L 8 SB 1174/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3114/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1174/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. Februar 2009 abgeändert und der Beklagte verpflichtet, einen GdB von 40 ab 11. April 2006 festzustellen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ein Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren zu erstatten; im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) streitig.

Bei der 1951 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt Ludwigsburg (LRA) mit Bescheid vom 07.11.2005 unter Berücksichtigung eines Bandscheibenschadens, operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen einen GdB von 30 seit 29.08.2005 fest. Diese Entscheidung beruhte auf den Untersuchungsberichten des Arztes für Neurochirurgie und Neuroradiologie Dr. K. vom 29.03.2004 (Diagnose: Großer Bandscheibenvorfall L4/5 links paramedian.), 15.04.2004 (Operation am 14.04.2004: Mikroneurochirurgische Entfernung eines subligamentären Bandscheibenvorfalls L4/5 links mit Kompression der Wurzel L5 links), 22.06.2004 und 21.09.2004 sowie dem Bericht von Dr. Schaaf vom 14.04.2005 über die am 12.04.2005 erfolgte MRT der Halswirbelsäule und dem Untersuchungsbericht der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Kr. vom 30.04.2004.

Am 14.02.2006 beantragte die Klägerin beim LRA die Erhöhung des GdB und begründete dies mit einem weiteren Bandscheibenvorfall. Sie leide unter ständigen Rückenschmerzen, Unbeweglichkeit im Nacken und vielen Kopfschmerzen. Das LRA holte von dem Arzt für Orthopädie und Chirurgie Dr.Sz den Befundbericht vom 10.03.2006 (Diagnose: chronisches Halswirbelsäulensyndrom bei NPP C6/C7) ein, dem weitere ärztliche Unterlagen, insbesondere der Bericht von Dr. W. über die MRT der Halswirbelsäule vom 03.02.2006 und der Untersuchungsbericht von Dr. Kr. vom 21.02.2006, beilagen. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu lehnte das LRA den Antrag mit Bescheid vom 08.06.2006 mangels wesentlicher Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin ab.

Dagegen legte die Klägerin am 04.07.2006 Widerspruch ein. Sie verwies zur Begründung auf die erlittenen Bandscheibenvorfälle und ihre Beschwerden im Bereich des Rückens und des Nackens sowie ihre immer mehr zunehmenden Kopfschmerzen. Sie sei an keinem Tag frei von Schmerzen. Nach nochmaliger versorgungsärztlicher Überprüfung wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2006 zurück.

Am 24.08.2006 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG), mit der sie einen GdB von 50 geltend machte. Sie brachte vor, seit längerer Zeit habe sie im Bereich ihres rechten Beines starke Schmerzen, so dass sie den Berufsalltag nicht mehr ohne starke Schmerzmittel bewältigen könne. Sie legte neben bereits aktenkundigen Arztbriefen den Bericht von Dr. W. über die MRT der Lendenwirbelsäule vom 03.08.2006, die ärztlichen Bescheinigungen von Dr.Sz vom 22.11.2006 und 18.12.2007, den Untersuchungsbericht von Dr. K. vom 23.10.2006 und dessen ärztliche Bescheinigung vom 21.12.2006, den Untersuchungsbericht des Facharztes für Neurologie Dr. W ... vom 21.12.2006, den Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. K ... u. a. über die am 12.03.2007 erfolgte Schilddrüsensonographie und -szintigraphie und den Bericht von Prof. Dr. G. vom R-B-Krankenhaus S. vom 04.06.2007 (stationäre Radiojodtherapie vom 21.05. -23.05.2007) sowie die Stellungnahme des Orthopäden Dr. P. vom 12.12.2007 (Beurteilung: GdB 50) vor.

Das SG holte zunächst von dem Orthopäden Dr. Z.das fachorthopädische Gutachten vom 05.12.2006 ein. Der Sachverständige gelangte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 05.12.2006 zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an einer mit einer Beugekontraktur von 20 ° verbundenen rechtsseitigen Hüftgelenksarthrose (GdB 20), einem Lendenwirbelsäulensyndrom mit pseudoradikulärer Problematik rechts bei Zustand nach Bandscheibenoperation L4/L5 ohne muskuläres Defizit (GdB 20), einem chronischen Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen sowie Bandscheibenvorfall C6/C7 und einem Streckdefizit im Bereich des rechten Ellenbogens ohne pathologisches Substrat. Insgesamt liege ein GdB von 40 vor.

Daraufhin unterbreitete der Beklagte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. F. vom 05.03.2007 das Vergleichsangebot vom 07.03.2007 (GdB 40 ab 14.02.2006), worauf die Klägerin mitteilte (Schriftsatz vom 17.07.2007), das Angebot im Sinne eines Teilanerkenntnisses anzunehmen; im Übrigen machte sie weiter einen GdB von 50 geltend.

Anschließend holte das SG von dem Orthopäden Dr. D. das fachärztliches Gutachten vom 24.02.2008 ein. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin gelangte der Sachverständige zu der Beurteilung, die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen, nämlich eine chronische Cervicobrachialgie rechts bei Bandscheibenvorfall, Zustand nach Bandscheiben-OP und persistierende Wurzelreizsymptomatik rechts, eine chronische Dorsalgie bei degenerativen Veränderungen der mittleren Brustwirbelsäule, eine chronische Lumbalgie bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule, Zustand nach Bandscheiben-OP, residuale Sensibilitätsstörungen der rechten Ferse, eine Coxarthrose rechts und ein Spreizfuß beidseits sowie eine Großzehengrundgelenksarthrose mit endgradiger Bewegungseinschränkung bedingten einen GdB von 50. Es bestünden schwere funktionelle Auswirkungen im Bereich der Halswirbelsäule und leicht- bis mittelgradige Auswirkungen im Bereich der Lenden- bzw. Brustwirbelsäule. An der Halswirbelsäule bestünden anhaltende Wurzelreizsyndrome und die Bewegungseinschränkung sei eindeutig rechtsbetont. Die Funktion der Rumpfwirbelsäule sei noch relativ gut, ebenso die Entfaltungsfähigkeit; der Finger-Boden-Abstand (FBA) betrage 7 cm. Die funktionelle Einschränkung der Lendenwirbelsäule sei als mittelgradig und die der Brustwirbelsäule als gering zu bezeichnen. Insgesamt halte er einen GdB von 40 für die Wirbelsäule und einen GdB von 20 für die Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenks für angemessen. Letztere beeinflusse aufgrund des veränderten Gangbildes und der veränderten Steh- und Gehfähigkeit die Wirbelsäulenproblematik ungünstig, so dass er orthopädischerseits einen GdB von 50 für angemessen halte. An dieser Bewertung hielt Dr. D. auch in seiner vom SG eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2008 fest.

Die Klägerin stützte sich auf die Beurteilung von Dr. D ... Der Beklagte hielt an seinem Vergleichsangebot vom 07.03.2007 fest und legte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. K. vom 12.11.2007 und 10.11.2008 sowie von Dr. B. vom 11.06.2008 vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.02.2009 hob das SG die angegriffenen Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, den GdB ab 11.04.2006 mit 50 festzustellen. Gestützt auf die Beurteilung von Dr. D. ging es von schweren funktionellen Auswirkungen im Bereich der Halswirbelsäule, mittelgradigen funktionellen Auswirkungen an der Lendenwirbelsäule und geringgradigen Auswirkungen an der Brustwirbelsäule aus, so dass der obere Rahmen der entsprechenden Fallgruppe der "AHP" erreicht werde. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Z.überzeugten schon deshalb nicht, weil dieser entgegen der Vorgaben der "Anhaltspunkte" einzelne Werte für die Schäden an der Hals- und Lendenwirbelsäule und nicht einen einheitlichen GdB für die Wirbelsäulenbeschwerden gebildet habe. Die Coxarthrose des rechten Hüftgelenks bedinge einen GdB von 20. Da die Beschwerden von Seiten des rechten Hüftgelenks sich negativ auf die Lendenwirbelsäule auswirkten, sei im Rahmen der Beurteilung des Gesamt-GdB eine Anhebung des GdB für die Wirbelsäule von 40 um 10 auf einen Gesamt-GdB von insgesamt 50 angemessen.

Gegen den ihm am 20.02.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 12.03.2009 Berufung eingelegt, mit der er sich gegen die Verurteilung zur Feststellung eines GdB von 50 wendet. Unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W ... vom 25.02.2009 macht er geltend, der bei der Klägerin vorliegende Wirbelsäulenschaden sei nur mit einem GdB von 30 zu bewerten. Insgesamt sei von einem GdB von 40 auszugehen. Entgegen der Auffassung des SG liege an der Halswirbelsäule der Klägerin keine schwergradige Funktionsminderung vor. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei allenfalls gering- bis mäßiggradig eingeschränkt; neurologische Ausfallserscheinungen seitens der Halswirbelsäule habe auch der Sachverständige Dr. D. ausgeschlossen. Ferner legt der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W ... vom 20.10.2009 vor, wonach die jetzt mitgeteilten Bewegungsmaße der Halswirbelsäule (Rotation 30-0-60 °, Seitneigung 30-0-30 °) und für das rechte Hüftgelenk (Strecken/Beugen 0-10-100 °) keine wesentlich neuen Gesichtspunkte ergäben. Im Übrigen sei aus seiner Sicht die Höhe des GdB ab 14.02.2006 (Eingang des Neufeststellungsantrags) und nicht erst ab 11.04.2006 streitig. Der angefochtene Gerichtsbescheid sei insoweit wohl unrichtig.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. Februar 2009 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Klägerin einen Grad der Behinderung von über 40 geltend macht.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Ihre Funktionsbeeinträchtigungen bedingten einen GdB von 50. Das SG habe sich bei seiner Entscheidung zu Recht auf die Beurteilung von Dr. D. gestützt. Den versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. W ..., Dr. B. und Dr. K., die keine Orthopäden seien und denen daher die notwendige Fachkompetenz fehle, sei nicht zu folgen. Dr. W ... "unterschlage" die zweifellos bestehenden neurologischen Auswirkungen ihrer schweren Halswirbelsäulenschäden. Obwohl die Beweglichkeit ihrer Halswirbelsäule in allen Richtungen eingeschränkt sei, versuche er, daraus noch eine tolerable Unbeweglichkeit zu machen und vergesse letztlich die Schmerzen, an denen sie wegen der Funktionsstörungen der Halswirbelsäule und der dort vorhandenen Schäden leide.

Der Senat hat zunächst Dr. P. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 30.07.2009 unter Vorlage einer Kopie des am 13.07.2009 angefertigten Röntgenbildes der rechten Hüfte über die Behandlung der Klägerin seit 1996 (mit gewissen Unterbrechungen von 1998 bis 2001) berichtet und neben den Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (ab 2003), Halswirbelsäule (ab 2007) und Hüfte (seit 1998) ein chronisches Schmerzsyndrom (Verdacht auf myofaciales Schmerzsyndrom) diagnostiziert. Die Rotation der Halswirbelsäule und die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule sowie die Befunde im Bereich der rechten Hüfte hätten sich im Laufe der Behandlung deutlich verschlechtert und die Schmerzen hätten deutlich zugenommen. Anschließend hat der Senat von dem Neurologen Dr. D ... ein fachärztliches Gutachten eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vom 15.02.2010 ein Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenoperation 2006 ohne Hinweise auf radikuläre Ausfallserscheinungen, ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen und Bandscheibenoperationen 1999 und 2004 ohne radikuläre Ausfallserscheinungen, migräneartige Kopfschmerzen, ein leichtes Carpaltunnelsyndrom beidseits mit nächtlichen Parästhesien, eine Coxarthrose rechts und einen Zustand nach Radiojodtherapie eines autonomen Adenoms 2007 diagnostiziert. Das Ausmaß des Halswirbelsäulensyndroms bezeichnete er als mittelgradig, das des Lendenwirbelsäulensyndroms als leichtgradig, das der migräneartigen Kopfschmerzen als leicht und das des Carpaltunnelsyndroms als geringfügig. Anhaltspunkte dafür, dass neurologischerseits die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin mit einem höheren GdB als 30 zu bewerten wären, sah er mangels wesentlicher Reizerscheinungen und keinerlei Ausfallserscheinungen seitens der Nervenwurzeln im Bereich der Wirbelsäule nicht. Die Hüftgelenksarthrose bewertete Dr. D ... mit einem GdB von 20 und die Kopfschmerzen mit einem GdB von 10. Insgesamt hielt er einen GdB von 40 für angemessen.

Die Klägerin wendet sich gegen die Beurteilung von Dr. D ... und macht geltend, dieser sei Neurologe und die Beantwortung der das orthopädische Fachgebiet betreffenden Fragen nach den Beweglichkeitseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule beträfen daher nicht sein Fachgebiet. Der Beurteilung des Sachverständigen Dr. D. sei deshalb zu folgen. Es erschließe sich nicht, weshalb Dr. D ... die entscheidungserheblichen Fragen besser beantworten könne als der Sachverständige Dr. D. und der sie seit Jahren behandelnde Orthopäde Dr. P ...

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig (§ 151 SGG) und auch begründet.

Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid den Beklagten zu Unrecht zur Feststellung eines GdB von 50 verurteilt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin bedingen lediglich einen GdB von 40.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 08.06.2006 (Widerspruchsbescheid vom 02.08.2006), mit dem der Beklagte den am 14.02.2006 von der Klägerin gestellten Antrag auf Erhöhung des bisherigen GdB von 30 mangels wesentlicher Verschlimmerung der gesundheitlichen Verhältnisse abgelehnt hat. Ein streiterledigendes Teilanerkenntnis des Beklagten, das die Klägerin mit erledigender Wirkung hätte annehmen können, ist in dem von der Klägerin ausdrücklich abgelehnten Vergleichsangebot des Beklagten vom 07.03.2007 nicht enthalten gewesen. Auch in der Folge hat der Beklagte vor dem SG nur sein Vergleichsangebot wiederholt. Gegen die Verurteilung im Gerichtsbescheid des SG zur Feststellung eines GdB von 50 hat der Beklagte aber nur hinsichtlich eines höheren GdB als 40 Berufung eingelegt. Ein früherer Zeitpunkt der maßgebenden Änderung ist von der Klägerin mit zulässigem Rechtsmittel nicht gerügt worden. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist daher insoweit rechtskräftig, als der GdB jedenfalls mindestens 40 ab 11.04.2006 beträgt.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" 2004 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) nun heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass im Vergleich zum Behinderungszustand, der Grundlage des Bescheides vom 07.11.2005 mit Feststellung des GdB 30 war, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese ist aber entgegen der Auffassung des Sozialgerichts mit keinem höheren GdB als 40 zu beurteilen. Der Senat kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zur Feststellung von Funktionsbeeinträchtigungen, die nach Überzeugung des Senats keinen höheren GdB als 40 rechtfertigen. Diese Beurteilung gründet sich im Wesentlichen auf die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte, die vom SG von Dr. Z.und Dr. D. eingeholten orthopädischen Gutachten, die Angaben des vom Senat gehörten behandelnden Orthopäden Dr. P. und das im Berufungsverfahren eingeholte neurologische Gutachten von Dr. D ...

Bei der Klägerin liegt eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule vor, von der - auch das ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten - alle drei Wirbelsäulenabschnitte (Halswirbelsäule, Lendenwirbelsäule und Brustwirbelsäule) betroffen sind. Ein GdB von 40 - wie von der Klägerin der Beurteilung des Sachverständigen Dr. D. folgend geltend gemacht wird - resultiert daraus jedoch nicht. Vielmehr hält der Senat insoweit einen GdB von 30 für angemessen.

Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende über über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind nach Teil B Nr. 18.9 der VG mit einem GdB von 20 zu bewerten. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) bedingen danach einen GdB von 30. Erst bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist nach Teil B Nr. 18.9 der VG ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Solche gravierenden funktionellen Auswirkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule - die Funktionsstörung im Bereich der Brustwirbelsäule wird von Dr. D. als gering bezeichnet - liegen aber bei der Klägerin nicht vor. Der Sachverständige Dr. D., auf den sich die Klägerin in erster Linie stützt, hat bezogen auf die Halswirbelsäule eine chronische Cervicobrachialgie rechts bei Bandscheibenvorfall, Zustand nach Bandscheiben-OP und eine persistierende Wurzelreizsymptomatik rechts diagnostiziert und schwere funktionelle Auswirkungen angenommen. Dies hat er mit anhaltenden Wurzelreizsyndromen begründet, die allerdings der vom Senat gehörte Sachverständige Dr. D ... nicht feststellen konnte. Dieser hat ausgeführt, dass keine wesentlichen Reizerscheinungen und keinerlei Ausfallserscheinungen von Seiten der Nervenwurzeln im Bereich der Wirbelsäule feststellbar seien. Diese Beurteilung überzeugt den Senat, da Dr. D ... als Neurologe im Unterschied zum Orthopäden Dr. D. gerade für diese Fragestellungen die höhere Fachkompetenz besitzt und Dr. D ... dem Senat auch als erfahrener und gewissenhafter Sachverständiger bekannt ist. Wenn aber keine neurologischen Ausfallserscheinungen bestehen, mit denen Dr. D. hauptsächlich das Vorliegen schwerer funktionelle Auswirkungen in diesem Wirbelsäulenabschnitt begründet hat, entfällt die Grundlage für diese Beurteilung. Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. D ..., die Halswirbelsäule sei "lediglich mittelschwer" bzw. "mittel", aber nicht schwer eingeschränkt, ist daher überzeugend.

Aber selbst dann, wenn man der Beurteilung von Dr. D. folgen würde, es liege auch eine mittelgradige Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule vor, könnte ein GdB von 40 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nicht angenommen werden. Die funktionellen Auswirkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sind nämlich nur leichterer Natur, so dass für die Beeinträchtigung der Wirbelsäulenfunktion, die einheitlich, mithin mit einem Teil-GdB, zu bewerten ist, ein GdB von 40 überhöht wäre. Dr. D. geht in seinem Gutachten vom 24.02.2008 von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule aus. Die Funktion der Rumpfwirbelsäule - so der Sachverständige - sei noch relativ gut, ebenso die Entfaltungsfähigkeit; der FBA betrage 7 cm. Dass die funktionellen Auswirkungen insoweit mittel-gradig sind, begründet er damit, dass es sich um rezidivierende bzw. permanent anhaltende Wirbelsäulenschmerzen handele. Bei relativ gut erhaltener Funktion der Lendenwirbelsäule - auf die Beeinträchtigung der Funktion kommt es entscheidend an - können aber mittelgradige funktionelle Auswirkungen nicht angenommen werden. Dr. D ... spricht in seinem neurologischen Gutachten vom 15.02.2010 insoweit denn auch nur von einem leichten Lendenwirbelsäulensyndrom. Einer Entscheidung, ob die Lendenwirbelsäule mit mittelgradigen oder leichten Funktionsstörungen behaftet ist, bedarf es nicht. Nach allen ärztlichen Einschätzungen ist die Brustwirbelsäule nur gering funktionell eingeschränkt. Das Vorliegen mittelgradiger Funktionseinschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, vorliegend die Lenden- und Halswirbelsäule, bedingt aber keinen höheren GdB als 30.

Außergewöhnliche Schmerzen, die eine Erhöhung des GdB für die Schäden im Bereich der Wirbelsäule über einen GdB von 30 hinaus rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin nicht vor. Zwar hat Dr. P. am 30.07.2009 gegenüber dem Senat angegeben, die Klägerin leide an einem chronischen Schmerzsyndrom (seit 2007 bestehe der Verdacht auf ein myofaciales Schmerzsyndrom). Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom konnte aber durch das insbesondere zur Klärung dieser Frage bei Dr. D ... im Berufungsverfahren eingeholte neurologische Gutachten nicht bestätigt werden. Dieser verneinte aufgrund der Schmerzangaben der Klägerin und ihren Angaben zum Schmerzmittelgebrauch (lediglich 800 mg Ibuprofen etwa alle 14 Tage wegen der Wirbelsäulenbeschwerden) ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom. Dies hält der Senat für überzeugend. Einen psychiatrisch zu beurteilenden Befund hat Dr. D ... nicht erhoben, der in seinem Gutachten wiedergegebene psychische Befund war unauffällig. Hinweise auf eine eigenständige Schmerzerkrankung finden sich daher nicht. Auch für diese Beurteilung besitzt Dr. D ... als Neurologe die sachnähere Fachkompetenz im Vergleich zum Orthopäden (vgl. u.a. Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Stand 01.10.2003, § 2 i.V.m. Abschnitt 1 Nr. 24 ( Fachgebiet Neurologie), wonach u.a. eine Weiterbildungszeit von einem Jahr in Psychiatrie und Psychotherapie erforderlich ist und Inhalt und Ziel der Erwerb eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten aus dem Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie ist). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die in der Bewertungstabelle der VG angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit einschließen und erfahrungsgemäß auch besonders schmerzhafte Zustände berücksichtigen (vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. j) der VG). Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Das kommt z.B. bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmerzen) in Betracht (aaO). Nach diesen Maßstäben ist eine Erhöhung des für die Wirbelsäulenschäden anzunehmenden GdB von 30 wegen der von der Klägerin angegebenen Schmerzen nicht gerechtfertigt.

Die bei der Klägerin zusätzlich vorliegende Hüftgelenksarthrose rechts bedingt einen GdB von 20. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und entspricht auch Teil B Nr.18.14 der VG, wonach bei einer Bewegungseinschränkung eines Hüftgelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) ein GdB von 10 bis 20 anzunehmen ist. Weder die Messergebnisse des Sachverständigen Dr. D. (Streckung/Beugung 0-15-90 °) noch die von Dr. P. am 30.07.2009 insoweit mitgeteilten Bewegungsmaße (Streckung/Beugung 0-10-100 ° rechtfertigen die Annahme eines GdB von mehr als 20. Eine Bewegungseinschränkung mittleren Grades und damit ein GdB von 30 würde nämlich eine wesentlich stärkere Einschränkung der Streckfähigkeit des Hüftgelenks (um 30 °) voraussetzen. Eine solche Bewegungseinschränkung besteht hier eindeutig nicht. Auch die von Dr. D ... der Hüftgelenksarthrose zugeordneten Hüft- und Oberschenkelschmerzen nach längerem Stehen, bei denen es sich nach seinem Befund entgegen der orthopädischen Beurteilung nicht um pseudoradikuläre Beschwerden seitens der Lendenwirbelsäule handelt, rechtfertigen keinen höheren Teil-GdB für Funktionseinschränkungen des Hüftgelenks rechts, denn eine die bewertete Bewegungseinschränkung überschreitende Schmerzhaftigkeit ist nach Dr. D ... nicht festzustellen. Außerdem ist nach Dr. D ... der Hüftgelenksbefund therapeutisch angehbar.

Weitere Funktionsbeeinträchtigungen in einem einen GdB von mindestens 10 bedingenden Ausmaß liegen bei der Klägerin nicht vor. Die von ihr angegebenen Kopfschmerzen sind der Beeinträchtigung durch die Wirbelsäulensyndrome zuzuordnen und bei deren Bewertung bereits berücksichtigt.

Unter Berücksichtigung eines GdB von 30 für die Schäden an der Wirbelsäule und eines GdB von 20 für die Hüftgelenksarthrose rechts ergibt sich kein GdB von 50. Dabei berücksichtigt der Senat die insoweit übereinstimmenden Beurteilungen der Sachverständigen Dr. Z.und Dr. D., wonach sich die Hüftgelenksarthrose negativ auf die Funktion der Lendenwirbelsäule auswirkt, so dass hier - obwohl bei einem GdB von nur 20 nach Teil A Nr. 3 Buchst. d) ee)) der VG vielfach eine Erhöhung nicht gerechtfertigt ist - eine Erhöhung des Teil-GdB von 30 (Wirbelsäule) um 10 erforderlich ist, um dem Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung der Klägerin gerecht zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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