Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 3222/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 818/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. November 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches RF hat.
Bei dem Kläger stellte das Versorgungsamt R. mit Bescheid vom 08.04.1999 unter Berücksichtigung einer Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke (versorgungsärztlicherseits mit einem GdB von 80 bewertet), einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom, einer coronaren Herzkrankheit, abgelaufener Infarkt und einer Hypertonie einen GdB von 100 fest. Ferner wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G und aG festgestellt.
Die vom Kläger in der Folgezeit mehrfach beantragte Feststellung des Nachteilsausgleiches RF wurde - zuletzt mit Bescheid vom 06.09.2004 (Widerspruchsbescheid vom 11.07.2005) - jeweils abgelehnt.
Mit am 13.02.2007 beim Landratsamt R. eingegangenem Schreiben vom 05.02.2007 beantragte er erneut die Feststellung des Nachteilsausgleiches RF und brachte vor, er sei seit Jahren ans Haus gefesselt und könne an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Hierzu legte er das Attest des Orthopäden B. vom 08.03.2007 vor, wonach der Kläger aufgrund seiner schweren Erkrankung wegen schwerer Gehbehinderung mit Sitzschwierigkeiten seit dem Jahr 2000 nicht mehr in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Mit Bescheid vom 26.04.2007 und Widerspruchsbescheid vom 25.07.2007 lehnte der Beklagte die Feststellung des Nachteilsausgleiches RF ab. Trotz der Schwere seiner Behinderung sei der Kläger durchaus noch in der Lage, gegebenenfalls mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln zumindest gelegentlich öffentliche Veranstaltungsorte aufzusuchen. Eine absolute Wohnungsgebundenheit sei bisher nicht nachgewiesen.
Am 14.08.2007 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG), mit der er einen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches RF geltend machte. Zur Begründung brachte er vor, er könne wegen immer wieder vorkommenden Schmerzanfällen und seiner Bewegungsunfähigkeit an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen. Es reiche nicht aus - wie der Beklagte ausführe -, dass er unter Benutzung seiner Gehhilfen und teilweise eines Rollstuhls Veranstaltungsorte aufsuchen könne, sondern entscheidend sei, dass er den Veranstaltungen auch sitzend schmerzbedingt nicht dauerhaft beiwohnen könne. Der Beklagte trat der Klage entgegen und legte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 22.08.2008 und 05.03.2009 vor.
Das SG hörte zunächst den Orthopäden B. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser gab am 13.05.2008 an, es zeichne sich eine zunehmende Versteifung beider Hüftgelenke ab. Das Gehvermögen des Klägers sei auf ca. 50 m begrenzt und er könne - wegen der Beugehemmung in beiden Hüftgelenken - nicht auf einem normalen Stuhl sitzen. Der Kläger sei wegen seiner Behinderung von öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art ausgeschlossen. Er sei nicht in der Lage, auch mit Hilfe von Dritten oder mit Hilfsmitteln an einem 45-minütigen Gottesdienst oder Theaterveranstaltung etc. teilzunehmen. Anschließend holte das SG von der Ärztin für Orthopädie Dr. K. ein fachorthopädisches Gutachten ein. Diese gelangte nach ambulanter Untersuchung des Klägers in ihrem Gutachten vom 11.11.2008 zu dem Ergebnis, die Hüftgelenke des Klägers seien klinisch komplett versteift. Zudem bestehe eine Fehlstatik im Bereich der Lendenwirbelsäule entsprechend der Beugefehlstellung der Hüftgelenke. Der Kläger sei - was die Fähigkeit zur Teilnahme an Veranstaltungen des öffentlichen Lebens anbetreffe - ganz erheblich beeinträchtigt. Mit Hilfe einer Begleitperson und Hilfsmitteln wie Rollstuhl und Schrägkissen sei er aber durchaus in der Lage, z.B. einen 45-minütigen Gottesdienst, eine Theaterveranstaltung oder eine Sportveranstaltung bis etwa maximal für die Dauer einer Stunde zu besuchen. Die sehr eng gefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches RF seien beim Kläger daher nicht erfüllt. Hierzu nahm der Orthopäde B. am 15.12.2008 auf Wunsch des Klägers dahingehend Stellung, dass die Verneinung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF erstaunlich sei, da der Kläger nur mit Not und Mühe einige Meter mit Hilfe von Begleitpersonen bewältigen könne, keine üblichen Stühle besonders in engen Reihen benutzen könne und ständig unter hohen Dosen von Schmerzmitteln stehe. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Kläger in diesem Zustand z.B. ein Konzert, eine Theaterveranstaltung oder eine (andere) öffentliche Veranstaltung "durchstehen" könne. Die Sachverständige Dr. K. äußerte sich hierzu am 22.04.2009 und hielt an ihrer Beurteilung fest. Der Kläger könne hin und wieder mit Hilfe einer Begleitperson oder mit Hilfsmitteln an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Eine ständige Unfähigkeit, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, bestehe deshalb nicht.
Mit Urteil vom 30.11.2009 wies das SG die Klage ab. Im Wesentlichen gestützt auf die Beurteilung der Sachverständigen Dr. K. gelangte es zu dem Ergebnis, dass nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger wegen seiner Leiden an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könne und praktisch an das Haus gebunden sei. Dass er nur unter erschwerten Bedingungen an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, reiche nicht aus. Er sei nicht mit bettlägerigen Behinderten oder solchen, die das Haus nicht verlassen können, vergleichbar. Es gäbe durchaus Veranstaltungen, bei deren Besuch der beim Kläger schmerzbedingt erforderliche Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen möglich sei. Bei einer Vielzahl von in Frage kommenden Veranstaltungen sei es ohne Weiteres möglich, einen entsprechenden Haltungswechsel vorzunehmen und auch zwischendurch die Beine - gegebenenfalls unter Benutzung technischer Hilfsmittel - hochzulagern.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 19.01.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.02.2010 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin den Nachteilsausgleich RF geltend macht. Er bringt vor, seine ärztlicherseits dokumentierten körperlichen und gesundheitlichen Einschränkungen ließen erkennen, dass es ihm nicht zumutbar sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, auch wenn dies theoretisch vielleicht möglich wäre. Sofern er das Haus verlasse und eine gewisse Zeit eine Veranstaltung besuche oder sonst am öffentlichen Leben teilnehme, sei es ihm in den nächsten drei Tagen nicht möglich, sein Bett zu verlassen. Er leide im Bereich der zerstörten Hüftgelenke unter stärksten Schmerzen, die jede Bewegung außerhalb des Bettes nahezu unmöglich machten. Unter dem Aspekt der Zumutbarkeit sei es ihm daher nicht mehr möglich, am öffentlichen Geschehen teilzunehmen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. November 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Nachteilsausgleich RF ab 5. Februar 2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss über die statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 151 SGG) Berufung entscheiden, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist der von den Bundesländern abgeschlossene Rundfunkgebührenstaatsvertrag vom 31. August 1991, der seit dem zum 01.04.2005 in Kraft getretenen Achten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge in Artikel 5 (bzw. mittlerweile Artikel 4) § 6 Abs. 1 Nr. 8 vorsieht, dass behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Die bis dahin geltenden - insoweit allerdings inhaltsgleichen - Gebührenbefreiungsverordnungen der einzelnen Bundesländer sind damit außer Kraft gesetzt worden.
Beim Kläger ist seit 1999 ein Behinderungsgrad von 100 festgestellt. Dies genügt jedoch - entgegen der vom Kläger immer wieder geäußerten Ansicht - für den Nachteilsausgleich RF allein nicht. Hinzu kommen muss, dass er ständig (gesundheitsbedingt) gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dies verneint auch der Senat.
Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 -, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, SozR 3-3780 § 4 Nr. 7). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.11.2003 - L 10 SB 113/02). Das BSG hält es zunehmend für zweifelhaft, ob durch den Nachteilsausgleich RF tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen wird, und ob es sozial geboten erscheint, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung solcher gewöhnlichen Geräte zu finanzieren. Diese Frage - so das BSG - bedürfe keiner abschließenden Klärung, verdeutliche aber, dass an einer engen Auslegung für das Merkzeichen RF festgehalten werde (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - a.a.O.).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger trotz der bei ihm bestehenden schwerwiegenden Behinderung noch mit technischen Hilfsmitteln (Rollstuhl) und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann. Daher können die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht festgestellt werden (vgl. BSG Urteil vom 9.8.1995 - 9 RVs 3/95).
Der Kläger leidet in erster Linie an einer Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, die vom Beklagten mit einem GdB von 80 bewertet worden ist. Dieses schwere, das Gehvermögen des Klägers außergewöhnlich beeinträchtigende Hüftleiden - der Beklagte hat den Nachteilsausgleich aG festgestellt - führt dazu, dass er den Weg zu Veranstaltungsorten nur mit Hilfe einer Begleitperson und technischen Hilfsmitteln (Gehhilfen bzw. Rollstuhl) zurücklegen kann. Dass er aber hierzu unter den genannten Voraussetzungen noch in der Lage ist, wird auch vom Kläger selbst nicht bestritten.
Es kommt daher darauf an, ob der Kläger ständig nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Hierbei muss beachtet werden, dass - wie bereits dargelegt - der gesundheitlich bedingte Ausschluss vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen allgemein und umfassend sein muss. Es genügt nicht, wenn an Veranstaltungen bestimmter Art nicht mehr teilgenommen werden kann. So ist es z.B. nicht ausreichend, wenn der Behinderte an längerdauernden Veranstaltungen oder Veranstaltungen, die mit stärkeren Belastungen verbunden sind, nicht teilnehmen kann. Die Möglichkeit des Besuchs von kürzeren Veranstaltungen oder solchen ohne stärkere Belastungen lässt den Anspruch auf diesen Nachteilsausgleich entfallen.
Hier steht für den Senat aufgrund der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere der Beurteilung der Orthopädin Dr. K., fest, dass die Teilnahme des Klägers an öffentlichen Veranstaltungen, die regelmäßig im Sitzen erfolgt, schmerzbedingt und im Hinblick auf sein Hüftleiden mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Unmöglich ist sie jedoch nach der den Senat überzeugenden Beurteilung von Dr. K. nicht, da der Kläger danach mit technischen Hilfsmitteln wie Rollstuhl und Schrägkissen öffentliche Veranstaltungen - allerdings nicht länger als maximal eine Stunde - noch besuchen kann. Die hiergegen von dem Orthopäden B. am 15.12.2008 vorgebrachten Einwände sind nicht stichhaltig. Rollstuhlfahrer - dies ist gerichtsbekannt - finden in aller Regel neben oder vor den Stuhlreihen Platz, so dass enge Stuhlreihen kein Hindernis für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sind.
Selbst wenn der Kläger wegen seiner Sitzschwierigkeiten vom Besuch solcher Veranstaltungen ausgeschlossen wäre, könnte nicht davon gesprochen werden, dass er allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es gibt eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen, an denen nicht im Sitzen teilgenommen wird. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an den Besuch von Museen, Kundgebungen, Messen, Festen und Jahrmärkten.
Das Berufungsvorbringen des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Besuch öffentlicher Veranstaltungen ist ihm nicht deshalb unzumutbar, weil er nach seinen Angaben danach drei Tage lang schmerzbedingt sein Bett nicht verlassen kann. Abgesehen davon, dass dieses Vorbringen ärztlicherseits - auch nicht durch die Angaben des Orthopäden B. - belegt ist, bezieht sich dieses Vorbringen in erster Linie auf die Sitzschwierigkeiten des Klägers. Eine Verengung des Begriffs der öffentlichen Veranstaltungen auf Veranstaltungen, an denen üblicherweise im Sitzen teilgenommen wird (z. B. Konzert- und Theaterveranstaltungen, Vorträge, Filmvorführungen), ist jedoch nicht gerechtfertigt. Er umfaßt auch öffentliche Veranstaltungen, die - wie bereits erwähnt - stehend und gehend besucht werden, wobei der Senat nicht verkennt, dass der Kläger hierzu ggf einen Rollstuhl und eine Begleitperson benötigt. Dies begründet den Nachteilsausgleich RF aber nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches RF hat.
Bei dem Kläger stellte das Versorgungsamt R. mit Bescheid vom 08.04.1999 unter Berücksichtigung einer Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke (versorgungsärztlicherseits mit einem GdB von 80 bewertet), einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom, einer coronaren Herzkrankheit, abgelaufener Infarkt und einer Hypertonie einen GdB von 100 fest. Ferner wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G und aG festgestellt.
Die vom Kläger in der Folgezeit mehrfach beantragte Feststellung des Nachteilsausgleiches RF wurde - zuletzt mit Bescheid vom 06.09.2004 (Widerspruchsbescheid vom 11.07.2005) - jeweils abgelehnt.
Mit am 13.02.2007 beim Landratsamt R. eingegangenem Schreiben vom 05.02.2007 beantragte er erneut die Feststellung des Nachteilsausgleiches RF und brachte vor, er sei seit Jahren ans Haus gefesselt und könne an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Hierzu legte er das Attest des Orthopäden B. vom 08.03.2007 vor, wonach der Kläger aufgrund seiner schweren Erkrankung wegen schwerer Gehbehinderung mit Sitzschwierigkeiten seit dem Jahr 2000 nicht mehr in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Mit Bescheid vom 26.04.2007 und Widerspruchsbescheid vom 25.07.2007 lehnte der Beklagte die Feststellung des Nachteilsausgleiches RF ab. Trotz der Schwere seiner Behinderung sei der Kläger durchaus noch in der Lage, gegebenenfalls mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln zumindest gelegentlich öffentliche Veranstaltungsorte aufzusuchen. Eine absolute Wohnungsgebundenheit sei bisher nicht nachgewiesen.
Am 14.08.2007 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG), mit der er einen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches RF geltend machte. Zur Begründung brachte er vor, er könne wegen immer wieder vorkommenden Schmerzanfällen und seiner Bewegungsunfähigkeit an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen. Es reiche nicht aus - wie der Beklagte ausführe -, dass er unter Benutzung seiner Gehhilfen und teilweise eines Rollstuhls Veranstaltungsorte aufsuchen könne, sondern entscheidend sei, dass er den Veranstaltungen auch sitzend schmerzbedingt nicht dauerhaft beiwohnen könne. Der Beklagte trat der Klage entgegen und legte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 22.08.2008 und 05.03.2009 vor.
Das SG hörte zunächst den Orthopäden B. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser gab am 13.05.2008 an, es zeichne sich eine zunehmende Versteifung beider Hüftgelenke ab. Das Gehvermögen des Klägers sei auf ca. 50 m begrenzt und er könne - wegen der Beugehemmung in beiden Hüftgelenken - nicht auf einem normalen Stuhl sitzen. Der Kläger sei wegen seiner Behinderung von öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art ausgeschlossen. Er sei nicht in der Lage, auch mit Hilfe von Dritten oder mit Hilfsmitteln an einem 45-minütigen Gottesdienst oder Theaterveranstaltung etc. teilzunehmen. Anschließend holte das SG von der Ärztin für Orthopädie Dr. K. ein fachorthopädisches Gutachten ein. Diese gelangte nach ambulanter Untersuchung des Klägers in ihrem Gutachten vom 11.11.2008 zu dem Ergebnis, die Hüftgelenke des Klägers seien klinisch komplett versteift. Zudem bestehe eine Fehlstatik im Bereich der Lendenwirbelsäule entsprechend der Beugefehlstellung der Hüftgelenke. Der Kläger sei - was die Fähigkeit zur Teilnahme an Veranstaltungen des öffentlichen Lebens anbetreffe - ganz erheblich beeinträchtigt. Mit Hilfe einer Begleitperson und Hilfsmitteln wie Rollstuhl und Schrägkissen sei er aber durchaus in der Lage, z.B. einen 45-minütigen Gottesdienst, eine Theaterveranstaltung oder eine Sportveranstaltung bis etwa maximal für die Dauer einer Stunde zu besuchen. Die sehr eng gefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches RF seien beim Kläger daher nicht erfüllt. Hierzu nahm der Orthopäde B. am 15.12.2008 auf Wunsch des Klägers dahingehend Stellung, dass die Verneinung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches RF erstaunlich sei, da der Kläger nur mit Not und Mühe einige Meter mit Hilfe von Begleitpersonen bewältigen könne, keine üblichen Stühle besonders in engen Reihen benutzen könne und ständig unter hohen Dosen von Schmerzmitteln stehe. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Kläger in diesem Zustand z.B. ein Konzert, eine Theaterveranstaltung oder eine (andere) öffentliche Veranstaltung "durchstehen" könne. Die Sachverständige Dr. K. äußerte sich hierzu am 22.04.2009 und hielt an ihrer Beurteilung fest. Der Kläger könne hin und wieder mit Hilfe einer Begleitperson oder mit Hilfsmitteln an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Eine ständige Unfähigkeit, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, bestehe deshalb nicht.
Mit Urteil vom 30.11.2009 wies das SG die Klage ab. Im Wesentlichen gestützt auf die Beurteilung der Sachverständigen Dr. K. gelangte es zu dem Ergebnis, dass nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger wegen seiner Leiden an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könne und praktisch an das Haus gebunden sei. Dass er nur unter erschwerten Bedingungen an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, reiche nicht aus. Er sei nicht mit bettlägerigen Behinderten oder solchen, die das Haus nicht verlassen können, vergleichbar. Es gäbe durchaus Veranstaltungen, bei deren Besuch der beim Kläger schmerzbedingt erforderliche Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen möglich sei. Bei einer Vielzahl von in Frage kommenden Veranstaltungen sei es ohne Weiteres möglich, einen entsprechenden Haltungswechsel vorzunehmen und auch zwischendurch die Beine - gegebenenfalls unter Benutzung technischer Hilfsmittel - hochzulagern.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 19.01.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.02.2010 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin den Nachteilsausgleich RF geltend macht. Er bringt vor, seine ärztlicherseits dokumentierten körperlichen und gesundheitlichen Einschränkungen ließen erkennen, dass es ihm nicht zumutbar sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, auch wenn dies theoretisch vielleicht möglich wäre. Sofern er das Haus verlasse und eine gewisse Zeit eine Veranstaltung besuche oder sonst am öffentlichen Leben teilnehme, sei es ihm in den nächsten drei Tagen nicht möglich, sein Bett zu verlassen. Er leide im Bereich der zerstörten Hüftgelenke unter stärksten Schmerzen, die jede Bewegung außerhalb des Bettes nahezu unmöglich machten. Unter dem Aspekt der Zumutbarkeit sei es ihm daher nicht mehr möglich, am öffentlichen Geschehen teilzunehmen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. November 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Nachteilsausgleich RF ab 5. Februar 2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss über die statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 151 SGG) Berufung entscheiden, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist der von den Bundesländern abgeschlossene Rundfunkgebührenstaatsvertrag vom 31. August 1991, der seit dem zum 01.04.2005 in Kraft getretenen Achten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge in Artikel 5 (bzw. mittlerweile Artikel 4) § 6 Abs. 1 Nr. 8 vorsieht, dass behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Die bis dahin geltenden - insoweit allerdings inhaltsgleichen - Gebührenbefreiungsverordnungen der einzelnen Bundesländer sind damit außer Kraft gesetzt worden.
Beim Kläger ist seit 1999 ein Behinderungsgrad von 100 festgestellt. Dies genügt jedoch - entgegen der vom Kläger immer wieder geäußerten Ansicht - für den Nachteilsausgleich RF allein nicht. Hinzu kommen muss, dass er ständig (gesundheitsbedingt) gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dies verneint auch der Senat.
Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 -, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, SozR 3-3780 § 4 Nr. 7). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.11.2003 - L 10 SB 113/02). Das BSG hält es zunehmend für zweifelhaft, ob durch den Nachteilsausgleich RF tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen wird, und ob es sozial geboten erscheint, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung solcher gewöhnlichen Geräte zu finanzieren. Diese Frage - so das BSG - bedürfe keiner abschließenden Klärung, verdeutliche aber, dass an einer engen Auslegung für das Merkzeichen RF festgehalten werde (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 - a.a.O.).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger trotz der bei ihm bestehenden schwerwiegenden Behinderung noch mit technischen Hilfsmitteln (Rollstuhl) und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann. Daher können die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht festgestellt werden (vgl. BSG Urteil vom 9.8.1995 - 9 RVs 3/95).
Der Kläger leidet in erster Linie an einer Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, die vom Beklagten mit einem GdB von 80 bewertet worden ist. Dieses schwere, das Gehvermögen des Klägers außergewöhnlich beeinträchtigende Hüftleiden - der Beklagte hat den Nachteilsausgleich aG festgestellt - führt dazu, dass er den Weg zu Veranstaltungsorten nur mit Hilfe einer Begleitperson und technischen Hilfsmitteln (Gehhilfen bzw. Rollstuhl) zurücklegen kann. Dass er aber hierzu unter den genannten Voraussetzungen noch in der Lage ist, wird auch vom Kläger selbst nicht bestritten.
Es kommt daher darauf an, ob der Kläger ständig nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Hierbei muss beachtet werden, dass - wie bereits dargelegt - der gesundheitlich bedingte Ausschluss vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen allgemein und umfassend sein muss. Es genügt nicht, wenn an Veranstaltungen bestimmter Art nicht mehr teilgenommen werden kann. So ist es z.B. nicht ausreichend, wenn der Behinderte an längerdauernden Veranstaltungen oder Veranstaltungen, die mit stärkeren Belastungen verbunden sind, nicht teilnehmen kann. Die Möglichkeit des Besuchs von kürzeren Veranstaltungen oder solchen ohne stärkere Belastungen lässt den Anspruch auf diesen Nachteilsausgleich entfallen.
Hier steht für den Senat aufgrund der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere der Beurteilung der Orthopädin Dr. K., fest, dass die Teilnahme des Klägers an öffentlichen Veranstaltungen, die regelmäßig im Sitzen erfolgt, schmerzbedingt und im Hinblick auf sein Hüftleiden mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Unmöglich ist sie jedoch nach der den Senat überzeugenden Beurteilung von Dr. K. nicht, da der Kläger danach mit technischen Hilfsmitteln wie Rollstuhl und Schrägkissen öffentliche Veranstaltungen - allerdings nicht länger als maximal eine Stunde - noch besuchen kann. Die hiergegen von dem Orthopäden B. am 15.12.2008 vorgebrachten Einwände sind nicht stichhaltig. Rollstuhlfahrer - dies ist gerichtsbekannt - finden in aller Regel neben oder vor den Stuhlreihen Platz, so dass enge Stuhlreihen kein Hindernis für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sind.
Selbst wenn der Kläger wegen seiner Sitzschwierigkeiten vom Besuch solcher Veranstaltungen ausgeschlossen wäre, könnte nicht davon gesprochen werden, dass er allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es gibt eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen, an denen nicht im Sitzen teilgenommen wird. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an den Besuch von Museen, Kundgebungen, Messen, Festen und Jahrmärkten.
Das Berufungsvorbringen des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Besuch öffentlicher Veranstaltungen ist ihm nicht deshalb unzumutbar, weil er nach seinen Angaben danach drei Tage lang schmerzbedingt sein Bett nicht verlassen kann. Abgesehen davon, dass dieses Vorbringen ärztlicherseits - auch nicht durch die Angaben des Orthopäden B. - belegt ist, bezieht sich dieses Vorbringen in erster Linie auf die Sitzschwierigkeiten des Klägers. Eine Verengung des Begriffs der öffentlichen Veranstaltungen auf Veranstaltungen, an denen üblicherweise im Sitzen teilgenommen wird (z. B. Konzert- und Theaterveranstaltungen, Vorträge, Filmvorführungen), ist jedoch nicht gerechtfertigt. Er umfaßt auch öffentliche Veranstaltungen, die - wie bereits erwähnt - stehend und gehend besucht werden, wobei der Senat nicht verkennt, dass der Kläger hierzu ggf einen Rollstuhl und eine Begleitperson benötigt. Dies begründet den Nachteilsausgleich RF aber nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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