Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KR 43/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherungspflicht,
Hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit,
Arbeitseinkommen,
Fortbestehen der Mitgliedschaft
Hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit,
Arbeitseinkommen,
Fortbestehen der Mitgliedschaft
I. Der Bescheid vom 12.09.2003 und der Bescheid vom 07.07.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, werden aufge-hoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die bezahlten 10.000 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen zu erstatten
III. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin für die Zeit vom 24.07.2000 bis 31.08.2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aufgrund freiwilliger Versicherung zahlen muss.
Die Klägerin war seit 01.09.1997 als Buchhalterin bei der Firma S. und S. GmbH, G., versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 01.08.2000 bis 31.03.2000 befand sie sich in Mutterschutz und vom 01.11.2000 bis 04.09.2003 in Erziehungsurlaub (jetzt: Elternzeit). Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.12.2003 gekündigt.
Mit notarieller Urkunde vom 24.07.2000 wurde die CMS GmbH P., gegründet. Alleingesellschafterin war die Klägerin, alleiniger Geschäftsführer ihr damaliger Lebensgefährte R. S ... Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit Geräten der Unterhaltselektronik sowie deren Reparatur, die Entwicklung von Informations- und Abrechnungssystemen und damit zusammenhängende Serviceleistungen sowie der Vertrieb von Informations-systemen. Am 01.10.2002 schloss der Geschäftsführer mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung als Buchhalterin ab. Mit notariellem Vertrag vom 09.10.2003 trat die Klägerin, entsprechend einer bereits bei Gründung geschlossenen Vereinbarung, ihre sämtlichen Geschäftsanteile an R. S. ab, nachdem dessen Eintrag in das Schuldnerverzeichnis gelöscht worden war.
Mit Bescheid vom 11.09.2003 (der Bescheid trägt ursprünglich das Datum 16.11.2001 mit dem Stempelaufdruck 04.09.2003) stellte die BKK AKS (die Rechtsvorgängerin der Beklagten) fest, dass die Klägerin "in der Beschäftigung als Gesellschafterin der GmbH ab dem 24.07.2000 nicht versicherungspflichtig zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung" sei, ferner bestehe keine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit. Gegen den in dieser Angelegenheit ergangenen Widerspruchsbescheid vom 03.09.2004 wurde erfolglos Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben (S 4 KR 285/04 Urteil vom 19.05.2006). Die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht wurde in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2007 zurückgenommen.
Mit Bescheid vom 12.09.2003 teilte die BKK AKS der Klägerin mit, dass sie seit 24.07.2000 aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 255,26 Euro zu entrichten habe. Für die Zeit vom 24.07.2000 bis 31.08.2003 seien 8883,74 Euro zur Kranken- und Pflegeversicherung nachzuzahlen. Mit Bescheid vom 07.07.2006 teilte die BKK AKS der Klägerin mit, dass die Beitragsforderung bis einschließlich 08.10.2003 8951,81 Euro betrage, für die Zeit von September 2003 bis Mai 2006 seien Säumniszuschläge in Höhe von 2920,50 Euro angefallen. Insgesamt betrage die Beitragsschuld derzeit 11.872,31 Euro. Die Gesamtforderung werde hiermit gem. § 31 SGB X förmlich festgesetzt. Zur Begründung ihrer Forderung berief sich die BKK AKS auf das Ergebnis des Verfahrens vor dem Sozialgericht Landshut S 4 KR 285/04.
Auf den Widerspruch der Klägerin hin wurde die Gesamtforderung von der Beklagten auf 10.000 Euro gemindert. Dieser Betrag wurde von der Klägerin am 11.10.2006 überwiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 12.09.2003 und 07.07.2006 zurück, im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Klägerin ab Unternehmensgründung hauptberuflich selbständig gewesen sei. Damit greife der Ausschluss des § 5 Abs.5 SGB V, so dass die Beschäftigung bei der S. und S. GmbH G. ab dem 24.07.2000 nicht mehr der Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterliege. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der selbständigen Erwerbstätigkeit sei die Klägerin auch während des Zeitraumes des Mutterschutzes mit anschließendem Erziehungsurlaub hauptberuflich selbständig erwerbstätig gewesen, so dass die Rechtsvorschrift des § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V nicht zur Anwendung komme. Die Klägerin habe ihre Anteile am 09.10.2003 komplett an R. S. übertragen. Ab diesem Zeitpunkt sei sie aufgrund ihrer Beschäftigung bei der S. und S. GmbH G. wieder kranken- und pflegeversicherungspflichtig gewesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die Beklagte habe das Vorliegen einer hauptberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit zu Unrecht angenommen, es fehle praktisch an sämtlichen Voraussetzungen, die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 29.09.1997 - 10 RK 2/97) postuliert werden. Nicht der Gesellschafter einer GmbH sei rechtlich Arbeitgeber, sondern die GmbH, auch eine faktische Arbeitgeberstellung habe nicht vorgelegen. Rein tatsächlich gesehen habe Herr S. seine frühere Einzelfirma mit der von ihm veranlassten Strohmann-GmbH weitergeführt. Die Klägerin habe als gelernte Buchhalterin nicht die geringste Eignung für die Führung eines Elektrogeschäftes besessen. Die wirtschaftliche Bedeutung der CMS GmbH für die Klägerin sei gleich Null gewesen. Aus den Einkommenssteuerbescheiden ergebe sich, dass die Klägerin keinerlei Einkommen aus der Beteiligung an der CMS GmbH erzielt habe. Die einzige Tätigkeit der Klägerin für die Gesellschaft sei ihre geringfügige Beschäftigung als Buchhalterin gewesen, die von ihrer damaligen Arbeitgeberin (S. und S. GmbH) genehmigt worden sei. Auch hinsichtlich des zeitlichen Aufwandes könne man daher nicht davon ausgehen, dass die Tätigkeit für ihre GmbH der Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit gewesen sei.
Die Beklagte hat zum Vorbringen der Klägerin inhaltlich nicht Stellung genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag, die Bescheide der BKK AKS Augsburg (Rechtsvorgängerin der Beklagten) vom 12.09.2003 und 07.07.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den bereits bezahlten Betrag in Höhe von 10.000 Euro zuzüglich der gesetzlichen Zinsen zu erstatten.
Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Die beigeladene Pflegekasse stellte keinen Antrag.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin war nicht verpflichtet, für den hier streitigen Zeitraum (24.07.2000 bis 31.08.2003) im Rahmen einer freiwilligen Versicherung Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten. Da die Beitragsforderung der Beklagten demnach ohne gesetzliche Grundlage war, ist sie verpflichtet, die von der Klägerin bezahlten Euro 10.000 zurückzuerstatten. Die Bescheide der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin vom 12.09.2003 und 07.07.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, sind rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:
1. Die Klägerin war ursprünglich als Buchhalterin bei der Firma S. und S. GmbH, G., versicherungspflichtig beschäftigt. Dieses Versicherungspflichtverhältnis bestand bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2003.
2. Die Klägerin befand sich ab 01.08.2000 zunächst in Mutterschutz und anschließend bis 04.09.2003 in Erziehungsurlaub. Während dieser Zeit bestand aufgrund der Regelung des § 192 Abs.1 Ziff.2 SGB V die Pflichtmitgliedschaft als vollwertige Mitgliedschaft fort.
3. Die Regelung des § 5 Abs.5 SGB V steht dem nicht entgegen, da die Klägerin im genannten Zeitraum nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig war. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne der genannten Vorschrift vorlag. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellt in diesem Zusammenhang entscheidend auf § 15 SGB IV ab. Der Begriff der selbständigen Tätigkeit in § 15 SGB IV umfasst aber alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten (BSG, SozR 3-2400, § 15 Nr.6). Nach Auffassung der Kammer ist bereits diese Voraussetzung nicht erfüllt. Allein der Umstand, dass jemand die Mehrheit der Geschäftsanteile einer GmbH besitzt, macht ihn nicht zum selbständig Erwerbstätigen, es muss vielmehr das weitere Moment der persönlichen Mitarbeit im Betrieb dazu kommen. Diese Frage kann jedoch, wie ausgeführt, letztlich dahingestellt bleiben, da es jedenfalls an der Hauptberuflichkeit mangelt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist eine selbständige Erwerbstätigkeit dann als hauptberuflich anzusehen, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit bildet. Dabei ist für die wirtschaftliche Bedeutung auf den Reingewinn im Sinne des § 15 Abs.1 SGB IV abzustellen (BSG Urteil vom 29.09.1997 – 10 RK 2/97; Urteil vom 29.04.1997 – 10/4 RK 3/46 jeweils m.w.N.).
Das Vorliegen einer hauptberuflichen Erwerbstätigkeit im Sinne des Abs.5 muss, weil sie eine Ausnahme von der Versicherungspflicht begründet, festgestellt werden. Die Feststellungslast trägt derjenige, der sich auf Abs.5 beruft (vgl. Kassler Kommentar, SGB V, § 5 Anm. 187 am Ende).
4. Ziel der gesetzlichen Regelung ist die Missbrauchsabwehr. Es soll vermieden werden, dass ein nicht versicherungspflichtiger Selbständiger durch die Aufnahme einer niedrig vergüteten, aber versicherungspflichtigen Beschäftigung den umfassenden Schutz der GKV erhält, obwohl er weder zu dem des Solidarschutzes bedürftigen Personenkreis gehört, noch seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Beiträge zahlt (vgl. Becker, Kingreen, SGB V, § 5, Anm. 72 m.w.N.).
5. Bereits mit Bescheid vom 11.09.2003 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten festgestellt, die Klägerin sei ab Gründung der GmbH am 24.07.2000 versicherungsfrei im Sinne des § 5 Abs.5 SGB V, dies, obwohl die Klägerin zur damaligen Zeit noch in einem "normalem" Beschäftigungsverhältnis als Buchhalterin stand. Diese Entscheidung verkennt den rechtlichen Gehalt des § 5 Abs.5 SGB V in eklatanter Weise und ist, wenn man sich die Zielrichtung und Gesetzesbegründung vor Augen hält, schwer nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die Klägerin nach ihrem glaubhaften Vorbringen nur als "Strohmann" für ihren damaligen Lebensgefährten diente und die Geschäftsanteile lediglich treuhänderisch verwaltete. Ferner hat die Klägerin nachgewiesen, dass sie im maßgeblichen Zeitraum keinerlei Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erwirtschaftete.
6. Wenn damit aber feststeht, dass die Versicherungspflicht der Klägerin gem. § 5 Abs.1 Ziffer 1 SGB V durch die Übernahme der Geschäftsanteile bei der neu gegründeten GmbH nicht ausgeschlossen wurde, so kann nichts anderes während der Zeit des Mutterschutzes und des anschließenden Erziehungsurlaubs gelten. Dies ergibt sich aus § 192 Abs.1 Ziffer. 2 SGB V in der jeweils geltenden Fassung. Hierauf war die Beklagte schon, wie sich aus der Niederschrift über die Sitzung des Bayer. Landessozialgerichts im Berufungsverfahren L 5 KR 283/06 ergibt, hingewiesen worden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte der Beklagten klar sein müssen, dass die Pflichtversicherung der Klägerin gem. § 192 Abs.1 Nr. 2 SGB V wegen Mutterschaft und Erziehungsgeldbezug bzw. Erziehungsurlaubs fortbestand und keine Notwendigkeit für die Begründung einer freiwilligen Versicherung gegeben war.
7. Der Umstand, dass die CMS GmbH auch Arbeitnehmer über der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigte, ist schon deswegen irrelevant, weil Arbeitgeberin nicht die Klägerin, sondern allein die GmbH war. Auch der Ausgang des Verfahren S 4 KR 285/04 präjudiziert den vorliegenden Rechtstreit nicht, da das Gericht dort lediglich festgestellt hat, ein Mehrheitsgesellschafter einer GmbH könne nicht zu dieser GmbH in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Ob der Alleingesellschafter einer GmbH anderweitig versicherungspflichtig beschäftigt sein kann und welche Rechtsfolgen sich aus § 5 Abs.5 SGB V sowie insbesondere aus § 192 SGB V ergeben, waren nicht Gegenstand des Urteils.
8. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Klägerin auch nach Gründung der GmbH den Schutz der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aus ihrem Anstellungsverhältnis bei der Fa. S. und S. GmbH nicht verloren hat. Dies gilt auch für die Zeit des anschließenden Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs. Die Notwendigkeit zur Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bestand daher nicht. Nachdem die Mitgliedschaft aufgrund § 192 Abs.1 Ziff.2 SGB V für die Versicherte beitragsfrei ist, kann die Klägerin die von der Beklagten eingeforderten Beiträge in Höhe von 10.000 Euro zurückverlangen. Der Rückerstattungsanspruch ist die Kehrseite des von der Klägerin geltend gemachten Beitragsanspruches.
Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
-
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die bezahlten 10.000 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen zu erstatten
III. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin für die Zeit vom 24.07.2000 bis 31.08.2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aufgrund freiwilliger Versicherung zahlen muss.
Die Klägerin war seit 01.09.1997 als Buchhalterin bei der Firma S. und S. GmbH, G., versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 01.08.2000 bis 31.03.2000 befand sie sich in Mutterschutz und vom 01.11.2000 bis 04.09.2003 in Erziehungsurlaub (jetzt: Elternzeit). Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.12.2003 gekündigt.
Mit notarieller Urkunde vom 24.07.2000 wurde die CMS GmbH P., gegründet. Alleingesellschafterin war die Klägerin, alleiniger Geschäftsführer ihr damaliger Lebensgefährte R. S ... Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit Geräten der Unterhaltselektronik sowie deren Reparatur, die Entwicklung von Informations- und Abrechnungssystemen und damit zusammenhängende Serviceleistungen sowie der Vertrieb von Informations-systemen. Am 01.10.2002 schloss der Geschäftsführer mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung als Buchhalterin ab. Mit notariellem Vertrag vom 09.10.2003 trat die Klägerin, entsprechend einer bereits bei Gründung geschlossenen Vereinbarung, ihre sämtlichen Geschäftsanteile an R. S. ab, nachdem dessen Eintrag in das Schuldnerverzeichnis gelöscht worden war.
Mit Bescheid vom 11.09.2003 (der Bescheid trägt ursprünglich das Datum 16.11.2001 mit dem Stempelaufdruck 04.09.2003) stellte die BKK AKS (die Rechtsvorgängerin der Beklagten) fest, dass die Klägerin "in der Beschäftigung als Gesellschafterin der GmbH ab dem 24.07.2000 nicht versicherungspflichtig zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung" sei, ferner bestehe keine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit. Gegen den in dieser Angelegenheit ergangenen Widerspruchsbescheid vom 03.09.2004 wurde erfolglos Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben (S 4 KR 285/04 Urteil vom 19.05.2006). Die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht wurde in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2007 zurückgenommen.
Mit Bescheid vom 12.09.2003 teilte die BKK AKS der Klägerin mit, dass sie seit 24.07.2000 aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 255,26 Euro zu entrichten habe. Für die Zeit vom 24.07.2000 bis 31.08.2003 seien 8883,74 Euro zur Kranken- und Pflegeversicherung nachzuzahlen. Mit Bescheid vom 07.07.2006 teilte die BKK AKS der Klägerin mit, dass die Beitragsforderung bis einschließlich 08.10.2003 8951,81 Euro betrage, für die Zeit von September 2003 bis Mai 2006 seien Säumniszuschläge in Höhe von 2920,50 Euro angefallen. Insgesamt betrage die Beitragsschuld derzeit 11.872,31 Euro. Die Gesamtforderung werde hiermit gem. § 31 SGB X förmlich festgesetzt. Zur Begründung ihrer Forderung berief sich die BKK AKS auf das Ergebnis des Verfahrens vor dem Sozialgericht Landshut S 4 KR 285/04.
Auf den Widerspruch der Klägerin hin wurde die Gesamtforderung von der Beklagten auf 10.000 Euro gemindert. Dieser Betrag wurde von der Klägerin am 11.10.2006 überwiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 12.09.2003 und 07.07.2006 zurück, im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Klägerin ab Unternehmensgründung hauptberuflich selbständig gewesen sei. Damit greife der Ausschluss des § 5 Abs.5 SGB V, so dass die Beschäftigung bei der S. und S. GmbH G. ab dem 24.07.2000 nicht mehr der Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterliege. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der selbständigen Erwerbstätigkeit sei die Klägerin auch während des Zeitraumes des Mutterschutzes mit anschließendem Erziehungsurlaub hauptberuflich selbständig erwerbstätig gewesen, so dass die Rechtsvorschrift des § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V nicht zur Anwendung komme. Die Klägerin habe ihre Anteile am 09.10.2003 komplett an R. S. übertragen. Ab diesem Zeitpunkt sei sie aufgrund ihrer Beschäftigung bei der S. und S. GmbH G. wieder kranken- und pflegeversicherungspflichtig gewesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die Beklagte habe das Vorliegen einer hauptberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit zu Unrecht angenommen, es fehle praktisch an sämtlichen Voraussetzungen, die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 29.09.1997 - 10 RK 2/97) postuliert werden. Nicht der Gesellschafter einer GmbH sei rechtlich Arbeitgeber, sondern die GmbH, auch eine faktische Arbeitgeberstellung habe nicht vorgelegen. Rein tatsächlich gesehen habe Herr S. seine frühere Einzelfirma mit der von ihm veranlassten Strohmann-GmbH weitergeführt. Die Klägerin habe als gelernte Buchhalterin nicht die geringste Eignung für die Führung eines Elektrogeschäftes besessen. Die wirtschaftliche Bedeutung der CMS GmbH für die Klägerin sei gleich Null gewesen. Aus den Einkommenssteuerbescheiden ergebe sich, dass die Klägerin keinerlei Einkommen aus der Beteiligung an der CMS GmbH erzielt habe. Die einzige Tätigkeit der Klägerin für die Gesellschaft sei ihre geringfügige Beschäftigung als Buchhalterin gewesen, die von ihrer damaligen Arbeitgeberin (S. und S. GmbH) genehmigt worden sei. Auch hinsichtlich des zeitlichen Aufwandes könne man daher nicht davon ausgehen, dass die Tätigkeit für ihre GmbH der Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit gewesen sei.
Die Beklagte hat zum Vorbringen der Klägerin inhaltlich nicht Stellung genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag, die Bescheide der BKK AKS Augsburg (Rechtsvorgängerin der Beklagten) vom 12.09.2003 und 07.07.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den bereits bezahlten Betrag in Höhe von 10.000 Euro zuzüglich der gesetzlichen Zinsen zu erstatten.
Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Die beigeladene Pflegekasse stellte keinen Antrag.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin war nicht verpflichtet, für den hier streitigen Zeitraum (24.07.2000 bis 31.08.2003) im Rahmen einer freiwilligen Versicherung Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten. Da die Beitragsforderung der Beklagten demnach ohne gesetzliche Grundlage war, ist sie verpflichtet, die von der Klägerin bezahlten Euro 10.000 zurückzuerstatten. Die Bescheide der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin vom 12.09.2003 und 07.07.2006, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009, sind rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:
1. Die Klägerin war ursprünglich als Buchhalterin bei der Firma S. und S. GmbH, G., versicherungspflichtig beschäftigt. Dieses Versicherungspflichtverhältnis bestand bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2003.
2. Die Klägerin befand sich ab 01.08.2000 zunächst in Mutterschutz und anschließend bis 04.09.2003 in Erziehungsurlaub. Während dieser Zeit bestand aufgrund der Regelung des § 192 Abs.1 Ziff.2 SGB V die Pflichtmitgliedschaft als vollwertige Mitgliedschaft fort.
3. Die Regelung des § 5 Abs.5 SGB V steht dem nicht entgegen, da die Klägerin im genannten Zeitraum nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig war. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne der genannten Vorschrift vorlag. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellt in diesem Zusammenhang entscheidend auf § 15 SGB IV ab. Der Begriff der selbständigen Tätigkeit in § 15 SGB IV umfasst aber alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten (BSG, SozR 3-2400, § 15 Nr.6). Nach Auffassung der Kammer ist bereits diese Voraussetzung nicht erfüllt. Allein der Umstand, dass jemand die Mehrheit der Geschäftsanteile einer GmbH besitzt, macht ihn nicht zum selbständig Erwerbstätigen, es muss vielmehr das weitere Moment der persönlichen Mitarbeit im Betrieb dazu kommen. Diese Frage kann jedoch, wie ausgeführt, letztlich dahingestellt bleiben, da es jedenfalls an der Hauptberuflichkeit mangelt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist eine selbständige Erwerbstätigkeit dann als hauptberuflich anzusehen, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit bildet. Dabei ist für die wirtschaftliche Bedeutung auf den Reingewinn im Sinne des § 15 Abs.1 SGB IV abzustellen (BSG Urteil vom 29.09.1997 – 10 RK 2/97; Urteil vom 29.04.1997 – 10/4 RK 3/46 jeweils m.w.N.).
Das Vorliegen einer hauptberuflichen Erwerbstätigkeit im Sinne des Abs.5 muss, weil sie eine Ausnahme von der Versicherungspflicht begründet, festgestellt werden. Die Feststellungslast trägt derjenige, der sich auf Abs.5 beruft (vgl. Kassler Kommentar, SGB V, § 5 Anm. 187 am Ende).
4. Ziel der gesetzlichen Regelung ist die Missbrauchsabwehr. Es soll vermieden werden, dass ein nicht versicherungspflichtiger Selbständiger durch die Aufnahme einer niedrig vergüteten, aber versicherungspflichtigen Beschäftigung den umfassenden Schutz der GKV erhält, obwohl er weder zu dem des Solidarschutzes bedürftigen Personenkreis gehört, noch seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Beiträge zahlt (vgl. Becker, Kingreen, SGB V, § 5, Anm. 72 m.w.N.).
5. Bereits mit Bescheid vom 11.09.2003 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten festgestellt, die Klägerin sei ab Gründung der GmbH am 24.07.2000 versicherungsfrei im Sinne des § 5 Abs.5 SGB V, dies, obwohl die Klägerin zur damaligen Zeit noch in einem "normalem" Beschäftigungsverhältnis als Buchhalterin stand. Diese Entscheidung verkennt den rechtlichen Gehalt des § 5 Abs.5 SGB V in eklatanter Weise und ist, wenn man sich die Zielrichtung und Gesetzesbegründung vor Augen hält, schwer nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die Klägerin nach ihrem glaubhaften Vorbringen nur als "Strohmann" für ihren damaligen Lebensgefährten diente und die Geschäftsanteile lediglich treuhänderisch verwaltete. Ferner hat die Klägerin nachgewiesen, dass sie im maßgeblichen Zeitraum keinerlei Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erwirtschaftete.
6. Wenn damit aber feststeht, dass die Versicherungspflicht der Klägerin gem. § 5 Abs.1 Ziffer 1 SGB V durch die Übernahme der Geschäftsanteile bei der neu gegründeten GmbH nicht ausgeschlossen wurde, so kann nichts anderes während der Zeit des Mutterschutzes und des anschließenden Erziehungsurlaubs gelten. Dies ergibt sich aus § 192 Abs.1 Ziffer. 2 SGB V in der jeweils geltenden Fassung. Hierauf war die Beklagte schon, wie sich aus der Niederschrift über die Sitzung des Bayer. Landessozialgerichts im Berufungsverfahren L 5 KR 283/06 ergibt, hingewiesen worden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte der Beklagten klar sein müssen, dass die Pflichtversicherung der Klägerin gem. § 192 Abs.1 Nr. 2 SGB V wegen Mutterschaft und Erziehungsgeldbezug bzw. Erziehungsurlaubs fortbestand und keine Notwendigkeit für die Begründung einer freiwilligen Versicherung gegeben war.
7. Der Umstand, dass die CMS GmbH auch Arbeitnehmer über der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigte, ist schon deswegen irrelevant, weil Arbeitgeberin nicht die Klägerin, sondern allein die GmbH war. Auch der Ausgang des Verfahren S 4 KR 285/04 präjudiziert den vorliegenden Rechtstreit nicht, da das Gericht dort lediglich festgestellt hat, ein Mehrheitsgesellschafter einer GmbH könne nicht zu dieser GmbH in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Ob der Alleingesellschafter einer GmbH anderweitig versicherungspflichtig beschäftigt sein kann und welche Rechtsfolgen sich aus § 5 Abs.5 SGB V sowie insbesondere aus § 192 SGB V ergeben, waren nicht Gegenstand des Urteils.
8. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Klägerin auch nach Gründung der GmbH den Schutz der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aus ihrem Anstellungsverhältnis bei der Fa. S. und S. GmbH nicht verloren hat. Dies gilt auch für die Zeit des anschließenden Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs. Die Notwendigkeit zur Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bestand daher nicht. Nachdem die Mitgliedschaft aufgrund § 192 Abs.1 Ziff.2 SGB V für die Versicherte beitragsfrei ist, kann die Klägerin die von der Beklagten eingeforderten Beiträge in Höhe von 10.000 Euro zurückverlangen. Der Rückerstattungsanspruch ist die Kehrseite des von der Klägerin geltend gemachten Beitragsanspruches.
Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
-
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