L 2 AS 257/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 2 AS 1519/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 257/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bezug von Ausbildungsförderungsleistungen als Voraussetzung für den Unterkunftskostenzulschlag nach § 22 Abs. 7 SGB II
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufige Hilfe zum Lebensunterhalt während einer Ausbildung.

Der am ... 1985 geborene Antragsteller absolviert seit dem 1. September 2008 eine Ausbildung zum Gebäudereiniger, die bis Ende August 2011 dauern soll. Der Ausbildungsvertrag ist mit dem B B werk e. V. in H. abgeschlossen worden. Nach einer Ausbildungsbescheinigung beträgt die Ausbildungsvergütung im ersten Jahr monatlich 310,00 EUR, im zweiten Jahr monatlich 325,50 EUR und im dritten Ausbildungsjahr monatlich 341,78 EUR. Weiter bezieht der Antragsteller eine Halbwaisenrente, die seit dem 1. September 2009 in Höhe von 67,89 EUR monatlich gezahlt wird. Der Antragsteller lebt in einer von ihm angemieteten Wohnung; nach seinen Angaben beträgt die Grundmiete monatlich 136,19 EUR zuzüglich im Monat 61,63 EUR für Nebenkosten und 34,37 EUR für Heizkosten.

Einen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) lehnte die Bundesagentur für Arbeit (BA) gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 mit der Begründung ab, das anrechenbare Einkommen der Mutter sei so hoch, dass ein Anspruch auf BAB ausscheide.

Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 25. November 2008 gegenüber dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) mit der Begründung ab, er nehme an einer förderungsfähigen Ausbildung teil, so dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II ausgeschlossen sei.

Im Januar 2010 stellte der Antragstellter bei der Antragsgegnerin einen neuen Leistungsantrag auf Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts bzw. auf einen Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 7 SGB II. Die Antragsgegnerin lehnte Leistungen mit Bescheiden vom 17. Februar 2010 ab. Hiergegen erhob der Antragsteller am 23. Februar 2010 Widerspruch, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 zurückwies. Der Kläger hat bereits am 23. März 2010 beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit den Ziel gestellt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Er hat vorgetragen: Unter Berücksichtigung seiner Wohnungskosten und weiterer Kosten wie für die Hausrat- und Haftpflichtversicherung, für Telefon und Fahrkosten verblieben keine ausreichenden Mittel für den Lebensunterhalt. Er verfüge auch nicht über Rücklagen.

Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin hat der Antragsteller am 12. April 2010 Klage beim SG erhoben (Aktenzeichen S 2 AS 1932/10).

Weiter hat der Antragsteller beim SG eine Klage gegen die BA erhoben (Aktenzeichen S 4 AL 174/10), die auf einen Neuantrag des Antragstellers hin die Bewilligung von BAB wiederum abgelehnt hat (mit Bescheid vom 8. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2010). Zur Begründung für die Ablehnung hat die BA ausgeführt: Beim Antragsteller ergebe sich nach den Vorschriften des SGB III ein monatlicher Gesamtbedarf von 602,20 EUR. Dem stehe ein um die Sozialpauschale bereinigtes Einkommen des Antragstellers von monatlich 334,75 EUR gegenüber. Das bereinigte Einkommen der Mutter werde zu 50% in Höhe von 602,23 EUR monatlich angerechnet. Die Anrechnungsbeträge überstiegen den Gesamtbedarf.

Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG mit Beschluss vom 12. Mai 2010 als unbegründet abgewiesen und ausgeführt: Der Antragsteller sei von den Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen. Ein Härtefall, in dem nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II darlehensweise Leistungen erbracht werden könnten, liege nicht vor. Ein Anspruch auf die Gewährung eines Zuschusses zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft sei nicht gegeben, da hierfür eine Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bzw. die Gewährung von BAB vorausgesetzt werde. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung teile das Gericht nicht. Die Regelung habe die Funktion, die Ausbildungsförderung zu ergänzen und sei infolge dessen von dem tatsächlichen Bezug der Ausbildungsförderungsleistungen abhängig.

Gegen diesen ihm am 25. Mai 2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 8. Juni 2010 Beschwerde erhoben und vorgetragen: Dass § 22 Abs. 7 SGB II dem Wortlaut nach auf den tatsächlichen Bezug der Ausbildungsförderung abstelle, sei verfassungsrechtlich bedenklich. Denn für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II reiche der grundsätzliche Anspruch von Ausbildungsförderungsleistungen aus.

Auf Nachfrage des Berichterstatters hat der Antragsteller eine Erklärung seiner Mutter vorgelegt, worin diese ausführt, an ihn monatlich 200,00 EUR Unterhalt zu zahlen und dass höhere Zahlungen nicht möglich seien. Weiter hat der Antragsteller die Kopie eines Bescheides der Stadt H ... - Wohngeldstelle - vom 16. Juli 2010 vorgelegt, mit dem sein Antrag auf Wohngeld abgelehnt worden ist. Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt: Wohngeld scheide aus, weil Ausbildungsförderungsleistungen dem Grunde nach zustünden. Dass der Höhe nach kein Anspruch auf die Ausbildungsförderung bestehe, sei für den Ausschluss unbeachtlich.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 12. Mai 2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf die den Beschluss tragenden Gründe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht im Sinne des § 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Satz 1 SGG, wonach die Beschwerde ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre, greift nicht ein. Bei einer vollständigen Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II, ist der streitige Leistungszeitraum nicht auf die Regelbewilligungsdauer von sechs Monaten beschränkt. Zudem würde sich auch bei einer Beschränkung des Zeitraums, für den die Verpflichtung ausgesprochen wird, auf sechs Monate ein Betrag ergeben, der über dem für die Berufung notwendigen Beschwerdewert von über 750,00 EUR liegt. Zwar hat der Antragsteller seinen Antrag nicht beziffert. Es ist aber bei Auslegung seines Begehrens davon auszugehen, dass er Leistungen von monatlich gerundet etwa 130,00 EUR (Regelleistung nach dem SGB II von monatlich 345,00 EUR zuzüglich Wohnkosten von monatlich 232,19 EUR abzüglich eines nach Abzug von Freibeträgen anzurechnenden Einkommens aus der Ausbildungsvergütung von 180,40 EUR, der Halbwaisenrente von monatlich 67,89 EUR und eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 200,00 EUR) begehrt. Dies ergibt auf sechs Monate bezogen einen Betrag von 780,00 EUR.

Die Beschwerde ist aber unbegründet.

Der Erlass der von dem Antragsteller begehrten vorläufigen Anordnung beurteilt sich nach § 86b Abs. 2 SGG.

Nach § 86b Abs. 2 SGG ist das Begehren des Antragstellers als auf eine Regelungsanordnung gerichteter Antrag statthaft, weil in der Hauptsache keine reine Anfechtungsklage zu erheben war. Das Begehren des Antragstellers ist auf (durch Verwaltungsakt zu bewilligende) Leistungen gerichtet, so dass statthafte Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 SGG ist. Das Gericht der Hauptsache kann dann gemäß § 86b Abs. 2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, weil sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend.

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO).

Hier scheidet ein Anordnungsanspruch aus. Ein materieller Anspruch des Antragstellers nach dem SGB II scheitert daran, dass er zwar die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt, da er das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II, hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) hat. Der Antragsteller gehört aber nach § 7 Abs. 5 SGB II nicht zum Kreis der Leistungsberechtigten für den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nach § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen der §§ 60 bis 62 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Antragsteller ist von diesem Ausschluss betroffen. Seine Ausbildung ist grundsätzlich förderungsfähig im Sinne des § 60 Abs. 1 SGB III, weil es sich um eine betriebliche Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handelt und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift folgt, dass der Ausschluss auch dann gilt, wenn der Antragsteller wegen einer Einkommensanrechnung tatsächlich keine BAB erhält. Entscheidend ist alleine, dass ein Anspruch auf Ausbildungsförderung dem Grunde nach besteht (vgl. BSG, Urteil vom 30.9.2008, Az: B 4 AS 28/07 R – Juris). Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Ausschluss nach § 7 Abs. 5 gemäß Abs. 6 SGB II liegen hier nicht vor.

Anhaltspunkte für einen Härtefall, in dem dem Antragsteller die Beendigung der Ausbildung durch ein Darlehen von der Antragsgegnerin ermöglicht werden könnte, liegen nicht vor. Nach § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen gewährt werden. Ein besonderer Härtefall liegt erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzuträten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen ließen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.10.1993, Az. 5 C 16/91, BVerwGE 94, 224). Es sind keine Umstände ersichtlich, die den vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausschluss von den Leistungen der Grundsicherung über das übliche Maß unbillig erscheinen lassen. Insbesondere befindet sich der Antragsteller nicht in der letzten Phase seiner Ausbildung.

Mangels Förderung durch BAB oder nach dem BAföG sind auch die Voraussetzungen eines Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft nicht gegeben. Der Zuschuss kann nur Auszubildenden gewährt werden, die tatsächlich Ausbildungsförderungsleistungen erhalten. Der Träger für die Leistungen nach dem SGB II hat dabei nicht zu prüfen, ob Anspruch auf Ausbildungsförderungsleistungen trotz eines ablehnenden Bescheides der zuständigen Stelle besteht. Ein ablehnender Bescheid ist insofern für den Leistungsträger nach dem SGB II maßgeblich (Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB II, § 22 SGB II Rdnr. 111). Nach Auffassung des Senats gebieten verfassungsrechtliche Erwägungen keine andere Auslegung der Norm. Die Auffassung, es sei verfassungsrechtlich bedenklich, dass § 22 Abs. 7 SGB II den Wortlaut nach auf den tatsächlichen Bezug der Ausbildungsförderungsleistungen abstelle, während für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 7 Abs. 5 SGB II schon der Anspruch auf Ausbildungsförderung dem Grunde nach ausreiche (so Lang/Link in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl., SGB II, § 22 Rdnr. 120) teilt der Senat nicht. Hintergrund der Regelung im § 7 Abs. 5 SGB II ist, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende kein Ausfallsystem ist ("keine Förderung auf zweiter Stufe"), falls ein anderes vorrangiges Förderinstrument im Einzelfall nicht zum Tragen kommt (vgl. BSG, Urteil vom 6.9.2007 – B 14/7b AS 36/06 R – Juris). Dies rechtfertigt es, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bereits dann nicht zu gewähren, wenn dem Grunde nach wegen der Teilnahme an einer förderungsfähigen Ausbildung ein Anspruch auf Ausbildungsförderung besteht. Hintergrund der Regelung im § 22 Abs. 7 SGB II ist es, dass bei den Leistungen der Ausbildungsförderung die Unterkunftskosten ggf. nur unzureichend mit dem dafür pauschal eingestellten Bedarf berücksichtigt werden. Dies soll durch eine "Aufstockung" in Höhe der ungedeckten Unterkunftskosten ausgeglichen werden (vgl. Berlit, in LPK-SGB II, 3. Auflage, § 22 Rdnr. 136). Die Regelung im § 22 Abs. 7 SGB II hat insofern eine nur begrenzte Zweckrichtung. Werden keine Ausbildungsförderungsleistungen gewährt, so fehlt der Anknüpfungspunkt für eine "Aufstockung" dieser Leistungen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es zu Härten kommen kann, wenn die Bewilligung von Ausbildungsleistungen daran scheitert, dass das anzurechnende Einkommen nur geringfügig über der Grenze liegt, bis zu deren Überschreiten noch ein Bedarf im Sinne des Ausbildungsförderungsrechts vorliegt. Dies rechtfertigt aber keine Auslegung, die über den klar erkennbaren Regelungszweck des § 22 Abs. 7 SGB II hinausgeht.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt den Verfahrensausgang.

Diese Entscheidung kann nicht mehr mit der Bewerde angefochten werden (§ 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved