L 8 SB 3877/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 4572/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3877/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 02.06.2006 den Grad der Behinderung (GdB) von 60 auf 70 seit 02.06.2006 zutreffend festgestellt hat; die Klägerin begehrt die Feststellung des GdB von 70 rückwirkend ab 12.05.2004.

Bei 1950 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt Freiburg (VA) mit Bescheid vom 05.10.1983 den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 v.H. seit 17.08.1983 fest. Als Behinderung wurde festgestellt: Gebärmutterentfernung mit psychoreaktiven Störungen.

Auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 27.01.2003 wurde mit Bescheid vom 22.05.2003 der Grad der Behinderung (GdB) mit 40 seit 01.01.1999 festgestellt. Die Funktionsbeeinträchtigungen wurden wie folgt beschrieben: Verlust der Gebärmutter mit seelischen Störungen; psychoreaktive Störungen; degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen; Restless-legs-Syndrom.

Auf den dagegen erhobenen Widerspruch wurden weitere Arztberichte mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.01.2004 ausgewertet. Für "seelische Störung, psychovegetative Störungen, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, chronisches Schmerzsyndrom" wurde ein Teil-GdB von 40 und für "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen" wurde ein Teil-GdB von 20 angenommen; außerdem wurde für "Verlust der Gebärmutter, Restless-legs-Syndrom und Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen" je ein Teil-GdB von 10 zugrunde gelegt. Der Gesamt-GdB wurde mit 50 beurteilt. Mit Abhilfe-Bescheid vom 23.01.2004 wurde der GdB mit 50 seit 01.01.2002 festgestellt.

Auf den Verschlimmerungsantrag vom 12.05.2004 wurde mit Bescheid vom 25.10.2004 unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Schlafapnoe-Syndroms (Teil-GdB 20) der Gesamt-GdB mit 60 seit 12.05.2004 festgestellt.

Mit Schreiben vom 16.03.2005 meldete sich der Bevollmächtigte der Klägerin und beantragte Überprüfung gemäß § 44 SGB X des Bescheides vom 22.05.2003 und des Abhilfebescheides vom 23.01.2004. Die angekündigte Begründung des Antrages erfolgte trotz Akteneinsicht und Mahnungen von Seiten des Beklagten gemäß Schreiben vom 27.07.2005 und 14.10.2005 sowie vom 23.01.2006 nicht. Mit Schreiben vom 22.02.2006 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit, der Beklagte möge die Angelegenheit noch auf eine längere Wiedervorlage legen bis zum 15.04.2006, die Angelegenheit sei nicht eilbedürftig. Bis zum 15.04.2006 erfolgte jedoch keine Reaktion von Seiten des Bevollmächtigten der Klägerin.

Am 02.06.2006 beantragte die Klägerin ohne ihren Bevollmächtigten die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung und gab hierzu die sie behandelnden Ärzte an. Unter Berücksichtigung des von der Klägerin eingereichten Attests des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.i vom 23.05.2006 gelangte der Versorgungsarzt in seiner Stellungnahme vom 10.07.2006 zu dem Ergebnis, dass sich die Funktionsbeeinträchtigungen "Depression, chronisches Schmerzsyndrom" verschlechtert hätten und diese nunmehr mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten seien. Den Gesamt-GdB schätzte er mit 70 ein.

Mit Bescheid vom 25.07.2006 stellte der Beklagte den GdB mit 70 seit 02.06.2006 fest.

Gegen den Bescheid vom 25.07.2006 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 04.08.2006 Widerspruch und machte hierbei geltend, ausweislich des Befundberichtes des Prof. Dr. M. vom 26.08.2003 bestehe das Schmerzsyndrom nach anamnestischen Angaben der Klägerin seit ca. vier bis fünf Jahren. Dies sei rückwirkend zu berücksichtigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Neufeststellungsantrag der Klägerin gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei insoweit entsprochen worden, als der GdB auf 70 erhöht worden sei. Der Umfang der Höherbewertung richte sich nach dem Ausmaß der eingetretenen Änderung bzw. der neu hinzugekommenen Funktionsbeeinträchtigungen. Dabei sei vergleichsweise von den gesundheitlichen Verhältnissen auszugehen, die der letzten Feststellung des GdB zugrunde gelegen hätten. Über den GdB sei letztmals mit Bescheid vom 25.10.2004 entschieden worden. Seinerzeit sei ein GdB von 60 festgestellt worden. In den Verhältnissen, die diesem Bescheid zugrunde gelegen hätten, sei eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X insoweit eingetreten, als sich der Beschwerdekomplex "seelische Erkrankung/Schmerzsyndrom" verschlechtert habe. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 70 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes wieder; eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen.

Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin am 07.12.2006 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG, S 6 SB 6075/06) mit dem Begehren, den GdB von 70 bereits seit 12.05.2004 anzuerkennen und nicht erst seit 02.06.2006. Gleichzeitig beantragte er, das Klageverfahren ruhend zu stellen.

Auf Anfrage des SG teilte der Beklagte mit, gegen den Bescheid vom 25.10.2004, mit dem der GdB mit 60 seit 12.05.2004 festgestellt worden sei, sei ein Widerspruch nicht eingelegt worden. Mit dem Ruhen des vorliegenden Verfahrens sei er einverstanden.

Mit Beschluss vom 21.02.2007 ordnete das SG das Ruhen des Verfahrens an.

Der im August 2007 wieder angerufene Rechtsstreit wurde unter dem Aktenzeichen S 6 SB 4572/07 fortgeführt.

Mit Urteil vom 18.05.2009 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 70 bereits ab dem 12.05.2004. Aus den auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften ergebe sich, dass eine wesentliche Verschlimmerung der seelischen Störungen zeitlich in den Bereich falle, in dem die Klägerin auch intensiv um entsprechende Behandlung nachgesucht habe und das sei im Juni 2006 gewesen. Ab dieser Zeit sei auch eine höhere Bewertung des Teil-GdB für die seelischen Störungen gerechtfertigt, die erst ab Juni 2006 als schwer zu bezeichnen seien und Funktionsbeeinträchtigungen von mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten hervorrufen würden. Vor diesem Zeitpunkt sei ein entsprechender Schweregrad nicht nachgewiesen, sondern vielmehr nach Überzeugung der Kammer lediglich eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gegeben, die zwar bereits am oberen Rand, aber dennoch zu Recht nur mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten gewesen sei. Unter Berücksichtigung der weiteren Leiden der Klägerin sei daher insgesamt erst ab dem 02.06.2006 ein Gesamt-GdB von 70 anzuerkennen und nicht bereits vor diesem Zeitpunkt.

Gegen das - dem Bevollmächtigten der Klägerin am 13.08.2009 zugestellte - Urteil hat die Klägerin am 25.08.2009 durch ihren Bevollmächtigten Berufung eingelegt. Dieser verfolgt das bisherige Begehren weiter und trägt zur Begründung vor, bei der Klägerin sei nach wie vor nicht korrekt berücksichtigt worden, dass sie eine chronische Schmerzpatientin sei und dies bereits in den Jahren vor 2004. Aktenkundig sei dies ausreichend belegt. Die psychischen Störungen und die sog. Seelische Störung, wie immer ausgeführt werde, seien auch aktenkundig für den Zeitraum deutlich vorher, entgegen der Auffassung des Gerichts. Die Frage, wann die Klägerin begonnen habe, intensiv um eine entsprechende Behandlung nachzusuchen, spiele keine Rolle hierbei, denn es sei eher ganz im Gegenteil so, dass es Ausdruck und Sinnbild des Krankheitsbildes sei, dass die Klägerin aufgrund ihrer Antriebsstörungen, die mit der Krankheit einhergingen, eben gar keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe, zumal es wohl einen gewissen Zeitraum gebe, in dem gar keine Krankenversicherung bestanden habe aufgrund der Gesamtumstände. Näheres zu erfragen, insbesondere im Hinblick auf den Zeitraum für die Vergangenheit, was so in konkreter Art und Weise wohl nicht erfolgt sei bisher, wäre nach wie vor bei Dr. K., der zwar privatisiert, sei aber immer noch Auskünfte erteilen könne. Das chronische Schmerzsyndrom sei dabei völlig untergegangen und dieses sei aktenkundig. Vor diesem Hintergrund scheine die Angelegenheit noch nicht einmal ausermittelt zu sein. Die Klägerin hat zuletzt mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 14.07.2010 beantragt, bei Dr. K. entsprechende Ermittlungen zu tätigen im Hinblick auf die Fragestellung wie das chronische Schmerzsyndrom im Zeitraum ab 12. Mai 2004 zu beurteilen ist und der sonstige Gesundheitszustand.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Mai 2009 aufzuheben und den Bescheid vom 25. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2006 abzuändern sowie den Beklagten zu verurteilen, den GdB auf 70% wenigstens ab 12. Mai 2004 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, über die Höhe des GdB mit Wirkung ab 12.05.2004 sei zuletzt mit Bescheid vom 25.10.2004 entschieden worden, mit dem ein GdB von 60 ab 12.05.2004 festgestellt worden sei. Dieser Bescheid sei bindend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das SG die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 25.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006, mit dem festgestellt worden ist, dass der GdB bei der Klägerin 70 seit 02.06.2006 beträgt, abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung des Inhalts zu, dass der GdB von 70 bereits seit 12.05.2004 und nicht erst seit 02.06.2006 besteht.

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen - welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören - zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden. Dies ist vorliegend der mit Bescheid vom 25.10.2004 mit einem GdB von 60 bewertete Behinderungszustand.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Hiervon ausgehend hat der Beklagte den Gesamt-GdB zu Recht auf 70 festgestellt für die Zeit ab 02.06.2006. Zutreffend hat das SG in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass die wesentliche Änderung im Sinne der Verschlimmerung bei der Klägerin erst ab Juni 2006 als nachgewiesen angesehen werden kann, nicht aber für die Zeit vor dem 02.06.2006. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung und Begründung seiner Entscheidung den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dem Beweisantrag der Klägerin im Schriftsatz vom 14.07.2007 war nicht zu entsprechen, denn zu den unter Beweis gestellten Fragen der Entwicklung des chronischen Schmerzsyndroms und des sonstigen Gesundheitszustandes ab 12.05.2004 ist bereits vom Sozialgericht die sachverständige Zeugenaussage von Dr. K. vom 26.11.2007 (insb. mit den Beweisfragen Nr. 2 und 3) im Verfahren S 6 SB 2722/07 eingeholt worden. Beide Rechtsstreite mit denselben Beteiligten wurden vom Sozialgericht am gleichen Sitzungstag (nacheinander) verhandelt. Das Sozialgericht hat das Beweisergebnis auch im vorliegend angefochtenen Urteil verwertet, weshalb der Senat es auch zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens hat machen können. Anhaltspunkte dafür, dass eine wiederholende Beweiserhebung geboten ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Darüber hinaus ist der streitgegenständliche Bescheid vom 25.07.2006/Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 nur insoweit angefochten, als die mit einem GdB 70 bewertete Änderung im Gesundheitszustand nicht früher, nämlich ab 12.05.2004, festgestellt worden ist. Der danach streitige Zeitraum vom 12.05.2004 bis 02.06.2006 ist in der eingeholten Aussage von Dr. K. vom 20.11.2007 berücksichtigt. Die Entwicklung des Gesundheitszustandes der Klägerin ab November 2007 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist nach dem Streitgegenstand nicht beweiserheblich.

Ob dem Begehren der Klägerin, den GdB mit 70 seit 12.05.2004 festzustellen, der zwischen den Beteiligten bindende Bescheid vom 25.10.2004 entgegensteht, mit dem der GdB mit 60 seit 12.05.2004 festgestellt worden ist, konnte angesichts des Umstandes, dass die bei der Klägerin eingetretene Verschlimmerung erst ab 02.06.2006 als nachgewiesen anzusehen ist, dahinstehen.

Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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