Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 646/10 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 68/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Rücknahme des Antrags auf Ausschreibung eines– hier: hälftigen - Vertragsarztsitzes ist nur bis zur Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses möglich. Dabei ist zum Schutz des ausgewählten Bewerbers auf den Tag der Entscheidungsfindung des Zulassungsausschusses, nicht auf die Zustellung des schriftlichen Bescheids abzustellen (Anschluss an SG Berlin, Beschl. v. 14.10.2008 – S 83 KA 543/08 ER –). Ein Widerspruch des den Vertragsarztsitz abgebenden Arztes ist daher ohne Erfolgsaussicht.
1. Es wird die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 03.12.2010 bis 1 Monat nach einer Entscheidung des Berufungsausschusses über den Widerspruch des Beigeladenen zu 9) im Wege der einstweiligen Anordnung angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsgegner und der Beigeladene zu 9) haben der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten jeweils zu 1/3 zu erstatten und jeweils 1/3 der Gerichtskosten zu tragen. Die Antragstellerin hat 1/3 der Gerichtskosten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses, mit dem dieser die Antragstellerin (Ast) zur Übernahme des gem. § 103 Abs. 4 SGB V ausgeschriebenen Vertragspsychotherapeutensitzes in A-Stadt, D-Str., mit Wirkung zum 01.03.2010 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit mit einem auf die Hälfte beschränkten Versorgungsauftrag zugelassen hat.
Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen lies die Antragsstellerin mit Beschluss vom 03.12.2009, ausgefertigt am 07.04.2010, zur Übernahme des hälftigen Versorgungsauftrags als sogenannte Praxisnachfolgerin für den hälftigen Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 9) zu. Hiergegen legte der Beigeladene zu 9) Widerspruch ein.
Am 04.08.2010 hat die Ast den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie trägt vor, der Beigeladene zu 9) habe auf seinen hälftigen Versorgungsauftrag verzichtet und die Ausschreibung zur Wiederbesetzung beantragt. Der Zulassungsausschuss habe berücksichtigt, dass sich der Beigeladene zu 9) für die Ast als Nachfolgerin ausgesprochen habe. Der Beigeladene zu 9) berufe sich darauf, dass bisher kein abschließender Vertrag bezüglich der beruflichen Zusammenarbeit hätte abgeschlossen werden können. Dies sei Grundlage des Verzichts auf den hälftigen Versorgungsauftrag gewesen. Der Widerspruch sei unzulässig, weil eine Beschwerde des Beigeladenen zu 9) nicht vorliege. Der Zulassungsausschuss habe dem Antrag des Beigeladenen zu 9) in vollem Umfang entsprochen. Die vom Beigeladenen zu 9) behauptete nicht erfolgte privatrechtliche Einigung sei im öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahren nicht zu berücksichtigen. Nach der Entscheidung des Zulassungsausschusses könne der Antrag nicht mehr zurückgenommen werden, was der Beigeladene zu 9) zwischenzeitlich erklärt habe. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Sie sei Bezieher von SGB II-Leistungen und somit auf das existenzielle Minimum verwiesen. Es gäbe insgesamt fünf Patienten, deren Therapien über ihre Psychotherapeutennummer beantragt und bewilligt worden seien. Bei dreien dieser Patienten habe die Therapie erst begonnen. Die Therapien von weiteren 14 Patienten seien über die Psychotherapeutennummer des Beigeladenen zu 9) beantragt und bewilligt worden, jedoch von ihr durchgeführt worden. Sie sei bis Februar 2010 als genehmigte Sicherstellungsassistentin in der Praxis des Beigeladenen zu 9) tätig gewesen und habe Patienten behandelt. Die Eltern der behandelten Kinder wünschten keinen Therapeutenwechsel, da sie und die Bezugspersonen sich gut aufgehoben fühlten, bisher gute Fortschritte zu verzeichnen gewesen seien und die Eltern der Meinung seien, den Kindern sei kein Beziehungswechsel zuzumuten. Sollte sich die Wartezeit allerdings noch weiter ausdehnen, sähen sie sich gezwungen, einen Therapeutenwechsel vorzunehmen, da ein großer Therapiebedarf bestehe. Da eine Entscheidung des Antragsgegners erst für den 29.09.2010 avisiert sei, müsse sie damit rechnen, dass ihre Patienten bis dahin abspringen würden.
Die Antragsstellerin beantragt,
die sofortige Vollziehung des Beschluss des Zulassungsausschusses/Psychotherapie vom 03.12.2009 anzuordnen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
Die Kammer hat den Vorsitzenden, Herrn Rechtsanwalt E., am 04.08.2010 telefonisch angehört. Er verweist auf die Änderung der persönlichen Verhältnisse des Beigeladenen zu 9), der zwischenzeitlich von seiner Ehefrau, mit der er in gemeinsamen Räumen die Praxis geführt habe, getrennt lebe. Er halte den Widerspruch für ohne Erfolgsaussicht, da nach einer Entscheidung des Zulassungsausschusses Vertrauensschutz für den Praxisnachfolger, hier die Antragsstellerin, bestehe. Er habe das Widerspruchsverfahren bereits für den 30.06.2010 terminiert gehabt, habe aber den Termin auf Antrag des Beigeladenen zu 9) wegen dessen akuter Erkrankung verlegt und werde erst Ende September wieder tagen. Bis dahin könne er auch keine eigene Entscheidung fällen, da erst dann der Ausschuss wieder zusammen treffe. In der Sache selbst sei er der Auffassung, dem Antrag sei stattzugeben.
Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit hat die Kammer die Beigeladenen zu 1 – 8 nicht angehört. Sie hat aber den Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 9) telefonisch angehört. Dieser ist der Auffassung, er müsse zunächst mit seinem Mandanten Rücksprache nehmen, da bezüglich der Vertragsverhandlungen ein neuer Sachvortrag erfolgt sei. Es bestehe auch kein Anordnungsgrund, Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, die Antragsstellerin könne Patienten nicht behandeln. Das Problem sei auch, dass sein Mandant Patienten behandeln müsse und dies im Rahmen des vollen Versorgungsauftrags tue. Es seien auch die Interessen seines Mandanten zu schützen. Es könne ihm nicht zugemutet werden, die hälftige Zulassung zu verlieren, ohne hierfür einen Kaufpreis zu erhalten. Der Antrag sei daher abzulehnen.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.08.2010 die Beiladung ausgesprochen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 03.12. 2010 ist zulässig und begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben. Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 und 4, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). In Angelegenheiten des Antragsgegners entfällt die aufschiebende Wirkung nicht (vgl. § 86a Abs. 2 und 4 SGG). Das Gesetz ordnet vielmehr ausdrücklich die aufschiebende Wirkung an (§ 95 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Eine sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses ist nicht angeordnet worden.
Nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der Widerspruch des Beigeladenen zu 9) ohne Erfolgsaussicht. Nach Aktenlage ist nicht erkennbar, weshalb der angefochtene Beschluss rechtswidrig sein sollte.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes des Antragstellers ist § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V. Danach hat die Kassenärztliche Vereinigung, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll, auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen.
Grundsätzlich endet ein Verwaltungsverfahren, das wie hier nur auf Antrag eingeleitet werden kann, durch die Rücknahme des Antrags. Dies kann für das vorliegende Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V aber nur mit Einschränkungen gelten. Die Kammer folgt insofern der Auffassung des SG Berlin, Beschl. v. 14.10.2008 – S 83 KA 543/08 ER – juris. Danach ist das Nachbesetzungsverfahren dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht um ein zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und Behörde, sondern um ein dreiseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem den Vertragsarztsitz aufgebenden Vertragsarzt (Vertragsarzt), dem Zulassungs- bzw. Berufungsausschuss (Zulassungsgremien) und den sich auf den Vertragsarztsitz bewerbenden Ärzten (Bewerber) handelt. Die Bewerber erhalten mit der Ausschreibung und dem Verfahrensfortgang eigene Rechte, die die Verfügungsgewalt des Vertragsarztes über das Verfahren beschränken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Auswahl des Nachfolgers unter den Bewerbern, die den Zulassungsgremien und nicht dem Vertragsarzt obliegt. Der Vertragsarzt ist deshalb gehindert, solche Verfahrenshandlungen vorzunehmen, die die Auswahl des Nachfolgers beeinflussen können, wenn die Auswahl durch den Zulassungsausschuss bereits getroffen wurde. Denn damit hat der ausgewählte Bewerber eine Rechtsposition erhalten, die der Vertragsarzt nur noch im ordentlichen Rechtsmittelverfahren (Widerspruch, Klage) angreifen kann. Dabei kann er seine wirtschaftlichen Interessen, die gemäß § 103 Abs. 4 S. 6 SGB V ohnehin nur beschränkt auf den Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts berücksichtigungsfähig sind, ausreichend geltend machen. Die Rücknahme des Antrags auf Ausschreibung ist deshalb nur bis zur Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses möglich. Dabei ist zum Schutz des ausgewählten Bewerbers auf den Tag der Entscheidungsfindung des Zulassungsausschusses, nicht auf die Zustellung des schriftlichen Bescheids abzustellen.
Ein auf seinen ganzen oder hälftigen Vertragsarztsitz verzichtender Vertragsarzt hat damit nur die Möglichkeit seinen Antrag bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses zurückzunehmen. Ist eine Entscheidung des Zulassungsausschusses gefällt worden, so besteht auch Vertrauensschutz des Praxisnachfolgers. Die Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit folgt aber im Wesentlichen aus der Gestaltungswirkung des Verzichts und der Zulassungsentscheidung. Prinzipiell ist eine Verzichtserklärung als Gestaltungsakt nur unbedingt abzugeben. Im Hinblick auf die schützenswerten Interessen des praxisabgebenden Vertragsarztes wird jedoch allgemein die Bedingung für zulässig gehalten, dass der Verzicht erst wirksam wird, wenn ein Praxisnachfolger bestimmt wird. Es ist aber nicht Aufgabe der Zulassungsgremien, die Einhaltung der vertraglichen Absprachen zu überwachen oder die Zulassung als Praxisnachfolger als Druckmittel zur Einhaltung vertraglicher Absprachen einzusetzen. Kommt es zum Streit über die vertraglichen Abreden, so haben die Beteiligten sich zivilrechtlich zu einigen oder den Zivilrechtsweg zu beschreiten.
Von daher ist der Widerspruch des Beigeladenen zu 9) ohne Erfolgsaussicht und besteht insoweit ein Anordnungsanspruch der Antragsstellerin.
Im Hinblick auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs sind an den Anordnungsgrund nur sehr geringe Anforderungen zu stellen. Die Antragsstellerin hat glaubhaft versichert, dass sie Patienten behandeln kann. Im Hinblick auf die nach Auffassung der Kammer eindeutige Rechtslage ist ihr auch nicht zuzumuten, länger mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit zu warten. Ein Interesse des Beigeladenen zu 9) hat demgegenüber zurückzustehen. Er hat selbst durch die Beantragung des Ausschreibungsverfahrens und zunächst die Hinnahme der Entscheidung des Zulassungsausschusses freiwillig auf seinen hälftigen Vertragsarztsitz verzichtet. Er hat es daher bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses selbst in der Hand gehabt, ob er sich beruflich einschränken will oder nicht. Hieran muss er sich festhalten lassen. Soweit der Verzicht auf Vorstellungen beruht hat, die er möglicherweise nicht mehr realisieren kann, so obliegt es ihm im Vorfeld, sich diesbezüglich vertraglich abzusichern oder aber diese Ansprüche, soweit eine vertragliche Absicherung erfolgt ist, nunmehr zivilrechtlich gegen die Antragsstellerin durchzusetzen. Gleiches gilt für die Zahlung des Kaufpreises. Insofern konnte die Kammer auch von einer weiteren Anhörung des Beigeladenen zu 9) im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung absehen, da es auf die zivilrechtliche Vertragsgestaltung für den öffentlich-rechtlichen Anspruch der Antragsstellerin auf Aufnahme ihrer Tätigkeit nach der entsprechenden Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht ankommt.
Der Antrag war aber insoweit abzulehnen, als das Gericht nur bis zur Entscheidung des Antragsgegners eine Anordnung treffen kann.
Nach allem war dem Antrag im tenorierten Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Beigeladene zu 9) war mit Kosten zu belasten, da er dem Antrag entgegengetreten ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.
Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, was hier der Fall ist, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). In Prozessverfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird die Verfahrensgebühr mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Angesichts der kurzen entscheidungsrelevanten Zeitspanne war vom Regelstreitwert auszugehen.
2. Der Antragsgegner und der Beigeladene zu 9) haben der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten jeweils zu 1/3 zu erstatten und jeweils 1/3 der Gerichtskosten zu tragen. Die Antragstellerin hat 1/3 der Gerichtskosten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses, mit dem dieser die Antragstellerin (Ast) zur Übernahme des gem. § 103 Abs. 4 SGB V ausgeschriebenen Vertragspsychotherapeutensitzes in A-Stadt, D-Str., mit Wirkung zum 01.03.2010 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit mit einem auf die Hälfte beschränkten Versorgungsauftrag zugelassen hat.
Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen lies die Antragsstellerin mit Beschluss vom 03.12.2009, ausgefertigt am 07.04.2010, zur Übernahme des hälftigen Versorgungsauftrags als sogenannte Praxisnachfolgerin für den hälftigen Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 9) zu. Hiergegen legte der Beigeladene zu 9) Widerspruch ein.
Am 04.08.2010 hat die Ast den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie trägt vor, der Beigeladene zu 9) habe auf seinen hälftigen Versorgungsauftrag verzichtet und die Ausschreibung zur Wiederbesetzung beantragt. Der Zulassungsausschuss habe berücksichtigt, dass sich der Beigeladene zu 9) für die Ast als Nachfolgerin ausgesprochen habe. Der Beigeladene zu 9) berufe sich darauf, dass bisher kein abschließender Vertrag bezüglich der beruflichen Zusammenarbeit hätte abgeschlossen werden können. Dies sei Grundlage des Verzichts auf den hälftigen Versorgungsauftrag gewesen. Der Widerspruch sei unzulässig, weil eine Beschwerde des Beigeladenen zu 9) nicht vorliege. Der Zulassungsausschuss habe dem Antrag des Beigeladenen zu 9) in vollem Umfang entsprochen. Die vom Beigeladenen zu 9) behauptete nicht erfolgte privatrechtliche Einigung sei im öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahren nicht zu berücksichtigen. Nach der Entscheidung des Zulassungsausschusses könne der Antrag nicht mehr zurückgenommen werden, was der Beigeladene zu 9) zwischenzeitlich erklärt habe. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Sie sei Bezieher von SGB II-Leistungen und somit auf das existenzielle Minimum verwiesen. Es gäbe insgesamt fünf Patienten, deren Therapien über ihre Psychotherapeutennummer beantragt und bewilligt worden seien. Bei dreien dieser Patienten habe die Therapie erst begonnen. Die Therapien von weiteren 14 Patienten seien über die Psychotherapeutennummer des Beigeladenen zu 9) beantragt und bewilligt worden, jedoch von ihr durchgeführt worden. Sie sei bis Februar 2010 als genehmigte Sicherstellungsassistentin in der Praxis des Beigeladenen zu 9) tätig gewesen und habe Patienten behandelt. Die Eltern der behandelten Kinder wünschten keinen Therapeutenwechsel, da sie und die Bezugspersonen sich gut aufgehoben fühlten, bisher gute Fortschritte zu verzeichnen gewesen seien und die Eltern der Meinung seien, den Kindern sei kein Beziehungswechsel zuzumuten. Sollte sich die Wartezeit allerdings noch weiter ausdehnen, sähen sie sich gezwungen, einen Therapeutenwechsel vorzunehmen, da ein großer Therapiebedarf bestehe. Da eine Entscheidung des Antragsgegners erst für den 29.09.2010 avisiert sei, müsse sie damit rechnen, dass ihre Patienten bis dahin abspringen würden.
Die Antragsstellerin beantragt,
die sofortige Vollziehung des Beschluss des Zulassungsausschusses/Psychotherapie vom 03.12.2009 anzuordnen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
Die Kammer hat den Vorsitzenden, Herrn Rechtsanwalt E., am 04.08.2010 telefonisch angehört. Er verweist auf die Änderung der persönlichen Verhältnisse des Beigeladenen zu 9), der zwischenzeitlich von seiner Ehefrau, mit der er in gemeinsamen Räumen die Praxis geführt habe, getrennt lebe. Er halte den Widerspruch für ohne Erfolgsaussicht, da nach einer Entscheidung des Zulassungsausschusses Vertrauensschutz für den Praxisnachfolger, hier die Antragsstellerin, bestehe. Er habe das Widerspruchsverfahren bereits für den 30.06.2010 terminiert gehabt, habe aber den Termin auf Antrag des Beigeladenen zu 9) wegen dessen akuter Erkrankung verlegt und werde erst Ende September wieder tagen. Bis dahin könne er auch keine eigene Entscheidung fällen, da erst dann der Ausschuss wieder zusammen treffe. In der Sache selbst sei er der Auffassung, dem Antrag sei stattzugeben.
Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit hat die Kammer die Beigeladenen zu 1 – 8 nicht angehört. Sie hat aber den Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 9) telefonisch angehört. Dieser ist der Auffassung, er müsse zunächst mit seinem Mandanten Rücksprache nehmen, da bezüglich der Vertragsverhandlungen ein neuer Sachvortrag erfolgt sei. Es bestehe auch kein Anordnungsgrund, Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, die Antragsstellerin könne Patienten nicht behandeln. Das Problem sei auch, dass sein Mandant Patienten behandeln müsse und dies im Rahmen des vollen Versorgungsauftrags tue. Es seien auch die Interessen seines Mandanten zu schützen. Es könne ihm nicht zugemutet werden, die hälftige Zulassung zu verlieren, ohne hierfür einen Kaufpreis zu erhalten. Der Antrag sei daher abzulehnen.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.08.2010 die Beiladung ausgesprochen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 03.12. 2010 ist zulässig und begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben. Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 und 4, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). In Angelegenheiten des Antragsgegners entfällt die aufschiebende Wirkung nicht (vgl. § 86a Abs. 2 und 4 SGG). Das Gesetz ordnet vielmehr ausdrücklich die aufschiebende Wirkung an (§ 95 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Eine sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses ist nicht angeordnet worden.
Nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der Widerspruch des Beigeladenen zu 9) ohne Erfolgsaussicht. Nach Aktenlage ist nicht erkennbar, weshalb der angefochtene Beschluss rechtswidrig sein sollte.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes des Antragstellers ist § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V. Danach hat die Kassenärztliche Vereinigung, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll, auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen.
Grundsätzlich endet ein Verwaltungsverfahren, das wie hier nur auf Antrag eingeleitet werden kann, durch die Rücknahme des Antrags. Dies kann für das vorliegende Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V aber nur mit Einschränkungen gelten. Die Kammer folgt insofern der Auffassung des SG Berlin, Beschl. v. 14.10.2008 – S 83 KA 543/08 ER – juris. Danach ist das Nachbesetzungsverfahren dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht um ein zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und Behörde, sondern um ein dreiseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem den Vertragsarztsitz aufgebenden Vertragsarzt (Vertragsarzt), dem Zulassungs- bzw. Berufungsausschuss (Zulassungsgremien) und den sich auf den Vertragsarztsitz bewerbenden Ärzten (Bewerber) handelt. Die Bewerber erhalten mit der Ausschreibung und dem Verfahrensfortgang eigene Rechte, die die Verfügungsgewalt des Vertragsarztes über das Verfahren beschränken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Auswahl des Nachfolgers unter den Bewerbern, die den Zulassungsgremien und nicht dem Vertragsarzt obliegt. Der Vertragsarzt ist deshalb gehindert, solche Verfahrenshandlungen vorzunehmen, die die Auswahl des Nachfolgers beeinflussen können, wenn die Auswahl durch den Zulassungsausschuss bereits getroffen wurde. Denn damit hat der ausgewählte Bewerber eine Rechtsposition erhalten, die der Vertragsarzt nur noch im ordentlichen Rechtsmittelverfahren (Widerspruch, Klage) angreifen kann. Dabei kann er seine wirtschaftlichen Interessen, die gemäß § 103 Abs. 4 S. 6 SGB V ohnehin nur beschränkt auf den Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts berücksichtigungsfähig sind, ausreichend geltend machen. Die Rücknahme des Antrags auf Ausschreibung ist deshalb nur bis zur Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses möglich. Dabei ist zum Schutz des ausgewählten Bewerbers auf den Tag der Entscheidungsfindung des Zulassungsausschusses, nicht auf die Zustellung des schriftlichen Bescheids abzustellen.
Ein auf seinen ganzen oder hälftigen Vertragsarztsitz verzichtender Vertragsarzt hat damit nur die Möglichkeit seinen Antrag bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses zurückzunehmen. Ist eine Entscheidung des Zulassungsausschusses gefällt worden, so besteht auch Vertrauensschutz des Praxisnachfolgers. Die Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit folgt aber im Wesentlichen aus der Gestaltungswirkung des Verzichts und der Zulassungsentscheidung. Prinzipiell ist eine Verzichtserklärung als Gestaltungsakt nur unbedingt abzugeben. Im Hinblick auf die schützenswerten Interessen des praxisabgebenden Vertragsarztes wird jedoch allgemein die Bedingung für zulässig gehalten, dass der Verzicht erst wirksam wird, wenn ein Praxisnachfolger bestimmt wird. Es ist aber nicht Aufgabe der Zulassungsgremien, die Einhaltung der vertraglichen Absprachen zu überwachen oder die Zulassung als Praxisnachfolger als Druckmittel zur Einhaltung vertraglicher Absprachen einzusetzen. Kommt es zum Streit über die vertraglichen Abreden, so haben die Beteiligten sich zivilrechtlich zu einigen oder den Zivilrechtsweg zu beschreiten.
Von daher ist der Widerspruch des Beigeladenen zu 9) ohne Erfolgsaussicht und besteht insoweit ein Anordnungsanspruch der Antragsstellerin.
Im Hinblick auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs sind an den Anordnungsgrund nur sehr geringe Anforderungen zu stellen. Die Antragsstellerin hat glaubhaft versichert, dass sie Patienten behandeln kann. Im Hinblick auf die nach Auffassung der Kammer eindeutige Rechtslage ist ihr auch nicht zuzumuten, länger mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit zu warten. Ein Interesse des Beigeladenen zu 9) hat demgegenüber zurückzustehen. Er hat selbst durch die Beantragung des Ausschreibungsverfahrens und zunächst die Hinnahme der Entscheidung des Zulassungsausschusses freiwillig auf seinen hälftigen Vertragsarztsitz verzichtet. Er hat es daher bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses selbst in der Hand gehabt, ob er sich beruflich einschränken will oder nicht. Hieran muss er sich festhalten lassen. Soweit der Verzicht auf Vorstellungen beruht hat, die er möglicherweise nicht mehr realisieren kann, so obliegt es ihm im Vorfeld, sich diesbezüglich vertraglich abzusichern oder aber diese Ansprüche, soweit eine vertragliche Absicherung erfolgt ist, nunmehr zivilrechtlich gegen die Antragsstellerin durchzusetzen. Gleiches gilt für die Zahlung des Kaufpreises. Insofern konnte die Kammer auch von einer weiteren Anhörung des Beigeladenen zu 9) im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung absehen, da es auf die zivilrechtliche Vertragsgestaltung für den öffentlich-rechtlichen Anspruch der Antragsstellerin auf Aufnahme ihrer Tätigkeit nach der entsprechenden Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht ankommt.
Der Antrag war aber insoweit abzulehnen, als das Gericht nur bis zur Entscheidung des Antragsgegners eine Anordnung treffen kann.
Nach allem war dem Antrag im tenorierten Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Beigeladene zu 9) war mit Kosten zu belasten, da er dem Antrag entgegengetreten ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.
Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, was hier der Fall ist, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). In Prozessverfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird die Verfahrensgebühr mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Angesichts der kurzen entscheidungsrelevanten Zeitspanne war vom Regelstreitwert auszugehen.
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