L 1 R 589/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 39/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 589/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RS 84/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 12. Dezember 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Der am ... 1939 geborene Kläger bestand ausweislich des Prüfungszeugnisses der Technischen Hochschule für Chemie L.-M vom 30. September 1963 die Diplom-Chemiker-Hauptprüfung. Die Fakultät für Stoffwirtschaft dieser Hochschule verlieh ihm deshalb den akademischen Grad eines Diplom-Chemikers (Urkunde vom 30. September 1963). Vom 01. Oktober 1963 bis über den 30. Juni 1990 hinaus war er als Diplom-Chemiker beim VEB L. "Walter Ulbricht" beschäftigt. Eine Zusatzversorgungszusage erhielt er während des Bestehens der DDR nicht.

Am 8. Februar 1999 beantragte der Kläger die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Juni 1999 mit der Begründung ab, die Qualifikation als Diplom-Chemiker entspreche nach dem Wortlaut der Versorgungsordnung nicht dem Titel eines Ingenieurs oder Technikers. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19. Juli 1999 Widerspruch ein: Er sei nicht als Chemiker, sondern als Entwicklungsingenieur beschäftigt gewesen. Der angegriffene Bescheid verstoße im Übrigen gegen den Gleichheitssatz. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2005 mit der Begründung zurück, der Kläger sei als Diplom-Chemiker nicht berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen.

Dagegen hat der Kläger am 17. Januar 2005 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und ergänzend u.a. vorgetragen, er besitze die Qualifikation als Sicherheitsingenieur. Dies ergebe sich aus einem Zeugnis der L. Werke GmbH vom 13. Januar 1995 und einem Zertifikat der Kammer der Technik vom 13. April 1992. Ausweislich dieses Zertifikats absolvierte der Kläger in der Zeit vom 17. Februar bis 13. April 1992 Fortbildungskurse zum Sicherheitsingenieur. Im VEB L. sei er als Sicherheitsingenieur, Betriebsingenieur, Entwicklungsingenieur, Laborleiter, Anfahringenieur und Operativingenieur tätig gewesen, obwohl er keine Ingenieurausbildung und kein Ingenieurdiplom besessen habe. Er sei zudem Forschungsingenieur gewesen. Dies ergebe sich aus einer Urkunde vom 15. Juli 1979 für ausgezeichnete Leistungen in der Berufsgruppe Forschungsingenieur und dem Ingenieurgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. November 1991. Im Übrigen fühle er sich gegenüber Ingenieuren, die eine kürzere Ausbildung gehabt hätten, diskriminiert. Während seines Chemiestudiums hätten einige Kommilitonen im 2. Studienjahr wegen unzureichender Leistungen die Hochschule verlassen müssen und seien zwangsweise exmatrikuliert worden. Sie seien nahezu im Block gemeinsam an die Fachschule nach K. gegangen und hätten ihr Studium dort mit dem Titel eines Ingenieurchemikers abgeschlossen. Diesen Fachschulingenieuren werde nun die zusätzliche Altersversorgung zugebilligt. Nach seiner Auffassung gehörten auch Diplom-Chemiker zur technischen Intelligenz. Darüber hinaus fühle er sich den Spezialisten im Sinne der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl. I Nr. 62 S. 487 – im Folgenden: 2. DB) zugehörig, die zwar nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers gehabt hätten, aber durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluss auf den Produktionsprozess ausgeübt hätten.

Mit Schreiben vom 1. Juni 2006 hat das SG die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört und die Klage schließlich mit Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger gehöre als Diplom-Chemiker nicht zu dem Personenkreis, für den eine Einbeziehung in die AVItech vorgesehen gewesen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestätigt.

Gegen den ihm am 23. Dezember 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24. Dezember 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und u.a. ausgeführt, das SG habe mit dem Gerichtsbescheid rechtliches Gehör "gem. Art. 3 GG" verletzt. Das SG habe nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen, zumal das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 25. Januar 2007 (L 1 R 13/06) ausdrücklich die Revision zugelassen habe, damit das BSG erneut über die Frage der Zugehörigkeit der Diplom-Chemiker zur AVItech entscheiden könne. Außerdem sei die Entscheidungspraxis der Beklagten willkürlich und diskriminiere Diplom-Chemiker. Deshalb sei die Sache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1999 sowie den Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2005 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 12. Dezember 2006 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, den Beschäftigungszeitraum vom 01. Oktober 1963 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz, Zusatzversorgungssystem Nr. 1, gem. Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz festzustellen, 3. rein vorsorglich wird für den Fall des Unterliegens um die Zulassung der Revision gebeten, weil die hier zu entscheidenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind, 4. hilfsweise, dass das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt dem EuGH die Frage vorlegt, ob die deutsche Rechtslage der Versagung der Zusatzversorgung von Diplom-Chemikern gegenüber Ingenieuren, die somit nicht in den Genuss einer Zusatzversorgung kommen, ein unzulässiger Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 7a/EWG ist bzw. eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt (Richtlinie 2000/43 EG), da Ingenieure mit einer geringeren Ausbildungszeit in den Genuss einer Zusatzversorgung kommen und die deutsche Rechtslage diesen Personenkreis der Diplom-Chemiker somit (mittelbar) diskriminiert.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben bei der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2005 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1, § 5 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG, i.d.F.v. Artikel 13 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) hinsichtlich des Zeitraums vom 01. Oktober 1963 bis zum 30. Juni 1990, weil er nach den am 30. Juni 1990 vorliegenden Gegebenheiten nicht im Sinne dieser Vorschrift eine Anwartschaft in einem Zusatzversorgungssystem erworben hatte.

Es kann dahinstehen, ob das SG vor dem Erlass des Gerichtsbescheides den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt hat, wie der Kläger meint. Zwar ist eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur zulässig, wenn die Beteiligten zuvor gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG ordnungsgemäß angehört worden sind. Dies gewährleistet der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG; Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz – GG). Bei einem Verstoß hiergegen könnte das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG unter dem Gesichtspunkt eines wesentlichen Verfahrensmangels aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen. Eine Zurückverweisung ist hier jedoch nicht angebracht, weil die Sache zur abschließenden Entscheidung reif ist und zudem der evtl. Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs jedenfalls durch die mündliche Verhandlung beim Landessozialgericht geheilt wurde (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 159 Rn. 5b).

In der Sache kann die Berufung keinen Erfolg haben. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Artikel 19 des Einigungsvertrages (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).

I.

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das BSG wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle durch Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG veranlassen müssen. Denn die vom BSG vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Artikel 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (vgl. dazu: BSG, Urt. v. 19.02.2009 – B 10 EG 1/08 R –, Juris, Rdnr. 19). Auch für eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie fehlt es – wie noch auszuführen sein wird – an der erforderlichen Regelungslücke.

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Artikel 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den Einigungsvertrag Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des Einigungsvertrages zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a. a. O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem Einigungsvertrag vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a. a. O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des Einigungsvertrages umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urt. v. 09.04.2002 – B 4 RA 31/01 R – a. a. O., S. 12).

Artikel 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschl. v. 26.10.2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –, dokumentiert in Juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05 –, dokumentiert in Juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschl. v. 26.10.2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das Bundesverfassungsgericht genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Aus diesen Gründen liegt auch keine Gesetzeslücke vor, die möglicherweise im Wege einer Analogie zu schließen gewesen wäre.

II.

Nach der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I Nr. 93 S. 844 – im Folgenden: VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

In Anwendung dieser Maßstäbe hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die persönliche Voraussetzung nicht erfüllt ist. Das BSG hat wiederholt entschieden, dass Diplom-Chemiker nicht obligatorisch in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen waren (z.B. Urt. v. 10.04.2002 – B 4 RA 18/01 – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8; Urt. v. 18.10.2007 – B 4 RS 25/07 R – SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 13). Diese Rechtsprechung ist auch verfassungsgemäß (BVerfG, Beschl. v. 04.08.2004 – 1 BvR 1557/01 –, v. 26.10.2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. – zitiert nach Juris, Beschl. v. 21.03.2007 – 1 BvR 570/07 –, v. 08.12.2008 – 1 BvR 484/08 –, beide unveröffentlicht). Der Kläger war bis zum 30. Juni 1990 nicht berechtigt, den Titel eines Ingenieurs im Sinne von § 1 Abs. 1 der 2. DB zu führen; in diesem Zusammenhang ist es unbeachtlich, dass er ingenieurtechnische Tätigkeiten verrichtet hat. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem Gerichtsbescheid (S. 6 f.) verwiesen.

Schließlich kommt nach der Rechsprechung des früheren 4. Senats des BSG auch keine fiktive Einbeziehung des Klägers in den Personenkreis des § 1 Abs. 1 der 2. DB unter dem Gesichtspunkt der "Laboratoriumsleiter" oder "anderen Spezialisten" in Betracht, denn diese Personen konnten nur auf Grund einer Ermessensentscheidung Ingenieuren oder Technikern gleichgestellt werden. Da derartige Ermessensentscheidungen allein aus Sicht der DDR und nach deren Maßstab hätten getroffen werden können, dürfen sie mangels sachlicher, objektivierbarer bundesrechtlich nachvollziehbarer Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden (BSG, Urt. v. 18.06.2003 – B 4 RA 50/02 R –, zit. nach Juris).

Die vom Kläger gewünschte Vorlage an den EuGH scheidet aus, weil die von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen durch das Bundessozialgericht und das Bundesverfassungsgericht abschließend geklärt sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
Rechtskraft
Aus
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