Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 240/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist die Erhöhung des Regelleistungsvolumens (RLV).
Die Klägerin ist als praktische Ärztin in C, Ortsteil W-N, niedergelassen und seit dem 05.10.1983 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Bescheid vom 08.12.2008 setzte die Beklagte das RLV der Klägerin für das Quartal 1/2009 auf 16.836,64 EUR fest, wobei sie eine individuelle RLV-relevante Fallzahl von 503 zugrunde legte. Die durchschnittliche RLV-relevante Fallzahl der RLV-Arztgruppe belief sich auf 822,5. Diesem Bescheid widersprach die Klägerin unter Hinweis auf einen vor dem Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen (LSG NRW) in dem Rechtsstreit L 11 KA 82/03 (S 33 KA 25/02 SG Düsseldorf) am 28.07.2004 geschlossenen Vergleich, nach welchem ab dem Quartal 2/2004 der Abrechnung der Klägerin der durchschnittliche Punktzahlengrenzwert der Fachgruppe in Höhe von 612.066 Punkten zugrunde zu legen sei. Das RLV, wie es jetzt für sie festgesetzt sei, widerspreche dem Vergleich, wonach ihre Praxis bis zur Durchschnittsgröße der Allgemeinpraxen in Nordrhein wachsen dürfe, und beschränke den Praxiszuwachs.
Mit Bescheid vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erhöhung/Änderung des RLV ab: Der abgeschlossene Vergleich beinhalte, dass ab dem Quartal 2/2004 der Abrechnung der durchschnittliche Punktzahlengrenzwert der Fachgruppe in Höhe von 612.066 Punkten zugrunde gelegt werde. Damit sei nicht ein uneingeschränktes Wachstum bis zur Durchschnittsgröße der Allgemeinpraxen in Nordrhein im Sinne des Honorarverteilungsvertrages (HVV) verbunden.
Zudem habe auch die ab dem 01.01.2009 geltende Honorarreform zu einer neuen Systematik der Honorarverteilung geführt. Dadurch werde eine andere Beurteilung als bei den Individualbudgets vorgenommen. Gemäß § 6 Abs. 2 HVV werde bei einer Neuzulassung ab dem 01.01.2007 für die Dauer von 12 Niederlassungsquartalen mindestens das arztgruppendurchschnittliche RLV für das jeweilige Quartal zugewiesen, sofern die eigenen Werte oder die eines Praxisvorgängers im Vorjahresquartal nicht bereits diesen Durchschnitt überschritten hätten. Die Klägerin sei bereits seit dem 05.10.1983 niedergelassen, somit liege keine Neuzulassung im Sinne des neuen HVV vor. Darüber hinaus habe auch eine Fallzahlsteigerung in den Jahren 2004 bis 2008 nicht festgestellt werden können.
Hiergegen richtet sich die am 04.11.2009 erhobene Klage.
Die Klägerin trägt vor, der im Juli 2004 geschlossene Vergleich habe ihr eine Steigerungsmöglichkeit bis zum Fachgruppendurchschnitt zugesichert. Eine zeitliche 0bergrenze für diese Wachstumsmöglichkeit sei nicht festgelegt worden. Dies habe darin begründet gelegen, dass mit einem kontinuierlichen, aber langsamen Anstieg der Patientenzahlen zu rechnen gewesen sei. Mit der Umstellung auf das RLV im Jahre 2009 sei sie auf die Fallzahlen der Vorjahresquartale begrenzt worden. Dieses Vorgehen widerspreche dem Vergleich und sei nicht durch die Systemumstellung gerechtfertigt. Die Zweckrichtung der Begrenzung durch Individualbudget und der Begrenzung durch RLV - Verhinderung der übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit - sei dieselbe. Die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätze zur Berufsausübungsfreiheit behielten daher auch nach der Systemumstellung ihre volle Wirksamkeit.
Danach dürften Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz nicht daran gehindert werden, ihr Honorar innerhalb von fünf Jahren bis zum Durchschnittsumsatz ihrer Fachgruppe zu steigern. Die Festlegung auf die Fallzahlen in 2008 schließe die Klägerin aber faktisch von einer realistischen Wachstumsmöglichkeit aus. Insofern sei zu berücksichtigen, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zur Praxis ein Neubaugebiet im Rahmen eines generationsübergreifenden Wohnprojekts mit rd. 500 neuen Einwohnern entstanden sei und weiter entstehe. Besonders im 4. Quartal 2009 sei ein Patientenzuwachs aus diesem Bereich zu verzeichnen, der zu einer Fallzahlsteigerung auf 541 geführt habe. Wegen der abgestaffelten Vergütung bei über das RLV hinausgehend erbrachten Leistungen sei die Steigerung der Fallzahlen somit an eine - unzumutbare - Vorfinanzierung gebunden.
Da der HVV keine Regelungen für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen enthalte, sei der Klägerin zuzubilligen, sofort bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen zu können. Dies bedeute, dass ihr ab dem 1. Quartal 2009 ein RLV, das sich aus den Fallzahlen der Fachgruppe errechne, zur Verfügung gestellt werden müsse. Jedenfalls müsste ihr im Sinne der Härtefallregelung des § 6 HVV ein höheres RLV zugestanden werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 23. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2009 aufzu- heben und ab dem 1. Quartal 2009 für die Festsetzung der Regelleis- tungsvolumen die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe zugrunde zu legen und auf Basis dieser festgesetzten Regelleistungsvolumen die je- weiligen Quartale abzurechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Soweit die Klägerin ausführe, dass für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen Honorarbegrenzungsmechanismen bzw. Wachstumsbegrenzungen nicht vereinbart worden seien, würden diese zeitversetzt berücksichtigt. Ausweislich der einschlägigen Rechtsprechung des BSG müsse lediglich die Möglichkeit bestehen, in einem angemessenen Zeitraum (5 Jahre) den Fachgruppendurchschnitt zu erreichen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei der Festsetzung der RLV ab dem Quartal 1/2009 die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe zugrunde gelegt wird.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem vor dem LSG NRW am 28.07.2004 geschlossenen Vergleich, nach welchem ab dem Quartal 2/2004 der Abrechnung der Klägerin der durchschnittliche Punktzahlengrenzwert der Fachgruppe in Höhe von 612.066 Punkten zugrunde gelegt wurde. Mit dem Auslaufen der Individualbudgets und der Einführung fallzahlabhängiger RLV ist der Vergleich obsolet geworden, da die Höhe des vertragsärztlichen Honorars ab dem Quartal 1/2009 nicht mehr von maximal abrechenbaren Punktzahlvolumen abhängig ist.
Für eine Anpassung des Vergleiches nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)) in dem Sinne, dass anstelle des durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes der Fachgruppe nunmehr die durchschnittliche RLV-relevante Fallzahl der Arztgruppe zu treten hat, ist vorliegend kein Raum. Der Vergleich fußte ersichtlich auf der Rechtsprechung des BSG, nach der Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz nicht daran gehindert werden dürfen, ihr Honorar innerhalb von fünf Jahren bis zum Durchschnittsumsatz ihrer Fachgruppe zu steigern (vgl. z.B. Urteil vom 28.01.2009 - B 6 KA 5/08 R - m.w.N.). Diese Rechtsprechung entfaltet grundsätzlich auch unter der Geltung von RLV Bedeutung (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B ER -). Innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraumes ab 2/2004 hat die Klägerin jedoch nicht bis zur durchschnittlichen Punktzahl ihrer Fachgruppe aufgeschlossen, sondern ist regelmäßig deutlich hinter dieser zurückgeblieben. Gleiches gilt für die Fallzahlen. Von daher kann sie für die Zukunft nicht von jeder Begrenzung des Honorarwachstums verschont bleiben (vgl. BSGE 92,10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5; BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 9).
Auch das Fehlen einer Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende (Alt-)Praxen im HVV führt nicht dazu, dass der Abrechnung der Klägerin die durchschnittliche RLV-relevante Fallzahl der Arztgruppe zugrunde zu legen ist. Der HVV ab 1/2009 bestimmt das RLV einer ärztlichen Betriebsstätte (vereinfacht dargestellt) als Produkt des Fallwertes der Arztgruppe in EUR und der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal. Dies bedeutet, dass eine unterdurchschnittliche Fallzahl im Aufsatzquartal des Vorjahres - wie auch bei der Klägerin - zu einem unterdurchschnittlichen RLV führt, was - auch bei durchschnittlicher oder höherer Fallzahl - im entsprechenden Quartal 2009 eine im Verhältnis zur Fachgruppe niedrigere Vergütung zur Folge hat. Ausgehend von einer Fortschreibung der Regelungssystematik für das Folgejahr 2010 führt die Bezugnahme auf einen Aufsatzzeitraum im Vorjahr jedoch dazu, dass bereits innerhalb eines Jahres - bezogen auf das RLV - durchschnittliche Honorarwerte erreicht werden können. Damit ermöglichen die Regelungen des HVV ein Honorarwachstum auf durchschnittliche Werte innerhalb eines absehbaren Zeitraums von nur einem Jahr. Angesichts dessen erscheint eine spezielle Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen nicht erforderlich (vgl. LSG Hessen, a.a.O.). Die Beschwer der Klägerin reduziert sich daher darauf, für ein Jahr in "Vorleistung" treten zu müssen, bevor die erhöhte Fallzahl im entsprechenden Quartal des Folgejahres dem RLV zugrunde gelegt wird. Eine solche "Vorleistung" über ein Jahr war aber auch den Regelungen über das Individualbudget immanent. Im Rahmen der Erhöhung des Individualbudgets aus Sicherstellungsgründen wurde - unbeschadet des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen - stets gefordert, dass in mindestens vier aufeinanderfolgenden Quartalen eine Erhöhung der Leistungsmenge zu verzeichnen war, bevor Zuschläge auf das Individualbudget bewilligt werden konnten (vgl. z.B. LSG NRW, Urteile vom 23.08.2006 - L 11 KA 93/05 -; vom 15.08.2007 - L 11 KA 25/07 -).
Diese "Vorleistung" erscheint hier nicht unter dem Gesichtspunkt einer übermäßigen Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit unzumutbar. Wie die Klägerin vorträgt, lag dem vor dem LSG NRW geschlossenen Vergleich die Erwägung zugrunde, dass mit einem kontinuierlichen, aber langsamen Anstieg der Patientenzahlen zu rechnen gewesen sei. In solchem Falle hält sich die "Vorleistung" der Klägerin aber in vertretbaren Grenzen. Auch der tatsächliche Baufortschritt des angrenzenden Neubaugebietes (vgl. http://www.wohnpark-W-N.de) lässt einen zwar stetigen, aber langsamen Bevölkerungszuwachs erwarten. Nach Pressemitteilungen im Bonner Generalanzeiger vom 03.09.2009 (http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=loka&itemid=10490&detailid=635052) hat jedenfalls die Bezirksregierung Köln einen Schulneubau in W-N abgelehnt, da in den nächsten Jahren nicht genügend Kinder eine neue Grundschule besuchen würden. Auch das deutet aus Sicht einer Bündelungsbehörde, die die Entwicklung auf allen Lebensbereichen im Bezirk zu beobachten hat (§ 8 Abs. 1, 2 Landesorganisationsgesetz NRW), nicht auf einen sprunghaften Anstieg der Bevölkerung und damit der Fallzahlen der Klägerin hin, die eine "Vorleistung" über ein Jahr als unverhältnismäßig erscheinen lassen.
Aus diesem Grunde ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, im Wege einer Ausnahmeregelung gemäß § 6 Abs. 1 lit. a) HVV Zuschläge auf das RLV zu gewähren. Voraussetzung hierfür wäre eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten, wenn die Steigerung 10 % der Fallzahl des Vorjahresquartals, aber mindestens 80 Fälle beträgt. Dies ist auch bei dem Sprung von 489 Fällen im Quartal 4/2008 zu 541 Fällen im Quartal 4/2009 nicht erfüllt.
Schließlich werden überproportionale Honorarverluste durch die Systemumstellung von Individualbudgets auf RLV durch Regelungen in § 6 Abs. 4, 5 HVV insbesondere während einer Konvergenzphase ausgeglichen. Diese verlustbegrenzenden Maßnahmen sind auch der Klägerin in den Quartalen 1/2009 bis 3/2009 zuteil geworden.
Nach alledem stellen sich die angefochtenen Ablehnungsbescheide nicht als rechtswidrig dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Streitig ist die Erhöhung des Regelleistungsvolumens (RLV).
Die Klägerin ist als praktische Ärztin in C, Ortsteil W-N, niedergelassen und seit dem 05.10.1983 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Bescheid vom 08.12.2008 setzte die Beklagte das RLV der Klägerin für das Quartal 1/2009 auf 16.836,64 EUR fest, wobei sie eine individuelle RLV-relevante Fallzahl von 503 zugrunde legte. Die durchschnittliche RLV-relevante Fallzahl der RLV-Arztgruppe belief sich auf 822,5. Diesem Bescheid widersprach die Klägerin unter Hinweis auf einen vor dem Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen (LSG NRW) in dem Rechtsstreit L 11 KA 82/03 (S 33 KA 25/02 SG Düsseldorf) am 28.07.2004 geschlossenen Vergleich, nach welchem ab dem Quartal 2/2004 der Abrechnung der Klägerin der durchschnittliche Punktzahlengrenzwert der Fachgruppe in Höhe von 612.066 Punkten zugrunde zu legen sei. Das RLV, wie es jetzt für sie festgesetzt sei, widerspreche dem Vergleich, wonach ihre Praxis bis zur Durchschnittsgröße der Allgemeinpraxen in Nordrhein wachsen dürfe, und beschränke den Praxiszuwachs.
Mit Bescheid vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erhöhung/Änderung des RLV ab: Der abgeschlossene Vergleich beinhalte, dass ab dem Quartal 2/2004 der Abrechnung der durchschnittliche Punktzahlengrenzwert der Fachgruppe in Höhe von 612.066 Punkten zugrunde gelegt werde. Damit sei nicht ein uneingeschränktes Wachstum bis zur Durchschnittsgröße der Allgemeinpraxen in Nordrhein im Sinne des Honorarverteilungsvertrages (HVV) verbunden.
Zudem habe auch die ab dem 01.01.2009 geltende Honorarreform zu einer neuen Systematik der Honorarverteilung geführt. Dadurch werde eine andere Beurteilung als bei den Individualbudgets vorgenommen. Gemäß § 6 Abs. 2 HVV werde bei einer Neuzulassung ab dem 01.01.2007 für die Dauer von 12 Niederlassungsquartalen mindestens das arztgruppendurchschnittliche RLV für das jeweilige Quartal zugewiesen, sofern die eigenen Werte oder die eines Praxisvorgängers im Vorjahresquartal nicht bereits diesen Durchschnitt überschritten hätten. Die Klägerin sei bereits seit dem 05.10.1983 niedergelassen, somit liege keine Neuzulassung im Sinne des neuen HVV vor. Darüber hinaus habe auch eine Fallzahlsteigerung in den Jahren 2004 bis 2008 nicht festgestellt werden können.
Hiergegen richtet sich die am 04.11.2009 erhobene Klage.
Die Klägerin trägt vor, der im Juli 2004 geschlossene Vergleich habe ihr eine Steigerungsmöglichkeit bis zum Fachgruppendurchschnitt zugesichert. Eine zeitliche 0bergrenze für diese Wachstumsmöglichkeit sei nicht festgelegt worden. Dies habe darin begründet gelegen, dass mit einem kontinuierlichen, aber langsamen Anstieg der Patientenzahlen zu rechnen gewesen sei. Mit der Umstellung auf das RLV im Jahre 2009 sei sie auf die Fallzahlen der Vorjahresquartale begrenzt worden. Dieses Vorgehen widerspreche dem Vergleich und sei nicht durch die Systemumstellung gerechtfertigt. Die Zweckrichtung der Begrenzung durch Individualbudget und der Begrenzung durch RLV - Verhinderung der übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit - sei dieselbe. Die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätze zur Berufsausübungsfreiheit behielten daher auch nach der Systemumstellung ihre volle Wirksamkeit.
Danach dürften Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz nicht daran gehindert werden, ihr Honorar innerhalb von fünf Jahren bis zum Durchschnittsumsatz ihrer Fachgruppe zu steigern. Die Festlegung auf die Fallzahlen in 2008 schließe die Klägerin aber faktisch von einer realistischen Wachstumsmöglichkeit aus. Insofern sei zu berücksichtigen, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zur Praxis ein Neubaugebiet im Rahmen eines generationsübergreifenden Wohnprojekts mit rd. 500 neuen Einwohnern entstanden sei und weiter entstehe. Besonders im 4. Quartal 2009 sei ein Patientenzuwachs aus diesem Bereich zu verzeichnen, der zu einer Fallzahlsteigerung auf 541 geführt habe. Wegen der abgestaffelten Vergütung bei über das RLV hinausgehend erbrachten Leistungen sei die Steigerung der Fallzahlen somit an eine - unzumutbare - Vorfinanzierung gebunden.
Da der HVV keine Regelungen für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen enthalte, sei der Klägerin zuzubilligen, sofort bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen zu können. Dies bedeute, dass ihr ab dem 1. Quartal 2009 ein RLV, das sich aus den Fallzahlen der Fachgruppe errechne, zur Verfügung gestellt werden müsse. Jedenfalls müsste ihr im Sinne der Härtefallregelung des § 6 HVV ein höheres RLV zugestanden werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 23. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2009 aufzu- heben und ab dem 1. Quartal 2009 für die Festsetzung der Regelleis- tungsvolumen die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe zugrunde zu legen und auf Basis dieser festgesetzten Regelleistungsvolumen die je- weiligen Quartale abzurechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Soweit die Klägerin ausführe, dass für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen Honorarbegrenzungsmechanismen bzw. Wachstumsbegrenzungen nicht vereinbart worden seien, würden diese zeitversetzt berücksichtigt. Ausweislich der einschlägigen Rechtsprechung des BSG müsse lediglich die Möglichkeit bestehen, in einem angemessenen Zeitraum (5 Jahre) den Fachgruppendurchschnitt zu erreichen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei der Festsetzung der RLV ab dem Quartal 1/2009 die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe zugrunde gelegt wird.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem vor dem LSG NRW am 28.07.2004 geschlossenen Vergleich, nach welchem ab dem Quartal 2/2004 der Abrechnung der Klägerin der durchschnittliche Punktzahlengrenzwert der Fachgruppe in Höhe von 612.066 Punkten zugrunde gelegt wurde. Mit dem Auslaufen der Individualbudgets und der Einführung fallzahlabhängiger RLV ist der Vergleich obsolet geworden, da die Höhe des vertragsärztlichen Honorars ab dem Quartal 1/2009 nicht mehr von maximal abrechenbaren Punktzahlvolumen abhängig ist.
Für eine Anpassung des Vergleiches nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)) in dem Sinne, dass anstelle des durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes der Fachgruppe nunmehr die durchschnittliche RLV-relevante Fallzahl der Arztgruppe zu treten hat, ist vorliegend kein Raum. Der Vergleich fußte ersichtlich auf der Rechtsprechung des BSG, nach der Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz nicht daran gehindert werden dürfen, ihr Honorar innerhalb von fünf Jahren bis zum Durchschnittsumsatz ihrer Fachgruppe zu steigern (vgl. z.B. Urteil vom 28.01.2009 - B 6 KA 5/08 R - m.w.N.). Diese Rechtsprechung entfaltet grundsätzlich auch unter der Geltung von RLV Bedeutung (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B ER -). Innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraumes ab 2/2004 hat die Klägerin jedoch nicht bis zur durchschnittlichen Punktzahl ihrer Fachgruppe aufgeschlossen, sondern ist regelmäßig deutlich hinter dieser zurückgeblieben. Gleiches gilt für die Fallzahlen. Von daher kann sie für die Zukunft nicht von jeder Begrenzung des Honorarwachstums verschont bleiben (vgl. BSGE 92,10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5; BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 9).
Auch das Fehlen einer Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende (Alt-)Praxen im HVV führt nicht dazu, dass der Abrechnung der Klägerin die durchschnittliche RLV-relevante Fallzahl der Arztgruppe zugrunde zu legen ist. Der HVV ab 1/2009 bestimmt das RLV einer ärztlichen Betriebsstätte (vereinfacht dargestellt) als Produkt des Fallwertes der Arztgruppe in EUR und der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal. Dies bedeutet, dass eine unterdurchschnittliche Fallzahl im Aufsatzquartal des Vorjahres - wie auch bei der Klägerin - zu einem unterdurchschnittlichen RLV führt, was - auch bei durchschnittlicher oder höherer Fallzahl - im entsprechenden Quartal 2009 eine im Verhältnis zur Fachgruppe niedrigere Vergütung zur Folge hat. Ausgehend von einer Fortschreibung der Regelungssystematik für das Folgejahr 2010 führt die Bezugnahme auf einen Aufsatzzeitraum im Vorjahr jedoch dazu, dass bereits innerhalb eines Jahres - bezogen auf das RLV - durchschnittliche Honorarwerte erreicht werden können. Damit ermöglichen die Regelungen des HVV ein Honorarwachstum auf durchschnittliche Werte innerhalb eines absehbaren Zeitraums von nur einem Jahr. Angesichts dessen erscheint eine spezielle Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen nicht erforderlich (vgl. LSG Hessen, a.a.O.). Die Beschwer der Klägerin reduziert sich daher darauf, für ein Jahr in "Vorleistung" treten zu müssen, bevor die erhöhte Fallzahl im entsprechenden Quartal des Folgejahres dem RLV zugrunde gelegt wird. Eine solche "Vorleistung" über ein Jahr war aber auch den Regelungen über das Individualbudget immanent. Im Rahmen der Erhöhung des Individualbudgets aus Sicherstellungsgründen wurde - unbeschadet des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen - stets gefordert, dass in mindestens vier aufeinanderfolgenden Quartalen eine Erhöhung der Leistungsmenge zu verzeichnen war, bevor Zuschläge auf das Individualbudget bewilligt werden konnten (vgl. z.B. LSG NRW, Urteile vom 23.08.2006 - L 11 KA 93/05 -; vom 15.08.2007 - L 11 KA 25/07 -).
Diese "Vorleistung" erscheint hier nicht unter dem Gesichtspunkt einer übermäßigen Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit unzumutbar. Wie die Klägerin vorträgt, lag dem vor dem LSG NRW geschlossenen Vergleich die Erwägung zugrunde, dass mit einem kontinuierlichen, aber langsamen Anstieg der Patientenzahlen zu rechnen gewesen sei. In solchem Falle hält sich die "Vorleistung" der Klägerin aber in vertretbaren Grenzen. Auch der tatsächliche Baufortschritt des angrenzenden Neubaugebietes (vgl. http://www.wohnpark-W-N.de) lässt einen zwar stetigen, aber langsamen Bevölkerungszuwachs erwarten. Nach Pressemitteilungen im Bonner Generalanzeiger vom 03.09.2009 (http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=loka&itemid=10490&detailid=635052) hat jedenfalls die Bezirksregierung Köln einen Schulneubau in W-N abgelehnt, da in den nächsten Jahren nicht genügend Kinder eine neue Grundschule besuchen würden. Auch das deutet aus Sicht einer Bündelungsbehörde, die die Entwicklung auf allen Lebensbereichen im Bezirk zu beobachten hat (§ 8 Abs. 1, 2 Landesorganisationsgesetz NRW), nicht auf einen sprunghaften Anstieg der Bevölkerung und damit der Fallzahlen der Klägerin hin, die eine "Vorleistung" über ein Jahr als unverhältnismäßig erscheinen lassen.
Aus diesem Grunde ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, im Wege einer Ausnahmeregelung gemäß § 6 Abs. 1 lit. a) HVV Zuschläge auf das RLV zu gewähren. Voraussetzung hierfür wäre eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten, wenn die Steigerung 10 % der Fallzahl des Vorjahresquartals, aber mindestens 80 Fälle beträgt. Dies ist auch bei dem Sprung von 489 Fällen im Quartal 4/2008 zu 541 Fällen im Quartal 4/2009 nicht erfüllt.
Schließlich werden überproportionale Honorarverluste durch die Systemumstellung von Individualbudgets auf RLV durch Regelungen in § 6 Abs. 4, 5 HVV insbesondere während einer Konvergenzphase ausgeglichen. Diese verlustbegrenzenden Maßnahmen sind auch der Klägerin in den Quartalen 1/2009 bis 3/2009 zuteil geworden.
Nach alledem stellen sich die angefochtenen Ablehnungsbescheide nicht als rechtswidrig dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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