L 12 AL 277/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 5185/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 277/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. September 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung eines Gründungszuschusses.

Der Kläger bezog zuletzt Arbeitslosengeld, welches ihm die Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 2006 ab dem 23. Januar 2006 für die Dauer von 660 Tagen bewilligt hatte. Am 3. Juli 2007 beantragte der Kläger einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Gastronom, welche er ab 15. August 2007 aufnehmen wollte. Im Juli schloss er einen Mietvertrag über die Räume zum Betrieb eines Imbisses beginnend ab 15. August 2007 ab. Nachdem der Kläger am 8. August 2007 die Gaststättenkonzession beantragt hatte, stellte sich heraus, dass zum Erhalt der Konzession noch ein Fettabscheider eingebaut werden musste. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin mit, dass sich die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit verzögere. In einem Telefonat am 14. August 2007 wies ihn die Sachbearbeiterin der Beklagten, Frau S., telefonisch darauf hin, dass er sich wegen der erforderlichen 90 Tage Restanspruch auf Arbeitslosengeld spätestens bis zum 3. September 2007 selbständig machen müsse, ansonsten sei die Zahlung eines Gründungszuschusses nicht mehr möglich. Am 27. August 2007 erteilte die Stadt S. schließlich die Erlaubnis zur Abgabe von Getränken und zubereiteten Speisen nach dem Gaststättengesetz, der Kläger meldete am selben Tag noch sein Gewerbe an und nahm den Betrieb der Gaststätte "B. G." in S. auf. Am 4. September 2007 reichte er die vollständigen Antragsunterlagen bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 7. September 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Gründungszuschusses ab. Bei der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit habe der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen mehr gehabt.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe sich auf die Auskunft der zuständigen Mitarbeiterin verlassen, eine Antragstellung sei bis zum 3. September 2007 möglich. Wäre dem Kläger mitgeteilt worden, dass die Aufnahme der Selbständigkeit spätestens zum 15. August 2007 hätte erfolgen müssen, hätte er den Einbau des Fettabscheiders durch eine Fachfirma schneller vorangetrieben. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Gründungszuschuss werde geleistet, wenn der Arbeitnehmer u.a. bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfüge. Dies sei nicht der Fall gewesen. Der Kläger habe bis 26. August 2007 575 Tage Arbeitslosengeld bezogen. Am Ende des Leistungsbezugs habe die Restanspruchsdauer daher nur noch 85 Tage betragen. Die fehlerhafte Auskunft vom 14. August 2007 sei nicht ursächlich für die Ablehnung des Gründungszuschusses gewesen. Die Stadt S. habe erst mit Schreiben vom 27. August 2007 die Erlaubnis zur Abgabe von Getränken und zubereiteten Speisen erteilt. Ein früher Beginn der Selbständigkeit sei somit nicht möglich gewesen. Im Übrigen hätte der Kläger selbst erkennen können, wann sein Anspruch auf Arbeitslosengeld voraussichtlich erschöpft sein werde.

Hiergegen richtet sich die am 24. Oktober 2007 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Bei zutreffender Kenntnis des letztmöglichen Tages für den Beginn der selbständigen Tätigkeit wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, die Frist einzuhalten und die Bewilligungsvoraussetzungen insgesamt zu erfüllen. Aufgrund der unterschiedlichen Daten und Berechnungen im Beratungs-, Bewilligungs- und Widerspruchsverfahren sei dem Kläger nicht entgegen zu halten, dass er seine Bewilligungsdauer auch hätte selbst berechnen können.

Mit Urteil vom 4. September 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Gemäß § 57 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) werde ein Gründungszuschuss u.a. geleistet, wenn der Arbeitnehmer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfüge. Zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit am 27. August 2007 habe der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen mehr gehabt. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses lägen damit nicht vor. Streitig sei allein, ob aufgrund der falschen Auskunft durch die Beklagte vom 14. August 2007 der Kläger im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden könne, als ob zu diesem Zeitpunkt noch 90 Tage Restbezugsdauer von Arbeitslosengeld bestanden hätte. Selbst wenn vorliegend die Verletzung einer Auskunftspflicht durch die Beklagte aufgrund der falschen Mitteilung an den Kläger, die selbständige Tätigkeit müsse bis spätestens 3. September 2007 aufgenommen werden, angenommen würde, dürfte es bereits an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil des Klägers fehlen. Die falsche Mitteilung sei am 14. August 2007 während eines Telefonates erfolgt. Für die Zeit davor habe sich für die Beklagte keine Beratungspflicht ergeben, denn der Kläger habe zunächst den 15. August 2007 als Eröffnungstermin anvisiert. Dieser Beginn der selbständigen Tätigkeit wäre noch rechtzeitig gewesen, denn bis spätestens 22. August 2007 wäre die erforderliche Restanspruchsdauer von Arbeitslosengeld noch vorhanden gewesen. Ob der Kläger am 14. August 2007 bei richtiger Auskunft durch die Beklagte die bis zur Eröffnung der Gaststätte noch ausstehenden Arbeiten soweit hätte beschleunigen können, dass er bereits zum 22. August 2007 die Gaststätte hätte eröffnen können, sei fraglich und jedenfalls nicht erwiesen. Des weiteren könne der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil des Klägers nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Eine Änderung des Beginns der selbständigen Tätigkeit sei als tatsächliche Begebenheit nicht möglich. Eine Korrektur wäre nur insofern denkbar, dass im vorliegenden Fall eine geringe Restbezugsdauer von Arbeitslosengeld für die Gewährung des Gründungszuschusses als ausreichend erachtet werde. Dies würde jedoch einen gesetzeswidrigen Zustand schaffen, weshalb die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vorlägen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 8. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 5. Januar 2009 eingelegte Berufung des Klägers. Ziel des Berufungsverfahrens sei, die Schaffung eines Vorgehens nach Amtshaftungsgrundsätzen zu ermöglichen. Da § 839 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch als (negative) Tatbestandsvoraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs das nicht schuldhafte Unterlassen des Gebrauchs eines Rechtsmittels vorsehe, müsse die Berufung durchgeführt werden, um dem Schuldvorwurf hinsichtlich des Unterlassens von Rechtsbehelfen durch Hinweis auf die gleichlautende Entscheidung zweier Kollegialgerichte vorzubeugen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. September 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2007 zu verurteilen, ihm den beantragten Gründungszuschuss zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ihren Vortrag in erster Instanz.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser beabsichtigten Vorgehensweise gehört worden, der Kläger hat sich mit ihr einverstanden erklärt. Der Senat macht daher im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses.

Nach § 57 Abs. 1 SGB III (in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 - BGBl. I S. 1706) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Ein Gründungszuschuss wird nach § 57 Abs. 2 SGB III geleistet, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit a. einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat oder b. eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buche gefördert worden ist, 2. bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt, 3. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Der geltend gemachte Anspruch scheitert vorliegend daran, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 27. August 2007 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen mehr hatte, denn sein Restanspruch belief sich nur noch auf 85 Tage.

Wie das SG zutreffend entschieden hat, kann auch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Anspruch auf den begehrten Gründungszuschuss nicht hergeleitet werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB I)), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl. Bundessozialgericht, BSGE 92, 267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr. 1 m.w.N.). In solchen Fällen können gewisse sozialrechtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen, wie etwa eine verspätete Antragstellung, eine verspätete Beitragsentrichtung, eine verspätete Vorlage von Unterlagen als erfüllt angesehen werden, wenn die Verspätung gerade auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Leistungsträgers beruht. Allerdings gilt dies nicht für außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegende Tatbestände, die nach materiellem Recht für das Entstehen des Sozialrechtsanspruchs erforderlich sind (vgl. BSG SozR 2200 § 1233 Nr. 17; SozR 4100 § 56 Nr. 18); anderenfalls verpflichtete der Herstellungsanspruch den Sozialleistungsträger unzulässiger Weise zu einer Gesetz und Recht widersprechenden Handlung (vgl. BSG SozR 2200 § 1418 Nr. 8; SozR 2200 § 172 Nr. 14; SozR 2200 § 381 Nr. 44; SozR 4100 § 105 Nr. 2; SozR 4100 § 102 Nr. 6).

Vorliegend ist zwar eine Beratungspflicht durch die Beklagte verletzt worden, denn durch deren Mitarbeiterin S. wurde dem Kläger am 14. August 2007 unstreitig die unzutreffende Auskunft erteilt, er müsse zur Einhaltung der Anspruchsvoraussetzungen die selbständige Tätigkeit bis spätestens 3. September 2007 beginnen. Richtig wäre jedoch die Angabe gewesen, dass der Kläger die selbständige Tätigkeit bis spätestens zum 22. August 2007 hätte beginnen müssen. Unabhängig von der Frage, ob zwischen der falschen Beratung durch die Beklagte und dem Nachteil des Klägers ein ursächlicher Zusammenhang besteht, kann hier der eingetretene Nachteil jedenfalls nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Denn der tatsächliche Beginn der selbständigen Tätigkeit am 27. August 2007 kann im Wege des Herstellungsanspruchs nicht korrigiert werden, ansonsten liefe der Nachteilsausgleich auf ein gesetzeswidriges Handeln der Beklagten hinaus (vgl. BSG SozR 3-4100 § 249 e Nr. 4; BSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr. 1; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11 a AL 15/05 R - (juris)). Tatsächliche Gegebenheiten, wie die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, können nicht für einen früheren Zeitpunkt bis spätestens zum 22. August 2007 mit Hilfe eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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