S 2 SO 109/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 109/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 06.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.06.2009 Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Erwerb und Einbau des AMF-Hubmatik-Linear-Rollstuhllifts zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau eines PKW.

Der 00.00.1991 geborene Kläger ist schwerstbehindert. Er leidet seit seiner Geburt an einer cerebralen Bewegungsstörung. Er ist nicht in der Lage, gezielte Bewegungen durchzuführen und sitzt im Rollstuhl. Seine Sprache ist sehr verwaschen und kaum zu verstehen. Er besucht als sogenanntes Integrationskind eine Gesamtschule. Dort steht ihm ein Sonderpädagoge als Integrationshelfer ausschließlich nur für ihn zur Verfügung, wodurch ihm als behindertem Menschen die Teilnahme am gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder ermöglicht wird.

Am 06.02.2008 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für einen Kfz-Umbau gemäß Kostenvoranschlag des Unternehmens G vom 09.11.2007. Es handelt sich um einen AMF-Hubmatik-Linear-Rollstuhllift für einen Ford Transit. Die Kosten betragen 8077,72 Euro. Mit Bescheid vom 06.03.2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Hilfe zur Beschaffung bzw. zum Umbau eines Kfz werde in angemessener Höhe gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kfz angewiesen sei. Der Hauptzweck, die Eingliederung in das Arbeitsleben, werde bei dem Kläger nicht erfüllt, da er noch Schüler sei. Die Fahrten zur Schule seien vom Schulträger zu organisieren. Für Fahrten zu Versorgungseinrichtungen sowie zur Teilnahme an kulturellen und sonstigen Veranstaltungen genüge die Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes oder die Nutzung eines Elektrorollstuhls. Für einzelne weitere Fahrten seien Taxi oder Leihwagen günstiger. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Aufgrund der bestehenden Spastik sei die Muskelkontrolle erheblich herabgesetzt. Zum Bewegen eines Elektrorollstuhls bedürfe es jedoch der Koordination und Muskelkontrolle. Er könne sich mit seinem Elektrorollstuhl lediglich mit erheblichem Zeitaufwand in einem Rahmen von ca. 50 Metern bewegen. Ohne den Umbau des PKW müsse er isoliert leben. Gemeinsame Ausflüge mit der Familie seien nicht möglich. Sein Lebensumfeld werde auf Wohnung, Garten und Schulräumlichkeiten beschränkt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Das Hilfsmittel sei nicht angemessen im Sinne der Eingliederungshilfeverordnung. Der Kläger sei auf ein Kraftfahrzeug mit dem beantragten Umbau nicht angewiesen. Das Verhältnis der aufzuwendenden Mittel sei zu dem angestrebten Ziel der besseren Eingliederung nicht angemessen. Die aufgezeigten Möglichkeiten seien kostengünstiger. Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 06.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.06.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Erwerb und Einbau des AMF-Hubmatik- Linear-Rollstuhllifts zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und wiederholt diese.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 06.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.06.2009 ist rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt. Der neunjährige Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Anschaffung und den Einbau des AMF-Hubmatik-Linear-Rollstuhllifts in den Wagen seiner Eltern.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 53 Abs. 1 SGB XII. Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 SGB IX unter anderem die Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 des SGB IX. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß § 55 SGB IX die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern ( ...). Leistungen nach § 55 Abs.1 SGB IX sind gemäß Abs. 2 insbesondere ( ...) gemäß dortiger Ziffer 7 Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Die nähere Ausgestaltung der Eingliederungshilfe ist in der EingliederungshilfeVO geregelt. Die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs gilt nach § 8 Abs. 1 EingliederungshilfeVO als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ( ...). Sie wird nach § 8 Satz 2 EingliederungshilfeVO in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben angewiesen ist. Unerheblich ist dabei, dass der Kläger selbst den Einstiegslift nicht bedienen und das Fahrzeug nicht steuern kann. Das liegt in der Natur der Kinder und würde zu einer Versagung von zahlreichen Hilfsmitteln für Kinder führen, die in vielen Lebensbereich und insbesondere bei jüngerem Alter vieles nicht ohne die Hilfe der Eltern machen können. Gerade unter dem Aspekt der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist hier vielmehr zu berücksichtigen, dass gerade im Kindesalter der Grundstein dafür gelegt wird, wie sich die Kinder später im Leben behaupten können. Dies betrifft zentral den Aspekt der Bildung, aber auch allgemein den Aspekt der körperlichen Entwicklung und den Aspekt der sozialen Kompetenz in dem Sinne, sich in eine Gemeinschaft von Menschen einfügen zu können, sich dort wohl zu fühlen und zu wissen, wie man sich gegenüber seinen Mitmenschen verhält. Gerade unter diesem Aspekt wäre es problematisch, wenn die Teilhabe am Gemeinschaftsleben auf ein Leben innerhalb der eigenen Wohnung beschränkt wäre. Gerade bei einem behinderten Kind entscheidet die Förderung der körperlichen und geistigen und sozialen Entwicklung maßgeblich darüber, wie seine weitere Zukunft verlaufen wird. Dies ist in die Abwägung der Angemessenheit einzustellen und zeigt sich auch besonders in dem Bemühen, als Integrationskind eine Regelschule zu besuchen. Zu einer Regelschule gibt es jedoch keinen auf die Belange von Behinderten abgestimmten Busliniendienst wie es etwa bei speziellen Schulen für körperbehinderte Schüler der Fall ist. Auch deshalb ist der Kläger auf den Einstiegslift angewiesen. Des Weiteren ist in die Abwägung einzustellen, dass Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hier ganz konkret auch bedeutet, dass der Kläger innerhalb seiner Familie möglichst wie jedes andere Familienmitglied "mitmachen" können soll. Er muss im Rahmen seiner Möglichkeiten am gesamten Familienleben, das erzieherisch und wirtschaftlich vernünftig denkende Eltern ihrer Familie im allgemeinen bieten, teilhaben können. Andernfalls wäre es nicht möglich, den Kläger in die Familie zu integrieren. Dazu gehört auch, dass der Kläger an Fahrten im Familienauto teilnehmen können muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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