftserklärungen im Sinne von § 95 Abs. 2 S. 6 SGB V für Forderungen von Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen abgeben. Damit streiten sie letztlich auch um die Frage, ob die Zulassungsgremien berechtigt sind, solche Erklärungen von ihr zu verlangen. Damit liegt ein Rechtsverhältnis vor. Das Rechtsverhältnis ist auch hinreichend konkretisiert, da der Zulassungsstatus der Klägerin unmittelbar betroffen ist.

Die Klägerin kann auch nicht mehr auf die Durchführung eines Anfechtungsverfahrens verwiesen werden.

Soweit die Klage zunächst im Hinblick auf das Verfahren mit Az.: S 12 KA 395/07 unzulässig war, ist sie nach der Entscheidung des LSG und der Weigerung des Beklagten, zukünftig von der Vorlage der strittigen Bürgschaftserklärung abzusehen, zulässig geworden. Die Zulassungsgremien und die Beigeladene zu 1) haben mit dem gesamten Verwaltungsverfahren hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Pflicht zur Vorlage der strittigen Bürgschaftserklärung ausgehen. Trotz Anfragte der Kammer in der Verfügung vom 01.04.2010, ob zukünftig am Verlangen der Vorlage einer Bürgschaftserklärung festgehalten werden solle, hat der Beklagte an seiner bisherigen Rechtsauffassung ausdrücklich festgehalten. Die übrigen Beteiligten haben sich gar nicht geäußert.

Insofern hat die Klägerin nunmehr ein berechtigtes Interesse, die Frage gerichtlich klären zu lassen und kann ihr nicht zugemutet werden, ggf. erst eine Zulassungsentziehung hinzunehmen und erst gegen diese gerichtlich vorzugehen.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Kammer hat bereits im Urteil vom 12.12.2007 – S 12 KA 395/07 – juris = www.sozialgerichtsbarkeit.de = MedR 2008, 240 = KHR 2008, 132 = KRS 07.114 folgendes ausgeführt:

"Die Zulassungsgremien sind gegenüber der Klägerin nicht berechtigt, eine Verpflichtung zur Vorlage von selbstschuldnerischen Bürgschaften durch ihre Gesellschafter, verbunden mit der Androhung des Widerrufs der Zulassung für den Fall der Nichtabgabe, auszusprechen. Der Beklagte war daher zu verpflichten, diese Verpflichtung nebst damit verbundener Androhung des Widerrufs der Zulassung aufzuheben.

Der mit dem Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - VÄndG) v. 22.12.2006, BGBl I 2006, 3439 in § 95 Abs. 2 SGB V neu eingefügte Satz 6 bestimmt, dass die Gesellschafter als Zulassungsvoraussetzung selbstschuldnerische Bürgschaften abzugeben haben, um Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und der Krankenkassen abzusichern.

Nach der Gesetzesbegründung sollen kooperative Versorgungsformen, die in der Rechtsform einer juristischen Person organisiert sind, haftungsrechtlich den als Personengesellschaft organisierten kooperativen Organisationsformen (Gemeinschaftspraxis, MVZ in der Freiberuflervariante) in einem wichtigen Bereich gleichgestellt werden: Vertragsärzte, die als Einzelpersonen (Einzelpraxis) oder als Gesamthand (Berufsausübungsgemeinschaft) in vertragsarztrechtlichen Beziehungen zu einer KV und zu Krankenkassen stünden, hafteten persönlich für Ansprüche dieser Institutionen – sei es als Einzelperson allein, sei es gesamtschuldnerisch als Mitglied der Berufsausübungsgemeinschaft akzessorisch analog den §§ 128, 129 HGB mit ihrem Privatvermögen. Diese Haftungserstreckung müsse zum Schutze der Gemeinschaft der anderen in der KV durch Pflichtmitgliedschaft organisierten vertragsärztlichen Leistungserbringer und zum Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten auch für Rechtsansprüche von KVen und Krankenkassen gelten. So kämen z. B. für KVen Rückforderungsansprüche nach § 106 Abs. 5c SGB V und Ansprüche wegen – möglicherweise auch erst nach Auflösung des MVZ entdeckter – Falschabrechnungen in Betracht und für Krankenkassen Schadensersatzansprüche auf Grund eines – möglicherweise auch erst nach Auflösung des MVZ festgestellten – sonstigen Schadens (vgl. § 48 BMV-Ä) (vgl. BT-Drs. 16/2474, S. 21).

In der Bürgschaftserklärung muss sich jeder Gesellschafter als Selbstschuldner verbürgen (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Sie muss betragsmäßig unbegrenzt, unbefristet und unkündbar sein. Neu eintretende Gesellschafter haben ebf. eine Erklärung abzugeben. Verpflichtet gegenüber den Zulassungsgremien ist dann das MVZ. Ist Gesellschafter eine juristische Person, so ist diese bürgschaftspflichtig, nicht deren Gesellschafter. Die Haftung der Gesellschafter ist gesamtschuldnerisch (§ 769 BGB) (vgl. im Einzelnen Möller, MedR 2007, 266 ff.; Makoski/Möller, MedR 2007, S. 524 ff.; Schirmer, Anmerkungen der KBV zum VÄndG, 2007, S. 68 f.).

Die Vorschrift über die selbstschuldnerische Bürgschaft ist erst mit dem VÄndG zum 01.01.2007 in Kraft getreten (Art. 8 Abs. 1 VÄndG). Sie kann daher nicht auf zuvor zugelassene MVZ angewandt werden (vgl. Möller, MedR 2007, 267; Makoski/Möller, MedR 2007, S. 527; Pawlita in juris-PK SGB V, Online-Ausgabe, Stand: 01.08.2007, § 95 SGB V, Rn. 80; nicht eindeutig Schirmer, Anmerkungen der KBV zum VÄndG, 2007, S. 69.). Die Bürgschaftserklärung ist nur Zulassungsvoraussetzung. Ihre faktisch rückwirkende Geltung kann nicht über die Entziehung nach § 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V konstruiert werden. Soll die Bürgschaftserklärung für bereits bestehende MVZ eingeführt werden, bedarf es einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Ein entsprechender gesetzgeberischer Wille kann auch den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden, da in der zitierten Gesetzesbegründung hierzu jegliche Äußerungen fehlen.

Mit der Zulassung als MVZ wird der Status als Leistungserbringer festgestellt. Insofern werden auch die wesentlichen Zulassungsvoraussetzungen festgelegt, die für eine Entziehung nach § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V von Bedeutung sind. Der Zulassungsstatus als MVZ hat für die Gründer eigentumsgleiche Bedeutung. Mit Bestandskraft der Zulassungsentscheidung kann diese öffentlich-rechtliche Genehmigung nur auf der Grundlage eines formellen Gesetzes aufgehoben werden.

Dem Gesetzgeber ist es zwar nicht verwehrt, Rechten, die den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG genießen, einen neuen Inhalt zu geben. Dies schließt auch die Ermächtigung ein, die bisherige Rechtslage zu Lasten der betroffenen Eigentümer zu ändern. Der Gesetzgeber kann das Entstehen von Rechten, die nach früherem Recht möglich waren, für die Zukunft ausschließen, und Befugnisse, die bisher mit dem Recht verbunden waren, einschränken oder ganz aufheben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.12.1997 - 4 B 193/97 – juris Rn. 3 - Buchholz 11 Art 14 GG Nr. 317; BVerwG, Beschl. v. 03.12.1997 - 4 B 193/97 - juris Rn. 9 - Buchholz 11 Art 14 GG Nr. 317). Der Gesetzgeber unterliegt hierbei freilich besonderen verfassungsrechtlichen Schranken. Er hat die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Knüpft er bei einer Neuregelung an Sachverhalte an, die in die Vergangenheit zurückreichen, so hat er darüber hinaus auch dem Vertrauen Rechnung zu tragen, das die Betroffenen in den Fortbestand der überkommenen Ordnung setzen. Er muss zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit eine Abwägung vornehmen, die in einer möglichst schonenden Übergangsregelung ihren Niederschlag zu finden hat (BVerwG, Beschl. v. 03.12.1997 - 4 B 193/97 – aaO. m. w. N.).

Hier fehlt es aber bereits an einer gesetzlichen Grundlage und einem Übergangsrecht, wie mit den MVZ zu verfahren ist, die bereits vor Gesetzesänderung zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen waren. Dies kann auch nicht über den Umweg des Entziehungstatbestandes nach § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V erreicht werden, da die darin genannten Voraussetzungen der Zulassung bzw. Gründung diejenigen Voraussetzungen sind, die zum Zeitpunkt der Zulassung galten. Die Klägerin ist aber bereits vor dem 01.01.2007 gegründet worden, so dass von ihr ohne weitere gesetzliche Grundlage eine selbstschuldnerische Bürgschaft ihrer Gesellschafter nicht verlangt werden kann. Von daher kann ihr auch nicht die Entziehung angedroht werden."

An dieser Auffassung hält die Kammer nach nochmaliger Prüfung fest.

Von daher war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen zu 1) und 9) waren ebf. mit Kosten zu belasten, da sie eigene Anträge gestellt haben.

Die Streitwertsetzung erfolgte auf den gesetzlichen Grundlagen.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Mangels hinreichend konkreter Anhaltspunkte für den Wert der Bürgschaftserklärung war vom Regelstreitwert auszugehen. Dies ergab den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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